AfD-Parteitag: Urban wiedergewählt, Chrupalla unter Beschuss

In Weinböhla hat die sächsische AfD einen neuen Landesvorstand gewählt. An der Parteispitze bleibt vieles, wie es war, doch einige Personalien überraschen – und alle widersprechen dem AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla, der nach Hanau eine „Selbstreflexion“ anregen wollte.

Knapp 400 Delegierte sind am Sonnabend zum Landesparteitag im Zentralgasthof Weinböhla im Landkreis Meißen erschienen. Der alte und neue Generalsekretär Jan Zwerg eröffnete die Versammlung und gab den Rahmen vor, in dem man über die aktuelle Situation diskutieren müsse: „Die Verantwortung für die Spaltung der Gesellschaft liegt allein bei der Regierung mit Frau Merkel an der Spitze.“ Nach der Kemmerich-Wahl in Thüringen und den rassistischen Mordanschlägen in Hanau ist die Partei unter Druck geraten. Sie sieht sich zu Unrecht kritisiert und abgestraft, wie vor einer Woche bei der Hamburg-Wahl, als sie es nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde schaffte.

„…in den nächsten Jahren einen Bürgerkrieg“

Als Gastredner nahm dazu Alexander Gauland ausführlich Stellung, der Mitgründer der Partei, der heute ihr Ehrenvorsitzender ist und die AfD-Bundestagsfraktion anleitet. Ja, „auch wir haben Fehler gemacht“, sagte er, denn nicht immer würden Ton und Anliegen zusammenpassen. Dann wiederholte er, was er Anfang der Woche in Aussicht gestellt hatte: „Ich bin gerne bereit, auf bestimmte Begriffe zu verzichten“. Eine Mäßigung knüpft er aber an die Bedingung, dass „die anderen überhaupt mit uns kommunizieren wollten und aufhören, uns Nazis und Faschisten zu nennen.“ Die AfD sei die Partei der wirklichen Demokrat*innen, die nun perfiden Angriffen ausgesetzt seien und „keine Nachsicht oder auch nur Toleranz zu erwarten“ hätten.

Von einer – bislang hypothetischen – Mäßigung im Tonfall ist die Rede, seitdem sich kürzlich Parteichef Tino Chrupalla, der aus Sachsen stammt, mit einem Brief an alle Mitglieder wandte, darin Rassismus als „ehrlos“ kritisierte und dann auch noch zu einer „Selbstreflexion“ innerhalb der AfD aufrief. „Wir werden die Gesellschaft nicht retten, wenn wir uns auf das Niveau der Scharfmacher einlassen“, sagte Chrupalla nun in seinem Grußwort in Weinböhla. Ja, es gäbe „Entgleisungen“ in der Partei, und eine „primitive Gossenpöbelei“ dürfe nicht der Stil der AfD sein. Gesprächsbereit müsse man bleiben.

Doch dann ruderte er halb zurück: Die Partei sei das Opfer einer „beispiellos niederträchtigen Kampagne“ der Medien und politischer Gegner*innen. Mitglieder würden gesellschaftlich geächtet und isoliert. „Wenn das hier so weitergeht, dann haben wir in den nächsten Jahren einen Bürgerkrieg“, sagte er und schob nach: Das könne man nicht wollen.

Selbstkritik oder Erfolg

Chrupalla versucht offenbar, wieder einzufangen, was er losgetreten hat. Mit seinem Mitgliederrundschreiben hatte er erstmals erkennbar in die Entwicklung der Partei eingegriffen und war sofort auf Widerstand gestoßen – durch den völkisch-nationalistischen „Flügel“ natürlich, aber auch durch die Ostverbände, die Chrupalla bisher für ihren Mann im Bundesvorstand hielten. Die sächsischen Bundestags-Abgeordneten, die nach Weinböhla kamen – Jens Maier, Siegbert Droese, Ulrich Oehme, Karsten Hilse, Christoph Neumann und Detlev Spangenberg, der für den gastgebenden Kreisverband ein kurzes Grußwort hielt – winkten ab.

Faktisch alle, die beim Parteitag sprachen, ließen Chrupalla auflaufen. Mäßigung, Abrüstung, Selbstreflexion? Davon will niemand etwas wissen in Sachsen, wo der „Flügel“ konkurrenzlos ist. Dessen Anhänger – der Bundestagsabgeordnete Jens Maier sowie die Landtagsmitglieder Norbert Meyer und Roland Ulbrich – wurden gestern ins Landesschiedsgericht gewählt. Parteiverfahren gegen Rechtsausleger sind damit zum Scheitern verurteilt. Was auch auffällt: Nicht einmal auf die von Chrupalla vorgeschlagene Distanzierung von Rassismus, selbst wenn sie nur taktisch bedingt sein sollte, will irgendjemand einsteigen.

Der Flügel-Anhänger Jörg Urban, alter und neuer Landesvorsitzender, hatte es sogar ganz abgelehnt, zu dem Brief Stellung zu beziehen und bisher nur gesagt, dass er für eine Mäßigung keinen Grund sehe. Die „Aggressionen“, denen die AfD ausgesetzt seien, „haben uns hart gemacht“, sagte Urban nun. Wichtig sei derzeit vor allem, bei der Geschlossenheit zu bleiben, dank der die sächsische AfD zum „erfolgreichsten Landesverband“ geworden sei. Zu dessen innerer Entwicklung sagte er nicht viel, bemerkte nur, dass es in einigen regionalen Verbänden Probleme gibt. Die Partei, so mag man es verstehen, könne nur eines sein: selbstkritisch oder erfolgreich.

Landesspitze bestätigt

Der wichtigste Teil des Parteitags, die turnusmäßige Neuwahl des Landesvorstandes, wurde gestern für AfD-Verhältnisse ungewöhnlich zügig abgehandelt, so dass die ursprünglich auf zwei Tage ausgelegte Versammlung vorzeitig zuende ging. Das Ergebnis entspricht weitgehend den Erwartungen:

Als Vorsitzender wurde Jörg Urban bestätigt, er erhielt 87,5 Prozent der Stimmen, nur 47 Delegierte votierten gegen ihn. Sein Ergebnis liegt damit nur geringfügig unter dem Zuspruch, den er vor zwei Jahren erhalten hatte, als er ins Amt gekommen war, als Nachfolger Frauke Petrys. Konkurrenz hatte er nicht zu fürchten. Das galt auch für den Generalsekretär, Urbans rechte Hand: Jan Zwerg bewarb sich erneut auf diesen Posten. Er erhielt nur 74,2 Prozent der Stimmen, mehr als zehn Prozentpunkte weniger als Anfang 2018. Lediglich hier zeigten sich kleine Risse in der vorgeblichen Geschlossenheit, denn immerhin 93 Delegierte stimmten gegen Zwerg.

Erster stellvertretender Vorsitzender wurde, wie bisher, Siegbert Droese (74,7 Prozent). Zum zweiter Stellvertreter wurde Joachim Keiler gewählt, auch er kann seinen bisherigen Posten behalten. Allerdings gelang ihm das mit 50,1 Prozent nur äußerst knapp. Gegen ihn trat Ulrich Oehme an, der so für die einzige echte Kampfabstimmung beim Parteitag sorgte. Zu Keilers fallender Popularität mag beigetragen haben, dass er mitverantwortlich gemacht wird für das Listendebakel der Partei im vergangenen Jahr, als sie nicht mit allen Kandidierenden zur Landtagswahl antreten durfte. Den Posten als dritte stellvertretende Vorsitzende erhielt Martina Jost (85,7 Prozent). Die Landtagsabgeordnete war bislang Beisitzerin gewesen und rückt nun auf für Maximilian Krah, der sich nicht erneut zur Wahl stellte; aus Zeitgründen, wie er vorab mitgeteilt hatte.

Veränderungen ergeben sich auch beim Schatzmeister: Lange Zeit war das die exklusive Domäne von Carsten Hütter gewesen. Er will sich nun auf seine Aufgaben als Finanzchef des Bundesvorstandes und als Co-Leiter des Bundeskonvents konzentrieren. Ihn ersetzt der Landtagsabgeordnete Torsten Gahler (77,0 Prozent), der bislang Hütters Stellvertreter war. Neue stellvertretzende Schatzmeisterin wurde Doreen Schwietzer, auch sie sitzt im Landtag.

Überraschende Beisitzer*innen

Satzungsgemäß wurden noch sechs Beisitzer*innen gewählt. Einer dieser Posten war seit geraumer Zeit leer geblieben. Er hatte Benjamin Przybilla gehört, der im Streit aus der Partei ausgetreten ist und sich André Poggenburgs glückloser Abspaltung „Aufbruch deutscher Patrioten“ angeschlossen hat. Die ersten drei Beisitzer-Posten gingen an den Bundestagsabgeordneten Karsten Hilse (88,8 Prozent), der neu im Landesvorstand ist, sowie an das Landtagsmitglied Sebastian Wippel (92,2 Prozent) und den Landes-Pressesprecher Andreas Harlaß (85,5 Prozent), die diese Posten auch bisher besetzt hatten. Alle drei galten als gesetzt, sie stießen nicht auf Gegenkandidat*innen.

Die Wahl für die vierte Beisitzer*in endete mit einer ersten Überraschung. Die Delegierten entschieden sich für Nicole Klinger aus Leipzig, die bislang kaum bekannt ist. Kurz nach der Landtagswahl im vergangenen Jahr hatte die Wochenzeitung Die Zeit die 27-Jährige in einem Streitgespräch mit dem CDU-Landeschef und Ministerpräsidenten Michael Kretschmer diskutieren lassen. Damals gab sie sich als eine gewöhnliche Konservative aus, die von der Politik der CDU enttäuscht sei und jetzt mangels besserer Alternativen die AfD wähle. Im Verlauf des Gesprächs behauptete sie, eine Ausbildung zur pharmazeutisch-technischen Assistentin zu absolvieren und von sehr wenig Geld leben zu müssen.

Nachgeprüft hatte das der verantwortliche Zeit-Redakteur Martin Machowecz offenbar nicht. Den Delegierten in Weinböhla berichtete Klinger nämlich etwas ganz anderes: Statt einer Berufsausbildung war nun die Rede von einem Design-Studium mit Schwerpunkt Werbepsychologie. Mehrere Auslandsaufenthalte will Klinger absolviert haben, nach eignenen Angaben habe sie sogar „im Wahlteam von Marine Le Pen“ gearbeitet. Mindestens eine ihrer beiden Biographien ist erfunden. Künftig will sie sich vor allem um Russlanddeutsche bemühen. Ihr Themenschwerpunkt im Kreisverband Leipzig war zuletzt ein anderer: Sie bot intern Vorträge zum „Genderwahn“ und zum Feminismus an, den sie als „Männerhass“ bezeichnet.

Straftäter im Vorstand

Weit bekannter ist der fünfte Beisitzer. Es handelt sich um Daniel Zabel (52,7 Prozent). Der Justizbeamte hatte vor anderthalb Jahren nach der Tötung des Chemnitzers Daniel H. unbefugt einen Haftbefehl gegen einen Geflüchteten aus dem Irak veröffentlicht, dessen Unschuld sich später herausstellte. Das Dokument wurde unter anderem durch Pegida und einzelne AfD-Politiker*innen verbreitet, die Stimmung in Chemnitz dadurch zusätzlich angefacht.

Zabel bekannte sich damals öffentlich als Urheber des „Leaks“ und wurde in der rechten Szene als Held gefeiert. Ende 2018 trat er der AfD bei, im Frühjahr 2019 kandidierte er für die Partei erfolglos zur Dresdner Stadtratswahl. Dann holte ihn die Vergangenheit ein: Im Oktober verurteilte ihn das Amtsgericht Dresden wegen der Verletzung von Dienstgeheimnissen zu elf Monaten Haft, ausgesetzt zur Bewährung, und zur Ableistung von Arbeitsstunden. Vor Gericht waren Chatprotokolle Zabels verlesen worden, in denen von „Kanacken-Klatschen“ die Rede ist. Die Staatsanwaltschaft ging von einem klar rassistischen Motiv aus.

Nach wie vor ist Zabel Beamter, aber immer noch suspendiert. Seine berufliche Zukunft hängt von einem laufenden Disziplinarverfahren ab – und vom Ausgang weiterer Ermittlungen wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt. Zabel wird vorgeworfen, gemeinsam mit anderen sächsischen Justizbeamten Strafgefangene misshandelt zu haben.

Ex-Petry-Gefolgsmann

Eine Überraschung war auch der sechste und letzte Beisitzer, Matthias Moosdorf (50,8 Prozent). Er ist jetzt die mit Abstands schillerndste Person an der Spitze der Sachsen-AfD. Eigentlich ist er kein Politiker, sondern professioneller Musiker, spielt unter anderem beim Leipziger Streichquartett. Über sein Faible für klassische Musik berichteten bereits 2011 das rechtsradikale Compact-Magazin sowie die neurechte Wochenzeitung Junge Freiheit, für die Moosdorf selbst gelegentlich schreibt.

Im Jahr 2016 hatte der Polit-Quereinsteiger zum engsten privaten Umfeld von Frauke Petry gehört und dadurch Zugang zum Machtzentrum der Partei. Es war Petry, die ihn von einem Parteieintritt überzeugte, und es war Moosdorf, der ihre standesamtliche Trauung mit Marcus Pretzell arrangierte. Bei der Trauungszeremonie spielte er sogar auf seinem Cello. Entlohnt wurde er mit einer kurzzeitigen Anstellung bei der sächsischen Landtagsfraktion, bevor er Anfang 2017 plötzlich in Ungnade fiel. Nach Medienrecherchen soll sich Moosdorf mit Petry und Pretzell um eine größere Geldsumme gestritten haben.

Selbstdarstellung als Partei-Intellektueller

Moosdorf selbst sprach damals von einer unerklärlichen „Kaltstellung“ und behauptete, Petry zuvor verschiedene Kontakte nach Russland vermittelt zu haben, unter anderem zu einem Berater Putins. Etwa zeitgleich fiel auch ein weiterer Petry-Berater in Ungnade, Michael Klonovsky, der ebenfalls im Landtag arbeitete. Durch Klonovsky, der anschließend Berater und Redenschreiber für Alexander Gauland wurde, hatte Moosdorf über die inzwischen geschasste Petry hinaus weiter Zugang zum inneren Zirkel der AfD.

Im Sinne der AfD arbeitete er unter anderem am Aufbau der Gustav-Stresemann-Stiftung mit, die ein Anwärter darauf war, die offizielle parteinahe Stiftung zu werden. Zugleich erhielt er eine Anstellung bei dem aus Bayern stammenden AfD-Bundestagsmitglied Martin Hebner und koordinierte als dessen Mitarbeiter die Kampagne gegen den UN-Migrationspakt. Es handelte sich um eine europaweit ausgespielte Angst-Imitiative, mit der suggeriert wurde, es fänden regelrechte „Umsiedlungen“ statt, eine organisierte „Völkerwanderung“ zum Beispiel nach Deutschland.

Seit diesem Erfolg bemüht sich Moosdorf um eine Profilierung als frei- und schöngeistiger Intellektueller. In dieser Rolle war er Mitinitiator der fremdenfeindlichen „Erklärung 2018“. Mit dem Versuch, sich von der sächsischen AfD als Kandidat zur Europawahl im vergangenen Jahr aufstellen zu lassen, war er allerdings gescheitert. Derzeit ist er einer der Initiatoren der Petition „Schluss mit dem Missbrauch des Nazi- und Faschismusbegriffes in der politischen Auseinandersetzung!“ – die bisher aber nicht besonders erfolgreich läuft.

Wiesner chancenlos, Teichmann raus

Das Nachsehen hatten in Weinböhla einige andere Bewerber*innen. So wollte der Landtagsabgeordnete Alexander Wiesner, der auch Vorsitzender der verfassungsfeindlichen Jungen Alternative in Leipzig ist, ebenfalls Beisitzer werden. Er scheiterte aber in mehreren Wahlgängen. Künftig nicht mehr im Vorstand vertreten ist der Abgeordnete Ivo Teichmann, der auf kommunalpolitische Fragen spezialisiert ist. Er hatte angekündigt, erneut zu kandidieren, stellte sich den Delegierten jedoch nicht zur Wahl.

Laut Satzung kann der Landesvorstand über die gewählten Mitglieder hinaus zwei weitere Personen kooptieren. Der Europaabgeordnete Maximilian Krah, der bislang stellvertretender Landesvorsitzender war, hat sein Interesse bereits bekundet. Er hätte dann eine beratende Rolle, aber kein Stimmrecht mehr in dem Leitungsgremium.