Es kommt wie erwartet: Die Verfassungsschutzbehörden machen Ernst und stufen den „Flügel“ als verfassungsfeindlich ein. Wenn sich Björn Höcke und Konsorten nicht mäßigen, droht der gesamten AfD die Beobachtung. Auch das Parteiumfeld gerät nun ins Visier, betroffen sind Pegida-Chef Lutz Bachmann, Jürgen Elsässers Compact-Magazin und der neurechte Publizist Götz Kubitschek. Die sächsische AfD schweigt.
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Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat sein Vorgehen gegen die AfD verschärft und den völkisch-nationalistischen „Flügel“ als Beobachtungsobjekt eingestuft. Seine maßgeblichen Mitglieder gelten nunmehr offiziell als „Rechtsextremisten“. Der Schritt wurde erwartet, seitdem Anfang 2019 die Gesamtpartei als sogenannter Prüffall sowie die Nachwuchsorganisation Junge Alternative und das „Flügel“-Netzwerk zu Verdachtsfällen erklärt worden sind.
Bundespartei bleibt vorerst Prüffall
Die Hintergründe erläuterte das BfV am Donnerstag bei einer Pressekonferenz, zu der kurzfristig und ohne Nennung des Themas eingeladen worden ist. Demnach verfolgt die Behörde weiterhin ein abgestuftes Vorgehen. So gilt die Junge Alternative, die über rund 1.000 Mitglieder verfügen soll, unverändert als Verdachtsfall. Für eine strengere Einschätzung fehlten derzeit „verdichtende Anhaltspunkte“, sagte BfV-Präsident Thomas Haldenwang. Die offizielle Programmatik des Verbandes sei moderater geworden, eine weitergehende Entscheidung werde man „zu gegebener Zeit“ treffen. Hinzu kommt auch, dass der Jugendverband an Bedeutung verloren hat.
Keine direkte Einschätzung gab Haldenwang zur AfD-Bundespartei ab. Er berief sich bei Nachfragen auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Köln, das die AfD im vergangenen Jahr erstritten hat und das es der Behörde untersagt, die Partei öffentlich als Prüffall zu bezeichnen – der sie weiterhin ist. „Wir machen unsere Arbeit“, versicherte Haldenwang in Bezug auf die AfD als Ganzes. So wird die Behörde auch künftig Material aus öffentlich zugänglichen Quellen sammeln und auswerten. Verwertet werden dürfen auch Informationen, die aus der verdeckten Beobachtung des „Flügels“ und der Jungen Alternative resultieren und die Rückschlüsse auf die Gesamtpartei erlauben.
Joachim Seeger, Abteilungsleiter für Rechtsextremismus im BfV, sagte bei der Pressekonferenz, es sei „bemerkenswert“, dass der „Flügel“ mit Björn Höcke als Führungsfigur in der Mitte der Partei gesehen wird, aus der heraus es nicht etwa zu Abgrenzungen, sondern zu „euphorischen Solidarisierungen“ komme. Es handle sich um „den relevantesten Personenzusammenschluss innerhalb der AfD“, parteiinterne Kritiker*innen würden in der Defensive gedrückt, so Matthias Weber, der im BfV für die Materialsammlung zur Partei zuständig ist. Heißt: Je stärker der „Flügel“ wird, desto mehr gerät die AfD insgesamt in den Fokus.
Flügel-Leute sind „Rechtsextremisten“
Die Behörde legt ihren jüngsten Entscheidungen zugrunde, wie sich die AfD und der „Flügel“ im vergangenen Jahr entwickelt haben. Ergebnisse sind in ein neues, 258 Seiten starkes Gutachten eingeflossen, aus dem der Spiegel zitiert. Demnach „kommt auch für die Gesamtpartei eine Hochstufung zum Beobachtungsobjekt (Verdachtsfall) in Betracht“, falls keine Mäßigung eintritt. Danach sieht es aktuell nicht aus, meint das Bundesamt. Es bezeichnet Björn Höcke und Andreas Kalbitz als die zwei „Führer des Flügels“ – und erstmals namentlich als „Rechtsextremisten“.
Deren Bedeutung in der Partei sei zuletzt gestiegen, erläuterte Haldenwang, und zurückgenommen hätten sie sich nicht: „Die bisherigen verfassungsfeindlichen Anhaltspunkte haben sich zur Gewissheit verdichtet“, sagte er. Sein Mitarbeiter Seeger erläuterte, das BfV habe auch in der jüngsten Zeit „fortlaufend neue Verstöße“ gegen die Grundordnung registriert, bisweilen würde die „Verachtung der derzeitigen demokratischen Ordnung“ offen zur Schau gestellt und offensiv ein Systemumsturz gefordert. Hinzu komme, dass sich der „Flügel“ auch außerhalb der Partei mit einschlägigen Kreisen systematisch vernetze.
So dient unter anderem Jürgen Elsässers Compact-Magazin als publizistische Plattform. Im vergangenen Jahr erschien ein Sonderheft dieser Zeitschrift, in dem Höcke-Ansprachen nachgedruckt wurden. Darunter ist auch die sogenannte Dresdner Rede, die Höcke Anfang 2017 gehalten und in der er das Berliner Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ bezeichnet hat. Es handelt sich um eine der radikalsten Höcke-Reden. Nach Einschätzung des BfV zeigt die Heft-Veröffentlichung, dass der „Flügel“ keineswegs von einschlägigen Positionen abrückt, sondern sie weiterverbreitet. Neuigkeit am Rand der Pressekonferenz: Der Verlag des Compact-Magazins, dessen Geschäftsführer Elsässer ist, gilt nunmehr ebenfalls als Verdachtsfall.
Der „Flügel“ dominiert auch die sächsische AfD
Rund 7.000 Anhänger*innen – doppelt so viele wie die NPD – soll der „Flügel“ bundesweit haben. Die Zahl geht auf eine Schätzung des Parteichefs Jörg Meuthen zurück, wonach 20 Prozent der AfD-Mitglieder dieser Strömung angehören. Sicherheitskreise verstehen das als einen „Mindestrichtwert“ und gehen intern sogar von einem Personenpotential in fünfstelliger Höhe aus. Der „Flügel“ ist so oder so die größte Vereinigung der extremen Rechten und dementsprechend einflussreich. In einigen Landesverbänden dominiert er die Partei eindeutig. Das gilt für Thüringen und Brandenburg, wo Höcke und Kalbitz das Sagen haben.
Das gilt auch für Sachsen. Der hiesige Landesverband wird durch Jörg Urban und Jan Zwerg angeführt, beide hatten mit der „Erfurter Resolution“ das Gründungsdokument des „Flügels“ unterschrieben und ihre Zugehörigkeit nie direkt bestritten. Urban trat bei einigen „Flügel“-Treffen auf und nahm Höcke mehrfach gegen Kritik in Schutz. Zwerg schätzte, als er vor gut zwei Jahren Generalsekretär wurde, dass 60 bis 70 Prozent der sächsischen Parteimitglieder zum „Flügel“ gehören. Der sächsische Bundestagsabgeordnete Jens Maier, der zudem offizieller „Flügel“-Obmann im Freistaat ist, geht aktuell von mindestens 70 Prozent aus.
Der thüringische Verfassungsschutz hat aus der engen Verflechtung seine eigenen Schlüsse gezogen und bereits am Donnerstag direkt nach der BfV-Pressekonferenz den dortigen AfD-Landesverband zum Verdachtsfall hochgestuft. Stephan Kramer, Präsident des thüringischen Verfassungsschutzes, begründete das mit der Annahme, dass der „Flügel“ den von Höcke selbst geleiteten AfD-Landesverband „maßgeblich bestimmt“. Das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz äußerte sich dagegen nicht, wie es künftig vorgehen und ob es dem Beispiel aus dem Nachbarbundesland folgen will. Klar ist nur: Die Einstufung des „Flügels“ als Beobachtungsobjekt gilt bundesweit. Den Umgang mit einzelnen Gebietsverbänden der Partei können die Landesämter in eigener Zuständigkeit regeln und dabei weitergehende Beurteilungen zugrunde legen als das BfV.
Kollateralschäden der Beobachtung
Hinzu kommt, dass für die Einstufung des „Flügels“ auch Vorgänge in Sachsen entscheidend sind, darunter die enge Zusammenarbeit mit Pegida in Dresden. Erst kürzlich hatte Höcke dort gesprochen und zum Umsturz aufgerufen. Bei der Pressekonferenz wies Haldenwang zudem auf eine auf eine Rede hin, die der Pegida-Anführer Lutz Bachmann bei einer Versammlung am 7. Oktober 2019 gehalten hat. Darin bezeichnete er politische Gegner*innen unter anderem als „Schädlinge“, die man „in den Graben“ werfen müsse. An der Versammlung hatte sich unter anderem Jörg Urban beteiligt, er kam in Begleitung des Landtagsabgeordneten André Wendt, der wenige Tage zuvor zum Vizepräsidenten des Sächsischen Landtages gewählt worden war.
Wendt, ein Berufssoldat, erklärte hinterher, er habe von Bachmanns Entgleisungen „nichts mitbekommen“. Aufgrund mehrerer Strafanzeigen wurde in der Folge gegen Bachmann wegen des Verdachts der Volksverhetzung und der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten ermittelt. Die Staatsanwaltschaft Dresden stellte ihre Ermittlungen vor wenigen Tagen ein. Haldenwang machte dagegen klar, dass man solche Ausfälle nicht auf sich beruhen lasse, und nannte Bachmann einen „Rechtsextremen“. Das ist nicht ganz neu. Aber genau wie das Compact-Magazin ist Bachmann eine Art Kollateralschaden der Beschäftigung des BfV mit dem „Flügel“.
Es gibt einen weiteren Fall: Bei der Pressekonferenz sagte Haldenwang, es sei „bezeichnend“, dass Höcke in engem Kontakt mit dem „neurechten Verleger und Publizisten Götz Kubitschek“ stehe. Inzwischen veröffentlichte das BfV das Redemanuskript, in dem der Name Kubitschek nicht genannt wird, aber an gleicher Stelle von einem „extremistischen Vordenker der Neuen Rechten“ die Rede ist. Die gleiche Formulierung wird in einem aktuellen Hintergrund-Text des BfV verwendet. Wie idas erfuhr, soll Kubitscheks Antaios-Verlag schon vor mehreren Jahren ein Prüffall des BfV geworden sein. Neu ist, dass die Behörde den Verleger namentlich anspricht. Auf Nachfrage hieß es am Donnerstag, dass dessen „Institut für Staatspolitik“ derzeit kein Beobachtungsobjekt sei. Offen bleibt, ob es sich auch hier inzwischen um einem Prüf- oder Verdachtsfall handelt.
Kaum offizielle Statements
Für die AfD ist das Verfassungsschutz-Vorgehen eine schwere Niederlage. So schwer, dass es der Partei die Sprache verschlagen hat. Zunächst hatte die Bundestagsfraktion eine eigene Pressekonferenz angekündigt. Als Haldenwang fertig war, wurde sie abgesagt. Auch der Parteivorstand hat bislang keine offizielle Erklärung abgegeben. Erst Ende kommender Woche will man sich dazu in einer Sitzung des Bundesvorstandes erneut beraten. Offensichtlich ist man sich über das weitere Vorgehen uneins. Insbesondere der Parteivorsitzende Tino Chrupalla soll für Zurückhaltung plädiert haben, weil die AfD dabei nichts gewinnen könne.
Am Donnerstagnachmittag erschien dann eine Erklärung des AfD-Bundestagsabgeordneten Roland Hartwig. Er leitet die parteiinterne Arbeitsgruppe, die den Auftrag hat, eine Beobachtung abzuwenden. Haldenwang habe „nichts vorzuweisen“ und erhebe „unzutreffenden Vorwürfe“, heißt es in dem Statement. Das Amt lasse sich politisch instrumentalisieren, obwohl sich die „Flügel“-Positionen „eindeutig im Rahmen der Verfassung“ bewegten. Gegen das Verfassungsschutz-Vorgehen wolle sich die Partei mit mehreren Klagen wehren. Hartwigs Schreiben unterzeichneten mit Alexander Gauland und Alice Weidel die Köpfe der Bundestagsfraktion, außerdem Chrupalla – der in Absprache mit dem „Flügel“ an die Parteispitze gekommen war. Der Name seines Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen fehlt allerdings – ihm droht der Sturz, wenn sich der „Flügel“ gegen ihn wendet. Er dürfte zu den wenigen Funktionär*innen gehören, die nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung den weiteren Umgang mit dem „Flügel“ für eine „Existenzfrage“ der gesamten Partei halten.
Auch von der sächsischen AfD liegt bislang keine offizielle Stellungnahme vor. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur wiederholte Landeschef Jörg Urban, was er schon früher gesagt hatte: dass sich der Verfassungsschutz „instrumentalisieren“ lasse und das Vorgehen gegen die AfD mit dem Agieren der Stasi vergleichbar sei. Jens Maier behauptet zudem, sämtliche Vorwürfe gegen den auch durch ihn angeleiteten „Flügel“, den er als eine „Gesinnungsgemeinschaft“ bezeichnet, seien „konstruiert“. Gründe, den politischen Kurs zu ändern, sehe er nicht. Es gibt derzeit keine gewichtigen Stimmen innerhalb der AfD, die öffentlich einfordern würden, irgendwie einzulenken oder den „Flügel“ in die Schranken zu weisen.
Angst vor Austritten
Bereits am vergangenen Wochenende hatte die AfD versucht, die eigenen Mitglieder zu beruhigen: „Wir lassen uns nicht überraschen und haben bereits entsprechende Strategien vorbereitet“, hieß es in einem internen Rundschreiben. Die Partei treibt vor allem die Gefahr um, dass nunmehr Beamt*innen und Tarifbeschäftigte im öffentlichen Dienst aus Sorge um ihren Job austreten könnten, einzelne Fälle gab es in der Vergangenheit bereits. Solche Personen unterliegen einer besonderen Treuepflicht. Die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation wie dem „Flügel“ ist damit unvereinbar und wird, so viel ist absehbar, Disziplinarverfahren nach sich ziehen.
Es könnte zahlreiche und prominente Betroffene geben. Björn Höcke etwa ist nach wie vor verbeamteter Lehrer in Hessen, Jens Maier war Richter am Landgericht Dresden, bis er in den Bundestag einzog. Die Strategie, von der die Partei nun spricht, beruht zum einen auf dem Rechtskampf, für den sie hohe Rücklagen in ihren Kassen gebildet hat, der angesichts des umfangreichen Belegmaterials aber wenig aussichtsreich sein dürfte. Bislang hat die AfD auf diesem Weg nur erreicht, dass sie nicht öffentlich als Prüffall bezeichnet werden darf. Zum anderen will die Partei rund 250.000 Euro in ihre laufende Imagekampagne („Wir sind Grundgesetz“) pumpen und zu einer Charme-Offensive ausweiten. So ist vorgesehen, demnächst großformative Anzeigen in überregionalen Tageszeitungen zu schalten. Mehrere Medienhäuser sollen aber bereits abgewunken haben.
Im Rahmen ihrer Kampagne hat die Partei zudem am Mittwoch – einen Tag vor Bekanntgabe der Verfassungsschutz-Entscheidung – begonnen, Statements von Parteifunktionär*innen und einzelner Verbände zu veröffentlichen, „mit denen sie den Vorwurf angeblich verfassungsfeindlicher Äußerungen durch das Bundesamt für Verfassungsschutz entkräften“. Die Stellungnahmen beziehen sich auf das umfangreiche Verfassungsschutz-Gutachten, mit dem Anfang 2019 die Einstufung der Partei als Prüffall begründet worden war – jedoch nicht auf die aktuelle Einschätzung, auf die sich das BfV jetzt stützt.
Misslungene Entkräftungsversuche
Die Arbeitsgruppe von Roland Hartwig war selbst zu dem Schluss gelangt, dass an einem nicht unerheblichen Teil der damaligen Vorwürfe etwas dran sein könnte. Unter den bislang veröffentlichten Erklärungen befindet sich nur eine einzige „Klarstellung“ der sächsischen AfD. Sie bezieht sich auf ein einzelnes Facebook-Posting des AfD-Kreisverbandes Erzgebirge aus dem Jahr 2018, wonach „der Einsatz von scharfer Munition (…) aus Gründen des Grenzschutzes angebracht“ sei.
Dazu heißt es nun, man wisse nicht, wer den inzwischen gelöschten Eintrag verfasst hatte. Der Landesverband hält den „etwas echauffierten Ton der beanstandeten Äußerung“ aber für „durchaus vertretbar“, nimmt also nichts zurück. Das zweite sächsische Statement stammt von André Ufer von der Dresdner Jungen Alternative. Er hatte einst gesagt, dass der Islam „nicht mit dem Grundgesetz vereinbar“ sei. In Ufers „Klarstellung“ heißt es jetzt, dass er bei seiner Aussage bleibe, allerdings nicht jeder einzelne Muslim gemeint sei. Jedoch könne bei politischen Äußerungen nun einmal „nicht bis zu jedem Einzelfall differenziert werden.“ Merkwürdig ist, dass die Partei von den Verfassungsschutzbehörden eine stärkere Differenzierung verlangt.
In dem BfV-Gutachten aus dem vergangenen Jahr waren insgesamt 14 sächsische AfD-Funktionär*innen rund 60 mal erwähnt worden, zudem Onlinebeiträge mehrerer Kreisverbände. Von einer „Entkräftung“ kann bislang also kaum Rede sein. In absehbarer Zeit, so steht es zu vermuten, wird das BfV auch daraus seine Schlüsse ziehen.