Die Klagemaschine

Er nennt sich Staatsrechtslehrer, hat auch einen Professorentitel. Daneben ist er Anwalt und Unternehmer, Parteigründer, Aktivist und derzeit Mitarbeiter der AfD-Landtagsfraktion: Michael Elicker aus dem fernen Saarland avanciert zur Allzweckwaffe für Rechts-Kämpfe aller Art. Demnächst will er gegen die Finanzierung parteinaher Jugendverbände klagen. Der Jurist bedient sich dabei auch unfeiner Mittel – nicht zum ersten Mal.

Wenn Frau Türke anruft

Es war ein unscheinbarer Anruf, der vor wenigen Wochen in der Geschäftsstelle einer sächsischen Landespartei eingegangen ist. Eine Mitarbeiterin hob ab, als es vormittags klingelte, und am anderen Ende meldete sich eine gewisse Frau Türke, die gleich zur Sache kam. Im Auftrag eines Staatsrechtsprofessors der Universität des Saarlandes rufe sie an, sagte Frau Türke sinngemäß, und der möchte gern den aktuellen Jahresbericht der Jugendorganisation der Partei haben. Ein Forschungsanliegen, so klang es zunächst, eine harmlose Bitte. Die parteinahen Jugendorganisationen fassen in ihren Jahresberichten beispielsweise zusammen, wie sich der jeweilige Verband entwickelt. Manche notieren auch, welche Veranstaltungen es gab, welche Kosten entstanden sind und wer sie begleicht. Um Geheimnisse handelt es sich nicht, in der Regel sind solche Dokumente aber nur von interner Bedeutung.

Bei der Geschäftsstelle der Partei war die Anruferin falsch, für den Bericht ist die Jugendorganisation selbst zuständig. Sie möge also, um die Sache an die richtige Stelle weiterzuleiten, ihr Anliegen noch einmal kurz per Mail schildern, erhielt sie zur Antwort. Und so kam es auch: Nach dem kurzen Telefonat erreichte die Partei eine E-Mail mit dem Dank von Romy Türke für das freundliche Gespräch und der Bitte, „für Herrn Prof. Dr. Elicker – Staatsrechtslehrer an der Universität des Saarlandes – einen aktuellen Jahresbericht“ des Jugendverbands zu übersenden. Man war hilfsbereit, die Mail wurde weitergeleitet. Doch beim Jugendverband, wo sie einging, wunderte man sich gleich: Die Absenderin hatte eine Mailadresse genutzt, die keinen besonders offiziellen Eindruck erweckt, von einem Anbieter, den man eher für private Anliegen nutzt, nicht für die Arbeit an einer Hochschule. Und warum interessiert sich ein Professor aus dem westlichen für einen Jugendverband im östlichen Zipfel des Landes?

Sicherheitshalber schrieb man Frau Türke noch einmal an. Den Jahresbericht könne sie haben, hieß es, aber gerne wisse man erst einmal, was der Grund der Anfrage sei. Ein Forschungsprojekt, wie es bisher klang? Frau Türke antwortete nicht mehr. Sie meldete sich nie wieder. Zwei Dinge wurden erst später klar: Es war nicht der einzige Versuch, Informationen über die Arbeit von Jugendverbänden zu erhalten. Und es ging niemals um ein Forschungsprojekt. Was die Anruferin am Telefon bewusst verschwieg und auch in ihrer Mail nicht zu erkennen gab: Sie arbeitet gar nicht für einen Professor, sondern ist seit kurzem Mitarbeiterin der sächsischen AfD-Landtagsfraktion. Die junge Frau war als Rechtsanwalts-Fachangestellte in einer Radebeuler Kanzlei beschäftigt, bevor sie ins Parlament wechselte. Auf der Kanzleiwebsite hat man ihren Namen bereits entfernt. Dort steht jetzt der Name eines anderen Mannes, der früher einmal für die AfD gearbeitet hat.

Der Professor von der AfD

Aber den Professor aus dem Saarland, den gibt es wirklich. Michael Elicker heißt er mit vollem Namen, 50 Jahre ist er alt. Auch er arbeitet für die AfD-Fraktion, und zwar schon etwas länger, seit spätestens Anfang 2019. Und er interessiert sich tatsächlich für parteinahe Jugendgruppen. Im Auftrag der rechten Abgeordneten bereitet er derzeit eine sogenannte abstrakte Normenkontrollklage vor. Das ist das Privileg einer starken Opposition, wie sie die AfD in Sachsen nun einmal ist. Hat man ein Viertel der Landtagsmitglieder beisammen, können sie beim Sächsischen Verfassungsgerichtshof in Leipzig überprüfen lassen, ob bestimmte landesrechtliche Regelungen mit der Landesverfassung vereinbar sind – oder aber rechtswidrig sind.

So einen Antrag hat Elicker neulich schon ausgearbeitet und eingereicht, es geht dabei um die Finanzierung parteinaher Stiftungen. Der sächsischen AfD war es über Jahre hinweg nicht gelungen, eine eigene Stiftung zu gründen, die in den Genuss staatlicher Zuschüsse kommen könnte. Jetzt gibt die Landespartei auf, man will stattdessen erreichen, dass alle anderen Stiftungen leer ausgehen. Das Verfassungsgericht soll daher, so hat es Elicker ertüftelt, Teile des aktuellen Haushaltsgesetzes des Freistaats kassieren, aus dem sich ergibt, welche Stiftungen wie viel Geld erhalten. Die AfD-Fraktion hat dazu in der Sommerpause mit viel Tamtam eine Pressekonferenz gegeben, sich dabei zur Retterin der Demokratie aufgespielt. Tatsächlich geht es um eine ganz formale Frage: Genügt es, die Förderung im Haushalt zu verankern, oder braucht man dazu nicht doch ein eigenes Gesetz? Die Frage ist alt, älter als die AfD. Die Position der Partei ist bei näherem Hinsehen nicht einmal besonders konsistent. Unter den sächsischen Kläger*innen, die Elicker vertritt, ist der Landtagsabgeordnete Carsten Hütter. In seiner Funktion als Mitglied des Parteivorstands steht er zugleich hinter einer anderen Klage, mit der die AfD-Bundespartei beim Bundesverfassungsgericht in etwa das Gegenteil erreichen will – dass auf Grundlage des Bundeshaushalts die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung rund 1,38 Millionen Euro an Staatsförderung für die beiden vergangenen Jahre nachgezahlt bekommt.

Ihr verfassungsrechtliches Geschütz will die sächsische Fraktion bald nachladen und gegen parteinahe Jugendorganisationen schießen, Michael Elicker bereitet die Klage derzeit vor. Der Hintergrund ist ganz ähnlich. Die Jugendverbände der großen Parteien erhalten in Sachsen seit 2007 Landesmittel, allerdings nur indirekt und auch nur einige von ihnen. Im aktuellen Jahr fließen aus dem Budget des Sozialministeriums etwas mehr als 200.000 Euro an den Ring politischer Jugend (RPJ). Das ist ein Verein, in dem sich die sächsischen Ableger von Junger Union, Jungliberaler Aktion, Jusos, Grüner Jugend und Linksjugend zusammengeschlossen haben. Aus dem RPJ-Budget wird zu einem kleineren Teil eine gemeinsame Fach- und Koordinierungsstelle finanziert. Zum anderen erhalten die einzelnen Verbände Zuschüsse für einige ihrer Projekte, etwa Vortragsreihen und Bildungsfahrten. Der RPJ entscheidet selbst über die Verteilung unter den Mitgliedsorganisationen. Der jeweils bezuschusste Verband wird damit Kooperationspartner*in des RPJ und muss die Verwendung der Mittel dokumentieren, der Verein am Ende gegenüber dem Ministerium nachweisen. Es will mit dem Geld „das demokratische Engagement junger Menschen sowie die eigenständige Teilhabe am demokratischen Willensbildungsprozess“ unterstützen. Bislang funktioniert das.

Juristische Rache für die Junge Alternative?

Von diesen Mitteln profitiert allerdings die sächsische AfD mit ihrem Landesverband der Jungen Alternative (JA) nicht. Darüber beklagte sich die Partei schon öfter. Zuletzt beschwerte sich der Landes- und Fraktionsvorsitzende Jörg Urban im Juni, dass der RPJ „seit Jahren“ die Aufnahme der JA verweigert und sie damit effektiv von einer Förderung abschneidet. „Die daraus entstehende einseitige Förderung der Jugendarbeit ist eine Missachtung unserer Demokratie und des Willens der Wähler“, meint die Partei. Sie zieht daraus den Schluss, dass der RPJ künftig kein Geld erhalten und überhaupt niemand mehr gefördert werden soll. Richtig daran ist, dass der RPJ mit dem AfD-Nachwuchs nichts zu tun haben will. Das kommt schon im Selbstbild des Vereins zum Ausdruck: Er bejaht die „Zusammenarbeit junger Menschen unterschiedlicher politischen Ansichten, soweit diese nicht verfassungsfeindlicher Art sind und den Gedanken des Grundgesetzes nicht widersprechen.“

Die JA ist die perfekte Ausnahme von dieser Regel, der Verband gilt nämlich bundesweit als sogenannter rechtsextremistischer Verdachtsfall. Der hiesige Landesvorsitzende Rolf Weigand, zugleich Landtagsabgeordneter, dürfte dadurch amtlich als „Rechtsextremist“ gelten, genau wie Jörg Urban. Hinzu kommt, dass es bei der JA Sachsen derzeit nicht viel zu fördern gäbe. Das Verbandsleben liegt seit geraumer Zeit brach, es gibt lediglich drei Regionalgruppen in Dresden, Leipzig und im Landkreis Mittelsachsen, aber von denen hört man wenig, öffentliche Veranstaltungen sind gerade nicht im Angebot. Der AfD geht es jedoch um eine prinzipielle Frage, die der geplanten Klage aller Voraussicht nach zugrunde liegen wird: Verzerrt nicht auch die indirekte staatliche Förderung parteinaher Jugendverbände den politischen Wettbewerb, wenn eine namhafte Organisation davon ausgeschlossen bleibt? Warum ist die Mitgliedschaft im RPJ eine Zuwendungsvoraussetzung, und wieso entscheidet am Ende der Verein darüber, wer ein Stück vom Kuchen erhält, wer dagegen leer ausgeht? Schließlich: Hängen die Jugendverbände durch die RPJ-Mittel viel zu sehr am Tropf des Staates? Antworten darauf, Belege für die Klageschrift also, könnten sich aus Berichten ergeben, an denen Frau Türke interessiert war.

Auch in diesem Fall ist die AfD nicht originell, sie betritt kein juristisches Neuland. Vielmehr gibt es eine Art Präzedenzfall, auf den Elicker das Verfassungsgericht wohl hinweisen wird. Auf Bundesebene, wo die Spielregeln nicht ganz dieselben sind, erhielt die Linksjugend vom zuständigen Familienministerium jahrelang keine Zuschüsse, unter anderem, weil im Verband „linksextremistische Positionen“ vertreten werden. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg kippte diese Blockadehaltung 2012 aus grundsätzlichen Erwägungen. Für die Gewährung oder Versagung von Zuschüssen, so das Gericht, fehlte nämlich bis dahin eine ausdrückliche Rechtsgrundlage. Sie wurde danach geschaffen – doch in Sachsen gibt es so eine gesetzliche Regelung bis heute nicht, nur eine eingeschliffene Haushaltspraxis. Das ist unzureichend aus Sicht der AfD, nachteilig für ihren verfassungsfeindlichen Jugendverband und – Elicker wird das vermutlich betonen – verfassungswidrig, was die bisherige Förderung des RPJ angeht.

Der Serien-Kläger

Woher kommt der Eifer? Für die AfD ist Michael Elicker so etwas wie ein juristisches Multi-Tool. Er hat beispielsweise eine Strafanzeige ausformuliert, die im April 2019 durch die Landtagsfraktion gegen die alte Bundesregierung erstattet worden ist, die 2014 ins Amt gekommen war. Vorwurf: Untreue. Der Anlass hatte mit Sachsen nichts zu tun, es ging um die Ernennung der ehemaligen Bildungsministerin Annette Schavan zur Botschafterin im Vatikan durch das Bundeskabinett. Schavan hatte zuvor wegen eines Plagiats den Doktortitel verloren und war deshalb von ihrem Ministeramt zurückgetreten. Für den anschließenden Botschaftsposten fehlte ihr dadurch womöglich der berufsqualifizierende Abschluss. Laut AfD handelte es sich um einen schlimmen Fall von „Ämterpatronage“, womöglich um strafbare Korruption. Der alte Fall erschien der Fraktion wenige Wochen vor der Europawahl plötzlich so wichtig, dass sie eigens Journalist*innen in Räumen der Berliner Bundespressekonferenz zusammentrommelte.

Bahnbrechende Neuigkeiten gab es jedoch nicht, die Entsendung Schavans zum Heiligen Stuhl war schon frühzeitig bekannt und kritisiert worden. Auch Elicker hatte das getan, zwei Jahre zuvor in einem Aufsatz, in dem er von einem „brutalen Extrembeispiel für die heute so ungeniert praktizierte Ämterpatronage“ sprach. Damals war ihm selbst noch klar, dass der Fall Schavan strafrechtlich wohl nicht zu sanktionieren ist. Das bestätigte dann auch die zuständigen Staatsanwaltschaft Berlin, nachdem ihr die Strafanzeige der AfD zugegangen war. Sie sah keinen Anfangsverdacht und legte den Fall nach kurzer Zeit zu den Akten. Der geplante Coup ist sofort verpufft. Doch Elicker bekam wenig später seinen großen Auftritt. Im Juli vergangenen Jahres wurde die Landesliste der AfD für die Landtagswahl eingekürzt, von 61 auf zunächst 18 Kandidierende, wegen gravierender Fehler bei deren Aufstellung. Aus Parteisicht war es ein großes Komplott der „Altparteien“. Ein Fall für Elicker.

Für die Landespartei zog er vor das sächsische Verfassungsgericht und erzielte einen Teilerfolg, das Gericht ließ immerhin 30 Kandidat*innen zu. Die immer noch halbierte Liste war das bestimmende Thema des AfD-Wahlkampfs, und Elicker spielte dabei eine illustre Rolle. Vor der Einreichung der Klage gab die Partei eine Pressekonferenz und präsentierte den Professor dort ausdrücklich „als Staatsrechtslehrer“, als einen, der eine eklatante „Verfassungskrise“ korrigieren muss. Journalist*innen staunten nicht schlecht, als eine Kopie der Klageschrift ausgeteilt wurde. Elickers wuchtigen Briefkopf ziert ein Siegel der Universität des Saarlandes, wie es bis vor einigen Jahren offiziell gebraucht worden ist. Dazu eine „Hausadresse“, die auf dem Saar-Campus liegt, und eine Telefonnummer, die ebenfalls dorthin führt. Unter dem Namen des Professors steht: „Hochschullehrer für Staats- und Verwaltungsrecht“, und noch einiges mehr. Alles erweckte den Anschein, als äußere sich hier eine Koryphäe seines Fachs, eine akademische Institution von maximaler Seriosität. Dass es sich um einen einzelnen Rechtsanwalt handelt, gar um einen, der hauptamtlich für die AfD tätig ist, das hätte man kaum vermutet, es war nicht zu erkennen. Redlich soll man das nicht nennen.

Ein „Wahlbeobachter“, der keiner ist

In der Pressekonferenz meldete sich ein etwas besser informierter Journalist zu Wort und fragte nach: Wie lange arbeitet Herr Elicker schon für die AfD-Fraktion? Der Professor antwortete ausweichend und frei von jedem Understatement: „Sie können mich ansehen als einen Wahlbeobachter aus dem Kreise der deutschen Staatsrechtslehrer. Und es ist bitter nötig, dass ich hier bin.“ Er sei kein Parteimitglied, schob er nach. Dafür gibt es auch bis heute keinen Hinweis. Allerdings hatte ihn niemand als „Wahlbeobachter“ entsandt, er war auch nicht als Akademiker nach Dresden gekommen, sondern als ein bezahlter Rechtsbeistand. Die Masche mit dem Briefkopf, die etwas anderes suggeriert, ist bis heute dieselbe geblieben, einziger Unterschied: Zusätzlich zu der Universitätsadresse in Saarbrücken wird inzwischen ein „Büro Dresden“ angegeben, in besonders schicker Lage am Neumarkt, unweit der Frauenkirche. Noch immer gibt es keinen Hinweis auf die AfD.

Immer wieder ist Elicker seither für die AfD aktiv geworden, nicht nur in Sachsen. Im Herbst 2019 verfasste er für die hessische AfD-Landtagsfraktion ein Gutachten. Es sollte zeigen, dass nach der dortigen Landtagswahl im Vorjahr die Gesamtzahl der Parlamentssitze falsch berechnet worden war, der Landtag größer sein und die AfD ein Zusatzmandat erhalten müsste. Im Frühjahr 2020 zog er mit einem Eilantrag vor das Bundesverfassungsgericht, um den AfD-Bundestagsabgeordneten Stephan Brandner wieder zum Vorsitzenden des Rechtsausschusses im Bundestag zu machen. Brandner war zuvor durch mehrere verhetzende Äußerungen sowie einen antisemitischen Tweet in die Kritik geraten und daraufhin als Ausschussvorsitzender abgewählt worden. Es war ein Novum in der Geschichte des Bundestags, eine Situation, die in der Geschäftsordnung des Parlaments nicht geregelt ist. Das Bundesverfassungsgericht hat das Eilverfahren inzwischen abgeschmettert, weil keine Dringlichkeit vorlag. Die AfD-Fraktion, die Anspruch auf den Ausschussvorsitz hat, hätte sofort eine andere Person benennen können, hält aber aus Prinzip an Brandner fest. Das Hauptsacheverfahren ist noch anhängig, Elicker wird irgendwann in Karlsruhe mitverhandeln.

Vor einigen Monaten reichte er zudem eine Normenkontrollklage der hiesigen AfD-Abgeordneten vor dem sächsischen Verfassungsgericht gegen das Wahlgesetz des Freistaats ein. Das Verfahren soll schon bald verhandelt werden. Elickers Fachgebiet war das Wahlrecht bisher zwar nicht. Trotzdem holte die AfD-Bundestagsfraktion den Juristen im Mai nach Berlin, zu einer Sachverständigen-Anhörung zur derzeit heiß umkämpften Reform des Bundeswahlgesetzes, damit das Parlament nicht immer größer wird. Man ahnt es schon, auch dort machte er sich als Staatsrechtslehrer der Universität des Saarlandes bekannt – und nicht als Mitarbeiter der sächsischen AfD-Fraktion.

Steile akademische Karriere

Was treibt den Professor von der Saar an die Elbe? Die Antwort darauf ist nicht leicht zu finden. Man tut Michael Elicker Unrecht, würde man unterstellen, dass es ihm nur ums Geld geht oder er sich nur politisch produzieren will, er den großen Auftritt sucht oder nach persönlicher Geltung strebt. Möglicherweise ist von allem ein bisschen im Spiel. Dieses Spiel beginnt in den 1990er Jahren, Elicker studierte Rechtswissenschaften an der Universität des Saarlandes. Gleich im Anschluss wurde er Mitarbeiter seines Professors, der damals wie heute den Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Wirtschafts-, Finanz- und Steuerrecht besetzt. Er war auch der Doktorvater Elickers, der von einem Stipendium der Deutschen Post profitierte, die gerade ihrer Privatisierung entgegen ging. In seiner 1999 vorgelegten Doktorarbeit setzt er sich mit einem Detail des dafür neu geschaffenen Postgesetzes auseinander, ziemlich trockener Stoff.

Seiner Alma Mater blieb er weiter verbunden, ihr Name macht sich bis heute gut auf Schriftsätzen. Anfang der 2000er Jahre trat er dort in ein Beamtenverhältnis ein, gab an der Universität Veranstaltungen zum deutschen und europäischen Steuer- und Wirtschaftsrecht. In dieser Zeit war Elicker äußerst produktiv, er verfasste zahlreiche Fachpublikationen zum Steuer-, Finanz- und Investmentrecht. Alles lief auf eine steile akademische Karriere zu. Schon 2004 wurde seine Habilitationsschrift fertig, ein „Entwurf einer proportionalen Netto-Einkommensteuer“. Er diskutierte darin eine mögliche Vereinfachung des Steuersystems. Kernpunkt war eine Umstellung des Einkommenssteuertarifs von einem progressiven auf einen proportionalen Steuersatz, der höhere Einkommen entlastet. Zwar zahlen nach diesem Entwurf Besserverdienende immer noch mehr als diejenigen mit niedrigen Einkommen, aber deutlich weniger als bisher. Der Ansatz näherte sich den in Mode gekommenen, neoliberalen „Flat Tax“-Konzepten an, im CDU-Umfeld prominent vertreten durch den früheren Verfassungsrichter Paul Kirchhof, der beinahe Merkels erster Finanzminister geworden wäre. Mit seiner eigenen Arbeit erwarb sich Elicker immerhin die Lehrbefugnis für die Fächer Staats- und Verwaltungsrecht, Steuer- und Finanzrecht sowie Verfassungsgeschichte. An der Saar-Uni wirkte er fortan erst als Privatdozent, seit 2009 als außerplanmäßiger Professor. Sein Steckenpferd blieb die ganze Zeit über das Steuerrecht.

In jüngster Zeit hat er sich jedoch rar gemacht, Fachpublikationen zu seinem akademischen Schwerpunkt schon seit mehreren Jahren nicht mehr veröffentlicht. Laut offiziellem Vorlesungsverzeichnis bot er seine letzte Lehrveranstaltung im Sommersemester 2018 an, zuletzt gab er nur noch Examensklausurkurse, Teilnahme per E-Mail. In den zwei Klausuren, die er jüngst anbot, verarbeitete er höchst aktuellen Stoff, fernab des Steuerrechts. In einem Fall sollten Studierende die verhinderte Förderung eines parteinahen Jugendverbands bewerten. In dem anderen Fall ging es um die Abwahl eines Vorsitzenden des Bundestags-Rechtsausschusses. Die Tatsachen waren nur leicht verfremdet: Aus Stephan Brandner wurde der Abgeordnete „Döpfner“, aus der AfD-Fraktion die – das steht da tatsächlich – „SED-Fraktion“. Elickers Frage an die Studierenden: Was rät man Herrn „Döpfner“, wenn er einem „alles Geld der Welt“ bietet, um wieder Ausschussvorsitzender zu werden?

Die Elicker-GmbH

Die akademische Arbeit war immer nur ein Standbein des Juristen Elicker, das ist recht üblich. Nach Abschluss seines Jurastudiums wurde er als Rechtsanwalt zugelassen und nacheinander für mehrere Großkanzleien in Frankfurt am Main und Stuttgart aktiv. Bis Ende der 2000er Jahre, bis er Professor wurde, war das seine Teilzeittätigkeit. Auch dabei stand stets das Steuer- und Wirtschaftsrecht im Mittelpunkt. Außerdem machte er sich mit seinem Fachwissen schrittweise eigenständig. Erst gründete er gemeinsam mit einem anderen Anwalt eine Firma, die auf „Dienstleistungen im Bereich nationaler und internationaler Unternehmens- und Projektfinanzierungen“ spezialisiert war. Dann, das war 2005, schuf er die „Elicker Rechtsanwaltsgesellschaft mbH“, deren alleiniger Eigentümer, Gesellschafter und Geschäftsführer er bis heute ist. Gegenstand des Unternehmens ist die Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten. Solche Konstruktionen sind gängig.

Bis 2011 führte die Geschäftsanschrift der Elicker-GmbH zu einem Wohnhaus nach Lautenbach, einem kleinen Ortsteil der Stadt Ottweiler mit gut 1000 Einwohnern, nordöstlich von Saarbrücken gelegen, an der Grenze zu Rheinland-Pfalz. Dort kommt Elicker her. Die Anschrift änderte sich 2011, seitdem führt sie mitten auf den Campus der Saar-Uni. Im Gewerberegister sind seither genau die Angaben hinterlegt, die Elicker in seinem beeindruckenden Briefkopf verwendet, der aussieht, als habe man es mit einem akademischen Großkaliber zu tun – und der eine GmbH nicht erwähnt. Die Jahresabschlüsse der Rechtsanwaltsgesellschaft zeigen jedoch, dass Elickers Geschäfte, die er auf eigene Rechnung besorgte, nicht nur gut liefen, sondern noch viel besser vorankamen als seine Uni-Karriere.

Er eröffnete eine Steuer- und Wirtschaftsrechtskanzlei mit Standorten in Saarbrücken, München und Ramstein. Im Internet bewarb er bald noch einen Extra-Geschäftszweig namens „Independent Real Estate Services“. Dabei bot er ausländischen Interessent*innen seine Beratung beim Hauskauf in Deutschland an, er zielte insbesondere auf Angehörige des US-Militärs im Raum Kaiserslautern ab. Der nächste Schritt führte ihn über die Grenze, nach Luxembourg. Mitten in der Steueroase, in einer sehr ansehnlichen, noblen Gegend, richtete Elicker eine Steuerkanzlei ein. So hieß seine Dependance auf einer längst abgeschalteten Website. Immer noch einsehbar sind Firmenunterlagen im luxemburgischen Gewerberegister. Ihnen zufolge war der Geschäftszweck nicht die Rechts-, sondern die Unternehmensberatung, und längst war Elicker selbst zum Unternehmer geworden. Gemeinsam mit einem Beteiligten der Luxemburger Kanzlei zog er beispielsweise eine Firma hoch, bei der es wieder um etwas Neues ging, um die „Planung, Entwicklung sowie Betrieb von Business Centern für chinesische Unternehmer in Deutschland“.

Ein Kampf gegen Windmühlen

Wer Elicker für einen Überflieger hält, für einen Hansdampf in allen Gassen, liegt nicht ganz falsch. Aber zum Gesamtbild gehört noch eine weitere Gasse, eine Nische vielmehr, in der es ihm erstmals gelang, sich außerhalb der Fachwelt einen Namen zu machen – als „Windkraft-Anwalt“. Ab dem Jahr 2014 vertrat er mehrere Initiativen, die gegen die Errichtung von Großwindanlagen und Windparks vorgehen wollten. Ungefähr zu dieser Zeit änderte sich Elickers bevorzugte Selbstbezeichnung: Aus dem „Hochschullehrer für deutsches und internationales Steuer- und Wirtschaftsrecht“, wie es präzise hieß, wurde der Staatsrechtslehrer, der gegen die „Windrad-Lobby“ ins Feld zieht. Diesem Kampf hatten sich Teile des sprichwörtlichen Wutbürgertums verschrieben, bevor wenig später Pegida und die AfD andere Themen ins Zentrum rückten.

Wer nachliest, wie damals allerhand Vereine und Initiativen – freilich aus ganz unterschiedlichen Gründen – gegen die Windkraft agitierten, stößt häufig auf Elickers Namen. Das liegt an einem Argument, das er in Schriftsätzen gebrauchte, eine Art Drohung gegen jene, die Windräder errichten lassen: Bürgermeister*innen und Mitglieder von Stadt- und Gemeinderäten würden persönlich und mit ihrem Privatvermögen haften, wenn sie Bauland freigeben und sich aus der dort betriebenen Windkraftnutzung etwaige Gesundheitsschäden bei Menschen ergeben. In der Szene, in der man Elicker bald kannte, war es eine ausgemachte Sache, dass es diese Gesundheitsschäden gibt. Das Zauberwort hieß Infraschall. Das ist ein tieffrequenter Schall, üblicherweise unterhalb der menschlichen Wahrnehmungsschwelle. Windkraftanlagen strahlen tatsächlich Infraschall ab, allerdings viel zu wenig, um Krankheitssymptome auszulösen. Das Gegenteil wurde oft behauptet, auch durch Elicker, aber nie bewiesen.

Besonders stark brachte er sich bei der „Bürgerinitiative gegen Windkraft“ in seinem Heimatort Lautenbach ein, die mehrere Jahre lang aktiv war. An der Spitze der BI stand ein ehemaliger CDU-Kommunalpolitiker, den Elicker gut kannte, und er leistete wohl auch etwas mehr als nur schnöde Rechtsberatung. Das zeigt sich 2017, als die BI-Arbeit einen unrühmlichen Höhepunkt erreichte. Auf richterliche Anordnung wurden die Räume des BI-Leiters durchsucht, wegen möglicher Beihilfe zu einem Geheimnisverrat. In dem sonst so ruhigen Ort war das ein großes Ereignis – und für Elicker, wie er damals der Lokalpresse sagte, reiner „Staatsterror“. Das kam so: Ein inzwischen entlassener Mitarbeiter des saarländischen Umweltministeriums soll der BI interne Planungsunterlagen zum Thema Windkraft zugespielt haben. Die BI hat daraufhin eine Pressekonferenz gegeben, bei der von einem „Genehmigungsskandal“ die Rede war. Die fraglichen Dokumente wurden dort an Journalist*innen ausgehändigt. Vielleicht wurde man dabei übermütig. Denn wer an der Pressekonferenz teilnahm, erfuhr auch, wer der Maulwurf war, dass sich Elicker mit ihm getroffen und die BI dadurch die internen Papiere erhalten hatte. Mit dieser Prahlerei lieferte man die Quelle ans Messer und brachte die Ermittlungen ins Rollen.

Der Windkraft-Unternehmer

Als Jurist und Aktivist stritt Elicker vehement gegen die Windkraft, vor allem im Saarland. Als Unternehmer wollte er trotzdem an ihr verdienen, und zwar genau zur gleichen Zeit. Dafür zog er nur ein Bundesland weiter, nach Rheinland-Pfalz in die Kleinstadt Baumholder. Eine Investorengruppe wollte dort im Jahr 2015 Bauland erwerben, insgesamt 18 Eigenheime der gehobenen Qualität errichten und später weiterverkaufen. Ein komplettes Wohnquartier in Toplage sollte es werden, gelegen am Stadtweiher, einem Badesee mitten im Ortszentrum. Elicker trat als „Sprecher“ des Konsortiums auf, das möglicherweise auch darauf aus war, für das Bauprojekt EU-Subventionen für Energiesparkonzepte einzustreichen. Das Konzept sah in diesem Falle vor, dass die neuen Häuser ein eigenes, internes Stromnetz erhalten, gespeist aus regenerativen Energiequellen.

Doch zahlreiche Bürger*innen waren gegen die Baupläne, protestierten bei Einwohner*innenversammlungen und ließen sich von Elicker, der die Pläne ausführlich darlegte, nicht überzeugen. Nicht etwa, weil sie etwas gegen regenerative Energiequellen oder schicke Häuser hatten, sondern weil sie ihren Badesee behalten wollten, wie er ist. Unter Wohnraummangel litt der Ort zudem nicht, eher unter wachsendem Leerstand. Die Investoren, ohne genügenden Rückhalt vor Ort, zogen sich daraufhin wieder zurück. So wurde der Clou des gescheiterten Projekts keine Wirklichkeit: Windturbinen auf den Dächern waren fest eingeplant. Möglicherweise wurde die Idee in Elickers Luxemburger Kanzlei geboren, mindestens eine weitere involvierte Person war dort tätig.

Elicker selbst, das zeigen Gewerbeunterlagen, war nicht nur „Sprecher“ des Bauprojekts, sondern ab 2015 an mehreren Firmen teils als Gesellschafter, teils sogar als Geschäftsführer beteiligt, deren offizieller Zweck unter anderem die „Veräußerung von Immobilienprojekten und intelligenten Energielösungen“, das „Anbieten von Energiekonzepten bzw. -systemen“ wie etwa Windturbinen sowie der Handel mit Waren „aus dem Bereich Energieerzeugung“ war, beispielsweise Windkraftanlagen. Windkraftgegner oder Windkraftprofiteur, Aktivist oder Unternehmer? Der Staatsrechtslehrer wollte gern beides auf einmal sein. Pecunia non olet, wie nicht nur Jurist*innen sagen.

Gescheiterter Politiker

Die Aktivistenrolle war nicht neu für Elicker, er hatte schon früher Ausflüge in die Politik gemacht, bevor ihn der Infraschall in Schwung brachte, lange bevor er bei der AfD gelandet ist. Er kommt zumindest aus dem Umfeld der CDU, hatte womöglich auch ein Parteibuch. Als sein Studium fast vorüber war, nahm er 1997 auf Einladung der Jungen Union an einer Podiumsdiskussion über die Wehrpflicht teil. Noch 2009 kandidierte er in seinem Wohnort erfolglos für die CDU zur Stadtratswahl. Rund zwei Jahre später gründete er selbst eine Partei und wurde sogar deren Vorsitzender. „Initiative Direkte Demokratie“ (IDD) nannte sich die Vereinigung, die einen Bundesvorstand hatte, deren Aktivitäten aber über das kleine Saarland nicht hinauskam und der sich wohl nur eine mittlere zweistellige Mitgliederzahl angeschlossen hat. Die Gründer*innen der IDD, so hieß es in dem durch Elicker verfassten Grundsatzprogramm, hätten „bisher allesamt verschiedenen etablierten Parteien angehört“, seien jetzt aber der Ansicht, „dass die die Macht im Staate ausübende Oligarchie der etablierten Parteien nicht mehr in der Lage ist, die großen Probleme von Gegenwart und Zukunft zu lösen“.

Stattdessen setzte man auf Volksentscheide „auf allen staatlichen Ebenen“. Man wandte sich zudem gegen das „dominierende Berufspolitikertum“, gegen die „Alleinherrschaft einer Parteienoligarchie“, den „viel zu weit gehenden gesellschaftlichen Einflusses der bisher herrschenden etablierten Parteien“ und „hieraus resultierende Ämterpatronage, Vetternwirtschaft und Korruption“. An die Macht kämen in Deutschland zumeist Personen, „die nie z.B. als Unternehmer, Arbeitnehmer, Handwerker, Wissenschaftler oder Haushaltsvorstand eigene Erfahrungen und Kompetenzen gesammelt haben.“ Die IDD war der Versuch, eine Anti-Parteien-Partei aufzubauen, wie sie einige Jahre später die AfD wurde. Und genau wie sie verband schon Elickers saarländische Splittergruppe die hehre Forderung nach direkter Demokratie mit schroffer antiparlamentarischer Rhetorik und vulgärer Politiker*innenschelte.

Ins Parlament wollte die IDD trotzdem, und zwar bei der saarländischen Landtagswahl 2012. Ihre Aussichten waren nicht allzu gut. Im Vorfeld klagte Elicker gegen die Fünf-Prozent-Hürde, das brachte der Partei viel öffentliche Aufmerksamkeit ein, aber weder Erfolg vor Gericht, noch an der Wahlurne. Nur in einem der drei saarländischen Wahlkreise konnte die Partei angekreuzt werden, Elicker war der Spitzenkandidat. Am Ende erhielt die Partei genau 721 Stimmen, landete damit im Promillebereich und war selbst unter den sonstigen Parteien keine nennenswerte Kraft. Unter diesen Umständen wäre Elicker sogar ohne die Fünf-Prozent-Hürde nicht ins Parlament eingezogen, da sich rechnerisch keine andere Sitzverteilung ergeben hätte. Die IDD war danach am Boden, von dem sie, genau genommen, nie abgehoben war.

Anklang bei der AfD

Doch Elicker hatte Gefallen an der Politik gefunden, und bald, der Windkraft sei Dank, fand er eine neue Plattform – zunächst keine Partei, sondern einen damals noch unscheinbaren Verein, den „Deutschen Arbeitgeber Verband“ (DAV). Für den DAV war der Staatsrechtslehrer ein glücklicher Fang, der ungeahnte Reichweiten bescherte. Elicker verfasste 2014, als er sich der Windkraft zuwandte, gleich eine ganze Artikelserie zu diesem Thema. Der erste Beitrag trug den programmatischen Titel „Windkraft – das gewaltigste Naturzerstörungswerk seit 200 Jahren“. Nachdem der Text auf der DAV-Website eingestellt wurde, fand er weite Verbreitung, wurde so etwas wie ein Klassiker der Windkraftskepsis. Der Beitrag ist heute noch zu finden, vor allem bei Leugner*innen des menschengemachten Klimawandels.

„Der ländliche Raum blutet gerade mehr aus als durch jedes andere Ereignis in den letzten 200 Jahren“, schrieb Elicker, meinte damit natürlich die Errichtung von Windrädern und betrauerte das „Opfer an den Tieren von Wald und Feld“, an der Gesundheit von Bürger*innen und – dies vor allem – am „Immobilieneigentum von unbeteiligten Eigentümern“, das „in Milliardenhöhe entwertet“ werde. Windenergie sei eine „nutzlose Ideologie“, die Politiker*innen „aufgrund mangelnder Kompetenz“ verfolgen würden, und Großwindanlagen ein einziges „Verbrechen“. Das „Europäische Institut für Klima & Energie“ (EIKE), ein Anti-Klima-Lobbynetzwerk, das heute der AfD nahestand, übernahm die Suada auf ihre eigene Website und würdigte den Autor dort später als „kämpferischen Juristen“. Einiges spricht dafür, dass Elicker, ohne dass er das bereits wissen konnte, wichtige Stichworte für die späteren klimapolitischen Positionen der AfD lieferte.

Noch im vergangenen Jahr wurden der alte Aufsatz über Windkraft als „Naturzerstörungswerk“ in einem Newsletter des sächsischen Bundestagsabgeordneten Tino Chrupalla herangezogen, der inzwischen AfD-Bundesvorsitzender ist. Die Partei hatte sich schon sehr früh an das Thema geheftet. Als Elicker 2015 im saarländischen Riegelsberg zum Rechtsberater für den Verein „Fröhner Wald – für Mensch und Natur“ wurde, solidarisierte sich auch die örtliche AfD mit den Windkraftgegner*innen dieser Initiative. Für sie schob Elicker eine Normenkontrollklage zum Oberverwaltungsgericht Saarlouis an, um einen Flächennutzungsplan anzugreifen, auf dem ein Windpark entstehen sollte, der den Namen kaum verdiente. Der „kämpferische Jurist“ focht gegen drei einzelne Windräder.

Autor und Funktionär für einen seltsamen Verband

Zu dieser Zeit publizierte Elicker schon kaum noch im akademischen Bereich, seine Themen wurden populärer, wenn man das so nennen will. Er schrieb eine ganze Reihe weiterer Beiträge für den DAV, zu unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Themen. Einige von ihnen zündeten in einschlägigen Spektren, zumindest einer erschien parallel auch auf dem antimuslimisch-rassistischen Blog „PI-News“. Zudem wurde Elicker zum Autor des DAV-Verbandsmagazins, das „Erhards Erben“ heißt. Er war schon in der Erstausgabe vertreten, die 2016 erschienen ist, und bewarb nochmals seine Steuerreform-Idee zugunsten der Reichen, mit der er sich habilitiert hatte. Im gleichen Heft, direkt davor, fand sich ein Artikel des Publizisten Roland Tichy, damals bekannt als Wirtschaftsjournalist und Blogger, wenig später auch als Herausgeber einer rechtspopulistischen Zeitschrift, die seinen Namen trägt.

In der zweiten Ausgabe von „Erhards Erben“, erschienen 2017, durfte Elicker sogar den Aufmacher schreiben. Das Thema war diesmal Korruption und „Ämterpatronage“, ein Problem, auf das er schon mit seiner IDD-Partei geschimpft hatte. Es ging, genauer gesagt, um den Fall Schavan, mit dem er zwei Jahre später die sächsische AfD verzücken würde. Elicker, so stand es in dem Heft außerdem zu lesen, schrieb nicht mehr nur für den DAV, sondern war Mitglied in dessen Beirat geworden. Ein Gremium in einem Wirtschaftsverband, das klingt honorig, einem Staatsrechtslehrer nur angemessen. Dem gleichen Gremium gehört auch Georg Milbradt an, der ehemalige sächsische CDU-Ministerpräsident.

Doch das macht die Sache nicht besser, wenn man weiß, um was es sich beim „Deutschen Arbeitgeber Verband“ eigentlich handelt. Es ist ein nationalliberaler Verein, dessen Beiträge und Stellungnahmen in den notorischen Echokammern zusehends Verbreitung fanden, bis hinein in echte Briefkästen. Im Frühjahr 2017 etwa, vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl, wurde eine zehnseitige Gratiszeitung namens „Extrablatt“ verteilt, in einer atemberaubenden Gesamtauflage von 2,6 Millionen Stück. Gleich zwei Mal wurde darin auf den DAV verwiesen – und im Übrigen auch recht offen für die AfD geworben. Hinter dem Blatt, das in ähnlicher Aufmachung auch anlässlich weiterer Landtagswahlen erschienen ist, stand der „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten“. Das ist eine Spendenmaschine, spezialisiert auf die Grauzonen der Parteienfinanzierung, in denen sich die AfD auskennt. Der Vereinsvorsitzende David Bendels war damals parallel im DAV aktiv.

Ein Verband, der gar keiner ist

Der DAV wiederum ist spezialisiert auf Content zu Themen, die der rechte Zeitgeist gerade anspült. Elickers Windkraft-Serie ist nicht mehr abrufbar, man agitiert aber weiter gegen die Energiewende, gegen die Zuwanderung, man warb sogar schon für Trump und veredelt alles mit dem eigenen, seriös klingenden Namen. Der ist allerdings ein Nepp. Der DAV, so kann man es auf der Website nachlesen, beruft sich auf die ordoliberalen Ideen Luwdig Erhards, des Mitschöpfer der sogenannten sozialen Marktwirtschaft, und auf eine eigene Geschichte, die angeblich noch hinter die Gründung der Bundesrepublik zurückreicht. Im Jahr 1948 sei der DAV „als erster freier Wirtschaftsverband“ gegründet worden, heißt es selbstbewusst. Ein Blick ins Vereinsregister zeigt, dass das so nicht stimmen kann: Der Verein wurde erst 2012 eingetragen. Zwar gab es einen weit älteren DAV, mit ganz leicht abweichender Schreibweise. Aber der ging Ende 2008 in die Insolvenz und wurde daraufhin aufgelöst. Personelle Überschneidungen des alten mit dem neuen DAV sind nicht auszumachen.

Die Tradition, in die sich der neue DAV stellt, er ist wohl eine Erfindung. Noch mehr ist nicht ganz stimmig. Laut Satzung handelt es sich beim heutigen DAV um einen „Zusammenschluss marktführender und richtungsweisender Unternehmen“, getragen „von Unternehmern und Entscheidungsträgern“ sowie „Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Forschung und Politik“. Ziel sei das „Wohlergehen der mittelständischen Wirtschaft“, dafür will man erklärtermaßen auf Gesetzgebungsverfahren Einfluss nehmen. Es handelt sich also um eine Lobbygruppe — den eigenen Angaben nach nicht besonders interessiert an sozialen Komponenten der „Marktwirtschaft“. Der Sozialstaat fördere „zu viel“, heißt es auf der Website. Völlig im Dunkeln bleibt dort und in allen eigenen Publikationen, wer sich überhaupt im DAV zusammengeschlossen hat, wen der Verein vertritt, für wessen Interessen er streitet.

Doch möglicherweise gibt es da nicht allzu viel, was transparent gemacht werden kann. So gehört der DAV der offiziösen Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wider Erwarten gar nicht an. Dazu kommt: Zur letzten DAV-Bundesversammlung, dem höchsten Entscheidungsorgan des Vereins, erschienen ausweislich des Sitzungsprotokolls, das idas vorliegt, nur fünf Personen. Immerhin, einige der bisherigen DAV-Spitzenleute, stets Männer, sind wirklich Unternehmer, aber durchweg ohne namhafte oder gar marktführende Firmen im Hintergrund. Zu einigen Vereinsfunktionären sind gar keine Gewerbe aufzufinden, man kennt sie aus ganz anderen Gefilden, etwa aus dem Spektrum stramm-konservativer katholischer Studentenvereine, oder aus dem Autorenstamm der marktradikalen Zeitschrift „Tichys Einblick“. Bei der jüngsten DAV-Mini-Verbandssitzung im Oktober vergangenen Jahres wurde ein neuer Vorstand gewählt, Vereinsvorsitzender ist seitdem Sven Stählin. Hier schließt sich der Kreis, denn man kennt Stählin als einen Juristen, der sich im Internet als „Windkraft-Anwalt“ anpries. Er warb dort mit dem Namen eines bekannten Kompagnons: Professor Dr. Michael Elicker.

Am blauen Hebel

Ein Blender ist der Jurist aus dem Saarland keineswegs. Aber hinter den großen Titeln und Posten, die einen erhabenen Staatsrechtslehrer schmücken sollen, steht eine manchmal irrlichternde und stets widersprüchliche Figur, ein eigentümlicher Mix aus Gesinnung und Geschäft. In der sächsischen AfD-Fraktion hat Elicker ein Umfeld gefunden, das erstaunlich gut zu ihm passt. Denn auch dort gehen Sendungsbewusstsein und Selbstbegünstigung bisweilen durcheinander, kommt man den selbstgezeichneten Klischees von „Altparteien“ und „Berufspolitikertum“ auffällig nahe. Viel entscheidender als jede Charakterfrage ist aber, wozu die AfD, die ohnehin viele Jurist*innen in ihren Reihen hat, noch einen Mann wie Elicker braucht.

Zur letzten Landtagswahl war die Partei in Sachsen mit besonders hochtrabenden Plänen angetreten, sie wollte stärkste Kraft werden, dann die Union als Juniorpartnerin in eine Koalition zwingen oder wenigstens im Parlament die „Königsmacherin“ sein, stark genug, dass niemand mehr an ihr vorbei kommt. Der rasche Aufstieg der Partei machte vieles davon denkbar, ja sogar wahrscheinlich, die langanhaltende Indifferenz der CDU kam noch hinzu. Eine besonders starke Fraktion hat die AfD dann wirklich zusammenbekommen. Doch alles andere hat sich zerschlagen, binnen weniger Monate hat Jörg Urban seine blaue Truppe an die Wand gespielt, sie ist isoliert wie nie zuvor.

In dieser Situation ist das Ausweichen auf juristische Spielfelder nicht nur ein Ersatz, der die Konkurrenz piesackt und gelegentlich die Aufmerksamkeit der Medien sichert. Es ist auch ein alternativer Hebel zu einem Stück Macht, der wirksam sein kann und den man umso öfter betätigen wird, je weniger man mit konventionellen parlamentarischen Mitteln vorankommt. Elicker, der Staatsrechtslehrer und „kämpferische Jurist“, setzt diesen Hebel in Bewegung, dafür ist er da. Ob der dabei auch politische Erfolge generieren kann, steht noch auf einem völlig anderen Blatt. Abyssus abyssum invocat.