Presseschau, 15. Kalenderwoche 2020

Wieder gemeinsamer Antrag in Böhlen, Landtagsabgeordneter outet Corona-Betroffene, Online-Reichweite bricht ein, Gerangel um Spitzenkandidaturen, Job-Tricks im Europaparlament, Flügel bestreitet Spaltungsabsicht, „Compact“ bleibt im Handel, „Flügel“-Leute im Staatsdienst werden geprüft, falsche Liebe zum Grundgesetz, Meuthen als Opportunist. Das war diese Woche wichtig:

AfD in Sachsen

Erneut haben im Stadtrat von Böhlen (Landkreis Leipzig) die Fraktionen von AfD, CDU und FDP einen gemeinsamen Antrag eingereicht. Darin fordern sie den parteilosen Bürgermeister der Stadt auf, sich an den Landrat zu wenden und zu erreichen, dass sich der Landkreis Leipzig finanziell stärker am Leipziger Symphonieorchester (LSO) beteiligt. Das LSO hat seinen Sitz in Böhlen, die Kommune bezuschusst das Orchester aus dem eigenen Haushalt und erhält im Gegenzug umfangreiche Mittel aus dem Kulturraum. Nach Ansicht der Fraktionen trage die Gemeinde damit aber auch ein übermäßiges finanzielles Risiko, falls Fördermittel wegbrechen sollten und das LSO in die Insolvenz gehen muss. Der Bürgermeister äußerte Kritik an dem Antrag, da ein ähnlicher Vorstoß schon einmal gescheitert war. Landrat Henry Graichen (CDU) wies zudem die Behauptung, wonach das finanzielle Risiko in Böhlen liege, als unwahr zurück. Mit dem Anliegen muss sich der Böhlener Stadtrat bei einer kommenden Sitzung befassen. Bereits im Februar hatte es dort einen gemeinsamen Antrag von AfD, CDU und FDP gegeben. (↪ LVZ, 06.04.)


Beweist sich in der Krise der Charakter? Der sächsische AfD-Landtagsabgeordnete Ivo Teichmann hat im Internet eine Frau geoutet, die sich mit dem Corona-Virus infiziert hat. Anfang der Woche war ein Einkaufsmarkt in Teichmanns Wohnort Königstein (Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) geschlossen worden, weil der Verdacht auf eine Corona-Infektion in der Belegschaft bestand. Teichmann veröffentlichte daraufhin einen Facebook-Beitrag, dem zufolge eine Verkäuferin erkrankt sei, die in dem Geschäft erst seit kurzem tätig sei und aus Tschechien komme. Auf eine Anfrage der Sächsischen Zeitung erklärte der Abgeordnete, er habe mit der Veröffentlichung deutlich machen wollen, dass es sich bei der erkrankten Person um niemanden aus Königstein handle. Die Marktleiterin kritisierte die Veröffentlichung, offenbar waren personenbezogene Daten unbefugt nach außen und dadurch zu Teichmann gelangt. Dessen Angaben waren zudem suggestiv: Die Betroffene wurde in Tschechien geboren, lebt aber seit 30 Jahren in Deutschland und wohnt in einem Nachbarort von Königstein. Durch die Veröffentlichung fühle sie sich stigmatisiert, erklärte sie. Durch Teichmanns Angaben habe leicht geschlossen werden können, dass sie gemeint ist. „Im Internet werde ich jetzt als die Tschechin gehandelt, die den Edeka angesteckt hat“, sagt sie. (↪ Sächsische, 07.04., ↪ Sächsische, 07.04., ↪ Sächsische, 08.04.)

AfD rundherum

Die Reichweite der AfD in sozialen Netzwerken wie Facebook hat sich seit Beginn der Pandemiekrise deutlich verringert. So hat sich von Mitte März bis Anfang April die sogenannte Interaktionsrate von Partei-Postings im Vergleich zu vorher erreichten Werten fast halbiert. Vereinfacht gesagt: AfD-Inhalte werden weniger geteilt, geliked und kommentiert als bisher. Besonders schwach schneiden dabei Beiträge ab, die sich mit Corona befassen – stark dagegen solche, die auf Kernthemen der Partei zurückkommen, etwa die Asylpolitik. Offenbar sind die aktuellen AfD-Inhalte den rechten Fans im Netz nicht radikal genug. Beim Umgang mit der Pandemie und deren Bewältigung ist die Partei zwar gespalten, ihre offizielle Linie erkennt die Gefährlichkeit des Virus aber an. Damit entfernt sich die AfD vom Spektrum der „alternativen“ Medien, die Verschwörungstheorien in Umlauf bringen und damit viel stärker polarisieren können. (↪ Tagesspiegel, 07.04., ↪ Correctiv, 09.04.)


Die Widersacher*innen des AfD-Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen konkurrieren mit ihm offenbar um Spitzenplätze zur kommenden Bundestagswahl. Bereits bekannt war, dass Meuthen aus dem Europaparlament in den Bundestag wechseln will, gewählt wird im kommenden Jahr. Wie das Magazin Der Spiegel berichtet, könnte es auf eine Doppelspitze gemeinsam mit Beatrix von Storch hinauslaufen. Beide waren bereits gemeinsam vorgegangen, als es darum ging, im Bundesvorstand einen Auflösungsbeschluss gegen den Flügel herbeizuführen. Allerdings strebt auch Alice Weidel eine Spitzenkandidatur an, möglicherweise gemeinsam mit Tino Chrupalla, dem gleichberechtigten Co-Vorsitzenden neben Meuthen. Die Konstellation erklärt zum Teil die aktuellen Verwerfungen im Bundesvorstand der Partei: Chrupalla und Weidel hatten gemeinsam mit dem Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland erst beim Durchgreifen gegen den Flügel gebremst und sich dann öffentlich gegen Meuthens Plan ausgesprochen, die Partei zu teilen. Im Nachgang waren es wiederum Weidel und Chrupalla, die dafür sorgten, dass der Bundesvorstand Meuthen öffentlich zurechtweist. In der Beschlussvorlage, der zufolge Meuthen einen „großen Fehler“ einräumt, war ursprünglich sogar vorgesehen, dem Vorsitzenden parteischädigendes Verhalten vorzuwerfen – und damit ein Ausschlussverfahren anzubahnen. Unterstützt wurden Weidel und Chrupalla dabei von Stephan Brandner. Der Idee schlossen sich außerdem Andreas Kalbitz und Stephan Protschka an; alle drei gehören zum verfassungsfeindlichen Flügel. Auch Gauland, der den Flügel in Schutz nimmt, stand in dieser Frage auf der Seite von Weidel und Chrupalla. (↪ Spiegel, 10.04.)


Mit einem Trick umgehen Europaabgeordnete der extrem rechten Fraktion „Identität und Demokratie“ die verbotene Anstellung enger Verwandter. So ist die Ehefrau des Abgeordneten Jörg Meuthen, Natalia Meuthen-Zvekic, seit März mit einer halben Stelle bei einem Fraktionskollegen, dem FPÖ-Abgeordneten Georg Mayer, angestellt. Im Gegenzug soll Mayers Ehefrau einen Job bei Meuthens Parteifreund Joachim Kuhs erhalten haben, der ebenfalls Europaabgeordneter ist und im AfD-Bundesvorstand sitzt, den Meuthen anführt. Alle drei Abgeordneten bestreiten, dass es sich um ein abgesprochenes Gegengeschäft handelt. Formal ist ihr Vorgehen zulässig. (↪ Spiegel, 11.04., S. 11)


Andreas Kalbitz, Landes- und Fraktionschef der AfD in Brandenburg, hat Angaben bestritten, wonach der von ihm mitangeführte Flügel beabsichtige, eine eigenständige Ost-AfD aus der Partei abzuspalten. Die Behauptung sei „hanebüchener Blödsinn“, sagte Kalbitz der Deutschen Presse-Agentur. Ihm und Björn Höcke gehe es „um politischen Einfluss auf Bundesebene“, eingeschlossen die Alten Bundesländer, wo es viel mehr Wähler*innen gibt. Über eine mögliche Teilung der Partei hatte zuletzt der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen gesprochen, wobei er auf massive innerparteiliche Kritik stieß, auch seitens des Flügels. Meuthen verteidigte sich unter anderem mit einem Hinweis darauf, dass auch das Flügel-Lager eine Spaltung in Erwägung ziehe. (↪ DPA, 11.04.)

Blauzone

Die Supermarktketten Real und Kaufland haben angekündigt, das extrem rechte Monatsmagazin „Compact“ aus dem Verkauf zu nehmen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte das von Jürgen Elsässer geleitete Heft, das eine wichtige Plattform für den verfassungsfeindlichen AfD-Flügel ist, kürzlich als sogenannten Verdachtsfall eingestuft. Doch einfach aus dem Regal verschwinden kann die Zeitschrift nicht, trotz anderslautender Ankündigungen: Kaufland verkauft „Compact“ weiterhin, weil man dazu nach eigenen Angaben rechtlich verpflichtet sei. Auch Edeka rechtfertigt sich so. Grund ist der Pressegroßhandel, die sogenannten Grossisten, die für die Auslieferung an den Handel zuständig sind und die Elsässers braunes Heft bislang nicht von der Distribution ausgeschlossen haben. Aus der Zuteilung entfernt wird die Zeitschrift am ehesten dann, wenn sie sich nicht verkauft, so der Großhandel. (↪ Übermedien, 09.04.)

Stimme & Haltung

Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz Georg Maier (SPD), der auch Innenminister in Thüringen ist, hat seine Ankündigung erneuert, gegen Anhänger*innen des AfD-Flügels vorzugehen, die im Staatsdienst tätig sind. In seinem Bundesland seien alle Beamt*innen schriftlich über die Einstufung des Flügels als Beobachtungsobjekt und des AfD-Landesverbandes Thüringen als Verdachtsfall informiert worden. In dem Schreiben werde darauf hingewiesen, „dass sich die Beamtinnen und Beamten genauso wie Angestellte durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen müssen.“ Verstöße gegen die Pflicht zur Verfassungstreue würden geprüft und sanktioniert. (↪ RND, 08.04.)

Hintergründe

Im Zuge der Pandemiekrise hat die AfD bundesweit deutlich an Zuspruch verloren, Teile ihrer bisherigen Anhänger*innenschaft wenden sich ab, wie Umfragen belegen. Das ist kein rein deutsches Phänomen: Auch in anderen europäischen Ländern verliert die rechtspopulistische Parteienfamilie an Zugkraft. Allerdings ist das nur dort der Fall, wo die Rechten in der Opposition sind. In anderen Ländern mit radikal und extrem rechter Beteiligung an einer Regierung steigen die Zustimmungswerte. „Harte Maßnahmen und eine Inszenierung als Krisenmanager scheinen sich auszuzahlen“, heißt es in einer aktuellen Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft. Im politischen Vorteil seien diejenigen, „die an den politischen Schalthebeln sitzen. Die Krise ist eben die Stunde der Exekutive. Insbesondere die Rechtspopulisten, die in Westeuropa die Opposition bekleiden, können aus der Verunsicherung kaum Profit schlagen“. Allerdings ist das nur eine Momentaufnahme, bereits jetzt sind als Folgen der Pandemiebekämpfung ausgedehnte Wirtschaftskrisen absehbar. Sie könnten den „Nährboden für einen populistischen Backlash liefern“. Ein Grund: Anders als der Corona-Ausbruch lassen sich ökonomische Verwerfungen grundsätzlich einfacher den aktuellen Regierungen zuschreiben. (↪ IW, 05.04.)


Die AfD hat das Grundgesetz für sich entdeckt. Seitdem der Verfassungsschutz ein Auge auf die Partei wirft, bezieht sie sich immer häufiger auf die Verfassung und versucht nunmehr auch, sich in der aktuellen Pandemiekrise als Hüterin von Freiheitsrechten aufzuspielen. Die Freiheitsliebe ist allerdings taktisch motiviert, die AfD „setzt auf diejenigen, die Unmut empfinden bei den Einschränkungen. Dieser Unmut dürfte mit jedem weiteren Tag der Einschränkungen wachsen – und damit, so hofft man offensichtlich in der AfD, auch wieder die Zustimmung zu dieser Partei.“ (↪ Zeit, 07.04.)


Wo steht Jörg Meuthen, der angeschlagene AfD-Parteichef, im innerparteilichen Gefüge seiner Partei? Er ist vor allem ein Opportunist, urteilt der Journalist Sebastian Friedrich in einem Porträt für die Wochenzeitung Der Freitag. Als Meuthen 2015 an die Spitze der Partei aufrückte, habe seine Funktion darin bestanden, „die neoliberalen und nationalkonservativen Mitglieder in der Partei halten“, die teils mit Bernd Lucke gehen wollten. Als Lucke verschwunden war, stützte sich Meuthen auf den Zuspruch, den er von Alexander Gauland und Björn Höcke erhielt. Sie waren ein „Dreigestirn“, zusammengeschweißt vor allem durch ihr gemeinsames Vorgehen gegen Frauke Petry, Meuthens damalige Co-Vorsitzende. Doch das Bündnis lockerte sich bald, nachdem auch Petry gegangen war und der Verfassungsschutz begann, den Flügel ins Visier zu nehmen. Als Flügel-Kritiker fällt Meuthen erst seit relativ kurzer Zeit auf. Die völkisch-nationalistische Ausrichtung hatte er lange Zeit nicht nur toleriert, sondern selbt befördert mit markanten Reden bei Parteitagen und den berüchtigten Kyffhäuser-Treffen. (↪ Freitag, 09.04.)