Alternative für Doppelmoral

Sächsische Landtagsmitglieder sollen mehr Geld für sich und für ihre Mitarbeiter*innen erhalten. Die AfD kritisiert das: Angeblich würden so Versorgungsposten für gescheiterte Abgeordnete und für Personal ohne „richtigen“ Beruf geschaffen. Solche Fälle gibt es wirklich – und zwar in den Reihen der AfD.

Die Diäten im Sächsischen Landtag werden steigen. Das ist eine eher unspektakuläre Nachricht, weil das jedes Jahr passiert und jedes Mal kritisiert wird. Dafür finden sich auch gute Gründe: Die Erhöhungen sind Privileg und Automatismus zugleich, zumal sich die Abgeordneten ihre Bezüge selbst genehmigen. Nach den neuen Plänen der Jamaika-Koalition soll 2020 nicht nur die sogenannte Grundentschädigung angehoben werden, die alle Abgeordneten erhalten und die als steuerpflichtiges Einkommen gilt. Sondern auch das Budget für die persönlichen Mitarbeiter*innen wird aufgestockt. Bislang reicht es zur Ausfinanzierung von anderthalb Stellen pro Landtagsmitglied, künftig sollen es zweieinhalb sein.

„Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal“

Die Details waren noch nicht bekannt, da meldete sich am vergangenen Mittwoch bereits die sächsische AfD-Fraktion mit einer Pressemitteilung zu Wort, um die „Selbstbedienungsmentalität“ der „Altparteien“ zu schelten: CDU und SPD, die bei der Landtagswahl Stimmen einbüßten und Mandate verloren, würden nun „um jeden Preis ihre Wahlverlierer auf Kosten des Steuerzahlers durchfüttern“ wollen, heißt es im Namen des Fraktionsvorsitzenden Jörg Urban. Er behauptet: Die Personalbudgets hebe man nur an, um die „Verlierer“, die „auf dem freien Arbeitsmarkt keine Chance“ hätten, nun „an anderer Stelle unterbringen“ zu können. Die Kritik war wohlfeil genug, um die AfD mit ihren Unterstellungen gleich in mehreren sächsischen Medien zu zitieren.

Weil das Thema zieht, wurde die kurze Pressemitteilung inzwischen noch etwas aufgebläht und erschien am Wochenende als „Sonntagskolumne“ von Jörg Urban, die eine berüchtigte Fake-News-Fundgrube ist. Wer nicht mehr gewählt wird, müsse in seinen alten Beruf zurückkehren, heißt es dort, sonst werde die Demokratie ausgehebelt. Aber das Personal der „Altparteien“ habe oft keinen „richtigen“ Beruf erlernt und eigentlich nie etwas anderes gemacht als Berufspolitik. Die „Parteisoldaten“ lebten nach dem Motto „Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal“. Sie würden den Staat angeblich als großen „Selbstbedienungsladen“ missbrauchen. Bestes Beispiel – das mit dem Thema allerdings wenig zu tun hat – sei der Ministerpräsident, dessen Lebenspartnerin in einem Ministerium auf „einer extra für sie neu geschaffenen Stelle“ arbeite.

Ganz anders sei das, selbstverständlich, bei der AfD: „In unserer Fraktion finden Sie eine Vielzahl an Handwerkern, Polizisten, Ingenieuren und Selbständigen“, die auf ihr Mandat nicht angewiesen sind. Die keine Versorgungsposten brauchen. Die nicht nehmen, sondern geben wollen. Und die jederzeit in ihren alten Job zurückfinden können. So weit die Behauptung.

In Finanzfragen intransparent

Es steht auf einem anderen Blatt, ob die AfD angesichts ihrer Spendenskandale oder ihrer fraglichen Haushaltskompetenz berufen ist, etwas zu Finanzfragen zu sagen. Das ist ihr unbenommen – wie es unausweichlich ist, dass sie von der kommenden Diätenerhöhung als zweitstärkste Fraktion auch am zweitmeisten profitieren wird. Zwar dürfen die Fraktion und deren Abgeordnete nicht die Partei querfinanzieren, aber durch obligatorische „Mandatsträgerabgaben“ landet ein Teil des Geldes genau dort. Und dort, unter den Mitgliedern, öffnet sich auch der Personalpool, aus dem die AfD-Abgeordneten ihre Mitarbeiter*innen abfischen können.

Wer genau das bisher ist und künftig sein wird, ist kaum nachzuvollziehen. Zwar machen etliche Abgeordnete weit über das gesetzliche vorgeschriebene Maß hinaus transparent, was sie einnehmen, was sie ausgeben, wer für sie tätig ist. Aber bei der AfD ist das durchweg nicht der Fall, keine ihrer sächsischen Landtagsabgeordneten gibt so etwas preis. Ganz gewiss agiert Urbans Fraktion jedoch in vielen Punkten genau in der Weise, die er allen anderen vorwirft.

AfD-Jobs für „Wahlverlierer“

Gleich mehrere Fälle zeigen, dass es die AfD ist, die ihre „Wahlverlierer“ auf Kosten der Steuerzahler*innen durchfüttert. So sollte zur Landtagswahl im Jahr 2014 Thomas Hartung auf dem zweiten Listenplatz kandidieren, gleich hinter Frauke Petry. Er war einer der Mitgründer der sächsischen AfD gewesen und damals auch Vize-Landeschef. Auf seine Kandidatur, die ein sicheres Ticket ins Parlament gewesen wäre, musste er aufgrund öffentlichen Drucks verzichten, weil er einen Lehrer mit Down-Syndrom beleidigt hat.

Presseberichte, wonach Hartung nach der Wahl mit einem lukrativen Fraktionsjob „entschädigt“ werden soll, dementierte die Partei damals. Merkwürdig: Bis Ende 2019 stand Hartung tatsächlich auf der Gehaltsliste der AfD-Fraktion.

Zwischenzeitlich gab es wieder eine Landtagswahl. Karin Wilke, die bisher für die AfD im Parlament gesessen hatte, wollte ihre Laufbahn als Berufspolitikerin gerne fortsetzen, bewarb sich um den sicheren sechsten Listenplatz – kam bei den eigenen Mitgliedern aber nicht gut an und auf der aussichtslosen Position 37 raus. Vom Landtag musste sie trotzdem keinen Abschied nehmen: Sie ist jetzt nicht mehr Abgeordnete, sondern neuerdings Beraterin der AfD-Fraktion. Ganz ähnlich erging es Silke Schöps, die für die AfD im Dresdner Stadtrat sitzt. Sie wollte im vergangenen Jahr den Sprung in den Landtag schaffen, kam aber nur an das hintere Ende der Landesliste. Auch sie bekam eine Trostpflaster-Stelle in der neuen Landtagsfraktion.

„Er braucht das Mandat, er braucht einen Job“

Daneben gibt es unter den Abgeordneten der AfD auch solche, die „auf dem freien Arbeitsmarkt keine Chance“ haben. Ein Beispiel ist André Barth. Der Volljurist zog 2014 erstmals in den Landtag ein, im Jahr darauf verlor er seine Zulassung als Rechtsanwalt. Da er das zunächst nicht publik machen wollte, verdonnerte ihn das Parlament zu einem Ordnungsgeld. Vor der Landtagswahl 2019 stand er vor der Frage, wie seine berufliche Zukunft aussähe, wenn er, der nicht ohne weiteres in seinen alten Beruf zurückkehren kann, die Wahl verpatzt. Die Welt am Sonntag porträtierte ihn in so:

„André Barth hat keine Wahl, so sieht er das. Er braucht das Mandat, er braucht einen Job, ein Einkommen. Er hat alles auf diese eine Karte gesetzt, die Politik. (…) Was würde er eigentlich machen, wenn er nicht wiedergewählt würde? Barth sagt, er habe keine Ahnung.“

Barth hat so sehr darauf gefiebert, Berufspolitiker bleiben zu können, dass er sich vor dem Wahltermin ungewöhnliche Unterstützung von außen herbeisehnte, um einen Erfolg der AfD und damit seiner eigenen Kandidatur zu erzwingen – nämlich einen islamistischen Terroranschlag, einen „Anis Amri 2“. Barth wurde letztlich wiedergewählt, dank eines vorderen Listenplatzes. Seine Gewaltphantasie widerrief er nicht.

Neben ihm zogen auch AfD-Kandidat*innen in den Landtag ein, die später nicht in den Job zurückkehren können, aus dem sie kamen, bevor sie gewählt wurde. Teils, weil sie keiner regulären Beschäftigung nachgegangen sind. Teils, weil sie einer anderen Arbeit nachgingen, als sie behaupten. So bezeichnet sich der Abgeordnete Jan Zwerg, der zugleich Generalsekretär der Sachsen-AfD ist, als „Unternehmer“. Wer im Handelsregister sucht, wird fündig, allerdings weit in der Vergangenheit, im Jahr 1990. Bevor er in den Landtag kam, war er Angestellter eines Haustechnik-Unternehmens.

„Extra geschaffene Stellen“

Gibt es, um das Maß voll zu machen, bei der AfD-Fraktion womöglich auch so etwas wie „extra geschaffene Stellen“ für nahe Angehörige, die einzurichten man dem Ministerpräsidenten vorwirft? Ja: Vor zwei Jahren wurde eine Stelle für eine „studentische Mitarbeiterin“ geschaffen, die es vorher nicht gegeben hat. Dort wurde eine junge Frau postiert, die aus Meißen stammt und zu dieser Zeit an der TU Chemnitz studierte, ein Stück entfernt vom Landtag, der in Dresden steht. Sie ist die Tochter von Mario Aßmann, den die Fraktion mehrfach als „Sachverständigen“ zu Anhörungen des Sozialausschusses heranzog, und der außerdem als AfD-Wahlkampfmanager zur Landtagswahl 2019 fungierte.

Man muss nicht so weit gehen wie die AfD und unterstellen, dass hier auf Kosten von Steuerzahler*innen „Parteisoldaten“ belohnt und Jobs für sie oder Angehörige rausgeschlagen werden, dass Versorgungsposten als Quidproquo für Leistungen im Hintergrund oder als Ausgleich für ein Versagen an der Wahlurne entstehen. Es genügt, die Kritik der AfD an den „Altparteien“, an der Aufstockung der Diäten und des Personalbudgets als das zu bezeichnen, was sie ist: ein besonders dreister Fall von Doppelmoral.