Verdachtsfall: AfD Sachsen kommt unter Verfassungsschutz-Beobachtung

 Aktuell │ Lange war die AfD in Sachsen ein sogenannter Prüffall, zeitweise schien das Thema zu versanden. Doch jetzt gehen Verfassungsschutz und Innenministerium in die Vollen: Der komplette Landesverband der Partei soll zum Verdachtsfall hochgestuft werden, Rubrik: Rechtsextremismus. Damit beginnt die nachrichtendienstliche Beobachtung.


Beitrag vom 08.12.2020, 18:40 Uhr │ Im Bild: Landes- und Fraktionschef Jörg Urban (r.) gemeinsam mit Jan-Oliver Zwerg, seiner „rechten Hand“. Sie haben die Landespartei ins Spektrum des Rechtsextremismus gesteuert.


Sachsen folgt Thüringen und Brandenburg

Das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) will den gesamten AfD-Landesverband künftig als sogenannten Verdachtsfall beobachten. Das ergeben aktuelle Recherchen von WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung (↪ Tagesschau-Bericht). Demnach wartet das LfV derzeit auf die offizielle Zustimmung zu diesem Schritt durch das Innenministerium – es soll „mit dem Prozedere einverstanden sein“, heißt es unter Berufung auf mehrere Quellen aus Sicherheitskreisen und dem Umfeld der Parlamentarischen Kontrollkommission des Landtags.

Der offizielle Beginn der Beobachtung ist damit nur noch Formsache, eine Entscheidung wird „in Kürze“ erwartet. Dem LfV ist es offenbar gelungen, bei drei Landtagsabgeordneten der Partei den Nachweis zu erbringen, dass „gesicherte Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bezüge“ vorliegen. Zugrunde liegen Äußerungen der betreffenden Personen sowie deren Verbindungen in das Spektum der extremen Rechten. Ein dahingehender Verdacht besteht zudem bei drei weiteren Abgeordneten.

Damit ist der Freistaat nach Thüringen und Brandenburg bereits das dritte Bundesland, in dem die Partei zum Beobachtungsobjekt erhoben wird. Künftig ist dadurch auch der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel erlaubt, etwa die Anwerbung von V-Leuten. Zudem dürfen weit mehr Personen als bisher ins Visier genommen, Daten über sie systematisch gesammelt und verarbeitet werden. Allerdings ist in Sachsen eine öffentliche Berichterstattung über die Ergebnisse erst in der nächsten Stufe möglich, falls aus dem Verdachtsfall eine „erwiesene Bestrebung“ werden sollte. Innenministerium und LfV wollen daher aktuell keine Stellung nehmen.

Holpriger Weg zur Beobachtung

Im Januar 2019 war der AfD-Landesverband ein sogenannter Prüffall geworden, das LfV sammelte seither Material zu einigen Abgeordneten, die zugleich eine herausgehobene Stellung in der Landespartei haben. Im Frühjahr dieses Jahres scheiterte dann ein erster Anlauf, zur Beobachtung überzugehen – weil die Dossiers, die bei der Behörde gefertigt wurden, den engen rechtlichen Anforderungen nicht genügten. Folge: Die aus öffentlichen Quellen erhobenen Daten durften nicht weiter aufbewahrt werden. Der Vorgang kostete im Sommer den langjährigen Verfassungsschutz-Präsidenten Gordian Meyer-Plath den Kopf. Weder wollte er inhaltlich nachbessern, noch eine Löschanweisung des Ministeriums umsetzen.

Inzwischen hat die Parlamentarische Kontrollkommission, der auch der AfD-Abgeordnete Carsten Hütter angehört, das Thema aufgearbeitet. Das Gremium sichtete über Monate vertrauliche Akten und sprach mit Beteiligten. Gestern erst berieten sich die Mitglieder erneut dazu und legten heute Vormittag einen eigenen Bericht zum vermeintlichen Löschskandal vor. Er endet mit der Aufforderung an den Nachrichtendienst, „die laufende Prüffallbearbeitung zum AfD Landesverband Sachsen zeitnah abzuschließen“. Genau diesen Schritt ist man jetzt gegangen, offenbar mit einem klaren Ergebnis – und viel zügiger als erwartet.

Zwischenzeitlich hatte die Behörde unter ihrem aktuellen Präsidenten Dirk-Martin Christian von den mangelhaften Vorarbeiten abgelassen, neu angesetzt und sich mit einer Reihe weiterer Abgeordneter befasst. Dem Vernehmen nach ist dabei unverändert die Doppelspitze von Landesverband und Landtagsfraktion im Fokus: Jörg Urban und Jan-Oliver Zwerg.