Im Vorfeld der morgigen Landtagssitzung haben sächsische AfD-Abgeordnete ein Positionspapier zur Pandemiekrise vorgelegt. Bahnbrechende Forderungen sind nicht enthalten – und im Dresdner Parlament, das ein milliardenschweres Hilfspaket beschließen will, wird die Fraktion einstweilen keine große Rolle spielen.
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Auf die AfD kommt es nicht an
In dem heute vorgelegten Positionspapier fordern die AfD-Abgeordneten unter anderem flächendeckende Corona-Tests, eine bessere Abschirmung von Risikogruppen sowie Mundschutz in der Öffentlichkeit, der freiwillig getragen werden soll. Es handelt sich um eine Sammlung von Vorschlägen, die in den verschiedenen Arbeitskreisen der Fraktion zusammengetragen wurden. Inhaltlich ist das meiste nicht neu und vieles – darunter die Forderung nach umfassenden Wirtschaftshilfen – wird bereits umgesetzt. Darüber hinaus empfiehlt die AfD einen pauschalen Geldzuschuss an erwerbstätige Eltern sowie eine Aussetzung des Rundfunkbeitrags. Das eine wird nicht begründet, über das andere kann der Freistaat gar nicht entscheiden.
Entscheidungen werden dagegen morgen bei einer Sondersitzung des Landtages getroffen. Das Parlament will ab 11 Uhr ein milliardenschweres Hilfspaket verabschieden und dadurch Mittel für umfangreiche Unterstützungsmaßnahmen freigeben. Nach der Landesverfassung, die eine sogenannte Schuldenbremse enthält, müssen zwei Drittel der Abgeordneten zustimmen. Die Koalition aus CDU, SPD und Grünen ist dadurch auf die Mitwirkung der Opposition angewiesen und hat die LINKE-Fraktion bereits auf ihrer Seite. Die AfD hat inzwischen angekündigt, ebenfalls zuzustimmen. Doch auf sie wird es nicht ankommen. Dafür hat sie auch selbst gesorgt, trotz ihres neuen Positionspapiers hat die AfD diesmal keine einzige parlamentarische Initiative auf die Tagesordnung setzen lassen.
Vor drei Wochen war das Parlament zuletzt zusammengetreten. Damals hatte die AfD gleich mehrere eigene Anträge vorgelegt und die Durchführung der Sitzung in voller Stärke trotz erheblicher Infektionsrisiken erzwungen, damit ihre Anträge behandelt werden. Die anderen Fraktionen, die für eine Verschiebung der Sitzung oder wenigstens eine deutliche Reduzierung der Zahl der Abgeordneten eingetreten waren, haben darauf mit Befremden reagiert und sämtliche AfD-Vorschläge abgelehnt: Sie waren teils abwegig, teils rechtswidrig, teils bereits umgesetzt. Bei der morgigen Sitzung deutet sich das Kontrastprogramm an, ein weitgehend AfD-freier Ablauf. Es gelten derweil besondere Vorkehrungen, um Ansteckungen zu vermeiden. So trifft sich der Landtag nicht im eigenen Plenarsaal, die Abgeordneten werden an getrennten Tischen im benachbarten Kongresszentrum sitzen.
Einfallslos durch die Krise
Seit längerem ringt die AfD auch in Sachsen mit der Pandemiekrise und ihrer eigenen Positionierung, schwankt dabei zwischen einem fundamental-oppositionellen Kurs und einem eher staatstragenden Vorgehen. Das neue Positionspapier ist ein Mittelweg. So wird nun zwar die Entwicklung von „Ausstiegsszenarien“ aus dem Shutdown gefordert, ohne aber selbst ein konkretes Vorgehen zu skizzieren oder gar ein Datum zu nennen. Die Unsicherheit bei diesem Thema war am vergangenen Donnerstag deutlich zu merken, als der AfD-Fraktionsvorsitzende Jörg Urban und der parlamentarische Geschäftsführer Jan Zwerg in einem Livestream eine Dreiviertelstunde lang Fragen beantwortet haben. Motto der Videosendung: „Vom Corona Virus zum Systemcrash“. Von einem Crash, das wurde gleich klar, kann keine Rede sein. Zwar wies Urban auf „extreme Einschnitte“ hin, die zur Zeit gelten. Darüber hinaus behauptete er auch, es werde heimlich die Meinungsfreiheit beschnitten. Doch gefragt nach den persönlichen Auswirkungen sagte Zwerg, es sei für ihn das Schlimmste, „dass ich im Moment nicht ins Fitnessstudio gehen kann“.
Urban kritisierte pauschal „das lange Zögern und Warten“ der Landesregierung bei der Ergreifung von Schutzmaßnahmen, man habe nicht genug vorgesorgt, alles laufe „zu verhalten, zu langsam“. Dabei mache die AfD „gute eigene Vorschläge“, die man einfach nur aufgreifen müsse, lautete das Selbstlob. So sollten in Sachsen seiner Auffassung nach Mittel im Bereich von zwei Milliarden Euro locker gemacht werden, um der Wirtschaft zu helfen. Demnach ist es allerdings die AfD, die zu verhalten ist, verglichen mit den viel umfangreicheren Mitteln, über die der Landtag morgen entscheiden soll – es wird um die dreifache Summe gehen. Zudem hat die AfD zu keinem Zeitpunkt Finanzierungsvorschläge gemacht, mit denen sich das Parlament aber zwingend befassen muss, um einen sogenannten Nachtragshaushalt aufzustellen. Urban fiel nur ein, dass man bisher zu viel Geld in „Gender-Professuren“ gesteckt habe. Die gibt es jedoch an sächsischen Hochschulen und Universitäten gar nicht. Wer im Wahlprogramm der sächsischen AfD das Kapitel „Epidemien“ aufschlägt, findet dort nur eine Suada gegen die „zunehmenden Migrationsbewegungen“.
Mehr Tests sollte es jetzt geben und Schutzausrüstung für alle, sagten Urban und Zwerg, ähnlich steht es jetzt auch im Positionspapier. Doch die Testkapazitäten im Freistaat werden ständig ausgeweitet. Über das sächsische Innenministerium wurden zuletzt Gesichtsmasken, Handschuhe und Schutzkittel im Wert von knapp 83 Millionen Euro geordert, weitere 106 Millionen Euro sollen demnächst in die Materialbeschaffung investiert werden. Auch in weiteren Bereichen glänzt die AfD nicht mit Sachkunde: Wie steht sie zu Konzepten für eine Corona-Tracking-App? „Ich hab das nur am Rande mitbekommen“, sagte Zwerg. Näheres wisse er nicht: „Überwachungs-App, für was?“, fragte er verdutzt zurück. Man müsse sich das wohl „mal anschauen“, das sei eine „gute Sache, eventuell“.
Krise in der Bundestagsfraktion
Das schwankende Vorgehen in der Pandemiekrise hatte zuletzt zu tiefen Verwerfungen in der AfD-Bundestagsfraktion gesorgt, die gestern bei einer Sondersitzung in Berlin fast sechs Stunden lang diskutiert wurden. Eine größere Gruppe von Abgeordneten – die Rede ist von mehr als 30 – hatte das Treffen erzwungen, gegen den Willen der Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Alexander Gauland, die bis nach Ostern warten wollten. Sie waren dem Vernehmen nach aber mit Drohungen konfrontiert, wonach AfD-Leute aus der Fraktion austreten wollen. Unter ihnen gebe es insbesondere gegen Weidel „einen massiven Protest“, zitiert n-tv.de aus Fraktionskreisen. Der Grund: Die Fraktionsführung will die Pandemie ernst nehmen und setzt auf einen staatstragenden Kurs, der die weitgehenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens mitträgt.
Dadurch, so eine verbreitete Befürchtung, verliert die AfD ihr oppositionelles Profil, nähert sich den „Altparteien“ an und begibt sich in eine Art politische Quarantäne. Unter anderem soll Weidel vor der letzten Bundestagssitzung etliche AfD-Abgeordnete gedrängt haben, den Rettungspaketen der Bundesregierung zuzustimmen, statt sich zu enthalten, wie es eigentlich geplant und durch eine Mehrheit der 89-köpfigen Fraktion bevorzugt war. Insgesamt 68 der Abgeordneten kamen gestern zusammen, weitere 17 ließen sich telefonisch zuschalten. Der Geschäftsordnung der Fraktion zufolge ist nur stimmberechtigt, wer vor Ort ist, und eine Mehrheit der Teilnehmenden lehnte es ab, eine Ausnahme zu machen. Ein Affront, denn unter denen, die sich zuschalten ließen, war auch Weidel. Sie kuriert sich derzeit von einer Lungenentzündung.
Gegen sie positioniert sich eine Gruppe um Dirk Spaniel, die den Shutdown schnellstmöglich beenden will und das vor allem mit den drohenden wirtschaftlichen Folgen begründet. Dort vertritt man die Auffassung, dass Covid-19 nicht schlimmer als eine herkömmliche Grippe und allenfalls für Teile der Bevölkerung gefährlich sei. Hinzu kommen einige Abgeordnete, die im Fraktions-Arbeitskreis „Gesundheit“ aktiv sind und die zwar keinen sofortigen, aber doch einen raschen Ausstieg auf dem Shutdown verlangen. Aus diesem Arbeitskreis heraus soll schon früher der Fraktionsführung „Alarmismus“ vorgeworfen worden sein, daran entzündete sich der Zwist, der nun ausgetragen wurde. Eine führende Rolle im Arbeitskreis spielt Detlev Spangenberg aus dem sächsischen Radebeul (Landkreis Meißen). Der ehemaligen Stasi-Zuträger war Landtagsabgeordneter in Sachsen, bis er 2017 in den Bundestag wechselte. Auch er soll auf Konfrontationskurs zu Weidel gegangen sein.
AfD steckt in einem Dilemma
Die Fraktionsspitze wollte es bisher vermeiden, ein Datum für eine Normalisierung des öffentlichen Lebens zu nennen, und möglichen Lockerungen nur zustimmen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, also beispielsweise genügend Schutzmaterial für die Bevölkerung zur Verfügung steht und Massentests in den sogenannten systemrelevanten Bereichen möglich sind. Doch eine einheitliche Linie war für die AfD – das betrifft nicht nur ihre Bundestagsfraktion – über Wochen nicht in Sicht. Eine Folge ist, dass der AfD derzeit, in einer schweren Krise, nur eine Statistenrolle zukommt. Sie ist da, aber kaum zu bemerken. So ist es jetzt in Sachsen.
Die Partei steht dabei vor einem Dilemma: Für die allermeisten Bundesbürger*innen ist Corona das derzeit bestimmende Thema, eine klare Mehrheit trägt die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie mit. Entsprechend gering ist aktuell die Nachfrage nach AfD-typischen Themen. Auch im eigenen Spektrum herrscht Uneinigkeit, das zeigt eine aktuelle Umfrage aus Brandenburg. Zwar sind die dortigen Parteianhänger*innen diejenigen, die am wenigsten der Meinung sind, dass die Corona-Maßnahmen als „angemessen“ anzusehen sind. Nur eine knappe Mehrheit von 54 Prozent sieht das so. Doch immerhin 18 Prozent der Anhänger*innen denken, dass die Maßnahmen nicht ausreichend sind. Rund 25 Prozent nehmen die Gegenposition ein, sie halten die Maßnahmen für übertrieben. Damit treffen innerhalb der AfD Positionen aufeinander, die sich nicht nur unterscheiden, sondern einander ausschließen.
Zumindest die Bundestagsfraktion ist gestern ein Stück vorangekommen. Ergebnis der Krisensitzung war ein fünfseitiges Positionspapier, das viele Kompromissformeln enthält und dem letztlich die meisten, aber nicht alle Abgeordneten zugestimmt haben. Dennoch geht die Bundestagsfraktion deutlich weiter und wird viel konkreter als die Parteifreund*innen in Sachsen. In Berlin meint man, eine schrittweise Normalisierung könne schon ab dem kommenden Dienstag, unmittelbar nach Ostern, beginnen. Die meisten Geschäfte und Gewerbe könnten „generell“ wiedereröffnet werden. Es sei eine „zwingende Notwendigkeit, das Wirtschaftsleben so schnell wie möglich wieder aufzunehmen“, heißt es. Sonst ergäbe sich eine Situation, die „wesentlich gefährlicher sein könnte als die Corona-Krise selbst“. Dass die Lage bedenklich geworden ist, weiß die AfD nur zu gut. Durch fallende Umfragewerte.