Bundesweite AfD-Beobachtung zeichnet sich ab

 Aktuell │ Im Januar wird mit der lange erwarteten Verfassungsschutz-Entscheidung zur AfD gerechnet, der Gesamtpartei droht die Beobachtung. Zuletzt war bekannt geworden, dass der sächsische Landesverband als Rechtsextremismus-Verdachtsfall gelten soll. Auch nach mehreren Tagen hat sich die Partei nicht von dieser Einordnung distanziert – womöglich war sie aber vorgewarnt.


Beitrag vom 11.12.2020, 12:40 Uhr


„Letztes Aufbäumen der gemäßigten Kräfte“

Nach dem Vorstoß, den sächsischen AfD-Landesverband als rechtsextremistischen Verdachtsfall einzustufen, mehreren sich die Zeichen für eine anstehende bundesweite Beobachtung der Partei. Zum Abschluss der Innenministerkonferenz (IMK) sagte deren Vorsitzender Georg Maier (SPD), der auch thüringischer Innenminister ist, es gebe Bestrebungen, die Demokratie „auf parlamentarischem Weg auszuhöhlen“ und „von innen heraus anzugreifen“. Vor dem Hintergrund von Störaktionen im Bundestag sprach er von „Pöbeleien, für die die AfD die Verantwortung trägt“. Das zeige, „dass die Unantastbarkeit des Parlaments in unserer Republik offenbar kein Tabu mehr ist“.

Bei der mehrtägigen Beratung der Innenressorts der Länder, die am Mittwoch begann, wurde indes kein Beschluss über den weiteren Umgang mit der Partei gefällt. „Wir geben dem Verfassungsschutz keine Empfehlungen“, sagte Maier. Die zuständigen Behörden würden darüber selbst entscheiden, darauf nehme man keinen politischen Einfluss. Erkennbar sei aber eine „dynamische Entwicklung“ innerhalb der AfD. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) fügte an, dass sich angesichts des zurückliegenden Bundesparteitags und der „Brandrede“ des AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen die Frage stelle, ob sich wirklich eine „Trendwende“ andeutet oder es sich eher um ein „letztes Aufbäumen der gemäßigten Kräfte“ handelt. Belastbare Anzeichen, dass sich die Partei in Richtung der gesellschaftlichen Mitte orientiert, sehe er nicht.

Nach Informationen des Spiegel soll Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), gestern bei der IMK informiert haben, dass der Einfluss des formell aufgelösten Flügels weiter gewachsen sei. So habe beim Bundesparteitag das Rechtsaußenlager beinahe die Hälfte aller Delegierten auf seiner Seite gehabt. Bislang war das BfV davon ausgegangen, dass rund ein Fünftel aller Parteimitglieder dem Flügel zuzurechnen ist. Im März war die völkisch-nationalistische Strömung zum Beobachtungsobjekt erklärt worden. Damals hieß es, dass eine Einstufung der Gesamtpartei als Verdachtsfall in Betracht komme, falls sich die Macht der Rechtsaußenkräfte weiter verfestigt.

Keine Distanzierung vom Rechtsextremismus-Verdacht

Mit einer Entscheidung über eine mögliche Beobachtung der Gesamtpartei wird im Januar gerechnet, aller Voraussicht fällt sie zu Ungunsten der AfD aus. Erst am Dienstag war bekannt geworden, dass das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) beabsichtigt, den gesamten Landesverband im Freistaat vom Prüf- zum Verdachtsfalls aufzuwerten und damit künftig unter nachrichtendienstliche Beobachtung zu nehmen. Das ist bereits in Thüringen und Brandenburg geschehen, weil dort der Flügel klar dominiert. Ein ähnliches Bild ergibt sich in Sachsen. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es nicht, denn hier darf über Verdachtsfälle nicht öffentlich informiert werden.

Der betroffene AfD-Landesverband hat bislang ebenfalls keine Stellungnahme abgegeben – und sich auch nicht vom nunmehr amtlichen Vorwurf des Rechtsextremismus distanziert. Von einer „politischen Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes“ und einem „schwerwiegenden Eingriff in den demokratischen Wettbewerb“ sprach der Landesvorsitzende Jörg Urban, der als Flügel-Anhänger gilt, am Mittwoch auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Er wirft dem Verfassungsschutz eine „Bespitzelung und Gesinnungskontrolle auf Weisung der Regierung“ vor, dies passe „nicht zu einem demokratischen Staatswesen“. Bislang wurden gegen die sächsische AfD allerdings keine nachrichtendienstlichen Mittel eingesetzt. Was beim LfV bekannt ist, stammt aus öffentlich zugänglichen Quellen, unter anderem von Facebook-Profilen von einflussreichen Mandatsträger*innen und Parlamentsmitgliedern.

Der AfD-Landtagsabgeordnete Carsten Hütter sagte ebenfalls am Mittwoch dem MDR, zur Abwehr der nun anstehenden Beobachtung in Sachsen sei eine Klage „denkbar“. Mit juristischem Druck hatte die Landespartei Anfang vergangenen Jahres erreicht, dass eine Meldung auf der LfV-Website entfernt werden muss, wonach die AfD in Sachsen ebenso wie im Bund als Prüffall angesehen wird. Die neuesten Entwicklungen befeuern derweil einen Streit innerhalb der Landtagsfraktion. Dort wuchs zuletzt der Unmut mit der Führungsspitze um den Vorsitzenden Urban und den parlamentarischen Geschäftsführer Jan-Oliver Zwerg, der zugleich Generalsekretär der Landespartei ist. Besonders mit Zwergs Arbeit soll ein erheblicher Teil der 38-köpfigen Fraktion unzufrieden sein – ihm droht ein Abwahlantrag. Widerstand aus den eigenen Reihen, der lange als undenkbar galt, gab es zuletzt gegen die Idee, mit dem Neonazi Andreas Kalbitz einen maßgeblichen Flügel-Organisator zu einer Fraktionsveranstaltung einzuladen.

Sächsische AfD war womöglich vorgewarnt

Auch auf sächsische Basisstrukturen schlägt der Richtungsstreit durch: Nach einer Neuwahl des Kreisvorstands in Mittelsachsen, der fortan durch den Flügel-nahen Abgeordneten Lars Kuppi geleitet wird, hatte sein Landtagskollege Rolf Weigand öffentlich vor einer Entwicklung zur „Pöbelpartei“ gewarnt. Wie idas-Recherchen zeigen, gehören zu Kuppis Vorstand mehrere verurteilte Straftäter sowie ein Neonazi, der bei der NPD-Jugendorganisation aktiv war. Kürzlich soll darüber bei einer Fraktionssitzung gesprochen worden sein. Es folgte ein Eklat, wie die Freie Presse erfuhr. Demnach soll Kuppi seinem Kritiker Weigand – er ist einer der stellvertretenden Vorsitzenden der Landtagsfraktion – mit einem Abwahlantrag gedroht haben. Die gestiegene Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes könnte nun wiederum den Kräften um Weigand in die Karten spielen. Dieser ist zwar Landesvorsitzender der radikalen Jungen Alternative, jedoch kein Flügel-Anhänger.

Auf Dresdner Polit-Fluren steht derzeit eine weitere Frage im Raum – wie die vertrauliche Information über die geplante Einstufung der Landespartei überhaupt publik werden konnte. Am Montag hatte die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Landtags stundenlang hinter verschlossenen Türen getagt und sich über die bisherige Praxis des LfV bei der Sammlung von Daten der AfD-Abgeordneten beraten. Der Abschlussbericht zu diesem Thema wurde am Dienstagmorgen veröffentlicht. Er endet mit der Aufforderung an die Behörde, die seit knapp zwei Jahren laufende und damit bereits überlange Prüffallbearbeitung zügig zum Abschluss zu bringen. Am Abend des gleichen Tages meldete dann ein Rechercheteam von NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung, dass das schon passiert und eine Einstufung als Verdachtsfall vorgesehen ist. Bei mehreren AfD-Abgeordneten gibt es demnach „gesicherte Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bezüge“, heißt es unter Berufung auf Sicherheitskreise und auf das Umfeld der PKK.

Zwei interessante Dinge sind in der Zwischenzeit passiert, zwischen der Veröffentlichung des Abschlussberichts am Morgen und der Exklusivmeldung am Abend. Die eine Sache: Im Landtag ist eine Kleine Anfrage Abgeordnete Carsten Hütter eingegangen. Darin fragt er unter anderem, ob es Parlamentsmitglieder gibt, „die vom Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen als erwiesen rechtsextremistisch eingestuft werden“. Hütter ist Mitglied der Kontrollkommission. Was er in dem geheim tagenden Gremium erfährt, darf er nicht nach außen tragen, auch nicht verklausuliert. Es könnte Zufall sein, dass seine Fragestellung so nah am Tagesthema lag. Es gibt aber noch einen zweiten Zufall, von dem idas erfuhr: Am Dienstagnachmittag tauchte auf der Tagesordnung für die Plenarsitzung in der nächsten Woche plötzlich ein neues Debattenthema auf, dass zuvor noch nicht verzeichnet war. Beantragt hat das Hütters AfD-Fraktion, Thema: „Opposition – verdächtig gut?!“ Das klingt verdächtig nach Verdachtsfall. Falls das gemeint ist, könnte die AfD über das, was ihr droht, vorgewarnt gewesen sein.