Zwist in Zwickau

Schwerer Krach in der Zwickauer AfD: Die Stadtratsfraktion hat ihren Vorsitzenden Sven Itzek abgesägt. Es ist der vorläufige Höhepunkt jahrelanger Machtkämpfe. Womöglich profitiert davon ein Landtagsabgeordneter. idas-Recherchen belegen zudem, dass Itzek mit einem bekannten Neonazi kooperiert hat.

Die AfD-Stadtratsfraktion in Zwickau hat ihren Fraktionsvorsitzenden Sven Itzek abgesetzt. Am Dienstag veröffentlichte die Fraktion ein Statement, wonach man ihm „mit einem mehrheitlichen Stimmungsbild das Vertrauen entzogen“ habe. Der Vorwurf: Itzek soll mit dem Gedanken gespielt haben, zur anstehenden Wahl einer Oberbürgermeister*in der eigenen Partei untreu zu werden und stattdessen einer CDU-Kandidatin zu helfen. Zudem habe „ein stadtbekannter Unternehmer versucht, massiven Einfluss auf den Wahlkampf der Partei zu nehmen“. Davon habe sich Itzek nicht distanziert.

Konkurrenz um die Kandidatur

Demnächst soll der Immobilienmakler Itzek auch formal aus der Stadtratsfraktion ausgeschlossen werden. Gegenüber der Freien Presse bestreitet er die Vorwürfe, die für ihn überraschend gekommen und aus seiner Sicht „vollkommen haltlos“ seien. Er könne sich den Vorgang gar nicht erklären: „Ich soll mich von irgendetwas distanzieren und weiß gar nicht, wovon“, sagte er. Im Hintergrund tobt ein Streit darum, wen die AfD als Kandidaten zur Oberbürgermeister*innen-Wahl nominiert.

Am 7. Juni wird der erste Wahlgang stattfinden. Itzek hatte seine Bereitschaft signalisiert, anzutreten, und er wäre prädestiniert gewesen. Seit 2014 sitzt er für seine Partei im Zwickauer Stadtrat und im Kreistag des Landkreises Zwickau. Bereits 2015 wollte er Oberbürgermeister werden und erhielt damals im ersten Wahlgang 13,3 Prozent der Stimmen. Im zweiten Wahlgang trat er nicht mehr an, sondern empfahl, den CDU-Kandidaten zu wählen. Der scheiterte an der Amtsinhaberin Pia Findeiß (SPD). Weil sie kürzlich ihren Rücktritt ankündigte, kommt es zur Neuwahl.

Für die AfD würde aber auch Wolfram Keil gerne kandidieren. Anders als Itzek, der bereits im Gründungsjahr der AfD beitrat, kam der Unternehmer erst 2016 hinzu und legte seitdem einen raschen Aufstieg hin. Er ist der aktuelle Kreisvorsitzende, im Frühjahr vergangenen Jahres zog er für die Partei in den Stadtrat und den Kreistag ein – und im Herbst in den Landtag. Dort vertritt er die AfD im Wirtschaftsausschuss. Inzwischen hat Keil bestätigt, dass er Oberbürgermeister werden möchte. Dafür würde er sogar sein lukratives Landtagsmandat aufgeben: „Die Stadt Zwickau ist mir aber näher als das Land Sachsen“, sagte er der Freien Presse. Das hätte Folgen im Parlament, denn weil es keine Nachrücker*in gibt, würde die derzeit 38-köpfige AfD-Fraktion schrumpfen.

Heimliche Unterstützung für die CDU?

Itzeks Absetzung geht offenbar auf Keil zurück. Er behauptet nun, sich gemeinsam mit Itzek vor einigen Wochen bei Kurt Fliegerbauer getroffen zu haben – jenem „stadtbekannten Unternehmer“, dem jetzt vorgeworfen wird, Einfluss auf den geplanten AfD-Wahlkampf genommen zu haben. Demnach soll Fliegerbauer geraten haben, den eigenen Wahlkampf „mit angezogener Handbremse“ zu führen und unter der Hand die CDU-Kandidatin zu unterstützen. Fliegerbauer gibt an, dass Keil von ihm Geld für den AfD-Wahlkampf haben wollte, er ihn aber abblitzen ließ. Weil Fliegerbauer und Itzek eng befreundet sich, macht Keil das seinem bisherigen Parteifreund zum Vorwurf.

Die aktuellen Verwerfungen sind der neueste Höhepunkt jahrelanger Fehden in der Zwickauer AfD. Itzek hatte den Kreisverband einst aufgebaut, war lange selbst Kreisvorsitzender und sitzt aktuell noch im Vorstand. An ihm hatte es bereits 2014 Kritik gegeben. Damals war bekannt geworden, dass unter seiner Verantwortung Paul Morgenstern als Mitglied aufgenommen worden ist, ein Rechtsrock-Musiker aus dem Umfeld der verbotenen „Blood & Honour“-Organisation. Der Neonazi trat daraufhin aus eigenen Stücken wieder aus. Itzek behielt seinen Ruf, eher zum „liberalen“ Parteiflügel zu gehören. Tatsächlich war er stets ein Unterstützer Frauke Petrys gewesen.

Als Petrys Stern zu sinken begann, geriet Itzek wieder unter Beschuss. Als Anfang 2017 der Kreisvorstand turnusgemäß neu gewählt wurde, musste er sich gegen Janin Klatt-Eberle behaupten, die vom völkisch-nationalistischen „Flügel“ kommt. Itzek bestand die Kampfabstimmung, allerdings mit Methoden, die ihm hinterher vorgeworfen wurden. So soll er gezielt Mitglieder des rassistischen Bürgerforum Zwickau, einem Pegida-ähnlichen Protestbündnis, aufgenommen haben, die für ihn stimmten.

Stimmen von rechtsaußen

Mit in Itzeks Vorstand wurde damals Alexander Schwarz gewählt, der zugleich zum Vorstand des Bürgerforums gehörte. Auch er kommt aus der Neonaziszene, spielte unter anderem bei einer „Blood & Honour“-Band den Bass. Dass er plötzlich AfD-Funktionär wurde, war kein Zufall. Denn das Bürgerforum hatte bereits 2015 diskutiert, die AfD regelrecht zu infiltrieren und dafür Itzek zu verdrängen. Nun war man ausgerechnet mit dessen Hilfe erfolgreich. Ein weiterer Mann rückte zum selben Zeitpunkt in den von Itzek geleiteten Vorstand auf: Wolfram Keil, der jetzige Landtagsabgeordnete und wahrscheinliche OBM-Kandidat, wurde zum Beisitzer gewählt.

Zu seinem Verhältnis zum Bürgerforum hat er sich nie geäußert. Aber: Keil und Schwarz traten im Oktober 2017 zeitgleich aus dem Kreisvorstand zurück. Zur Begründung wurden „unüberbrückbare Differenzen“ angegeben, die bei der Arbeit des Vorstandes aufgetreten seien. Itzek war zu der Zeit bereits demontiert. Nur zwei Monate nach der für ihn erfolgreichen Vorstandswahl trat er als Vorsitzender zurück. Er gab dafür „dringende persönliche Gründe“ an, von gesundheitlichen Problemen war die Rede. In Zwickau, so scheint es, geht man generell nicht gerne ins Detail.

Das Kräftemässen in Itzeks Verband war eskaliert, nachdem Benjamin Przybilla als Direktkandidat zur Bundestagswahl 2017 aufgestellt wurde – tatkräftig unterstützt durch Janin Klatt-Eberle, der soeben erst unterlegenen Kontrahentin bei der Wahl des Kreisvorsitzes. Beide ließen kein gutes Haar an Itzek. Einen der Vorwürfe, wonach es zu Unregelmäßigkeiten bei den Finanzen des Kreisverbandes gekommen sei, ließ Itzek gerichtlich untersagen. Als Direktkandidat wurde Przybilla abgesägt, später ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet. Er schloss sich letztlich André Poggenburgs „Aufbruch deutscher Patrioten“ an, einer inzwischen gescheiterten Rechtsabspaltung von der AfD.

Itzek und Keil waren ein Team

Um den gebeutelten Kreisverband zu stabilisieren, wurde Ende 2018 wiederum ein neuer Vorstand gewählt, offenbar auch auf Druck des Landesverbandes. Die Mitglieder wählten nun Wolfram Keil zum Vorsitzenden. Auch Itzek war wieder mit von der Partie, von nun als einfacher Beisitzer. Die beiden Männer verstanden sich zu jener Zeit gut, kurz darauf wurde Keil als Kandidat zur Landtagswahl aufgestellt. Gemeinsam gründeten beide zudem einen Unterstützer-Verein, den „Interessenverband AfD Zwickau“. Der Zusatz „AfD“ wurde wenig später aus dem Vereinsnamen gestrichen. Öffentlich trat der Verein nie in Erscheinung, sein genauer Zweck ist unklar.

Bekannt ist aber, dass Keil im Frühjahr 2019 eine dubiose Spendenkampagne zugunsten der AfD betrieb. Dafür wurde bei einer kommerziellen Adressdatenbank ein Datensatz von 2.500 Anschriften im Landkreis Zwickau gekauft, bei denen in der Folge Briefe mit der Aufforderung eingingen, „die rotrotgrüne Bestrahlung der sächsischen Wirtschaft“ zu beenden und die AfD finanziell zu unterstützen. Der Brief erreichte auch Vereine und öffentliche Einrichtungen, die überhaupt nicht an Parteien spenden dürfen – und die damit zu illegalen Parteispenden aufgefordert wurden. Keil sprach von „Fehlläufern“.

Itzek äußerte sich dazu nicht. Als seine Zusammenarbeit mit Keil enger wurde, hatte er gerade einen anderen engen Freund und langjährigen politischen Weggefährten verloren: Frank-Frieder Forberg trat vor gut einem Jahr aus der AfD aus und wurde daraufhin als Geschäftsführer der Zwickauer AfD-Stadtratsfraktion abgesetzt. An seinem letzten Arbeitstag, so berichtet er es, habe er im Briefkasten eine Neun-Millimeter-Patrone gefunden. Itzek trat heftig nach und warf Forberg vor, Fraktionsgelder veruntreut zu haben. Unter anderem soll er Flyer für die „Blaue Partei“ gedruckt haben, die Frauke Petry inzwischen als Konkurrenz zur AfD gegründet hatte und der Forberg dann auch selbst beitrat. Er soll außerdem versucht haben, weitere Zwickauer AfD-Mitglieder zu einem Übertritt zu bewegen. Forberg selbst erklärte damals, dass er nur umsetzen wollte, was unter anderem mit Itzek ausgemacht gewesen sei: ein möglichst geschlossener Übertritt zu Petry. Itzek, der lange ein Petry-Gefolgsmann war, bestreitet, dass er jemals wechseln wollte. Auch aktuell erklärte er, in der AfD bleiben zu wollen.

Der Scientologe und der Neonazi

In der Zwickauer AfD hat sich viel Konfliktpotential aufgestaut, teils angehäuft durch Itzek selbst, der nun das Nachsehen hat. Allerdings war sein Kontakt mit Kurt Fliegerbauer, den man ihm jetzt vorhält, nie ein Geheimnis. Beide sind in der Immobilienbranche aktiv. Und Fliegerbauer ist in Zwickau bekannt wie ein bunter Hund, umstritten zudem, denn er gehört der Scientology-Sekte an. Vor einigen Jahren wurde in Parteikreisen sogar kolportiert, dass Itzek selbst ein Scientologe sein könnte. Er hat sich dazu nie öffentlich geäußert.

Fliegerbauer ist auch unabhängig davon eine schillernde Figur, er gilt als „Baulöwe“, der zahlreiche Immobilien in der Stadt erworben hat und bis heute saniert. Zuletzt hatten sich mehrere Untersuchungsausschüsse zum rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) mit ihm befasst. Grund: Ab den späten 1990er Jahren vermietete Fliegerbauer mehrere seiner Objekte an Ralf Marschner, einen überregional bekannten Neonazi. Der eröffnete dort Bekleidungsgeschäfte für die rechte Szene. In einem der Läden soll einer Zeugenaussage zufolge die Rechtsterroristin Beate Zschäpe heimlich gearbeitet haben, die sich ab Mitte 2000 gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Zwickau versteckt hielt. Zu der Zeit gründete Marschner zudem ein kleines Bauunternehmen. Gemeinsam mit einigen Mitarbeitern, die größtenteils auch aus der rechten Szene kamen, arbeitete er auf Baustellen im ganzen Bundesgebiet. Mehrere Zeugenaussagen legen nahe, dass der Rechtsterrorist Uwe Mundlos unter einem falschen Namen beteiligt war. Unbestritten ist, wie der Hauptauftraggeber für Marschner und seinen braunen Bautrupp hieß: Kurt Fligerbauer.

Die Gründe für die zeitweise enge Geschäftsbeziehung von Marschner und Fliegerbauer liegen bis heute im Dunkeln. Bei den NSU-Ermittlungen wurden sie nicht erhellt, Fliegerbauer nie als Zeuge vernommen. Das mag daran liegen, dass Marschner ein V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz war – jener Behörde, die bis heute behauptet, vom NSU nichts gewusst zu haben. Mehrere Verfassungsschutz-Behörden beobachten allerdings auch Scientology.

Itzek machte Geschäfte mit Ralf Marschner

Marschners Geschäfte waren zumindest auf dem Papier zu keinem Zeitpunkt profitabel, er ging bankrott. Weil er das nicht rechtzeitig meldete, wurde er 2009 wegen Insolvenzverschleppung zu einer Geldstrafe in Höhe von 4.500 Euro verurteilt. Marschner zahlte die Buße nie, er hatte sich schon vorher in die Schweiz abgesetzt. Von dort wird er nicht ausgeliefert, obwohl die Staatsanwaltschaft Chemnitz einen Vollstreckungshaftbefehl erwirkt hat.

Aus Marschners Insolvenzunterlagen, die idas vorliegen, ergibt sich aber, dass der Neonazi nicht nur Geschäfte mit Fliegerbauer, sondern auch mit dem späteren AfD-Politiker Sven Itzek machte. So verkaufte ihm Itzek im Jahr 2001 ein unbebautes Grundstück in der Zwickauer Kleiststraße. Für die Fläche im Umfang von rund 550 Quadratmetern sollte Marschner einen eher symbolischen Kaufpreis von lediglich einem Euro zahlen. Warum der Preis so niedrig war, ist unklar. Der Kaufvertrag wurde vor einem Notar geschlossen. Der Eigentümerwechsel kam aber nie zustande, Marschner wurde letztlich nicht ins Grundbuch eingetragen. Stattdessen häufte Marschner bei Itzek Schulden an, weil er Mietzahlungen für Räume in der Zwickauer Heinrich-Heine-Straße 18 nicht entrichtete.

Eine Zeit lang war diese Adresse die Melde- und Geschäftsanschrift sowohl von Itzek, als auch von Marschner. Genau dort ist Itzek bis heute ansässig, dieselbe Anschrift gab er an, als er im April 2013 der AfD beitrat. Später entstand dort ein AfD-Büro, offiziell handelt es sich bis heute um die Geschäftsstelle der Zwickauer AfD-Kreistagsfraktion. Genau wie Fliegerbauer wurde auch Itzek zu den mutmaßlichen NSU-Verbindungen nie von der Polizei befragt. An der Aufarbeitung des NSU-Komplexes ist ihm sowieso nicht gelegen. 2016 opponierte er, als der Zwickauer Stadtrat einen Zuschuss für ein Theaterprojekt bewilligte, das sich mit dem Thema auseinandersetzt.