Auch in Zukunft wird das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz die AfD unter die Lupe nehmen. Allerdings passiert das weiterhin nur in kleinem Maßstab, anhand ausgewählter Personen. Selbst das ist heikel, weil es sich um Abgeordnete handelt und die Behörde bislang unsauber gearbeitet hat. Einige Datensätze müssen daher gelöscht werden – doch neue könnten bald hinzu kommen.
Beitrag vom 08.09.2020, 15:00 Uhr │ Im Bild: Der neue LfV-Präsident Dirk-Martin Christian bei einer Pressekonferenz im Sommer.
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„Genügte in keinem Fall den Anforderungen“
Der sächsische Verfassungsschutz wird weiter Daten zu ausgewählten AfD-Abgeordneten sammeln und auswerten. Das erfuhr gestern in einer tagesfüllenden Sitzung die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Landtags, die sich bereits zum zweiten Mal ausführlich mit der vermeintlichen Löschaffäre befasste. Am Abend veröffentlichte das fünfköpfige Gremium, dessen Beratungen ansonsten geheim sind, eine gemeinsame Erklärung. Die frühere Praxis des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) unter dem geschassten Präsidenten Gordian Meyer-Plath wird darin scharf verurteilt: „Die beabsichtigte Speicherung gesammelter Informationen zu einzelnen Abgeordneten genügte in keinem Fall den engen rechtlichen Anforderungen.“ Nur in einigen wenigen Fällen konnte zwischenzeitlich „eine rechtssichere Belegführung erbracht“ werden, die eine anhaltende Speicherung rechtfertigt, erklärte die Kommission weiter.
Im Fokus bleibt dem Vernehmen nach unter anderem der Landes- und Fraktionsvorsitzende Jörg Urban, der demnach unverändert als „Rechtsextremist“ angesehen wird. Doch in absehbarer Zeit soll ein überwiegender Teil der behördlichen Datensammlung zu einer Reihe anderer Personen gelöscht werden. Angefallen waren die Unterlagen im Zuge der Bearbeitung des AfD-Landesverbandes als sogenannter Prüffall, der Nachwuchsorganisation Junge Alternative als Verdachtsfall und des völkisch-nationalistischen Flügels als inzwischen „erwiesene rechtsextremistische Bestrebung“. An diesen Einordnungen – die Parteigliederungen in Thüringen und Brandenburg wurden bereits zu Verdachtsfällen hochgestuft – wird sich im Freistaat damit bis auf Weiteres nichts ändern. Allerdings soll es einen neuen Anlauf geben. So erfuhr die Kommission gestern auch, „dass zu weiteren Abgeordneten Erkenntnisse vorliegen, die aus Sicht des LfV eine rechtssichere Speicherung ermöglichen.“ Nähere Zahlen, Namen gar, werden offiziell nicht genannt.
Doch einiges spricht dafür, dass eine Handvoll Abgeordneter aus der Beobachtung herausfällt, dafür aber mindestens ebenso viele andere Abgeordnete, die bislang keine Rolle spielten, neu durchleuchtet werden. Unterm Strich könnte die Zahl der relevanten Personen sogar leicht ansteigen. Die Beobachtung geschah bisher nur anhand öffentlich zugänglicher Quellen, etwa durch die Auswertung von Beiträgen in sozialen Netzwerken. „Ein Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist nicht erfolgt“, wurde gestern ausdrücklich festgestellt. Die AfD hatte in den vergangenen Wochen etwas anderes behauptet, der Abgeordnete Carsten Hütter sprach gar von „virtuellen Agenten“, die in Facebook-Freundeslisten und Chaträume eingeschleust worden sein könnten. In einer heute veröffentlichten Mitteilung kritisiert die AfD-Fraktion unverändert eine „Bespitzelung“ und die angeblich anhaltende „illegale Überwachung“. Doch genau dafür hat die PKK, der auch Carsten Hütter angehört, keine Anhaltspunkte gefunden. Die Kommissionsmitglieder konnten in den Vergangenen Wochen die entscheidenden Unterlagen selbst einsehen.
Meyer-Plath lieferte nicht genug Belege
Diese Unterlagen kosteten Ende Juni den langjährigen Behördenleiter Gordian Meyer-Plath das Amt. Seine Ablösung war länger vorgesehen gewesen, wurde dann aber in einem Hauruck-Verfahren umgesetzt. Neuer Präsident wurde zum 1. Juli Dirk-Martin Christian, der zuvor im Innenministerium für die Fachaufsicht über das LfV zuständig war. Zwischen der Behörde und dem Ministerium hatte es zuvor erhebliche Spannungen gegeben, vor allem wegen der AfD. Im Zentrum stand die Frage, inwieweit Daten von Mandatsträger*innen aufbewahrt werden dürfen. Das ist in engen Grenzen möglich, falls stichfest gezeigt werden kann, dass „ein Abgeordneter sein Mandat missbraucht oder die freiheitliche demokratische Grundordnung in sonstiger Weise aggressiv bekämpft“. So erläuterte es Christian kürzlich im Landtags-Innenausschuss. Problem daran: Um das zu belegen fertigte das LfV zu allen betroffenen Personen sogenannte Abwägungsvermerke an. Sie entsprachen bislang aber nicht dem, was sich das Ministerium erhofft hatte.
Seit Frühjahr wurde Meyer-Plath daher wiederholt gedrängt, entweder gründlich nachzubessern oder aber die fraglichen Daten zu vernichten. Doch neue Belege wurden nicht geliefert – und der Behördenchef weigerte sich am Ende, die Löschtaste zu drücken, gegen eine ausdrückliche Anordnung. Damit besiegelte er sein eigenes Ende. Die Umstände sorgten im Sommer für Furore, denn pünktlich zu seiner Abberufung fanden Teile bislang vertraulicher Schriftsätze den Weg in die Presse. Demnach hatte Meyer-Plath intern vor dem drohenden Eindruck gewarnt, „dass das LfV Sachsen und damit auch das Sächsische Staatsministerium des Innern den Kampf des Freistaates gegen Rechtsextremismus – konkret die Auseinandersetzung mit der AfD – nicht, beziehungsweise nur sehr nachlässig wahrnimmt.“ Sachsen will die AfD gar nicht beobachten, so klang das zumindest.
Das Innenministerium konterte umgehend mit drastischen Vorwürfen gegen den Ex-Präsidenten. Er soll bei der AfD unsachgemäß vorgegangen und im Ergebnis „widerrechtlich Daten über frei gewählte Abgeordnete gespeichert“ haben, von „Verfassungsbruch“ war gar die Rede. Die Löschung sei daher „zwingende Rechtsfolge“, erklärte damals der Innenminister Roland Wöller (CDU). Er setzte hinzu, dass es seiner Ansicht nach trotzdem geboten sei, bei der AfD „genau hinzuschauen“. Tatsächlich sah der neue LfV-Präsident Christian dann auch davon ab, die Löschung sofort vorzunehmen. Stattdessen wurde in Absprache mit der Kontrollkommission eine erneute Prüfung der Datensammlung angekündigt, mit dem jetzt bekannt gewordenen Ergebnis, das eine Teils-teils-Lösung ist.
Christian fürchtet „weitere undichte Stellen“
In der Zwischenzeit hatten die Vorgänge die Bundesebene erreicht, BfV-Präsident Thomas Haldenwang bot den Nachrichtendienst-Kolleg*innen in Sachsen sogar öffentlich seine Unterstützung bei der Aufarbeitung des Themas an. Die PKK sprach gestern von einem „intensiven Austausch mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz“, an der Sitzung des Gremiums soll neben dem sächsischen Innenminister auch der BfV-Vize teilgenommen haben. Das Bundesamt hatte seine Gangart gegen die AfD seit knapp zwei Jahren schrittweise verschärft, ein Kurs, bei dem Sachsen nur zu einem Teil mithalten konnte. Für die Landesämter hatte das BfV schon vor einer Weile einen ausführlichen Handlungsleitfaden entworfen, wie mit Daten von Abgeordneten zu verfahren ist. Doch unter Meyer-Plath soll diese Handreichung ignoriert worden sein.
Noch immer stehen unterschiedliche Deutungen im Raum, wonach der Ex-Präsident entweder über das Ziel hinausgeschossen ist und mehr unternahm, als er sollte, bis das Innenministerium auf die Bremse trat. Oder aber Meyer-Plath hat durch handwerkliche Fehler selbst dazu beigetragen, die Bearbeitung des Prüffalls AfD ins Stocken zu bringen und damit eine mögliche Aufwertung des sächsischen Landesverbandes zum Verdachtsfall zu vereiteln. Glaubt man den Angaben der PKK, dürfte eher die zweite Version zutreffen. Eine endgültige Bewertung behält sich das Gremium für einen späteren Zeitpunkt vor, sie wird womöglich erst gegen Jahresende vorliegen. Bis dahin hat der neue LfV-Präsident Christian Zeit, das Amt auf Vordermann zu bringen und zum Tagesgeschäft zurückzufinden. Doch das ist schwierig, nachdem der Innenminister dem LfV mit seinen rund 200 Mitarbeiter*innen öffentlich bescheinigt hat, an mangelnder „Analysefähigkeit“ zu leiden. Der neue Präsident deutete zudem wiederholt an, dass ihm das Vertrauen in einen Teil des eigenen Apparats fehlt, denn noch immer ist unklar, wie geheimhaltungsbedürftige Vorgänge nach außen dringen konnten. Von dem eskalierten Disput zwischen Behörde und Ministerium ist selbst die zuständige Kontrollkommission erst informiert worden, nachdem davon in der Zeitung zu lesen war.
Unmittelbar vor seinem Amtsantritt soll Christian zu Abgeordneten gesagt haben, er habe ein „mulmiges Gefühl“ und wittere „weitere undichte Stellen“ im Amt. Dort kamen solche Vorwürfe nicht gut an, berichtet heute die Sächsischen Zeitung, die den gesamten Vorgang ursprünglich publik gemacht hatte. Demnach soll bei Christians Amtseinführung in der Kantine des Landeskriminalamts, mit dem sich das LfV in Dresden einen Gebäudekomplex teilt, niemand applaudiert haben. Offenbar befürchtet man, dass der neue Chef einige Führungskräfte kaltstellen möchte, die seinem Amtsvorgänger allzu nahe standen, bereits im Juli wurde der langjährige Behördensprecher Martin Döring abgezogen. Die Belegschaft soll zwischenzeitlich so aufgebracht gewesen sein, dass Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) Mitte August das LfV besuchte und dort mit der Personalvertretung sprach, um die Wogen zu glätten.