„Stehen Sie zu Deutschland?“ Luftnummern der AfD im Landtag

Keine Punkte für die AfD: Dem sächsischen Fraktionschef Jörg Urban ist es heute nicht gelungen, den Ministerpräsidenten vorzuführen. Auch die blaue Kampagne gegen die grüne Justizministerin ist gefloppt, die anderen Fraktionen sind auf die Vorwürfe nicht eingestiegen. idas berichtet aus der ersten Plenarsitzung in diesem Jahr.

Die fünfte Sitzung des aktuellen Landtages begann am Vormittag mit einer Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU). Er stellte den Abgeordneten den Koalitionsvertrag vor, sprach über die gemeinsamen Ziele der sogenannten Kenia-Koalition aus Union, Grünen und SPD. Als zweitstärkste Fraktion durfte die AfD-Fraktion zuerst erwidern. Der Fraktionsvorsitzende Jörg Urban ergriff das Wort und setzte zu einem Rundumschlag an. Sein Vorwurf: Die CDU habe „alle konservativen Rudimente über Bord geworfen und sich mit den Grünen verbündet“, die jetzt die heimlichen Strippenzieher*innen in der Landespolitik seien.

Urban fordert „deutsche Kultur“

Man sehe das daran, dass angeblich schon Kleinkinder in Kitas „auf Linie gebracht“ und mit „Gender-Ideologie“ indoktriniert werden sollen. Unter dem „Etikett des vermeintlichen Kampfes gegen rechts“ und anhand des geplanten schärferen Vorgehens gegen Hasspostings im Internet würden zudem Meinungen unterdrückt, die Demokratie eingeschränkt. Ohnehin finanziere die Landesregierung „Linksextreme“ – ein üblicher Vorwurf der AfD, für den Urban keine Belege nannte. Von den sozialpolitischen Zielen der Koalition, fuhr er fort, würden  vor allem „kinderreiche Migranten“ profitieren, die angeblich keine Steuern zahlen.

Ein Weiterer Kritikpunkt: Die Regierung will kulturelle Vielfalt fördern. Das ist ein Unding für Urban, denn im Koalitionsvertrag werde „deutsche Kultur“ nicht erwähnt. Er sagte nicht, was er sich darunter vorstellt und inwieweit er sie in einem Gegensatz zu kultureller Vielfalt sieht. Unterm Strich stehe die Regierung für „Angstmacherei“ und „Planwirtschaft“, sagte er zum Schluss. Das wenige Gute am Koalitionsvertrag sei von der AfD „plagiiert“ worden. Die Wähler*innen hätten etwas anderes gewollt als die Kenia-Koalition, sagte Urban auch, der damit die eigene Partei meint, die er in Sachsen anführt.

Zur Landtagswahl hat die AfD zwar ein Spitzenergebnis erzielt, ist im sächsischen Parlament so stark wie nirgends sonst. Allerdings verfehlte Urban, damals Spitzenkandidat, zwei andere Ziele, die er selbst gesetzt hatte: Seine Partei sollte stärkste Fraktion werden und an der Regierung beteiligt werden. Das gelang nicht, ein Makel, der Thema sein wird, wenn sich die sächsische AfD in einem Monat zu ihrem nächsten Parteitag trifft. Dass sich Urban als Landesvorsitzender halten wird, ist keineswegs ausgemacht. Im Vergleich mit Björn Höcke in Thüringen und Andreas Kalbitz in Brandenburg gilt er als blasser, kraftloser Redner. Auch deshalb war nun ein viel markanteres, grundsätzlicheres Statement im Landtag erwartet worden.

Landtag verteidigt die Justizministerin

Weit hitziger und teils lautstark wurde es am Nachmittag, als die Abgeordneten zweimal hintereinander über „Linksextremismus“ debattierten. Das erste Thema hatte die CDU eingebracht, es ging um Angriffe auf Polizeibeamt*innen und die Situation in Leipzig-Connewitz. Für die AfD sprach dazu Sebastian Wippel, selbst ein Polizist. Er ging vor allem auf die sogenannte Indymedia-Demonstration am vergangenen Sonnabend in Leipzig ein. Wippel kritisierte, dass Medien zunächst nicht wahrheitsgemäß über das gesamte Ausmaß dortiger Ausschreitungen berichtet hätten. Diese hätten ihm zufolge verhindert werden können, wäre die Polizei „in Größenordnungen“ eingesetzt worden. Tatsächlich war sie mit einem Großaufgebot vor Ort. Das und auch das Ausmaß der Ausschreitungen ergibt sich aus detaillierten Medienberichten, von denen etliche im Pressespiegel landeten, den Landtagsmitglieder täglich erhalten.

Der Abgeordnete forderte, die „Deeskalationspolitik“ gegenüber der linken Szene zu beenden und alle erforderlichen Einsatzmittel aufzufahren. Das dürfe – auch in Wintermonaten – „gern der Wasserwerfer sein“. Das besonnenere, eher kommunikative Vorgehen der Polizei war zuletzt allgemein gelobt worden. In der zweiten Rederunde zum gleichen Antrag sprach für die AfD Carsten Hütter. Zum Thema der Debatte sagte er nicht viel, beschimpfte aber minutenlang die Linken-Abgeordnete Juliane Nagel, die ihren Wahlkreis in Connewitz hat, unter anderem als „Rattenfängerin“, „schärfste Antreiberin“ und „geistige Brandstifterin des linksextremen Mobs“. In Wirklichkeit hat sich Nagel jüngst öffentlich von Gewalthandlungen distanziert.

Thematisch eng verwandt war ein zweiter Debattenblock, den die AfD selbst auf die Tagesordnung gesetzt hatte. Titel: „Advent, Advent, ein Bulle brennt“ – die Liedzeile einer Punkband, der in den 1990er Jahren Katja Meier angehörte, heute Grünen-Politikerin und neuerdings sächsische Justizministerin. Meier hat ihre einstige Mitwirkung an der Band vor Monaten selbst publik gemacht und Liedtexte wiederholt kritisch eingeordnet. Die erneute Thematisierung geht auf eine Kampagne der AfD-Fraktion zurück (idas berichtete), die nach der Connewitzer Silvesternacht lanciert wurde – mit der Meier allerdings nichts zu tun hat.

Die AfD behauptet, Meier sei „linksextrem“, und will ihren Rücktritt erreichen. Als Redner trat für die Fraktion abermals Sebastian Wippel ans Mikrofon. Die Lieder, um die es geht, sprühten vor „Hass auf das Vaterland“, sagte er. „Stehen Sie zu Deutschland?“, fragte er die Justizministerin. Die wies die Vorwürfe zurück, sprach von „niederträchtigen und absurden Angriffen“. Die Koalitionsfraktionen und auch – das ist ungewöhnlich – die demokratische Opposition nahmen die Justizministerin in Schutz, warfen der AfD Doppelmoral vor. Die wochenlangen Angriffe der AfD auf Meier, sie endeten heute im Landtag als Rohrkrepierer. Das erkannte zuletzt auch Wippel: „Wir hätten uns ein deutliches Wort auch des Kabinettchefs gewünscht“, dass er „durchgreift“, sagte er konsterniert.

AfD-Abgeordnete in Gremien gewählt

In der Landtagssitzung wurden auch mehrere Gremien besetzt, in denen der AfD von Rechts wegen Sitze zustehen, deren Anzahl sich nach der Stärke der Fraktion richtet. Diese unterbreitet die Personalvorschläge, sie mussten noch durch das Plenum bestätigt werden. In den Landesjugendhilfeausschuss wurden die AfD-Abgeordneten Rolf Weigand, Torsten Gahler und Holger Hentschel entsandt. Zu Stellvertretern wurden Lars Kuppi, Mario Kumpf und Christopher Hahn bestimmt. Keiner der Gewählten ist vom Fach, einen Bezug zur Jugend hat indirekt nur Weigand: Der 35-Jäbhrige ist Landeschef der „Jungen Alternative“, des verfassungsfeindlichen AfD-Nachwuchsverbandes. In der vergangenen Wahlperiode hatte André Wendt in dem Gremium gesessen, er ist inzwischen Landtagsvizepräsident.

Ebenfalls neu besetzt wurde der Sächsische Kultursenat. Ihm wird künftig Jörg Kühne angehören. Der Leipziger ist Sprecher der „Christen in der AfD“ in Mitteldeutschland. Bisher trat er nicht als Kulturpolitiker in Erscheinung. Vor einigen Monaten begrüßte er es, „wenn Studenten sich in schlagenden Verbindungen sammeln“, denn die Mensur sei ein „hervorragendes Erziehungsmittel“. In den Landesnaturschutzbeirat schickt die AfD schließlich Thomas Prantl, einen Agraringenieur. Alle Wahlvorschläge wurden mehrheitlich durch die Abgeordneten bestätigt – bei Enthaltungen und auch einigen Gegenstimmen, die von der Linksfraktion kamen.

Morgen tagt das Plenum erneut, der Debattenstoff wird dann weniger aufreizend sein. Auf der Tagesordnung steht unter anderem ein Antrag, mit dem die AfD-Fraktion mehr Schulgartenunterricht fordert.