In einem Interview weckt der sächsische AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier neue Zweifel, ob der verfassungsfeindliche Flügel wirklich verschwinden wird. Er kritisiert die Entscheidung des Parteivorstandes, dass die völkisch-nationalistische Strömung aufzulösen ist – und deren Anführer Björn Höcke und Andreas Kalbitz dafür, nachgegeben zu haben.
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Wie geht es weiter nach dem vermeintlichen Ende des Flügels? Der AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier sollte das erklären in einem Interview, das extrem rechte Compact-Magazins hat es gestern Abend live gestreamt. Anfang 2019 war der Parlamentarier beim ersten „Sachsentreffen“ des Flügels zum „Landesobmann in Sachsen“ berufen worden. Maier hatte sich damals auf der Bühne vor Höcke verneigt. Ob er im Moment noch Obmann dieser „Haltungsgemeinschaft“ ist, wisse er aber nicht. Eine knappe Stunde lang sprach aus Maier immer wieder die Ratlosigkeit.
Auflösung, „irgendwie“
Ob der Flügel wirklich aufgelöst ist? Der Gastgeber, Compact-Chef Jürgen Elsässer, und sein leitender Redakteur und Moderator Martin Müller-Mertens fragten nach, aber Maier blieb meist im Ungefähren, wurde gefühlig: „Traurig alles!“ Später versuchte er, das Geschehene einzuordnen, so weit ihm das bekannt ist: Es sei wohl „Druck vom Kessel“ gelassen worden, indem Höcke und seine rechte Hand Andreas Kalbitz vor wenigen Tagen „gesagt haben, wir lösen jetzt den Flügel irgendwie auf“. Nun folge eine Phase, in der man sehen werde, „wie sich die Dinge entwickeln“. Konkreter wurde er nicht.
Doch mit den jüngsten Entwicklungen, so viel wurde durchaus klar, ist er nicht zufrieden. Am Freitag hatte der Bundesvorstand der AfD mit nur einer Gegenstimme beschlossen, dass sich der Flügel bis Ende April auflösen soll. Maier sprach von einer Entscheidung, die „zur Einheit der Partei nicht wirklich beiträgt“ und auch nicht dazu führen werde, dass weitere Angriffe von außen unterbleiben. Das klare Abstimmungsergebnis habe ihn „überrascht“, auch weil „Viele“ an der Bundesspitze mit Flügel-Hilfe in ihre Positionen gewählt worden seien.
Elsässer versuchte zu provozieren: „Meuthen hat euch vom Flügel verraten!“ Doch Maier nahm den Steilpass nicht an und attackierte Jörg Meuthen, einen der beiden Parteivorsitzenden, nicht. Gefragt nach Tino Chrupalla, den zweiten Bundesschef, der erst seit einigen Monaten im Amt ist, sagte er nur, dass er es „erstmal richtig“ gefunden habe, ihn mit den Stimmen der Flügel-Anhänger*innen zu stützen. Seine aktuelle Ansicht äußerte Maier nicht, wies immer wieder darauf hin, dass die AfD „unter erheblichem Druck durch den Verfassungsschutz“ stehe. Dass er nun als Verfassungsfeind dasteht, sei etwas, das ihn „berührt“. Er, ein Richter am Landgericht Dresden, gehöre selbst zu denen, die im öffentlichen Dienst sind und „die nervös werden“ – denn es drohen Disziplinarverfahren, ein Ende des Beamtemverhältnisses.
Vorstandsbeschluss sei nur „Empfehlung“
Mit der Entscheidung, den Flügel aufzulösen, habe Höcke „diesen Leuten entgegenkommen“ wollen, vermutet Maier. Am Sonnabend – einen Tag nach dem Beschluss des Bundesvorstandes – hatte der Flügel seine Auflösung bekanntgegeben, erste Pressemeldungen haben sich unter anderem auf Angaben Maiers berufen. Eine kurze Auflösungserklärung, die auf der Facebook-Seite des Flügels erschienen war, ist aber nach kurzer Zeit durch ein Dementi ersetzt worden. Der Flügel sei nicht aufgelöst, das „ist Fakt, alles andere ist Fake“, so Kalbitz. In einem Interview mit seinem ideologischen Mentor Götz Kubitschek hat Höcke dann nicht von einer Auflösung, sondern von „Historisierung“ gesprochen.
Was konkret das bedeutet, konnte Maier nicht erklären. Die Entwicklung habe ihn aber „ziemlich mitgenommen“, sagte er, und „tief erschüttert“ sei er auch. Eigentlich hatten sich am Sonnabend die Flügel-Obleute treffen sollen, Leute wie Maier, doch die Versammlung fiel aus. Glaubt man seinen Ausführungen, dann wurde zumindest er in die Entscheidungsfindung nicht eingebunden. Dass Höcke und Kalbitz offenbar alleine entschieden haben, das Projekt in der bisherigen Forum aufzugeben, hält er denn auch nicht für einen zwingenden Schritt. Den Vorstandsbeschluss hätte man ebenso „ins Leere laufen lassen können“, denn die Parteispitze habe nur eine „Empfehlung“ ausgesprochen. Im Zweifel hätte niemand sagen können, wer zum Flügel gehört und wer nicht.
Elsässer hätte es gerne genauer gewusst: War Höckes Vorgehen falsch? War sein Versuch, die erzwungene Flügel-Auflösung als selbst gewählte „Historisierung“ hinzustellen, nicht ein ziemlich unehrlicher Versuch, „eine Art von Erfolgsstory zu konstruieren“? Maier antwortete nicht mit Ja und nicht mit Nein. Er blickte zurück in die Geschichte der Strömung und meinte, dass es um ideologische Fragen nie gegangen sein, sondern um die richtige Strategie: Die AfD dürfe nicht „Steigbügelhalter“ der Unions-Parteien werden, nicht mitregieren wollen um jeden Preis, sondern habe derzeit Opposition zu sein. Auch dabei könne man Dinge mitentscheiden, und man könne auf das Ziel hinarbeiten, „irgendwann Verantwortung übernehmen zu können“. Allerdings erst dann, wenn man die stärkste Partei ist. Auf Elsässer Nachfrage, ob die AfD noch auf diesem Kurs sei, verwies Maier auf das Beispiel Sachsen.
Flügel ist „natürlich da“
Was heißt das nun für den Flügel? „Als Haltungsgemeinschaft sind wir natürlich da“, versicherte Maier, denn „es gibt ja keinen förmlichen Beschluss“, irgendetwas aufzulösen. Es gehe nicht darum, ob es weitergeht, sondern um das Wie. Immer noch kalkuliert er im innerparteilichen Machtgefüge mit dem Einfluss des Flügels. Würde man künftig in den Verbänden eine „Hatz“ gegen die Höcke-Gefolgschaft veranstalten, dann könnten die Protagonist*innen künftig keine Wahl mehr für sich entscheiden, kein Amt in der Partei mehr erlangen, drohte Maier. Er könne sich daher beispielsweise nicht vorstellen, dass weiter gegen Andreas Kalbitz vorgegangen wird.
Danach sieht es derzeit auch nicht aus, trotz starker Anhaltspunkte, dass Kalbitz bisher falsche Angaben zu seiner Vergangenheit gemacht hat. Er bestreitet, Mitglied der 2009 verbotenen Neonazi-Gruppierung „Heimattreue deutsche Jugend“ (HDJ) gewesen zu sein. Doch das Bundesamt für Verfassungsschutz ist an eine HDJ-Mitgliederliste gelangt, auf der Kalbitz verzeichnet sein soll. Vor der Bundesvorstandssitzung am Freitag hatte es daher Forderungen gegeben, ihn aus der AfD auszuschließen. Die Parteispitze will nicht so weit gehen und hat inzwischen versichert, dass man zwar die Struktur des Flügels loswerden möchte, also den Namen, das Logo, die Internetauftritte nicht mehr sehen will. Doch alle Mitglieder können bleiben.
Die will auch Maier halten, er wandte sich direkt an die Flügel-Anhängerschaft: „Ich kann hier nur sagen, liebe Leute, bleibt in der Partei!“ Man werde sich „neu sortieren“, versprach er.