Eigentlich soll sich der extrem rechte Flügel auflösen, doch Höckes Truppe gibt weiter Erklärungen ab. Sie solidarisiert sich jetzt mit dem Bundestagsabgeordneten Frank Pasemann, dem Antisemitismus vorgeworfen wird. Hauptfeind ist der angeschlagene Parteivorsitzende Jörg Meuthen. Ein Zwischenstand des Machtkampfes.
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Der Karfreitagswunsch des AfD-Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen klingt bescheiden und fromm: „Es möge eine Zeit sein, in der die politische Auseinandersetzung einmal ruhen darf“, teilte er heute mit. Doch von dieser Ruhe ist seine Partei weit entfernt, die Machtkämpfe schwelen weiter und auch der Flügel, der sich doch auflösen soll, mischt munter mit. Neuester Anlass ist ein Ausschlussverfahren gegen den Bundestagsabgeordneten Frank Pasemann, der aus Magdeburg stammt und ein zentraler Flügel-Akteur ist.
„Indikator für Antisemitismus“
Am vergangenen Montag hat der sachsen-anhaltische Landesverband mit acht zu vier Stimmen beschlossen, ein bereits anhängiges Ordnungsverfahren gegen Pasemann zu erweitern. Bisher war es um Geld gegangen, das der Abgeordnete aus seiner Bundestagsdiät über einen längeren Zeitraum nicht an die Landespartei abgeführt haben soll, eine Summe von rund 43.000 Euro steht im Raum. Deswegen hatte der Landesvorstand bereits im März beantragt, eine zweijährige Ämtersperre zu verhängen. Pasemann widersprach damals und gab an, sehr wohl gezahlt zu haben. Allerdings landete das Geld bei ihm gewogenen Teilen der Partei, unter anderem bei der verfassungsfeindlichen Junge Alternative. Weitere ausstehende Forderungen soll er inzwischen beglichen haben.
Doch es kam ein neuer Vorwurf hinzu: Anfang Februar hatte Pasemann einen Beitrag bei Twitter veröffentlicht, das ein Foto des Publizisten und ehemaligen Vizevorsitzenden des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, zeigt. Er versah das Bild mit dem Satz „Der ewige Friedman“ – eine offenkundige Anspielung auf den antisemitischen NS-Propagandafilm „Der ewige Jude“. Den inzwischen gelöschten Tweet werten innerparteiliche Gegner*innen Pasemanns als einen „Indikator für Antisemitismus“. Daher wurde aus dem Ordnungs- nun ein Ausschlussverfahren gemacht. Es ist beim sachsen-anhaltischen Schiedsgericht anhängig, das darüber entscheiden muss, ob Pasemann aus der Partei fliegt.
Der Betroffene spricht von einer „Intrige“ und „persönlichen Ränkespielen“, es handle sich um eine „durchschaubare, ausschließlich personalpolitisch inszenierte Kampagne“ mit dem Ziel, ihn von einer erneuten Kandidatur zur Bundestagswahl im kommenden Jahr abzuhalten. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe seien „in Gänze substanzarm und zumeist unwahr“, teilte er auf Medienanfragen mit. Der Tweet sei demnach bloß „ungeschickt formuliert“ gewesen, den NS-Film habe er gar nicht gekannt. Die Frontverläufe in Sachsen-Anhalt sind bislang undurchsichtig, auch einige von Pasemanns Widersacher*innen hängen dem völkisch-nationalistischen Flügel an, viele andere können sich auf die aktuellen Reibungen keinen Reim machen. Rückendeckung erhält Pasemann aber vom Landeschef Martin Reichardt, der dem Flügel angehört – und nun auch offiziell von der verfassungsfeindlichen Truppe um Björn Höcke.
Flügel solidarisiert sich mit Pasemann
So erschien gestern auf der Facebook-Seite des Flügels eine Solidaritätserklärung. Das Ausschlussverfahren wird darin gedeutet als eine gezielte Störung des Vertrauens der AfD-Basis in die Führung der Partei. Der Flügel versuche, „die Partei im inneren zu befrieden“, doch das werde von oben her unterlaufen – und könne sich „zu einem Bumerang“ entwickeln. Zu den Vorwürfen gegen Pasemann nimmt der Flügel keine Stellung. Das könnte daran liegen, dass Pasemanns Agieren eng mit dem Flügel verknüpft ist. Er hatte einen Tarnverein namens „Konservativ!“ mitgegründet und ein zugehöriges Konto eingerichtet, über das Spendenzahlungen an den Flügel abgewickelt worden sein sollen. Weil das Geld an den Parteikonten vorbei floss, steht der Verdacht im Raum, dass es sich um eine Art schwarze Kasse gehandelt hat, die das Zeug zum nächsten AfD-Finanzskandal hat. Hinzu kommt, dass bei Flügel-Überweisungen auf Pasemanns Konto auch Mitgliedsnummern angegeben wurden, obwohl Höcke und Co. behaupten, dass der Flügel keine Mitglieder hat.
Beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hält man das für einen wichtigen Beleg dafür, dass Schattenstrukturen geschaffen wurden, eine Partei in der Partei. Auf das Konto war ursprünglich der Zoll gestoßen, eher zufällig bei Ermittlungen zu einem Geldwäsche-Verdachtsfall. Pasemann selbst ist unabhängig davon bereits gut bekannt beim Verfassungsschutz, spätestens, seitdem es im Herbst 2018 schon einmal den Versuch gegeben hat, ihn aus der Partei auszuschließen. Damals hatten die Diskussionen, ob der Verfassungsschutz sich mit der AfD befassen muss, gerade an Fahrt gewonnen. Pasemann kam unter anderem ins Visier, weil er in Bundestagsräumen eine Vortragsveranstaltung mit Philip Stein veranstaltet hat, dem Anführer der extrem rechten Initiative „Ein Prozent“. Die Gruppe ist ein sogenannter Prüffall der Verfassungsschutz-Behörden, der sächsische Nachrichtendienst stuft Stein nach idas-Informationen als „Rechtsextremist“ ein. Er betreibt auch den neofaschistischen Jungeuropa-Verlag und nutzt in Dresden Büroräume, die er bei dem AfD-Mitglied Hans-Joachim Klaudius angemietet hat.
Zu der Veranstaltung im Bundestag hatte Stein als „Experten“ zwei namhafte Mitstreiter mitgebracht, Julian Monaco und Michael Schäfer. Beide sind langjährig aktive Neonazis, arbeiteten früher sogar bei der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag. Pasemann bezeichnete das braune Trio damals als seine „Freunde“. Doch der AfD-Bundesvorstand lehnte den Wunsch der sachsen-anhaltischen Landesspitze ab, gegen Pasemann vorzugehen. In seinem Landesverband gab es weiteren Unmut, auch damals schon ging es um Geld. Bis Juni 2018 war Pasemann Schatzmeister der AfD Sachsen-Anhalt gewesen. Doch für seine Arbeit wurde er am Ende nicht entlastet, da er Unterlagen nicht vorgelegt und mutmaßliche Unregelmäßigkeiten bei der Kontenführung nicht erklärt haben soll.
Alle gegen Meuthen
Zuletzt mischte sich Pasemann aktiv in den Führungsstreit der Bundespartei ein, nachdem der Bundesvorsitzende Jörg Meuthen öffentlich eine „einvernehmliche Trennung“ vom Flügel und damit eine Spaltung der Partei erwogen hat. Vor einer Woche nannte Pasemann die Äußerungen Meuthens „massiv parteischädigend“, er habe sich damit „außerhalb eben dieser AfD politisch neu verortet. Nun sollte er auch im Alleingang Verantwortung übernehmen und die damit verbundenen Konsequenzen ziehen!“ Das war eine Aufforderung, den Posten zu räumen. Und es war eine Drohung, den Rückzug andernfalls zu erzwingen, denn parteischädigendes Verhalten ist, wie Pasemann aus eigener Erfahrung weiß, ein Ausschlussgrund.
Solche Angriffe auf Meuthen, offene wie verdeckte, häufen sich derzeit. Sie sind der „Bumerang“, mit dem der Flügel droht, seitdem der AfD-Bundesvorstand vor genau drei Wochen die folgenschwere Entscheidung getroffen hat, dass sich der Flügel auflösen soll, eine Entwicklung, die man vor allem Meuthen anlastet. Seitdem er kurz danach mit der Spaltungsidee weite Teile der Partei und auch den restlichen Bundesvorstand gegen sich aufbrachte, ist seine Zukunft in der Partei fraglicher geworden als die von Höcke und Konsorten. In Hintergrundgesprächen mit verschiedenen Medien versuchte Meuthen zuletzt, seinen Teilungsplan als klugen Schachzug darzustellen: In Wirklichkeit, so der Tenor, betreibe der Flügel die Spaltung der Partei. Den Vorschlag einer „einvernehmlichen Trennung“ habe er publik gemacht in der Absicht, den Höcke-Leuten diese Option zu verleiden und damit die Einheit der Partei zu sichern.
Richtig ist daran, dass der Flügel mit der Stärke und dem Erfolg ostdeutscher Parteiverbände wuchern kann, wo diese Strömung besonders einflussreich ist. Im nächsten Jahr wird etwa der Landtag in Sachsen-Anhalt gewählt. Doch das Vorgehen gegen Pasemann könnte dazu führen, „dass die eigenen Anhänger immer schlechter zu motivieren sind, um Wahlkampf zu führen“, heißt es jetzt beim Flügel. Es trifft auch zu, dass Meuthen die Option einer Spaltung nicht erfunden hat. Als eine Art Rückfallvariante war sie präsent, seitdem der Verfassungsschutz den Flügel unter Beobachtung gestellt hat und damit auch die Gesamtpartei in die Nähe der Verfassungsfeindlichkeit gerückt wurde.
Öffentliche Selbst-Demütigung
Doch der Bundesvorstand nahm es Meuthen nicht ab, die Spaltung in guter, gegenteiliger Absicht vorgeschlagen zu haben. Während sich am Montag der sachsen-anhaltische Landesvorstand mit Pasemann beschäftigte, beriet der Bundesvorstand daher in einer dreistündigen Telefonkonferenz über den weiteren Umgang mit Meuthen. Alle Mitglieder stimmten schließlich einer Beschlussvorlage zu, der zufolge Meuthen einräumt, „einen großen Fehler begangen zu haben.“ Er werde die Diskussion über eine Teilung nicht weiter führen, bekenne sich „zur Geschlossenheit der AfD als einheitlicher Partei“ und bekräftige, „ausschließlich in diesem Sinne gemeinsam vorzugehen.“
Meuthen hatte seinen Vorschlag zu diesem Zeitpunkt bereits zurückgezogen, einen Fehler eingeräumt und die von ihm losgetretene Debatte abmoderiert, wohl nicht zuletzt, weil er kaum Fürsprache fand. Sogar sein Co-Vorsitzender Tino Chrupalla hatte sich von dem Alleingang Meuthens, mit dem er bislang gut ausgekommen war, distanziert und gesagt, dass er „menschlich enttäuscht“ sei. Dass der Bundesvorstand darüber hinaus einen Beschluss fasst und den eigenen Vorsitzenden öffentlich zurechtweist, ist ein bislang einmaliger Vorgang in der Geschichte der Partei. Für Meuthen ist das nicht nur eine klare politische Niederlage, sondern auch eine schwere Demütigung – er nahm an der Konferenz teil und stimmte dem Beschluss am Ende selbst zu. Sein Gesichtsverlust ist offenkundig, zumal einem Höcke und auch einem Andreas Kalbitz, der selbst im Bundesvorstand sitzt, eine vergleichbare Abbitte nie abverlangt wurde.
Tatsächlich waren einige Vorstandsmitglieder bereit, noch weiter zu gehen, noch schärfer zu formulieren. Alice Weidel beispielsweise wollte Meuthen weitere Äußerungen vorwerfen und auch sie zum Gegenstand eines Beschlusses machen. Dabei soll es unter anderem um ein Interview gegangen sein, das Meuthen kürzlich der AfD-nahen Wochenzeitung Junge Freiheit gegeben hat und in dem er davon berichtet, dass Teile der Partei nicht auf dem Boden der demokratischen Grundordnung stehen. Das war keine überraschende Offenbarung, doch so deutlich war das von der Parteispitze bisher noch nie zu hören gewesen. Weitere Vorstandsmitglieder sollen diskutiert haben, Meuthen vorzuwerfen, er schade der Partei. Nach Angaben des Spiegel soll das auch die Ansicht von Chrupalla gewesen sein.
Angriffe brechen nicht ab
Der umgehend veröffentlichte Beschluss gegen Meuthen brachte den Machtkonflikt in der Partei nicht zum Erliegen, sondern fachte ihn neu an. Eine erste Folge gab es schon einen Tag vorher, am vergangenen Sonntag, als die Nachricht, dass der Vorstand ihren Vorsitzenden in die Mangel nehmen will, die Runde machte. Daraufhin teilte die rheinland-pfälzische AfD-Landtagsfraktion überraschend mit, dass ihr langjähriger Vorsitzender Uwe Junge seine politische Karriere beenden wird. In einem persönlichen Statement teilte Junge mit, er habe sich „auch aus gesundheitlichen Gründen“ entschlossen, mit dem Ablauf der Wahlperiode in den Ruhestand zu gehen. In Rheinland-Pfalz wird im März kommenden Jahres ein neuer Landtag gewählt.
Gesundheitlich angeschlagen ist Junge tatsächlich, allerdings auch im eigenen Landesverband, den er noch bis vor einigen Monaten angeführt hatte, zunehmend isoliert. Für einen Spitzenplatz zur nächsten Landtagswahl war er gar nicht erst vorgesehen. Er hatte die Parteispitze im März, nachdem das BfV seine Bewertung des Flügels publik gemacht hatte, zum Durchgreifen aufgerufen, eine „harte Ordnungsmaßnahme“ gegen Höcke und den Ausschluss von Kalbitz gefordert. In einem internen Schreiben machte er damals klar, dass sein „weiteres Engagement in der Partei“ davon abhängig ist. Er hatte danach noch Meuthens Spaltungsidee beigepflichtet und war damit einer der wenigen namhaften Fürsprecher des Bundesvorsitzenden.
Der andere bekannte Meuthen-Verfechter ist der Berliner AfD-Fraktionsvorsitzende Georg Pazderski. Er und Junge waren im November 2019 gescheitert, in den neu gewählten Bundesvorstand einzuziehen. Auch Pazderski hatte eine klare Abgrenzung vom rechten Rand gefordert und zudem geäußert, dass Meuthens Teilungsplan diskutiert werden müsse. Anfang der Woche, nachdem der Parteivorstand die Diskussion abgewürgt hat, erklärte Pazderski auf Anfrage des RBB, dass die Angriffe auf den Vorsitzenden umgehend eingestellt werden müssten. Doch es passierte das Gegenteil: Niedersächsische Abgeordnete und Funktionäre haben beim AfD-Bundeskonvent den Antrag gestellt, Meuthens Äußerungen zurückzuweisen. Sie werden wörtlich als „parteischädigend und zersetzend“ bezeichnet und sollten „persönliche Konsequenzen“ nach sich ziehen. Der Konvent – einer der Vorsitzenden ist der sächsische Landtagsabgeordnete Carsten Hütter – hat dazu noch keine Stellung genommen.
Vorstand besteht auf Flügel-Auflösung
Dafür meldete sich inzwischen Götz Kubitschek zu Wort, der neurechte Verleger, der mit Höcke eng befreundet ist und als dessen wichtigster Ideengeber gilt. Die ganze Parteiführung habe „etwas Unauthentisches“ an sich, so Kubitschek, der selbst kein AfD-Mitglied ist, aber die Führungsfrage stellt. Nicht nur Meuthen sei das Problem, so kann man ihn verstehen. Er nannte nun Beatrix von Storch und Alexander Wolf, die beide im Parteivorstand sitzen, als weitere „Hauptverantwortliche“ der Spaltungsdebatte. Beide hatten sich zwar von Meuthens Plan distanziert – aber von vornherein der Idee zugestimmt, dass sich der Flügel auflösen muss.
Er schlägt nun umso wilder um sich und weckt im Bundesvorstand Zweifel, ob man dem Beschluss, sich aufzulösen, wirklich folgen wird. Daher war am vergangenen Montag nicht nur Meuthen ein Thema bei der Beratung der Parteispitze, sondern einmal mehr der Flügel. Ohne, dass die Öffentlichkeit davon groß Notiz nahm, fasste das Gremium einen – nicht veröffentlichten – Beschluss, wonach die Flügel-Verantwortlichen ihre Website abschalten und die Zugangsdaten zu ihrem Facebookprofil an die AfD-Bundesgeschäftsstelle übergeben müssen. Außerdem sollen die Markenrechte am Flügel-Logo, die sich Höcke persönlich gesichert hat, aufgegeben werden. All das ist bislang nicht passiert. Bis Ende April hat man dem Flügel Zeit gelassen, von der Bildfläche zu verschwinden.
Zusagen, wonach man den Namen nicht mehr nutzen werde, genügen dem Vorstand nicht. Er verlangt nun auch eine verbindliche Erklärung der sogenannten Flügel-Obleute, wonach alle Strukturen aufgelöst seien. An den jüngsten Flügel-Statements, in denen von „Auflösung“ nur in Anführungsstrichen die Rede ist, haben die Obleute offenbar nicht mitgewirkt. Und nach wie vor bestreitet die Höcke-Gefolgschaft, dass es überhaupt Strukturen gibt, die man abwickeln könnte. Das wird Höcke dem Bundesvorstand demnächst selbst erläutern können. Am kommenden Freitag, zur nächsten Besprechung des Leitungsgremiums, ist er vorgeladen. Er soll dann auch Stellung nehmen zu umstrittenen Äußerungen, wonach die AfD innerparteiliche Kritiker*innen „ausschwitzen“ müsse. Gesagt hatte er das bei einem Flügel-Treffen Anfang März im sachsen-anhaltischen Schnellroda. Gastgeber war der ortsansässige Götz Kubitschek. Mit bei dem Treffen dabei: Frank Pasemann.