Die sächsische Bundestagsabgeordnete Verena Hartmann hat die AfD-Fraktion verlassen und ist aus der Partei ausgetreten. Mit dem völkisch-nationalistischen „Flügel“ lag die Ex-Polizistin im Clinch. Ihr plötzlicher Abgang könnte weitere Gründe haben.
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Nach Informationen der WELT, die gestern Abend zuerst über den Rückzug berichtete, nannte Hartmann gegenüber der Fraktionsspitze „persönliche Gründe“ für ihre Entscheidung. In einem Schreiben habe die 45-Jährige zugleich erklärt, ihr Mandat behalten zu wollen: „Ich werde meine Arbeit und damit laufende Projekte als fraktionsloses Mitglied im Deutschen Bundestag fortsetzen.“ Dadurch kann die AfD-Fraktion nicht durch eine Nachrücker*in aufgefüllt werden. Die parteinahe Wochenzeitung Junge Freiheit berichtete darüber hinaus, Hartmann erachte die AfD nicht mehr als die Partei, „in die ich eingetreten bin und die das Volk gewählt hat.“ Sie störe demnach vor allem die Vormachtstellung des völkisch-nationalistischen „Flügels“ um Björn Höcke.
Von Partei und Fraktion liegen noch keine Stellungnahmen vor. Heute Vormittag veröffentlichte jedoch Hartmann ein Statement, in dem sie sich an Mitglieder und Wähler*innen der Partei wendet. Sie bedauere es demnach sehr, „die AfD aufgeben zu müssen. Doch da ist auch der rechte Flügel, der um jeden Preis nur nach Macht und Einflussnahme strebt und die ganze Fraktion mit seinen Grabenkämpfen vereinnahmt.“ Die „rechtsextreme Strömung“, die sie mit der NPD vergleicht, lasse nur zwei Wege zu – „Unterwerfung oder politische Demontage“. Zu ihrer Enttäuschung hat offenbar beigetragen, dass sich der Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland hinter Höcke gestellt hat.
Jens Maier bedrohte Hartmann
Mit dem „Flügel“ lag Hartmann schon länger über Kreuz. Vor rund zwei Jahren, in der Anfangszeit der Fraktion, war sie mit dem Abgeordneten Jens Maier aneinandergeraten, der inzwischen sächsischer „Flügel“-Obmann ist. Maier soll sie in einer Fraktionssitzung angefahren haben mit Sätzen wie: „Wir machen dich fertig“ und „Mit dir rechnen wir ab“. Auf Nachfrage Hartmanns, ob er sie gerade bedroht habe, soll er mit „Ja“ geantwortet haben.
Anlass war, dass Hartmann bei einer anstehenden Gremienbesetzung anmahnte, die Fraktion solle in der Personalauswahl „sensibel“ vorgehen. Diese Bemerkung zielte auf Maier, der kurz zuvor wegen eines rassistischen Tweets gegen Boris Beckers Sohn Noah in die Schlagzeilen geraten war. Die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel stellte Maier nach der Sitzung zur Rede. Er entschuldigte sich für seinen „Ausraster“, Hartmann wollte den Vorgang damals nicht öffentlich kommentieren.
Hartmann blieb in der Folgezeit auf Distanz zum „Flügel“. Im Juli 2019 unterzeichnete sie den Appell „Für eine geeinte und starke AfD“. Der Text kritisiert unter anderem den „exzessiv zur Schau gestellten Personenkult um Björn Höcke“. Dessen Loyalität gelte anscheinend eher dem „Flügel“ als der Partei. Eine inhaltliche Distanzierung oder eine offene Ablehnung des „Flügels“ enthielt die Erklärung, die durch 100 teils bekannte AfD-Mitglieder unterzeichnet wurde, allerdings nicht.
Anlass des Appells war, dass Höcke bei einem „Flügel“-Treffen vor hunderten Anhänger*innen den AfD-Bundesvorstand scharf angegriffen und unter anderem angekündigt hat, dass sich dessen Zusammensetzung bald ändern werde. Seit zwei Monaten hat dort tatsächlich der „Flügel“ die Oberhand. Auffällig: Seitdem war Hartmann bei Abstimmungen im Bundestag nicht mehr anwesend. Dort nahm sie keine exponierte Rolle ein, für die Fraktion saß sie lediglich im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft.
Hartmann war Petry-Anhängerin
Hartmann wurde in Räckelwitz (Landkreis Bautzen) in der Oberlausitz geboren, wuchs in Kamenz auf und lebte zuletzt in Wehlen (Sächsische Schweiz-Osterzgebirge). Ende der 1990er Jahre wurde sie Beamtin bei der Berliner Polizei, wurde bis 2005 zunächst im Streifendienst eingesetzt, dann als Sachbearbeiterin für Fälle häuslicher Gewalt. Ihre Polizeikarriere beendete sie zugunsten eines Studiums, das sie als Diplom-Kommunikationswirtin abschloss. Als sie 2017 in den Bundestag kam, war sie als Maklerin und Unternehmensberaterin tätig.
Zur Bundestagswahl trat die damals relativ unbekannte Politikerin nicht als Direktkandidatin an, sondern auf einem sicheren Listenplatz, den ergattert zu haben eine parteiinterne Überraschung war. Aus der Wahl ging sie als eine von elf sächsischen AfD-Abgeordneten hervor, mit 35,5 Prozent erzielte sie ein Spitzenergebnis für die Partei. Der war sie erst 2016 beigetreten, engagierte sich bis Anfang 2018 im Vorstand des Kreisverbandes Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Einen Einfluss auf den sächsischen Landesverband hatte sie jedoch nie, erarbeitete sich auch keine eigene Basis.
Sie galt als Anhängerin Frauke Petrys, deren Stern sank, während Hartmann aufstieg. Als Petry im Vorfeld der Bundestagswahl immer stärker unter Beschuss geriet, verteidigte Hartmann die Noch-Vorsitzende und bezeichnete den Freitaler AfD-Politiker Norbert Mayer – damals einer der entschlossensten Petry-Gegner, heute Landtagsabgeordneter – als „Schande“ für die AfD. „Wer diese angeblichen Patrioten in der Partei hat, braucht keine Feinde“, sagte sie.
Nach der Bundestagswahl setze sich Petry ab und gründete die Blaue Partei. Beobachter*innen erwarteten, dass auch Hartmann den Absprung wagen würde. Dafür gab es Anhaltspunkte: Sie veranstaltete eine „Dankeschönveranstaltung“ für Unterstützer*innen und lud dazu auch Petry ein, inzwischen Persona non grata in der AfD. Mit ihr soll Hartmann auch danach weiter in Kontakt gestanden haben.
Das führte zu heftigen Reaktionen im Kreisverband. Vorstandsmitglied Ivo Teichmann, der heute ebenfalls im Landtag sitzt, forderte sie auf, ihr Mandat niederzulegen. Später monierte er, Hartmanns Warhnehmbarkeit im eigenen Wahlkreis sei „unterdurchschnittlich“. Das lag auch daran, dass sie die Zelte abbrach und nach Berlin verzog. Im Herbst 2018 tauchte sie plötzlich im Vorstand der Pankower AfD auf.
Keine „gemäßigte“ Politikerin
Trotz der Fehde mit den „Flügel“-Leuten kann Hartmann kaum als gemäßigt gelten: Einmal sagte sie, dass sie eine Willkommenskultur „für Menschen aus dem arabischen Raum“ ablehne. Ein anderes Mal raunte sie, angelehnt an Gauland: „Die Altparteien jagen wir vor uns her.“ In einer Bundestagsrede verglich sie die Bundesrepublik mit der DDR: „Ich fühle mich schon wieder wie im tiefsten Osten. Es herrscht eine Meinungsdiktatur, in der Andersdenkende ausgegrenzt, geächtet und diffamiert werden.“ Für Empörung sorgte zudem ein Beitrag auf ihrem Twitter-Account, in dem sie die Kanzlerin angriff: „Frau Merkel, was wollen Sie uns noch antun? (…) ich verfluche den Tag Ihrer Geburt!“
Sie war auch Miturheberin einer umstrittenen Parlamentsanfrage, in der sich die AfD nach der „Zahl der Behinderten seit 2012“ erkundigte, „die durch Heirat innerhalb der Familie entstandenen“ sind. Gefragt wurde in dem Zusammenhang auch nach deren Migrationshintergrund und wie viele Schwerbehinderte keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Hartmann erklärte dazu, dass sie nur aufgrund eines Formfehlers als eine der Anfragesteller*innen benannt worden sei – was als unglaubwürdig gilt.
Die AfD-Fraktion im Bundestag hat derzeit noch 89 Abgeordnete, seit der Wahl haben sich fünf Abgeordnete von der Partei abgewandt. Kurz nach Frauke Petry waren das Mario Mieruch und Uwe Kammann im Oktober bzw. Dezember 2017. Seither galt die Fraktion als konsolidiert, bis Mitte Dezember vergangenen Jahres überraschend der Abgeordnete Lars Herrmann austrat.
Rücksicht auf Beamtenpflichten
Ohne die Partei im Rücken wird Hartmanns politische Karriere mit Ablauf der Wahlperiode, also planmäßig schon nächstes Jahr, vorüber sein. Den jetzt vollzogenen Absprung mag erleichtert habe, dass es ihr mit der AfD kaum anders ergehen würde, denn eine erneute Aufstellung zur kommenden Bundestagswahl, diesmal durch die Berliner AfD, wäre unwahrscheinlich gewesen. Hinzu kommt, dass eine drohende Einstufung der Partei als „verfassungsfeindlich“ Pensionsansprüche Hartmanns bedrohen könnte, die sie als Polizeibeamtin erworben hat.
Das ist ein naheliegender Beweggrund für ihren Rückzug. Augenfällig sind die Ähnlichkeiten mit dem Fall Lars Herrmann: Er kommt ebenfalls aus Sachsen, lebt in Parthenstein (Landkreis Leipzig). Er ist ebenfalls Polizeibeamter, arbeitete vor der Bundestagswahl bei der Bundespolizei. Und auch Herrmann war als Petry-Anhänger bekannt, lag mit den „Flügel“-Anhänger*innen in der Fraktion im Clinch und hat den Appell „Für eine geeinte und starke AfD“ unterzeichnet. Zu den Gründen seines Austritts gab Herrmann an, er müsse seinen Beamtenpflichten gerecht werden. Das wurde in der AfD als „fatales Signal“ gedeutet, da es verbeamtete Mandatsträger*innen und Funktionär*innen der Partei verunsichern könnte, wie lange sie Mitglied sein dürfen, ohne dienstliche Konsequenzen befürchten zu müssen.
Der am Wochenende zurückgetretene Schatzmeister des AfD-Bundesverbandes Klaus-Günther Fohrmann (idas berichtete) war wie Herrmann und Hartman ein Unterzeichner des Appells „Für eine geeinte und starke AfD“. Er galt als eines der letzten Gegengewichte zum „Flügel“ im aktuellen Parteivorstand.