Im sächsischen Landtag setzt die AfD keine Achtungszeichen mehr, sondern stößt auf immer schärferen Gegenwind. Ihr Ziel, durch pure Stärke den Ton vorzugeben, hat sie verfehlt – stattdessen ist die Fraktion weitgehend isoliert. Das zeigte sich bei den Plenarsitzungen in dieser Woche. Dabei bekannte sich Ministerpräsident Michael Kretschmer zu einer weiteren Beobachtung durch den Verfassungsschutz.
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Verfassungsschutz muss „diesen Dingen nachgehen“
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat sich für eine weitere Beobachtung von Teilen der AfD im Freistaat ausgesprochen. Es sei „absolut angezeigt und notwendig, dass man sich die AfD anschaut, was dort passiert an rechtsextremem Gedankengut, an Aktvitäten“, sagte er am Donnerstag während der letzten Plenarsitzung des Landtages vor Beginn der Sommerpause. Die Partei bezeichnete Kretschmer als „in weiten Teilen reaktionär und rechtsradikal“.
Von besonderem Interesse seien Verbindungen zwischen dem verfassungsfeindlichen Flügel „und dem, was hier in Sachsen stattfindet“. Direkt an die AfD-Fraktion gewandt sagte er, es sei nicht bloß eine Ahnung, sondern „mit großer Wahrscheinlichkleit so, dass hier Leute dabei sind, die genau zu dieser Gruppe gehören.“ In den Reihen der Fraktion und der sächsischen Landespartei gebe es kein Bemühen, Personen wie Björn Höcke und Andreas Kalbitz „wirklich entgegenzutreten“, stattdessen lade man sie immer wieder ein. Er habe daher die klare Erwartung, „dass der sächsische Verfassungsschutz diesen Dingen nachgeht.“
Kretschmers Rede war zuvor nicht angekündigt gewesen. Er meldete sich zu Wort anlässlich einer Debatte der Linksfraktion über die Rolle des Innenministers Roland Wöller (CDU) in mehreren landespolitischen Skandalen. Nach dem sogenannten „Fahrradgate“ gehört dazu auch die kürzlich vorgenommene Neubesetzung an der Spitze des Landesamtes für Verfassungsschutz. Dem vorausgegangen waren Unstimmigkeiten zwischen der Behörde und dem Innenministerium zu der Frage, ob Daten von AfD-Abgeordneten aufbewahrt werden dürfen oder wieder vernichtet werden müssen. „Innenminister Roland Wöller hat mein Vertrauen“, erklärte Kretschmer dazu und nahm damit Rücktrittsforderungen den Wind aus den Segeln.
AfD-Themen hängen in der Luft
Die deutlichen Worte des Ministerpräsidenten in Richtung der AfD zeigen, wie sehr deren Landtagsfraktion inzwischen – nicht einmal ein Jahr nach der Landtagswahl – in die Defensive geraten ist, selbst die CDU geht auf maximale Distanz. Das war vor der Wahl noch strittig gewesen und galt auch zu Beginn der Legislatur als eine eher offene Frage, schließlich ist die AfD im sächsischen Landesparlament stärker und einflussreicher als irgendwo sonst, sie kommt als Mehrheitsbeschafferin in Frage. Aber diese Funktion kommt ihr nur theoretisch zu, stattdessen ist die AfD zumindest landespolitisch stärker isoliert als je zuvor.
Das liegt nicht nur an ihrer politischen Grundausrichtung, sondern auch an ihrem Vorgehen während der Pandemiekrise und der aktuellen parlamentarischen Performance. Das zeigte sich am Donnerstagvormittag, als ein Debattenthema der AfD aufgerufen wurde. Unter dem Titel „Anarchie heißt jetzt Party“ wollte die Fraktion über die Ausschreitungen in der Stuttgarter Innenstadt reden. Das hatte schon vorab für Verstimmung im Landtagspräsidium gesorgt, denn einen Sachsen-Bezug ließ das Thema ganz vermissen. Die Fraktion behalf sich, indem sie den Debattentitel ergänzte: „Gestern Stuttgart, morgen Dresden?“ Völlig willkürlich sei das, antworteten darauf Redner*innen der anderen Fraktionen – und fragten, ob es nicht näher liege, über Ausschreitungen durch Neonazis am Himmelfahrtstag in Pfaffendorf oder den Übergriff von AfD-Mitgliedern auf einen Journalisten in Plauen zu reden.
Ähnlich in der Luft hing auch ein Antrag, den die AfD bereits am Mittwoch diskutieren ließ. Thema: „Geschichtsvergessenheit entgegentreten“. Der Abgeordnete Thomas Kirste sprach aus diesem Anlass von „Bilderstürmern“, die insgeheim eine „Kulturrevolution“ anstreben und Deutschlands gesamtes „historisches Erbe“ aufs Spiel setzen würden. Er befürchtete gar, „dass die deutsche Geschichte ausgelöscht wird“. Kirste meinte damit die kritische Auseinandersetzung mit pro-kolonialen Denkmalen im Zuge der „Black Lives Matter“-Proteste. Er verglich das mit der Zerstörung der antiken Stadt Palmyra durch den sogenannten Islamischen Staat. Der AfD gehe es freilich „nicht um vaterländische Deutschtümelei“, versicherte er – sondern um den Denkmalschutz.
Vorhersehbare Vorschläge
Kirste hatte gerade fertig gesprochen, da hielt es den CDU-Fraktionschef Christian Hartmann nicht mehr auf dem Stuhl. Was gerade zu hören war „ist ja wohl das Allerhinterletzte“, sagte er vom Saalmikrofon aus. Die AfD problematisiere erwas, „das noch nicht mal im Ansatz da ist“, das nichts mit Sachsen zu tun habe und daher auch nicht in den Landtag gehöre. „Unverschämt“ und bloß „Klamauk“ sei es zudem, wenn ausgerechnet die AfD meine, „eine Lektion in deutscher Geschichte geben zu müssen“.
Die anderen Fraktionen sahen das ähnlich. Franz Sodann (Linke) attestierte der rechten Fraktion, sie habe Angst vor der Geschichte, Angst vor der Erinnerung an NS-Opfer beispielsweise, denn das störe die AfD „bei ihrem nationalistischen Begehren“. Claudia Maicher (Grüne) warf Kirste vor, für eine „totale Konservierung von Geschichte“ und damit für einen umfassenden Schlussstrich zu werben. „Und diejenigen, die sich kritisch mit Rassismus beschäftigen, sollen als potentielle Gewalttäter an der deutschen Geschichte gebrandmarkt werden“. Hanka Kliese (SPD) warf der AfD Doppelmoral vor und erinnerte daran, dass es zuletzt Beatrix von Storch gewesen ist, die in Berlin öffentlichkeitswirksam eine Karl-Marx-Statue verhüllte.
Bereits seit einer Weile gelingt es der AfD im Landtag nicht mehr, eigene Themen oder wenigstens fachpolitische Achtungszeichen zu setzen. Die Stoßrichtungen von rechtsaußen gelten inzwischen als ähnlich vorhersehbar wie das, was früher die NPD im Landtag abgeliefert hat. Nachdem am Mittwoch Sozialministerin Petra Köpping (SPD) die Plenarsitzung mit einer Fachregierungserklärung eröffnete, trat AfD-Fraktionschef Jörg Urban ans Pult und bemängelte, dass in Sachsen zu viel Geld für die Intergration von Ausländer*innen ausgegeben werde. Als es später um einen Gesetzentwurf der Staatsregierung ging, der es ermöglichen soll, Finanzausfälle von Kommunen im Zuge der Pandemie auszugleichen, behauptete die AfD, dass man diesen Vorschlag bei ihr abgekupfert habe und man eigentlich noch mehr Geld locker machten könnte. Einsparen könne man das bei der Intergration von Ausländer*innen.
AfD vermisst den „antikommunistischen Grundkonsens“
Die AfD stand auch alleine da, als am Donnerstagnachmittag mit den Stimmen aller demokratischen Fraktionen beschlossen wurde, ein Gesamtkonzept zur Bekämpfung des Rechtsextremismus zu entwickeln. Im Vorfeld hatte die AfD einen Änderungsantrag vorgelegt, dem zufolge fast alle wesentlichen Punkte gestrichen werden sollten. Carsten Hütter echauffierte sich bei seiner Rede, dass das Konzept zur Bekämfung des Rechtsextremismus keine Ausführungen zum Linksextremismus enthalte. Das Ziel des Konzepts, antidemokratische Bestrebungen im öffentlichen Dienst zu erkennen, nannte er einen „Maulkorb-Erlass“, sprach gar von „Stasi-Methoden“, die man gegen „unbequeme Meinungen“ in Anschlag bringen wolle.
Selbst bei der CDU lachte man auf, als Hütter stattdessen einen „antikommunistischen Grundkonsens“ einforderte. Zum Thema der Debatte sagte der CDU-Innenpolitiker Rico Anton, die AfD sei eine Partei, „die kein Problem hat, Rechtsextremisten zu beschäftigen, und die es permanent darauf anlegt, die Demokratie und den Rechtsstaat zu diskreditieren.“ Ihre Präsenz im Landtag sei „Anlass zu höchster Wachsamkeit“. Alexander Dierks, zugleich Generalsekretär der sächsischen Union, sprach vom Rechtsextremismus als einer „großen Gefahr für die offene Gesellschaft“. Die AfD sei „der parlamentarische Arm genau dieser Bedrohung“.
Zum Ende der Debatte schaltete sich Jan Zwerg mit einem Eingeständnis ein: „Alle diejenigen, die uns hier Rechtsextremismus vorwerfen wollen, die kann ich verstehen“, sagte der AfD-Abgeordnete. Die Befassung mit dem Rechtsextremismus diene jedoch lediglich dem Ziel, „uns kleinzuhalten“. Im Hinblick auf die Verfassungsschutz-Beobachtung kündigte er an, dass man sich „irgendwann vor Gericht“ wiedersehen werde. Aufmerken ließ ein anderes Detail, das Innenminister Wöller vortrug: Er erwähnte die AfD nicht, rechnete aber vor, dass die Zahl der „Extremisten“ in Sachsen zuletzt um 600 angestiegen sei. Das entspricht ungefähr den Schätzungen zur Stärke des verfassungsfeindlichen Flügels.