Presseschau, 7. Kalenderwoche 2020

AfD in Sachsen, Höcke bei Pegida, NPD-Kontakte, Verfassungsschutz-Beobachtung, Millionen-Geldspritze, Meuthens Spendenskandal, Fortsetzung des Rentenstreits, Verbindungen von CDU und FDP, die Rolle der „Gildenschaft“, wankende Abgrenzung der Union, Ansage vom Ostbeauftragten, Strategie in Thüringen, Konservatismus-Begriff, Dresden-Gedenken, WerteUnion, Missgriff der LVZ. Das war diese Woche wichtig:



AfD in Sachsen

Im Stadtrat von Böhlen (Landkreis Leipzig) haben AfD, CDU und FDP einen gemeinsamen Beschlussantrag eingebracht. Er sieht vor, ein Grundstück, das im Besitz der Stadt ist und für das es mehrere Interessent*innen gibt, einem Verein zu verkaufen, der ein konfessionelles Gymnasium betreibt. Ende Februar wird der Antrag zur Abstimmung kommen. (↪ LVZ, 10.02.)


Die AfD im Stadtrat von Freital (Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) hat beantragt, vor allen öffentlichen Gebäuden im Ort täglich die Stadt- und die Deutschlandflagge aufzuziehen. Besonderheit des Vorschlags: Die Europaflagge soll ausdrücklich nicht gehisst werden. Die Mehrheit des Stadtrates folgte dem Antrag nicht. (↪ Sächsische, 11.02.)


Die AfD-Regionalgruppe Plauen (Vogtlandkreis) hat eine neue Führungsspitze gewählt. Sprecher ist künftig Gerald Schumann, der auch Fraktionsvorsitzender der örtlichen AfD-Stadtratsfraktion ist. Als Stellvertreter fungiert Mathias Weiser. Der bisherige Co-Sprecher Mario Dieke gehört dem Vorstand weiter an, neu hinzu kommt Thomas Hoyer. Aus dem Vorstand ausgeschieden ist dagegen Frank Schaufel, der für die Partei im Landtag sitzt, offiziell „wegen seinen sehr umfangreichen Verpflichtungen“. Nachprüfbar ist das nicht, denn anders als üblich fand die Versammlung der Ortsgruppe unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Im Hintergrund stehen schwerwiegende Probleme des vogtländischen AfD-Kreisverbandes, der nach internen Machtkämpfen und dem Bekanntwerden einer rassistischen Chatgruppe bereits seit April vergangenen Jahres durch einen vom Landesverband eingesetzten „Betreuer“ geleitet wird. Auch die AfD-Kreistagsfraktion ist gespalten. (↪ FP, 11.02.)


Die AfD erwägt, Ende April zur Bürgermeister*innenwahl in Tharandt (Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) anzutreten. Zwar wagen sich die örtlichen AfD-Ratsmitglieder nicht selbst vor. Möglicherweise will die Partei aber einen „freien Kandidaten“ aufstellen oder unterstützen. Darüber soll in der kommenden Woche entschieden werden. (↪ Sächsische, 12.02.)


Die CDU in Plauen (Vogtlandkreis) behält sich eine Kooperation mit der AfD vor. Auf kommunaler Ebene sei es „unklug, sich in Ideologien zu verfangen“, sagte Jörg Schmidt, Vorsitzender des CDU-Stadtverbandes und ihrer Stadtratsfraktion. „Wenn die AfD in Plauen einen nachvollziehbaren substanziellen Antrag stellt, müssen wir uns nicht verschließen, nur weil er von dieser Partei kommt.“ (↪ FP, 13.02.)


Die Ernst-Thälmann-Straße in Heidenau (Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) wird womöglich doch nicht umbenannt. Der örtliche Stadtrat hatte im vergangenen Herbst zunächst mehrheitlich eine Umbenennung beschlossen. Grundlage für die Entscheidung war ein Antrag der AfD, den das Ratsmitglied Daniel Barthel – er war früher in der Neonaziszene aktiv – eingebracht hatte. Der Antrag war erfolgreich, weil die FDP zustimmte und sich die CDU enthielt. Zwischenzeitlich sammelten jedoch Anwohner*innen mehr als 3.000 Unterschriften, um einen Bürgerentscheid zu erzwingen. Den braucht es vermutlich gar nicht, um den Namen des berühmten Antifaschisten Thälmann zu behalten: Voraussichtlich Ende des Monats will der Stadtrat den Umbennungs-Beschluss aufheben. (↪ Sächsische, 13.02.)


Der völkisch-nationalistische AfD-Politiker Björn Höcke will am kommenden Montag bei einer Pegida-Kundgebung in Dresden eine Rede halten. Höcke wird der prominenteste Gast auf der Bühne sein, Anlass ist die 200. Versammlung des rassistischen Protestbündnisses. Ungewöhnlich: Die Dresdner CDU und FDP sowie die Sächsische Bibliotheksgesellschaft rufen aus diesem Anlass zu einer Gegendemonstration „für unsere offene Gesellschaft und gegen Hetzparolen“ auf. Vor dem Hintergrund des aktuellen Wahlkampfs in Hamburg reagiert derweil der AfD-Parteivorstand mit Skepsis auf den geplanten Höcke-Auftritt, denn möglicherweise könnten „negative Bilder“ entstehen, „die der AfD angelastet werden“. Eine Sitzung des Bundesvorstandes am kommenden Montag wird sich mit dem Thema befassen. Eine Handhabe gegen Höcke gibt es allerdings nicht. Nach offizieller Beschlusslage dürfen AfD-Mitglieder bei Pegida auftreten, nur das Parteilogo darf dabei nicht verwendet werden. (↪ FP, 14.02., ↪ Sächsische, 14.02.)


Manche AfD-Vertreter*innen sind tief in die rechte Szene verstrickt, so der Verdacht. Zumindest bei Jürgen Matthes gibt es nachweislich keine Abgrenzung: Er sitzt für die AfD im Stadtrat von Tharandt (Sächsische Schweiz-Osterzgebirge), in seiner Freizeit macht er Musik bei der „Volksliedertafel Dresden“. Die Gruppe wurde bekannt durch ihre häufigen Auftritte bei Pegida-Versammlungen. Sie war aber auch beteiligt an einem „Festival“ der verfassungsfeindlichen Identitären Bewegung sowie bei einer Buchvorstellung des NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt. Wie neue Recherchen zeigen, ist sogar ein NPD-Kommunalpolitiker in der „Volksliedertafel“ an Matthes‘ Seite engagiert. Matthes war bereits im vergangenen Jahr aufgefallen. Damals stellte er sein Anwesen in Spechtshausen für ein Treffen des nationalistischen „Sturmvogel“-Bundes zur Verfügung. (↪ Blick nach rechts, 14.02.)

AfD rundherum

Die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern verschärfen das Vorgehen gegen die AfD. Nach einem Bericht der ZEIT haben die Inlands-Nachrichtendienste nach längerer Prüfung die aktive Beobachtung mehrerer Politiker der Partei aufgenommen. Im Fokus stehen demnach „ein bis zwei Dutzend besonders radikale AfD-Abgeordnete“. Zu einigen davon sollen bereits sogenannte Personenakten angelegt worden sein, außerdem werden Daten in einer Verfassungsschutz-Datenbank erhoben – allerdings nur zu außerparlamentarischen Aktivitäten. Zu den Ersten, die überwacht werden, gehören nach Angaben der Zeitung Björn Höcke, Andreas Kalbitz und Hans-Thomas Tillschneider. Sie hatten vor knapp fünf Jahren gemeinsam den völkisch-nationalistischen „Flügel“ gegründet. (↪ Zeit, 12.02.)


Die AfD erhält aus einer Erbschaft rund 7,3 Millionen Euro. Es ist der bisher höchste Geldzufluss für die Partei und eine der größten Einzelzuwendungen in der bundesdeutschen Parlamentsgeschichte. Das Geld kommt aus dem Vermögen von Reiner Strangfeld, eines 2018 verstorbenen Ingenieurs, der zuletzt in Bückeburg (Niedersachsen) lebte und die Partei in seinem Testament bedacht hat. Angelegt ist das Kapital, das unter anderem aus der Vermarktung von Klospülungs-Patenten stammt, vor allem in Gold und Immobilien. Wegen steigender Edelmetallpreise könnte am Ende sogar noch etwas mehr als die bisher geschätzte Summe auf dem Parteikonto landen. Strangfeld soll Suizid begangen haben, er war nach AfD-Angaben kein Mitglied und offenbar auch niemandem in der Partei persönlich bekannt. Seine Motivation liegt im Dunkeln. Bereits beim vergangenen Bundesparteitag hatte der damalige AfD-Schatzmeister Klaus-Günther Fohrmann berichtet, dass im Tresor der Bundesgeschäftsstelle „ein sehr interessantes Testament“ liege. Zuletzt hatte auch Fohrmanns amtierender Nachfolger, der sächsische Landtagsabgeordnete Carsten Hütter, von einem anstehenden Geldsegen gesprochen. Gleichwohl erreichte noch Ende 2019 alle AfD-Mitglieder ein Rundschreiben mit der Bitte, dringend zu spenden. In dem Schreiben wurde der Eindruck erweckt, dass die Parei in existentieller Finanznot sei. Große Ausgaben entstehen für die AfD künftig an drei Stellen: Erstens muss sie erhebliche Strafzahlungen wegen früherer, immer noch nicht aufgearbeiteter Spendenskandale tragen. Zweitens will sie juristisch massiv gegen das Bundesinnenministerium vorgehen, um die Beobachtung von Teilen der Partei durch Verfassungsschutz-Behörden abzuwenden. Uns drittens wird 2021 der nächste Bundestag gewählt, wofür ein großes Wahlkampfbudget benötigt wird. (↪ Tagesschau, 13.02., ↪ SZ, 13.02., ↪ RND, 13.02., ↪ RND, 13.02., ↪ RND, 14.02.)


AfD-Parteichef Jörg Meuthen trägt persönlich Mitschuld an einem Spendenskandal seiner Partei. Das ergibt sich aus einem schriftlichen Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin. Dort hatte die Partei gegen eine Strafzahlung in Höhe von 269.000 Euro geklagt, die durch die Bundestagsverwaltung festgesetzt worden war. Hintergrund: Im baden-württembergischen Landtagswahlkampf 2016 spendierte die Schweizer Werbefirma Goal AG eine Kampagne im Wert von 89.800 Euro, von der Meuthen wusste und von der er profitierte – die aber nicht von der Partei kam und die auch nicht ordentlich verbucht wurde. Dadurch handelt es sich um eine illegale Parteispende. Das Verwaltungsgericht Berlin sah das genauso und wies die Klage ab. In dem jetzt bekannt gewordenen Urteil heißt es zudem, Meuthen habe „fahrlässig“ und damit schuldhaft gehandelt: „Ein sorgfältig handelnder Parteivorsitzender (…) hätte erkannt, dass es sich bei den Wahlwerbemaßnahmen um eine Parteispende handelte.“ Die AfD berät noch, ob sie gegen das Urteil in Revision geht. In der Vergangenheit waren in der Partei Stimmen laut geworden, die Verursacher finanzieller Schäden persönlich haften zu lassen. (↪ RND, 14.02.)


Der Rentenstreit in der AfD geht weiter. Ein jüngstes Treffen der Bundesprogrammkommission, bei dem die Wogen geglättet werden sollten, hat keinen Durchbruch gebracht. Bei der Sitzung sollte ein Leitantrag für den sogenannten Sozialparteitag der AfD formuliert werden, der Ende April stattfinden soll und bei dem sich die Partei nach jahrelangem Lavieren auf ein sozialpolitisches Profil festlegen will. Hier konkurrieren zwei Linien: Ein marktradikaler Flügel, dem Parteichef Jörg Meuthen angehört, will die gesetzliche Rente zugunsten privater Vorsorge aufgeben. Dann würde es vom Staat allenfalls noch eine steuerfinanzierte Mindestrente geben. Die Ostverbände wollen die gesetzliche Rente beibehalten, ergänzt um Maßnahmen für einen „demografischen Wandel“, um die Zahl der Beitragszahler*innen zu erhöhen. Dafür spricht sich auch der völkisch-nationalistische „Flügel“ aus. Von dort kommen zusätzliche Ideen wie die, bestimmte Zuschläge nur deutschen Staatsbürger*innen zu gewähren oder das gesamte Rentensystem auf „echte“ Deutsche zu beschränken, wie die AfD sie versteht. Die Programmkommission bereitet nun eine weitere Sitzung vor, bei der erneut versucht werden soll, eine Kompromisslösung zu finden. An ihr ist Meuthen gelegen – denn es besteht für ihn die Gefahr, dass die mächtigen Ost-Verbände die Renten- zu einer Machtfrage machen. (↪ SZ, 15.02.)

Blauzone

Überschneidungen zwischen CDU und FDP sowie der rechten Szene gab es in der Vergangenheit viele, auch in Thüringen: Im Schatten des Kemmerich-Falls finden sich einige Beispiele „für einen fließenden Übergang von der bürgerlichen in die völkische Welt“. (↪ ND, 10.02.)


Karl-Eckhard Hahn, ein enger Vertrauter von Mike Mohring, der für die CDU-Fraktion im thüringischen Landtag arbeitet, hat eine Vergangenheit in der extrem Rechten. So war er in der Deutschen Gildenschaft organisiert – gemeinsam mit Götz Kubitschek, einem zentralen Publizisten der Neuen Rechten und Einflüsteter Björn Höckes. Es sind solche Verbindungen, die auch in der Zukunft „Brückenschläge zwischen national- und rechts-konservativ eingestellten Politikern aus den Reihen der Union und der AfD möglich und sogar wahrscheinlich machen.“ (↪ MDR, 11.02., ↪ Welt, 13.02.)


Keine Zusammenarbeit mit der AfD? Die offizielle Haltung der Bundes-CDU ist eigentlich klar. Aber wie positioniert sich die Union in den einzelnen Bundesländern? Der Tagesspiegel gibt einen knappen Überblick darüber, wo die Abgrenzung funktioniert – und auch, wo die Aversion gegen Linke anscheinend viel größer ist. (↪ Tagesspiegel, 12.02.)

Stimme & Haltung

Fast jede zweite Bundesbürger*in rechnet damit, dass die AfD in den kommenden zehn Jahren an einer Landes- oder sogar Bundesregierung beteiligt sein wird. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur. Demnach finden 26 Prozent der Deutschen eine AfD-Beteiligung an einer Landesregierung in Ordnung, 19 Prozent wären auch mit einer Beteiligung an einer Bundesregierung einverstanden. Dagegen steht aber eine klare Mehrheit von 59 Prozent, die jegliche Regierungsbeteiligung der AfD ablehnt. (↪ FR, 11.02.)


Der neue Ostbeauftragte der Bundesregierung Marco Wanderwitz hat sich deutlich von der AfD abgegrenzt. Er hoffe zwar, dass manche AfD-Wähler*innen zur Besinnung kommen. Doch er beabsichtige nicht, einen „Dialog mit einer AfD zu beginnen, die eine große Anzahl Rechtsextremisten als Parteimitglieder hat.“ Vielmehr sehe er es als seine Aufgabe an, der Demagogie der AfD zu widersprechen. Die Partei reagierte wie erwartet und forderte den Rücktritt Wanderwitz‘. Ob dessen Befund stimmt, dass insbesondere in der sächsischen CDU der „Drang nach rechts sehr schwach ausgeprägt“ ist, wird sich noch erweisen. Wanderwitz stammt aus Karl-Marx-Stadt, wuchs im Erzgebirge auf, sitzt seit 2002 für die CDU im Bundestag und war zuletzt Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Er gilt als vergleichsweise liberaler Unions-Vertreter. Er ersetzt Christian Hirte, der in die Kritik geraten war, weil er dem thüringischen Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich per Twitter gratuliert hat. (↪ FP, 11.02., ↪ RND, 11.02., ↪ MDR, 12.02., ↪ Welt, 12.02., ↪ Zeit, 12.02.)

Hintergründe

Welche Ziele verfolgte die AfD mit dem Kemmerich-Manöver in Thüringen? „Das ‚Spiel‘ der AfD führt demokratische Prozesse ad absurdum“, heißt es in einem Hintergrundbeitrag des MDR. Die Partei bediene sich einer „destruktiven Strategie“, vorgedacht von neurechten Netzwerkern wie Götz Kubitschek, mit dem Höcke befreundet ist. Gemeinsam gehe man darauf aus, die pluralistische Demokratie zu unterminieren. (↪ MDR, 14.02.)


Teile der CDU und Teile der AfD erzählen eine ganz ähnliche Geschichte: Die Union sei in den letzten Jahren von konservativen Positionen abgerückt und habe eine „rechte Flanke“ geöffnet, die jetzt von der AfD besetzt werde. Am Ende, so wird es häufig dargestellt, stehe die AfD doch bloß für das, was die Union einmal war, bevor Merkel an die Macht kam. Der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher zeigt in einem ausführlichen und lehrreichen Beitrag, dass diese Darstellung falsch ist – und dass die Traditionslinie, auf die sich die AfD stützt, nicht die eines demokratischen Konservatismus sein kann. (↪ Zeit, 15.02.)

Fokus (I): AfD und das Dresden-Gedenken

Die AfD arbeitet weiter an einer „erinnerungspolitischen Wende“, die Björn Höcke vor drei Jahren in Dresden ausgerufen hat. Schauplatz dafür war auch jüngst die Landeshauptstadt, wo der 75. Jahrestag der Bombardierung im 2. Weltkrieg begangen wurde. Wie bereits in den vergangenen beiden Jahren brachte sich dort die AfD mit eigenen Veranstaltungen und eigenwilligen Interpretationen der deutschen Geschichte ein. Den Aufschlag machte Co-Parteichef Tino Chrupalla. In der vergangenen Woche hatte er dem Nachrichtenmagazin Spiegel gesagt, er gehe „von etwa 100.000 Opfern aus“, die am 13. und 14. Februar 1945 in Dresden ums Leben gekommen seien. Angaben von Historiker*innen, die eine Zahl zwischen 22.700 und maximal 25.000 Toten ermittelten, seien zu niedrig, sagte der Politiker. Er stützt sich unter anderem auf Schilderungen seiner Großmutter.

Dem widersprachen nun mehrere Geschichstwissenschaftler*innen deutlich. Der Dresdner Historiker Johannes Schütz sagte, die AfD versuche durch Übertreibung der Opferzahl „den Opfer-Mythos wiederzubeleben. Weil sie sich als Teil des konservativen Spektrums verkauft, hat sie damit mehr Erfolg als zuletzt die Neonazis“. Offenbar gehe es der Partei auch darum, den Blick von deutschen Taten und deutscher Schuld abzulenken. Der Historiker Matthias Neutzner sieht das ähnlich. Er meint, dass sich die AfD auf die Seite von „rechtsextrem-revanchistischen Kreisen“ begibt, die das Gedenken seit langem instrumentalisieren. Er biete aber „Herrn Chrupalla gern an, das zu erklären. Vielleicht ist er ja doch historischen Argumenten zugänglich.“ Der Historiker Hannes Burkhardt führt die überhöhten Zahlen, mit denen die AfD hantiert, auf Fälschungen aus der NS-Propaganda der letzten Kriegswochen zurück. Auch er meint, dass sich Chrupalla „in die Nähe neonazistischer Argumentationsmuster begibt, die übertriebene Opferzahlen verbreiten, um die Täter-Opfer-Beziehung umzukehren, um Deutschland, oder konkret Dresden, in die Opferrolle zu bringen.“

Chrupalla „orientiert sich an rechtsextremen Geschichtsfälschern wie David Irving oder der NPD“, fasst Sven Felix Kellerhoff, Historiker und Leiter des Geschichtsressorts der Tageszeitung Die Welt, die Debatte zusammen. Bereits im vergangenen Jahr hatte Chrupalla für Aufsehen gesorgt. Damals verbreitete er das Foto eines Gedenkkranzes, den seine Bundestagsfraktion in Dresden abgelegt hat. Auf der Schleife stand: „Den zivilen Opfern des Alliierten Bombenterrors“. Das ist ein von Goebbels eingeführter Kampfbegriff, der in der DDR in Gebrauch blieb und heute vornehmlich durch Neonazis genutzt wird. Im Vorfeld des diesjährigen 13. Februar warnte daher der Pfarrer der Dresdner Frauenkirche, Sebastian Feydt, vor dem „Ansinnen der AfD und rechtsextremer Kräfte“, die Geschichte „in ihrem Sinn umzuschreiben und zu verfälschen“. Zum Erinnern gehöre eine historische Darstellung, die auf wissenschaftlichen Fakten basiert.

Die AfD sieht das anders. Ihre Dresdner AfD-Stadtratsfraktion ist zwar Mitglied in der städtischen „Arbeitsgruppe 13. Februar“, die sich mit der Ausgestaltung des öffentlichen Gedenkens befasst. Jedoch arbeitet die AfD in dem Gremium nicht aktiv mit. An den zahlreichen offiziellen Gedenkveranstaltungen in diesem Jahr beteiligte sie sich nur am Rand und setzte lieber auf eigene Formate im „Gedenken an die gezählten und ungezählten Opfer“. Die Partei monierte in einer Mitteilung wiederholte „Diskussionen über Opferzahlen“, die doch nur „für tagespolitische Zwecke“ missbraucht würden. Auf einem Flugblatt lud die AfD zu einer „ideologiefreien Debatte entlang bekannter und unbekannter Tatsachen“ ein. Ungezählte Opfer, unbekannte Tatsachen? Die letzte Parlamentspartei, die sich zu Dresden so äußerte, war die NPD gewesen. Sie forderte, genau wie jetzt die AfD, die Schaffung einer Gedenkstätte.

Der Auftakt der AfD-Gedenkaktionen sollte am vergangenen Dienstag ein Vortrag mit dem Laienforscher Gert Bürgel sein. Er befasst sich seit Jahren mit vermeintlichen Fehlern der Historikerkommission, auf deren akribischer Arbeit die heute anerkannten Angaben zu den Opferzahlen beruhen. Bürgel sollte dazu im Neuen Rathaus sprechen, doch die Stadtverwaltung zog die Raumzusage zurück. Die AfD behauptete, man habe auf die Veranstaltung wegen der „Sicherheit der Teilnehmer“ verzichtet. Bürgerls Vortrag übertrug die Partei per Internet-Livestream.

Am Donnerstag beteiligten sich AfD-Anhänger*innen dann an einer Kranzniederlegung auf dem Heidefriedhof. Vor Ort waren vor allem Mitglieder der Stadtratsfraktion. Ein Gesteck der Partei wurde unter anderem durch Silke Schöps getragen, die im Stadtrat sitzt und außerdem bei der Landtagsfraktion angestellt ist. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier legte einen Kranz ab, auf dessen Schleife wiederum geschrieben stand: „Den zivilen Opfern des Alliierten Bombenterrors“. Mehrere AfD-Landtagsabgeordnete legten Kränze auf dem Annenfriedhof ab. Noch am Vormittag begann ein Dauer-Infostand der Partei auf dem Altmarkt. Anwesend war unter anderem der sächsische Landes- und Fraktionsvorsitzende Jörg Urban. Auf Fragen von Journalist*innen sagte er, der Streit um die Opferzahl lenke vom Wesentlichen ab. Seiner Ansicht nach sei Dresden aber durchaus mit Hiroshima vergleichbar, dort seien es „auch um die 100.000 gewesen.“ Ob dieser Dimensionen brauche man „ein einzigartigeres Dresdner Gedenken“.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der am Nachmittag eine Rede im Kulturpalast hielt, sagte unterdessen: „Wer wider besseres Wissen historische Fakten verfälscht, dem müssen wir als Demokratinnen und Demokraten die Stirn bieten, dem müssen wir laut und entschieden widersprechen.“ Die AfD war nicht bei der Rede dabei. Chrupalla hatte vorher angekündigt, er werde nicht teilnehmen, da er annehme, dass Steinmeier etwas gegen die AfD sagen würde. Stattdessen setzte die AfD ihr eigenes Programm fort: Am Abend gab es auf dem Altmarkt ein „stilles Gedenken“ mit rund 200 Beteiligten. Vor Ort waren etliche AfD-Politiker*innen, neben Urban, Chrupalla und Maier unter anderem auch der Bundestagsabgeordnete Karsten Hilse. Ganz unter sich war man nicht. Es kamen ebenfalls bekannte Neonazis sowie Anhänger*innen der verfassungsfeindlichen Identitären Bewegung vorbei.

Die Bemühungen der AfD, das Dresden-Gedenken in ihrem Sinne zu instrumentalisieren, fallen auf fruchtbaren Boden. Eine aktuelle repräsentative Umfrage zeigt, dass knapp 60 Prozent der Parteianhänger*innen meint, es sollte ihrer Meinung nach in mehr Städten, ähnlich wie in Dresden, Gedenkveranstaltungen zu den alliierten Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg geben. Im Bundesschnitt sagen das nur 41 Prozent aller Befragten. In Ostdeutschland sind es 48, in Sachsen sogar knapp über 50 Prozent. (↪ Jungle World, 06.02., ↪ BNR, 11.02., ↪ Welt, 11.02., ↪ Sächsische, 12.02., ↪ FP, 12.02., ↪ RND, 13.02., ↪ ZDF, 13.02., ↪ Tagesspiegel, 13.02., ↪ MDR, 13.02.Zeit, 13.02., ↪ Sächsiche, 14.02., ↪ Watson, 14.02.)

Fokus (II): WerteUnion in Bedrängnis

Die nationalkonservative WerteUnion (WU), die sich innerhalb der Unionsparteien für einen Rechtsschwenk in Richtung der AfD ausspricht, gerät zunehmend unter Druck. So wurde jetzt bekannt, dass der Vorsitzende Alexander Mitsch in der Vergangenheit mindestens zwei Mal Geld an die AfD gespendet und selbst über einen Übertritt nachgedacht hat. Das war 2016, ein Jahr, bevor er gemeinsam mit dem umstrittenen Rechtsanwalt Ralf Höcker die WerteUnion gründete.

Höcker, bislang Pressesprecher, zog sich nunmehr überraschend aus der WU zurück und trat aus der CDU aus. Unmittelbar zuvor war berichtet worden, dass er vor knapp vier Jahren einen Schreckschuss-Revolver in dem illegalen Onlineshop „Migrantenschreck“ bestellt haben soll. Die Mündungsenergie strecke „jeden Asylforderer nieder“, so die damalige Werbung für die bestellte Waffe. Der Shopbetreiber Mario Rönsch wurde später von Ungarn ausgeliefert und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Höcker bestreitet, die Bestellung getätigt zu haben und spricht von einem Missbrauch seines Namens. Seinen Rückzug bringt er damit nicht in Verbindung, sondern behauptet, „auf krasse Weise“ bedroht worden zu sein.

Weitere aktuelle Medienrecherchen zeigen unterdessen, dass die WerteUnion auch radikale Mitglieder aus der AfD anwirbt und die CDU teils bereit ist, diese zu dulden. Unter anderem waren drei aktuelle WU-Vorstandsmitglieder in der Vergangenheit AfD-Mitglieder. Der WU-Landeschef Hessens hatte außerdem gute Beziehungen zum „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten“, über den umstrittene und teils illegale Zuwendungen an die AfD abgewickelt wurden. Christian Sitter, Landesvorsitzender der WU Thüringen, war Fördermitglied eines neurechten Vereins, der die frühere Schülerzeitung „Blaue Narzisse“ finanziert, die heute ein AfD-affiner Weblog ist. Der Blaue-Narzisse-Herausgeber Felix Menzel, bei dem Sitters Beiträge landeten, arbeitet inzwischen für die sächsische AfD-Landtagsfraktion (idas berichtete). Es gibt weitere Beispiele: Das WU-Mitglied Max Otte ist zugleich Vorsitzender des Kuratoriums der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung und Ralf Höcker referierte im Frühjahr 2019 auf Einladung der AfD im Bundestag. Zuguterletzt – das war bislang nicht bekannt – spendete auch Sven Eppinger, der stellvertretende Vorsitzende der sächsischen WU, Geld an die AfD.

Möglicherweise beruht die Zuneigung auf Gegensitigkeit. Dafür sprechen aktuelle Angaben Rüdiger Lucassens, Landessprecher der AfD in Nordrhein-Westfalen. Er behauptet, dass es seit etwa einem halben Jahr zu geheimen, regelmäßigen und „immer intensiveren“ Treffen seiner Partei mit der WerteUnion komme. Dabei spreche man über eine mögliche Koaklition von AfD und CDU, „die es in Zukunft geben kann“. Die WU bestreitet solche Gespräche. Ihr weiteres Vorgehen wollte die Gruppe, der nach eigenen, nicht nachprüfbaren Angaben bis zu 4.400 Mitglieder aus CDU und CSU angehören, am Sonnabend bei einem außerordentlichen Bundestreffen besprechen. Das Ergebnis ist eine Erklärung: „Die Werteunion lehnt eine Zusammenarbeit mit der AfD […] entschieden ab und hat auch nie eine Zusammenarbeit gefordert.“ Das unterscheidet sich nicht von früheren offiziellen Statements.

Die WerteUnion war schon in der vergangenen Woche in die Schlagzeilen geraten, weil sie dem thüringischen Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich gratulierte, der mithilfe der AfD ins Amt gehievt worden ist. Daraufhin forderten mehrere Spitzenfunktionär*innen der CDU, die Gruppe, die keine offizielle Parteiströmung ist, aufzulösen oder auszuschließen. Ihr derzeit bekanntestes Mitglied ist der ehemalige Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen. Er arbeitet für Höckers Kanzlei, die auch AfD-Mandant*innen betreut. (↪ Exif, 12.02., ↪ Tagesschau, 12.02., ↪ DLF, 13.02., ↪ Zeit, 14.02., ↪ FAZ, 14.02., ↪ t-online, 14.02., ↪ KStA, 14.02., ↪ Spiegel, 14.02., S. 9–15, ↪ TAZ, 15.02., S. 3)

Das Letzte: LVZ goes AfD

Ein aktuelles und recht drastisches Beispiel, wie man besser nicht über die AfD berichten sollte, liefert die Leipziger Volkszeitung. In einem Onlinebeitrag erläutert Roland Herold, dass der monatliche Rundfunkbeitrag – früher „GEZ-Gebühr“ genannt – ab 2021 steigen soll, und zwar um 86 Cent. „In Sachsen droht bereits Widerstand“, heißt es dazu, und gemeint ist die AfD, die „derzeit mit einer Initiative ‚Genug GEZahlt‘ Unterschriften für einen Volksentscheid“ sammelt. Zu Wort kommt die „medienpolitische Sprecherin der AfD-Landtagsfraktion Sachsen, Karin Wilke“. Sie wird so zitiert: „Der mit Zwangsgebühren finanzierte Staatsfunk missbraucht seine Macht und politischen Einfluss immer weiter. Staatlich garantierte Wettbewerbsvorteile werden schamlos für Manipulation, ineffiziente Doppel- und Dreifachstrukturen und persönliche Bereicherung wie üppige Intendantengehälter ausgenutzt.“

Mit diesem Statement gibt es mehrere Probleme. Das erste: Von den fünf sächsischen Landtagsfraktionen kommt aus Gründen, die der Autor nicht nennt, ausschließlich die AfD zu Wort. Zweites Problem: Karin Wilke ist nicht die medienpolitische Sprecherin der AfD-Landtagsfraktion. Sie ist nicht einmal mehr Abegordnete. Das war sie bis 2019 gewesen, doch zur Landtagswahl im vergangenen Jahr stand sie auf einem aussichtslosen Listenplatz und verfehlte den erneuten Einzug ins Parlament. Sie ist weich gefallen, denn die neue AfD-Fraktion hat sie als Beraterin angestellt. Aber das ist öffentlich kaum bekannt, und so oder so spricht Frau Wilke nicht mehr für die Fraktion.

Drittes und größtes Problem: Anders, als es der LVZ-Artikel suggeriert, hat sich Karin Wilke überhaupt nicht zur jetzt konkret diskutierten Erhöhung der Rundfunkgebühr und dem dahinterliegenden politischen Aushandlungsprozess geäußert. Auch die Initiative „Genug GEZahlt“ – ein AfD-Verein, dem Wilke vorsitzt – hat das bisher nicht getan. Ob der Verein „derzeit“ Unterschriften sammelt, ist unklar, schon seit einiger Zeit scheint die Kampagne eingeschlafen zu sein. Das komplette Zitat im LVZ-Artikel stammt in Wirklichkeit aus einer beinahe acht Monate alten Pressemitteilung, abgesetzt in einer Zeit, in der Wilke tatsächlich noch Abgeordnete und medienpolitische Sprecherin ihrer Fraktion war. Die damalige Pressemitteilung enthält exakt die Worte, die jetzt die LVZ heranzieht. Der Journalist hat nichts davon nachgeprüft und offenbar auch nicht mit Frau Wilke gesprochen, sonst wäre ihm aufgefallen, dass die Angaben zu ihrer Person nicht mehr stimmen. Falls er das als Ressortleiter „Mitteldeutschland“, der gelegentlich aus dem Landtag berichtet, nicht sowieso wissen müsste.

Noch eine andere Sache fällt auf. Der restliche Artikel stellt die heftigen Vorwürfe der AfD, dass der „Staatsfunk“ seine Macht „immer mehr“ missbrauche, dass er „schamlos“ manipuliere und zur privaten Bereicherung ausgenutzt werde, überhaupt nicht infrage. Das muss nicht unbedingt bedeuten, dass Autor und Medium im Allgemeinen mit der AfD sympathisieren würden. Aber die LVZ ist ein Privatunternehmen und steht tatsächlich im Wettbewerb mit öffentlich-rechtlichen Medien, etwa dem gebührenfinanzierten Nachrichtenangebot des MDR. Und dem kreidet man „staatlich garantierte Wettbewerbsvorteile“, von denen die AfD spricht, schon aus eigenem Interesse an. Das kann man machen. Aber zur journalistischen Sorgfalt gehört es dann, geschäftliche Interessenkonflikte in der eigenen Berichterstattung offenzulegen – statt sich ausgerechnet hinter der AfD zu verstecken und diese Partei dadurch zu pushen. (↪ LVZ, 16.02.)


Ergänzung vom 17. Februar 2020: Der Artikel ist heute in einer leicht gekürzten Fassung als Aufmacher auf der ersten Seite der Leipziger Volkszeitung und der zum gleichen Verlagshaus gehörenden Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Im Text wird die frühere AfD-Abgeordnete Karin Wilke nunmehr zutreffend als „ehemalige“ medienpolitische Sprecherin bezeichnet. Auch in der Onlinefassung wurde das berichtigt. Ansonsten ändert sich am Beitrag nichts. An unserer Kritik halten wir daher fest.