AfD-Landeschef erfindet „Blutbad in Connewitz“

Auf der Website „Blaue Landespost“ speist die sächsische AfD seit knapp zwei Jahren ihre Berichte ein. Man wolle damit „aktuell und kompetent über politische Ereignisse“ informieren, hatte es zum Start des Projekts geheißen. Am vergangenen Sonntag erschien dort eine bemerkenswerte „Sontagskolumne“, die nicht nur an der sprachlichen Kompetenz ihres Autors zweifeln lässt. Der ist kein geringerer als der Landes- und Fraktionsvorsitzende Jörg Urban, seine Botschaft lautet: „Wir fordern ein Antifa-Verbot.“ Um das Ziel zu untermauern, verfälscht und erfindet er Fakten.

Nach den strittigen Ereignissen der Silvesternacht geht es Urban um Connewitz an sich. Über die seiner Kenntnis nach dort heimische „militante Antifa“ und über nicht näher beschriebene „Linksextremisten“ schreibt er gleich zu Beginn: „Das Programm dieser Szene ist rohe Gewalt. Bereits seit vielen Jahren lässt sich das nicht nur bei Großereignissen, sondern auch im Alltag beobachten. Nehmen wir nur einmal den 12. Dezember 2015: Quasi aus dem Nichts heraus richteten linke Gewalttäter an diesem Tag ein Blutbad in Connewitz an.“

Alltag? Am 12. Dezember 2015 wollten Neonazis mit mehreren Aufzügen gleichzeitig durch den Leipziger Stadtteil Connewitz ziehen, begleitet von Aufrufen in sozialen Netzwerken, „Connewitz in Schutt und Asche zu legen“. Die Stadt Leipzig durchkreuzte diese geplante Provokation und gestand den Rechten nur einen einzigen Aufmarsch mit kurzer Route zu. Ringsum gab es umfangreichen Protest und neben friedlichen Aktionen auch Vorfälle, die von der Polizei hinterher als „schwere Auseinandersetzungen“ bezeichnet wurden. Es waren Ausschreitungen, die nicht von der Hand zu weisen sind.

Allerdings passierte das anders, als Urban behauptet, nicht in Leipzig-Connewitz, sondern in einem anderen Stadtteil, der Südvorstadt. Was es weder hier noch dort gab, war ein „Blutbad“. Der Duden definiert das als „blutige Auseinandersetzung zwischen feindlichen Gruppen, bei der eine größere Anzahl von unschuldigen oder wehrlosen Menschen getötet wird“. An diesem Tag wurde niemand getötet, weder in Connewitz, noch in der Südvorstadt. Straftatenstatistiken vermerken auch keine versuchten Tötungsdelikte.

Sollte sich Urban einen Sprachpanscher geleistet haben, wäre das zumindest peinlich. Die deutsche Sprache ist der AfD so wichtig, dass der sächsische Landesverband schon in seiner Frühzeit geschlossen dem sprachpuristischen „Verein deutsche Sprache“ (VDS) beitrat. Das geht aus dem Protokoll einer Landesvorstandssitzung hervor, das idas vorliegt. Urban war Teilnehmer dieser Sitzung.

Möglich ist aber auch, dass Urban weiß, was er sagt, die Tatsachen aber absichtlich beugt, um sie zu dramatisieren. Die „linken Gewalttäter“, so fährt er fort, „brachen eine Straße auf, um die Polizei mit Pflastersteinen zu bewerfen. 69 Beamte wurden bei diesen lebensgefährlichen Attacken verletzt und 50 Dienstfahrzeuge demoliert. Für den Steuerzahler entstand binnen weniger Minuten ein Sachschaden von einer halben Million Euro.“ Es hat wirklich so viele verletzte Einsatzkräfte gegeben, das bestätigte das Innenministerium dem Landtag in einer offiziellen Stellungnahme. Darin hieß es allerdings auch, es könne nicht gesagt werden, „aufgrund welcher konkreten strafbaren Handlung durch Personen welchen Lagers, welche Personen wie schwer verletzt wurden.“ Infolge der Ausschreitungen an diesem Tag wurde auch gegen Rechte ermittelt, und übrigens ebenso gegen Polizeibeamt*innen. Tränengasschwaden waren in die Reihen der eigenen Einsatzkräfte gezogen.

Auch die Angabe zum Sachschaden von einer halben Million Euro ist großzügig geschätzt. Dabei gibt es eine belastbare Zahl: 359.258 Euro. Das Justizministerium hat das auf den Euro genau errechnet und darüber ebenfalls dem Landtag berichtet. Die Verletzten wie der Sachschaden entstanden den ganzen Tag über, nicht „binnen weniger Minuten“. Der Landtagsabgeordnete Urban hätte das nur nachlesen müssen oder jederzeit selbst erfragen können. Er und seine Fraktionskolleg*innen taten das aber nicht. Bisweilen ziehen sie daher Schlussfolgerungen, ohne die Fakten erwogen zu haben, wie auch jetzt: „Herr Kretschmer muss das machen, was die AfD schon lange fordert: die Antifa als Terror-Organisation einstufen.“

Im Mai vegangenen Jahres ließ die AfD-Fraktion dieses Thema sogar auf die Tagesordnung des Landtagsplenums setzen, Unterzeichner des Antrages war Urban. Von der Landesregierung verlangte seine Fraktion damals, „sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die ‚Antifaschistische Aktion‘ einschließlich aller Untergruppen und deren Kennzeichen bundesweit verboten werden“. Alle anderen Fraktionen schmetterten dieses Ansinnen ab. Selbst die CDU-Fraktion – weil es „die Antifa“ nicht gibt und ein Verbot rechtlich nicht möglich ist. Es fehlt schlicht ein verbotsfähiger Verein. „Die Antifa“ kann daher auch nicht zu einer terroristischen Vereinigung erklärt werden. Dazugelernt hat Urban seitdem nicht, obwohl ihm das sogar vier seiner jetzigen Mit-Abgeordneten, die er als Fraktionsvorsitzender anleitet, erläutern könnten, denn sie sind Volljurist*innen.

Dass sich die AfD auf linke Feindbilder eingeschossen hat, ist natürlich weder verwunderlich noch neu. Auch nicht, dass auf der anderen Seite ganz andere Maßstäbe gelten sollen. Als im September 2017 der Dresdner Stadtrat das „Lokale Handlungsprogramm für ein vielfältiges und weltoffenes Dresden“ verabschiedete, empörte sich ein AfD-Ratsmitglied ob dieses unnötigen „Umerziehungsprogramms“ und behauptete, ohne Fakten vorzulegen, rechtsmotivierte Straftaten seien in Wirklichkeit „meist Bagatelldelikte“. Dieses Ratsmitglied hieß Jörg Urban.