Respekt unter Rechten

Die „Dresdner Erklärung“ macht in der AfD die Runde. Der plakativen Aufforderung zur Einheit schließen sich auch bekannte Mitglieder an, viele Unterzeichner*innen haben Parteiämter und Parlamentsmandate. Doch es gibt auch Kritik aus den eigenen Reihen und ernste Zweifel an den angeblich guten Absichten. Am Ende könnte der Text vor allem dem Verfassungsschutz in die Hände spielen.

Erklärung richtet sich direkt gegen Meuthen

Die AfD ist in diesen Tagen nervös wie selten. Sie fürchtet das Ende einer langen Erfolgssträhne: Bundesweit büßt die Partei an Zustimmung ein, die Abwicklung des Flügels ist noch nicht gelungen und der Vorsitzende Jörg Meuthen angeschlagen, seitdem er die Teilung der AfD empfohlen hat. In dieser Situation genügen etwas mehr als tausend Zeichen, um neue Wellen loszuschlagen. Das ist mit der Dresdner Erklärung gelungen, die am vergangenen Mittwoch veröffentlicht worden ist und die eine vermeintlich harmlose, im Grunde sogar selbstverständliche Botschaft verbreitet: dass es notwendig sei, „geschlossen zusammen zu stehen“, und dass man „nur solche Personen respektieren und fördern“ werde, „die sich diesem Ziel verpflichtet sehen“.

Das sei kein Angriff auf irgendwen, versicherte der sächsische Partei- und Fraktionssprecher Andreas Harlaß der Freien Presse. Es gehe „tatsächlich um die Geschlossenheit“ der Partei und sonst um nichts, erklärte der Landtagsabgeordnete Sebastian Wippel der Sächsischen Zeitung. Doch die wenigen Sätze der Dresdner Erklärung, das ist inzwischen klar, bergen einigen Zündstoff. Das zeigt sich eindrücklich in den Kommentarspalten sozialer Netzwerke, wo Parteianhänger*innen naheliegende Fragen stellen wie die, wozu es so einen Text überhaupt braucht. Die Reaktionen zeigen, dass es sich trotz anderslautender Beteuerungen um eine Abrechnung handelt – sie richtet sich direkt gegen Jörg Meuthen. So erläutert Jan Zwerg, Generalsekretär der Sachsen-AfD, man reagiere auf Veröffentlichungen eines nicht namentlich genannten „Professors“, der „nicht verstanden“ habe, „was er damit angerichtet hat“. Meuthen ist Professor für Volkswirtschaftslehre.

Unzweideutig äußert sich auch der Europaabgeordnete Maximilian Krah. Er vergleicht die AfD mit einem „großen Orchester“, das nicht „in eine Blaskapelle und ein Streichquartett“ aufgespaltet werden könne. Von einer Abspaltung des Flügels hatte Meuthen gesprochen. Der Landtagsabgeordnete Roberto Kuhnert wird noch deutlicher: Man wende sich gegen „spalterische Tendenzen“ von „Mitgliedern in Führungsverantwortung“. Die Dresdner Erklärung unterstreiche, dass man diejenigen nicht mehr unterstützen wolle, die gemeint waren, als vom „Ausschwitzen“ die Rede war. So hatte Björn Höcke über Kritiker*innen des Flügels gesprochen. Der Name Kuhnerts war kürzlich schon auf einer Unterschriftenliste aufgetaucht, die sich offen mit dem Flügel solidarisiert und den Rücktritt Meuthens verlangt.

Kritik aus den eigenen Reihen

Es ist paradox, Einheit zu fordern, wenn man Abgrenzung meint, das fällt auch in den eigenen Reihen auf. Von einer inhaltsarmen „Einheits-Nabelschau“ spricht der Landtagsabgeordnete Wolfram Keil, der die Erklärung nicht unterzeichnet hat. „Manche der Unterzeichner wollten noch vor kurzer Zeit Teile der Partei ‚ausschwitzen.‘ Viele jubelten damals dieser Aussage zu. Wie glaubwürdig ist die Erklärung also?“, fragt das Landesvorstandsmitglied Matthias Moosdorf. Er unterstützt die Erklärung ebenfalls nicht, von der er nach eigenen Angaben erst aus der Presse erfahren hat. Aus seiner Sicht handelt es sich um ein „weiteres Papier, das nur teilen soll“ und das über Selbstverständlichkeiten hinaus „Gefolgschaft eingefordert. Wer ‚falsche‘ Fragen stellt oder Darstellungen hinterfragt, gilt schon als Abweichler.“

Trotzdem hat die Dresdner Erklärung inzwischen mehr als 230 Unterstützer*innen gefunden. Das ist nicht viel in einer Partei mit mehr als 35.000 Mitgliedern. Aber es handelt sich nicht um eine Basisinitiative: Rund zwei Drittel der Unterstützer*innen haben aktuell Mandat und Funktion, bis in den Bundestag und den Parteivorstand hinein. Aus Sachsen ist inzwischen die Mehrheit des Landesvorstandes beteiligt, außerdem rund ein Drittel der Landtagsfraktion, aus dem Fraktionsvorstand fehlt nur ein Abgeordneter. Sie beziehen nun gemeinsam die Position des Flügels, der im innerparteilichen Ringen die „Einheits“-Parole ständig bemüht. Und viele gehören dem Flügel ohnehin an oder sympathisieren mit ihm. Die Initiative zur Erklärung soll aus einer Chatgruppe sächsischer Höcke-Anhänger*innen stammen, mutmaßliche Autor*innen sind der bisherige Flügel-Obmann Jens Maier, der im Bundestag sitzt, und sein Landtagskollege Norbert Meyer, der seit Jahren am rechten Rand der Partei agiert. Meyer steht auch im Impressum der zugehörigen Website.

Was auffällt: Die sächsische AfD betreibt damit das Gegenteil dessen, was die Bundespartei derzeit versucht – eine erkennbare Abgrenzung zu dem Bereich vorzunehmen, der das Interesse der Verfassungsschutzbehörden nährt. Dazu gehören die Auflösung des Flügels, eine offizielle „Missbilligung“ gegen Björn Höcke und anhaltender Druck auf Andreas Kalbitz, die Absetzung des saarländischen Landesvorstands, die Ausschlüsse gegen Wolfgang Gedeon und Stefan Räpple, das Schiedsverfahren gegen Frank Pasemann und zuletzt die Kündigung des Pressesprechers Christian Lüth. Selbst wenn viele dieser Schritte taktischen Erwägungen entspringen und noch andere Gründe haben mögen: Die sächsische AfD unternimmt nichts Vergleichbares. Die Dresdner Erklärung rechtfertigt eine Duldungshaltung sogar, denn sie verlangt – entgegen der Einheitsidee – die „Respektierung regionaler Besonderheiten innerhalb der Partei“.

Verstoß gegen innperarteiliche Demokratie

So viel Überhebung hat einen Preis — mit der Dresdner Erklärung könnte die AfD noch stärker als bisher in den Fokus des Verfassungsschutzes geraten. Denn die Ankündigung, dass man künftig „nur solche Personen respektieren und fördern“ werde, die der Erklärung zustimmen und die sich „unmissverständlich und glaubhaft in Wort und Tat zur Einheit der Partei bekennen“, setzt alle anderen, denen man das nicht zuerkennt, herab. Damit wird nicht nur von der eigenen Satzung abgewichen, die alle Mitglieder gleich behandelt sehen will. Sondern es dürfte sich um einen prinzipiellen Verstoß gegen das verfassungsmäßige Gebot innerparteilicher Demokratie handeln. Die Ausübung von Mitgliedsrechten in einer Partei darf demnach nicht an ein spezielles Bekenntnis gebunden werden, wie es jetzt mit der Dresdner Erklärung offensiv eingefordert wird.

Damit kündigen insbesondere Vorstandsmitglieder mit Entscheidungsgewalt an, künftig große Unterschiede zu machen, indem manche Mitglieder gefördert, andere aber schlicht nicht respektiert werden. Der Verdacht, dass insbesondere die sächsische AfD nicht demokratisch vorgeht, ist dabei nicht neu. Das sächsische Verfassungsgericht wandte diesen Vorwurf gegen den Landesverband, als es sich mit der umstrittenen Listenaufstellung zur Landtagswahl im vergangenen Jahr befasst hat. Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht zudem davon aus, dass Teile der Partei demokratische Prinzipien nicht nur hintanstellen, sondern sie mitunter offen verachten.

Umso irritierender ist es, dass der Parteivorsitzende Tino Chrupalla an oberster Stelle der Erstunterzeichner*innen steht. Zwar hatte er mit der Entstehung des Textes dem Vernehmen nach nicht direkt etwas zu tun. Aber er wirkt nun trotzdem wie ein Schirmherr, ein Eindruck, der ihm auch parteiintern bereits zu bedenken gegeben wurde. Dass er seinen Namen dennoch hergibt, hat in seinem Fall einen pragmatischen Grund: Er muss künftig wieder stärkeren Anschluss an die sächsische AfD finden, wenn er im nächsten Jahr in einer aussichtsreichen Position zur Bundestagswahl antreten will. Möglicherweise wird es auf ein Spitzenduo hinauslaufen, gemeinsam mit Alice Weidel. Aber für eine Direktkandidatur und einen sicheren Listenplatz braucht er die Basis im Freistaat.

Chrupalla startet Charme-Offensive beim Flügel

Zur vergangenen Bundestagswahl war Chrupalla als Direktkandidat im Raum Görlitz angetreten. Als er fast ein Drittel der Stimmen holte und damit dem späteren Ministerpräsidenten Michael Kretschmer den Wahlkreis entriss, machte ihn das schlagartig bekannt. Es war der Symbolwert dieses Sieges, die ihm viel Unterstützung eingebracht hat, andernfalls wäre er jetzt vermutlich nicht Parteichef an der Seite Jörg Meuthens. Im Vorfeld des entscheidenden Bundesparteitags im November 2019 hatte Chrupalla von einer innerparteilichen Debatte profitiert, in der gefordert worden ist, die errfolgreichen Ost-Verbände, die er mehr als jeder andere zu verkörpern schien, stärker in der Bundesspitze zu verankern. Insbesondere der Flügel hatte sich dafür ausgesprochen, die Stimmen aus dem Höcke-Lager dürften den knappen Wahlsieg ermöglicht haben.

Danach wurde es zunächst still um Chrupalla, er war kaum wahrzunehmen, setzte keine Akzente. Bald gab es unter seinen Kolleg*innen im Bundesvorstand Zweifel, ob er seiner neuen Rolle gewachsen ist. Dann, nach den rassistischen Mordanschlägen in Hanau, wagte er den ersten eigenen Vorstoß: In einem Rundschreiben sprach er von einem rassistischen Verbrechen und verurteilte die Tat. „Wer sich rassistisch und verächtlich über Ausländer und fremde Kulturen äußert, handelt ehrlos und unanständig und damit gegen Deutschland und gegen die AfD“, schrieb er und erklärte auf Nachfrage, damit eine „Selbstreflexion“ innerhalb der Partei anstoßen zu wollen. Aber davon wollte man beim Flügel nichts wissen, auch in der sächsischen AfD nicht. Landeschef Jörg Urban sagte, es gäbe keinen Grund zur Mäßigung. Als Chrupalla kurz darauf beim Landesparteitag in Weinböhla sprach, warnte er vor „Entgleisungen“ und vor „primitiver Gossenpöbelei“, in die man nicht verfallen dürfe. Aber seine Parteifreund*innen ließen ihn damit links liegen.

Chrupallas Stand wird sich nicht gebessert haben, als er kurz darauf mitbeschlossen hat, den verfassungsfeindlichen Flügel aufzulösen. Er war nicht die treibende Kraft hinter diesem weitgehenden Schritt. Aber er gehört zu denen, die ihn für nötig halten, um der drohenden Beobachtung der Gesamtpartei durch den Verfassungsschutz zu entkommen. Er ist dafür gegen genau die Strömung vorgegangen, in deren Schuld er steht. Aus Sachsen, einem Kernland des Flügels, erntete er abermals kein Verständnis. Die hiesige Landesspitze bekundete ihre Loyalität zu Höcke und Kalbitz, den beiden selbsternannten Anführern des Flügels – und nicht zu Chrupalla und Meuthen, den beiden gewählten Vorsitzenden der Partei. Aus der drohenden Isolation löste sich Chrupalla, indem er auf Distanz zu Meuthen ging, nachdem dieser eine Teilung der Partei vorgeschlagen hat und seitdem immer neue Schläge einstecken, inzwischen sogar um seinen Spitzenposten fürchten muss. Für Chrupalla mag das Mahnung genug sein, schnell wieder Fuß zu fassen im Mainstream der Partei. Unter sächsischen Umständen ist das eben der Flügel – auch wenn er bald nicht mehr so heißt.