„Ja zur Straße“: Höcke umgarnt Pegida mit Umsturzphantasien

Zum 200. Mal hat sich Pegida in Dresden getroffen. Die sächsische AfD hatte ihre Mitglieder eingeladen, dabei zu sein – als Star-Gast stand gestern Björn Höcke auf der Bühne. Der Anführer des völkisch-nationalistischen „Flügels“ rief zum Umsturz auf. Doch es gab auch starken Gegenprotest.

Es war viel los am Montagabend auf dem Dresdner Neumarkt, vor der markanten Kulisse der Frauenkirche. Das rassistische Protestbündnis Pegida, das seit Oktober 2014 regelmäßig demonstriert, kam für seine inzwischen 200. Versammlung zusammen, „Spaziergang“ genannt. Nach verschiedenen Schätzungen nahmen zwischen 2.000 und 4.000 Menschen teil. Das ist viel weniger als in der Hochphase der Bewegung, als es mehrfach um die 20.000 waren. Es ist aber viel mehr sonst in der jüngsten Zeit, in der es meist noch um die tausend sind, die sich nur noch zweiwöchentlich für ein deutlich abgespecktes Redeprogramm treffen. Doch diesmal lockte ein großer Name.

Gewohnte Kulisse

Zunächst brachen die Pegida-Anhänger*innen zu einer kleinen Runde um den Neumarkt auf, um Zeit zu überbrücken, bis sich der Hauptredner zeigt. Vor Ort wehten die Fahnen der verfassungsfeindlichen Identitären Bewegung, ein übliches Bild. Einige sächsische AfD-Abgeordnete ließen sich blicken. Mit dabei war auch Andreas Kalbitz, Landesvorsitzender der brandenburgischen AfD und neben Höcke einer der führenden „Flügel“-Vertreter; die extrem rechte Strömung vertritt er im Bundesvorstand. Ebenfalls zu sehen war Götz Kubitschek, einer der derzeit führenden Publizisten der Neuen Rechten, zudem ein Freund und Ratgeber Höckes.

Die Polizei hatte mit rund 450 Einsatzkräften einige Mühe, die Pegida-Demonstrant*innen abzuschirmen. Und sie hatte mehrere der mitgeführten Plakate auf strafrechtliche Relevanz zu prüfen. Darunter war eines, auf dem ein Hakenkreuz prangt.

Schimpfen aufs Establishment

Kurz nach acht Uhr traf Höcke ein, im Schlepptau den Personenschutz der Polizei. Die Bühne betrat er unter „Höcke, Höcke“-Rufen, die rund 40 Minuten später wieder aufbrandeten, als er fertig war mit seiner Rede und die Kundgebung umgehend verließ. Was er bis dahin zu berichten hatte, war nicht überraschend. Dem Publikum gratulierte er zunächst im Namen des thüringischen AfD-Landesverbandes für seine Beharrlichkeit. Pegida sei die „friedliche Volksopposition“ auf der Straße, die AfD dasselbe in den Parlamenten, beides gehöre zusammen: „Ich sage ‚Ja‘ zum Parlament auf tiefster Überzeugung, aber ich sage in der Lage, in der unsere Nation ist, auch ohne Wenn und Aber ‚Ja‘ zur Straße“.

An den Gegenprotest gewandt skizzierte Höcke sogleich, was passieren wird, wenn die AfD in Regierungsverantwortung kommt: Man werde „diese sogenannte Zivilgesellschaft, die aus Steuergeld-Millionen finanziert wird und sich daraus nährt, dann leider trockenlegen müssen.“

Den Hauptteil der Rede machten die Ereignisse in Thüringen und Höckes ganz eigene Interpretation der Kemmerich-Wahl aus. In Wirklichkeit habe die AfD keinen „Dammbruch“ verursacht, sondern völlig demokratisch gehandelt. Das „polit-mediale Establishment“, wie er alle anderen immer wieder nennt, würde seine Partei zu Unrecht kritisieren. Dabei hätte doch gerade dieses Establishment die „Volkssouveränität“ ausgehebelt, habe die Bundeskanzlerin sogar einen „Putsch“ gegen das Erfurter Parlament und dessen Mehrheitsentscheidung gewagt.

Höcke trommelt zum Aufstand

Dann wurde es grundsätzlich, wurde der Kommentator zum Demagogen: Die Politiker*innen der „verbrauchten Parteien“ litten an einer „geistigen Störung“, sagte Höcke, und die heutige Demokratie sei in Wirklichkeit eine „Herrschaft des Schlechten“, die man ablösen werde. Die „verbrauchten Parteien“ würden „unser Deutschland wie ein Stück Seife unter einem lauwarmen Wasserstrahl“ auflösen. So strebe die Kanzlerin in Wirklichkeit eine „Überwindung der Völker und die Überwindung der Kulturen“ an, auch ihre möglichen Nachfolger seien keine Alternative.

Friedrich Merz etwa, der neuer CDU-Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat werden will, sei bloß ein „Ausverkäufer Deutschlands“ und „wie Merkel Teil einer geschlossenen transatlantischen Polit-Elite, die die Völker und Kulturen im Rahmen ihrer One-World-Ideologie ins Visier nimmt. Das sind und werden niemals Freunde der Nation, das sind und werden niemals Freunde eines deutschen Volkes und einer deutschen Nation sein!“

Vieles davon hat Höcke schon früher gesagt, einiges in exakt denselben Worten. Wenn er von der „Herrschaft des Schlechten“ redet, lassen sich seine Vorbilder in der sogenannten Konservativen Revolution – eines der bedeutsamsten Bücher der antidemokratischen Rechten in der Weimarer Republik trägt den Titel „Die Herrschaft der Minderwertigen“ – leicht erraten. Und so verwundert es nicht, dass er gestern kaum verklausuliert für einen Umsturz trommelte: „In Deutschland sind, und das muss ich wirklich betonen, wirklich alle Maßstäbe verrückt. Dieses Land steht Kopf. Das Unterste ist nach oben gewendet. Wir müssen dieses Land wieder vom Kopf auf die Füße stellen, wir müssen das Unterste wieder nach unten wenden, wo es hingehört. Es ist so!“

AfD Sachsen hatte aufgerufen

Es war nicht Höckes erster Pegida-Auftritt. Im Mai 2018 hatte er schon einmal eine Rede gehalten, kurz nachdem der Abgrenzungsbeschluss der AfD gefallen war. Seitdem dürfen Parteimitglieder auf die Bühne, solange sie keine Parteisymbole vorzeigen. Dass Höcke dazu erneut bereit war, sorgte trotzdem für Diskussionen. Der Parteivorstand befasste sich noch am Montag damit, weil negative Auswirkungen auf den Wahlkampf in Hamburg befürchtet wurden. Einen Beschluss fasste das Gremium nicht, doch Parteichef Jörg Meuthen ging auf Distanz: „Wenn ein Lutz Bachmann sich ausgeprägt freut, dass Höcke da kommt und womöglich gemeinsame Fernsehbilder produziert werden, dann muss ich Ihnen sagen: Das ist dem Ansehen unserer Partei, glaube ich, nicht dienlich“, sagte er dem ZDF.

So gab es dann, als Höcke ans Mikrofon trat, auch keine persönliche Begrüßung durch den unter anderem wegen Volksverhetzung vorbestraften Pegida-Anführer Lutz Bachmann oder seinen Kompagnon Siegfried Däbritz. Inwzischen werden beide offiziell als Rechtsextremisten eingestuft. Als erster AfD-Spitzenpolitiker hatte im März 2018, noch vor Höcke, Jörg Urban bei Pegida gesprochen. Er war damals gerade Landesvorsitzender der Sachsen-AfD geworden, und zwar mithilfe eines Pro-Pegida-Kurses, der unter seiner Vorgängerin Frauke Petry so nicht denkbar war. Demnächst steht die Neuwahl des AfD-Landesvorstandes an, Urban will sich wiederwählen lassen. Wohl auch aus diesem Grund wurde nun der Schulterschluss von Partei und Bewegung noch einmal groß in Szene gesetzt.

Gemeinsam mit seinem Generalsekretär Jan Zwerg hatte Urban die sächsischen Parteimitglieder erstmals ausdrücklich zur Teilnahme an Pegida aufgefordert: „Heute Abend wird der Thüringer AfD-Landesvorsitzende, Björn Höcke, am 200. Pegida-Abendspaziergang in Dresden teilnehmen. Bitte unterstützen Sie unseren Parteifreund und kommen Sie und Ihre Freunde zahlreich zu dieser Veranstaltung“, hieß es in dem Rundschreiben, das auch auf der Facebook-Seite des Landesverbandes erschienen ist. „Stärken Sie Björn Höcke den Rücken, zeigen Sie Flagge gegen die Verdrehung der Tatsachen – jetzt erst recht!“ Im Vorfeld hatte Urban, der Höckes „Flügel“ angehört, zudem der parteinahen Wochenzeitung Junge Freiheit gesagt, er finde es gut, dass „die Bürger von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen, wenn sie mit der Regierungspolitik unzufrieden sind. Und hierfür hat Pegida in Dresden eine Plattform geschaffen.“

Starker Gegenprotest

Pegida erntete gestern aber auch deutlichen Widerspruch, auf mehreren Kundgebungen demonstrierten zeitgleich etwa ebenso viele Menschen, wie gekommen waren, um Höcke zu lauschen. Schon im Vorfeld hatten sich Hunderte bei Friedensgebeten in der Kreuzkirche und in der Frauenkirche getroffen. Einen starken antifaschistischen Protest direkt neben der Pegida-Versammlung stellten „Nationalismus raus aus den Köpfen“ und „Hope – Fight Racism“ auf die Beine.

Der Protest war so laut, dass er Pegida übertönen und Versammlungsleiter Wolfgang Taufkirch in Rage versetzen konnte. Auf der Bühne beschwerte er sich über die Geräuschkulisse und forderte das Ordnungsamt auf, für Ruhe zu sorgen. Lutz Bachmann stellte gar ein Ultimatum: Er gab dem Gegenprotest 30 Sekunden Zeit, den Bass runterzufahren, ansonsten würde er seinen Leuten raten, das „mit demokratischen Mitteln“ selbst zu regeln – oder die eigene Versammlung auflösen und sich irgendwo anders in der Stadt neu zusammenfinden.

Daneben gab es eine betont bürgerliche Protestkundgebung unter dem Motto „Demokratie braucht Rückgrat – Demonstration für unsere offene Gesellschaft und gegen Hetzparolen“. Dahinter standen die Dresdner Kreisverbände von CDU und FDP, in dieser Konstellation ein Novum im inzwischen siebten Pegida-Jahr. Zur Teilnahme hatten unter anderem auch die Sächsische Bibliotheksgesellschaft, der Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden, die evangelisch-lutherische Landeskirche und die Katholische Kirche in Sachsen aufgerufen, zudem einige Landtagsabgeordnete der CDU – und Ministerpräsident Michael Kretschmer. Selbst vor Ort war er allerdings nicht.

Er war nicht der einzige, der fehlte: Ausgerechnet Urban ließ sich nicht blicken. Ein Bild machte sich an seiner Stelle der AfD-Partei- und Fraktionssprecher Andreas Harlaß. Er verbreitete hinterher, es seien bis zu 20.000 Höcke-Fans gekommen.