Mit einem Untersuchungsausschuss will die AfD im sächsischen Landtag aufklären, warum viele ihrer Kandidierenden zur Landtagswahl nicht antreten durften. Vor fast einem Jahr wurde das Gremium eingerichtet, doch dort passiert fast nichts – jetzt wurde sogar ein Anhörungstermin gestrichen, weil die rechte Fraktion keine Zeug*innen vorschlägt. Stattdessen droht sie, den Ausschussvorsitzenden zu verklagen.
Beitrag vom 10.09.2020, 17:30 Uhr │ Im Bild: Der Sächsische Landtag in Dresden.
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Sachverständige angeblich unnötig
Mit einem doppelten Eklat endete am Donnerstag in Dresden die fünfte Sitzung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Kürzung der AfD-Wahlliste im Vorfeld der letzten Landtagswahl. Erster Streich: Überraschend beschloss das Gremium, das nächste öffentliche Treffen, bei dem Mitte Oktober Zeug*innen vernommen werden sollten, abzusetzen. Das berichten Teilnehmende der Sitzung übereinstimmend. Der Termin war demnach bereits vor Monaten fest vereinbart worden, wird nun aber nicht mehr benötigt, allenfalls eine kurze nicht-öffentliche Beratungssitzung könnte es geben. Grund ist die AfD. Denn auch knapp ein Jahr, nachdem der Ausschuss auf deren Verlangen eingerichtet wurde, hat die Fraktion noch keine einzige Person vorgeschlagen, die befragt werden soll. Das ist ungewöhnlich, in früheren Untersuchungsausschüssen war die Situation oft umgekehrt, gab es zu viele Zeug*innen für zu wenige Sitzungen.
Doch mit der AfD ist alles anders. Im Oktober 2019, nachdem sich der frisch gewählte Landtag konstituiert hatte, machte die stark angewachsene Fraktion von ihrem Minderheitenrecht Gebrauch und ließ den Untersuchungsausschuss einsetzen. Er soll seither ermitteln, warum die AfD nur mit der Hälfte ihrer vorgesehenen Kandidat*innen zur Wahl antreten durfte. Zunächst hatte der Landeswahlausschuss sogar nur 18 von insgesamt 61 bereits zugeteilten Listenplätzen zugelassen, das Landesverfassungsgericht korrigierte die Entscheidung teilweise und ließ kurzfristig 30 Personen zu. Der Rest stand aber nicht zur Wahl, wegen schwerer Fehler bei der innerparteilichen Nominierung, denn mitten im Aufstellungsverfahren war die vereinbarte Auswahlprozedur gerändert worden. Die AfD räumt eigenes Versagen bis heute nicht ein, unterstellt vielmehr ein Komplott von höchsten Stellen, um ihr Ergebnis zu schmälern. Am Ende konnte die Partei einen Stuhl im Landtag nicht besetzen, weil ihre Landesliste erschöpft war. Dadurch fehlen ihr auch Nachrücker*innen für den Fall, dass Abgeordnete vorzeitig aus dem Parlament ausscheiden.
Nur die AfD hat den Untersuchungsausschuss gewollt, mitmachen müssen aber alle Fraktionen. Dort ärgert man sich schon länger über den Leerlauf. Die Koalitionsfraktionen von CDU, SPD und Grünen waren deshalb sogar in Vorleistung gegangen, damit die Beweisaufnahme überhaupt beginnen kann, und luden mehrere Sachverständige ein. So wurden im Juni der Bundeswahlleiter Georg Thiel und die ehemalige sächsische Landeswahlleiterin Irene Schneider-Böttcher befragt, an diesem Donnerstag nahm die Bautzener Kreiswahlleiterin Andrea Peter im Plenarsaal Platz. Sie führten aus ihrer Sicht aus, wie eine Wahl vorbereitet wird und welche Maßstäbe für Parteien gelten, die antreten wollen. Die Ausschussmitglieder der AfD hatten jedes Mal nur wenige Fragen – und schon im Vorfeld zu verstehen gegeben, dass sie diese Befragungen für unnötig halten.
Klagedrohung statt Kompromisssuche
Doch wen soll man sonst befragen? Das wisse man noch nicht, erklärte die AfD am Rande der Juni-Sitzung gegenüber Medien, denn angeblich würden dem Ausschuss wichtige Unterlagen fehlen, aus denen sich relevante Namen erst ergeben. Doch zu dem Zeitpunkt lagen bereits Beweismittel im Umfang von mehr als 30 Aktenordnern vor, dazu etliche Archivboxen und Datenträger, heißt es aus den anderen Fraktionen. Sie versuchten zudem, auf die AfD einzuwirken und verabschiedeten die rechte Fraktion mit einer einfachen Aufgabe in die Sommerpause: Man möge rechtzeitig vor der jetzt durchgeführten Sitzung Vorschläge machen, welche Zeug*innen künftig befragt werden sollen. Bis Montag hätten dazu Anträge eingehen müssen, damit sie beschlossen und die Ladungen für die Oktober-Sitzung abgeschickt werden können. Doch solche Anträge kamen nicht.
Stattdessen legte die AfD am Montag ein völlig anderes Dokument vor, mit unerwartetem Inhalt. Es handelt sich um eine wortreiche Klagedrohung gegen den Ausschussvorsitzenden Lars Rohwer (CDU) und damit um den zweiten, vielleicht noch viel größeren Eklat, der das Arbeitsklima wohl auf längere Sicht eintrüben wird. Dahinter steht eine Streitfrage, die das Gremium von Anbeginn beschäftigt und den Eintritt in die Beweisaufnahme verzögert hatte: Darf der Untersuchungsausschuss seine Zeug*innen vereidigen? Das sächsische Untersuchungsausschussgesetz sieht dieses besondere Druckmittel vor. Falschaussagen sind zwar stets strafbar, wenn aber zudem ein Meineid geleistet wird, steigt die Strafandrohung. Doch im Strafgesetzbuch wurde längst klargestellt, dass Untersuchungsausschüsse gar nicht die Befugnis haben, Zeug*innen einen Eid abzunehmen. Falls es doch passiert, hat das nur symbolische Bedeutung, ein Meineid wäre in dem Fall also nicht strafbar.
Das sieht die AfD anders und hat bereits vor Monaten in einer internen Beratungssitzung ausdrücklich klargestellt, dass sie keinen Kompromiss finden, sondern unbedingt an der Möglichkeit festhalten will, Zeug*innen unter Eid zu stellen und ihnen mit einer erhöhten Strafe für einen Meineid zu drohen. Als dann im Juni erstmals Befragungen stattfanden, belehrte der Vorsitzende Rohwer die beiden Sachverständigen, wie es üblich ist: Wer falsch aussagt, werde bestraft, eine Vereidigung sei außerdem möglich. Und er fügte einen weiteren Satz hinzu: „Ich weise Sie darauf hin, dass ein Meineid vor dem Untersuchungsausschuss nicht bestraft wird“. Damit hatte der Vorsitzende die Rechtslage aus Sicht der Ausschussmehrheit zutreffend erläutert, nachvollziehbar auch für Zeug*innen ohne juristischen Hintergrund.
Gewollte Eskalation?
Gar nicht nachvollziehbar ist das für die AfD. Das erläutert sie in dem insgesamt zwölfseitigen Schreiben, unterzeichnet durch sämtliche ihrer Abgeordneten. In dem Papier wird der Vorsitzende gedrängt, künftig nicht mehr darauf hinzuweisen, dass ein Meineid straffrei bleibt. Rohwer handle verfassungswidrig, behauptet die AfD, und falls sich dessen Wortwahl nicht ändert, werde man „in dieser Sache eine Organklage beim Verfassungsgerichtshof“ erheben. Die längst auch in anderen Landesparlamenten und im Bundestag verbreitete Auffassung, dass ein Untersuchungsausschuss nicht wirksam vereidigen kann, sei falsch und unvertretbar, „vollends überholt“ und eine „juristische Phantasie“, die von „bemerkenswerter Willfährigkeit“ gegenüber der Regierung zeuge. Die AfD stellt sich damit auch gegen den Juristischen Dienst des Landtags, der eigens zu dieser Frage ein Rechtsgutachten anfertigte, auf das sich der Vorsitzende stützt. Er belehrte die heute vernommene Sachverständige dann auch wie gehabt – mit Rückendeckung der anderen Fraktionen.
Der AfD geht es im Grunde um ein Detail: Falls eine Zeug*in bei einer Falschaussage ertappt wird und darauf einen Eid geschworen hatte, muss ein Strafgericht entscheiden, was daraus folgt. Unabhängig von der Rechtslage wäre der Meineid dann womöglich nicht strafbar, weil der Vorsitzende die Zeug*in in dem Glauben ließ, dass dafür nichts droht. Doch das ist eine ziemlich hypothetische Konstellation: Die AfD hat schließlich keine Zeug*innen benannt, die man vereidigen könnte. Und in der Juni-Sitzung beanstandete sie die Belehrungsformel noch mit keinem Wort, erinnern sich Abgeordnete, die dabei waren. Die Klagedrohung gegen den Vorsitzenden hält man noch aus anderen Gründen für misslich: Lars Rohwer ist fraktionsübergreifend für seine ruhige und konzentrierte Sitzungsleitung bekannt. Er gilt als fair, auch gegenüber der AfD. Deren Fraktion hatte viel Zeit, auf einen Kompromiss hinzuarbeiten, von dem sie aber schon am Anfang sagte, ihn nicht zu wollen. Wollte man lieber eine Eskalation anbahnen, um mit viel Tamtam die Klagemaschine anzuwerfen?
Schon länger versuchen die demokratischen Abgeordneten, sich einen Reim darauf zu machen, dass die AfD zum Kern der Ausschussarbeit nicht viel beiträgt. Wer nachfragt, bekommt mehrere Theorien zu hören. Womöglich soll die Beweisaufnahme herausgezögert werden, damit namhafte Zeug*innen, bis hin zum Ministerpräsidenten, nicht zu früh erscheinen müssen, besser erst im Bundestagswahljahr, wenn es medial mehr nützt. Denkbar ist aber auch, dass bei der AfD die Befürchtung aufgekommen ist, sich mit dem Ausschuss selbst zu schaden. Denn für die angebliche Landtagswahl-Verschwörung gibt es bis heute keinen Beleg, nicht einmal greifbare Indizien. Das Thema verfolgt die Partei parallel im Wahlprüfungsausschuss des Parlaments, dort liegen mehrere Beschwerden wegen angeblicher Wahlbehinderung vor. Auch dort hatte sich die AfD hochgestochene Ziele gesetzt, wollte Neuwahlen erzwingen. Morgen tagt der Wahlprüfungsausschuss wieder. Er wird sich voraussichtlich abschließend mit den AfD-Beschwerden befassen – und sie als „unbegründet“ komplett ablehnen.