„Zeitnahe“ Entscheidung über Beobachtung der sächsischen AfD

 Aktuell │ Der Landtag hat die Löschaffäre des sächsischen Verfassungsschutzes aufgearbeitet. Demnach durfte die Behörde Daten über AfD-Abgeordnete sammeln. Doch diese Vorarbeiten waren zu schlecht, um die Landespartei zum Verdachtsfall zu machen. Auch das Innenministerium hat geschludert – am Ende blieb nur der Löschbefehl. Die Entscheidung über eine mögliche Beobachtung steht noch aus.


Beitrag vom 08.12.2020, 09:45 Uhr


Irritierende Vorgänge, differenzierte Bewertung

Die Sammlung und vorübergehende Speicherung von Daten zu sächsischen AfD-Abgeordneten durch das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) war rechtmäßig. Zu diesem Schluss gelangt die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Sächsischen Landtags. Das geheim tagende Gremium befasste sich am Montag bei einer mehrstündigen Sitzung zum vierten und vermutlich letzten Mal mit der vermeintlichen Löschaffäre des Amtes. Am Ende steht ein umfangreicher Bericht mit einem differenzierten Urteil. Demnach misslang es dem LfV seit diesem Frühjahr, stichhaltig zu begründen, warum die angehäuften Informationen weiterhin und dauerhaft aufbewahrt werden sollen. Die umstrittene Entscheidung des Innenministeriums, dass die Daten vernichtet werden müssen, sei daher „rechtlich geboten“ gewesen.

Das hatte im Sommer für Irritationen gesorgt, nachdem der Vorgang durch Recherchen der Sächsischen Zeitung publik geworden war. Quasi über Nacht berief damals Innenminister Roland Wöller (CDU) den langjährigen Verfassungsschutz-Präsidenten Gordian Meyer-Plath ab. Dieser hatte eine Löschanweisung verweigert und intern gewarnt, dass die Behörde „in einem der dynamischsten Felder des modernen Rechtsextremismus“ arbeitsunfähig werden könnte. Den Vorwürfen widersprach Wöller öffentlich. Gemeinsam mit dem neuen Amtsleiter Dirk-Martin Christian warf er dem geschassten Präsidenten illegales Handeln vor, von „Verfassungsbruch“ war sogar die Rede. Allerdings wurde der Löschbefehl auch durch Christian nicht umgesetzt. Andere Behörden waren verstimmt, selbst das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das die Gangart gegen die AfD schrittweise verschärft hat, schaltete sich ein.

Erste Erkenntnisse der Geheimdienstkontrolleur*innen im Landtag ließen erahnen, dass sich das LfV grobe Schnitzer leistete und die im Amt gefertigten Vermerke zur AfD nicht den gewohnten Maßstäben genügten. Ein Gutachten des Sächsischen Datenschutzbeauftragten, aus dem im Oktober mehrere Medien zitierten, relativierte jedoch die ursprünglichen Vorwürfe gegen Meyer-Plath: In mehreren Fällen war die Datenspeicherung möglicherweise „unverhältnismäßig“, aber nicht grundsätzlich rechtswidrig. Antworten auf die Frage, was wirklich beim Nachrichtendienst passiert ist und wie viel dort im Argen lag, liefert jetzt die PKK, der mit Carsten Hütter auch ein AfD-Abgeordneter angehört, in einem 22-seitigen Dossier.

Seit Anfang 2019 „Prüffall“

Demnach hat sich der sächsische Verfassungsschutz im Januar 2019 entschlossen, den Landesverband der Partei als sogenannten Prüffall einzustufen. Damit folgte man einer Entscheidung des BfV, das seinerzeit die Gesamtpartei ins Visier nahm. Im Anschluss begann man in Sachsen, Daten zu einigen ausgewählten Abgeordneten zu erfassen, von Personen aus der „Sphäre der Spitzenfunktionäre“. Die Sammlung und vorübergehende Speicherung dieser Informationen – vom Umfang her „vergleichsweise übersichtlich“ – war erlaubt, normales Geschäft. Nach gut einem Jahr, im März 2020, signalisierte man dann dem Innenministerium, dass die Prüffallbearbeitung abgeschlossen ist. Das Amt hatte damals vor, den Landesverband zum Verdachtsfall hochzustufen und damit die Beobachtung einzuleiten. Zu insgesamt neun Mandatsträger*innen wurden aus diesem Grund sogenannte Abwägungsvermerke gefertigt. Mit ihnen sollte begründet werden, warum eine „fortdauernde Speicherung“ erforderlich sei.

Spätestens hier begannen die Probleme. Denn nach Ansicht des Ministeriums und auch der PKK wurden diese Vermerke den strengen rechtlichen Vorgaben, die unter anderem das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat, „in keiner Weise gerecht“. Zudem seien die herangezogenen Belege, die alle aus öffentlich zugänglichen Quellen stammen, „nur in wenigen Fällen geeignet“ gewesen, ein verfassungsfeindliches Verhalten zu dokumentieren, heißt es jetzt. An diesem Punkt stutzt die Kommission ein erstes Mal. Sie schließt es nämlich „nicht generell aus, dass es für einen Teil der Abgeordneten möglich gewesen wäre, rechtssichere Belege für eine mögliche aggressiv kämpferische Haltung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu finden“. Nur mochte das dem LfV nicht gelingen – „offenbar auch aufgrund mangelnder analytischer Tiefe“.

Im Innenministerium und dem dort zuständigen Aufsichtsreferat sah man das Problem kommen und forderte das LfV bereits ab Sommer 2019 zu umfangreichen Nachbesserungen auf, „um die notwendige Rechtssicherheit in der Belegführung zu erbringen“. Doch das geschah trotz wiederholter, auch schriftlicher Mahnungen „nicht oder nur teilweise“ – große Teile der Materialsammlung blieben monatelang einfach liegen. Noch im Mai soll das Amt die Meinung vertreten haben, dass „keine Änderungen notwendig seien“, und ging eigenmächtig zu einer dauerhaften Speicherung über. Eben dieser Schritt war rechtswidrig. Das Ministerium intervenierte daher deutlich, teilte Meyer-Plath mit, dass die Daten keineswegs aufbewahrt werden dürfen, sondern verschwinden müssen. Diese bisher umstrittene Anordnung war „rechtlich geboten“, urteilt nun die PKK, die Einsicht in die vertraulichen Akten nehmen konnte.

Der „Flügel“ wurde kaum beachtet

Damit scheiterte vor gut einem halben Jahr und ohne, dass die Öffentlichkeit Wind davon bekam, der erste Anlauf, die AfD in Sachsen zum Verdachtsfall zu erklären. Der Landtagsbericht lässt jedoch vermuten, dass dieses Ende nicht alternativlos war. Denn im März stufte das BfV den völkisch-nationalistischen Flügel innerhalb der AfD als vollwertiges Beobachtungsobjekt ein. Damit hätte es einen Hebel gegeben, die weitere Speicherung der sächsischen Daten zu begründen. „Dies wurde unterlassen“, stellt die Kommission fest und nennt das „zu hinterfragen“. Ihr zufolge kommt der Flügel in den LfV-Unterlagen nur „bruchstückhaft“ vor. Offen bleibt, warum das unterlassen und auch durch das Innenministerium „nicht offensiv genug eingefordert“ wurde. Dort war zeitweise ein Beamter namens Dirk-Martin Christian zuständig – der später zum Nachfolger Meyer-Plaths wurde und jetzt alles besser machen will.

Einstweilen verlangen die PKK-Mitglieder von ihm, dass der Prüfprozess zur sächsischen AfD nach fast zweijähriger Bearbeitung „zeitnah zu einem Abschluss gebracht“ wird. Das Ergebnis ist dabei offen. Denn seitdem Christian im Amt ist, hat man das Thema neu aufgerollt und befasst sich mit einigen weiteren Abgeordneten der AfD. An dem Umgang mit deren Daten hat die Kommission nichts zu bemängeln. Demnach ist es möglich, dass eine Einstufung der Landespartei als Verdachtsfall auf dieser neuen Grundlage doch noch gelingen kann. Denkbar ist aktuell aber auch, dass dem LfV die Entscheidung abgenommen wird.

So erwarten Beobachter*innen, dass der weitere Umgang mit der AfD ein Thema der Innenministerkonferenz (IMK) ist, die ab Mittwoch in Weimar tagt. Der IMK-Vorsitzende Georg Maier (SPD), zugleich thüringischer Innenminister, hatte sich zuletzt für eine intensivere Befassung eingesetzt, aus den unionsgeführten Ministerien gibt es ähnliche Signale. In Thüringen ist der AfD-Landesverband bereits ein Verdachtsfall. Das gilt ebenfalls für Brandenburg, wo sogar schon V-Leute eingesetzt werden. Mit einer offiziellen Entscheidung des BfV wird in einigen Wochen gerechnet, im Januar oder Februar – auch um den Eindruck zu vermeiden, dass es sich um eine politische statt eine fachliche Entscheidung handelt. Folge: In den Verfassungsschutzberichten, die während des Superwahljahres 2021 erscheinen, wird die Gesamtpartei wohl noch kein Thema sein.


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