Seit einem halben Jahr ist die stark gewachsene AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag zugleich die Oppositionsführerin. Eine Zwischenbilanz ihrer Parlamentsarbeit zeigt aber, dass etliche Abgeordnete fast gar nicht auf den Plan treten, einige scheinen sogar völlig inaktiv zu sein. idas hat eine Stichprobe genommen.
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Der 1. September 2019 war ein Freudentag für die AfD. Bei der Landtagswahl in Sachsen erzielte sie mit 27,5 Prozent der Zweitstimmen ein Spitzenergebnis, es war die bisher beste Abstimmung seit Gründung der Partei. So konnte sie 38 der insgesamt 119 Sitze im Landesparlament einnehmen, ist jetzt die zweitstärkste Fraktion nach der CDU, deren Ministerpräsident Michael Kretschmer seit gut 100 Tagen regiert. Der neue Landtag ist schon etwas länger an der Arbeit, vor einem halben Jahr ist er zu seiner ersten Sitzung zusammengekommen.
Seitdem ist die AfD die Oppositionsführerin, ein Meilenstein in ihrer Entwicklung, mit dem sie sich selbst übertroffen hat. Im Jahr 2014 war sie erstmals in den Landtag eingezogen, wurde mit damals 9,7 Prozent der Stimmen und 14 Sitzen die zweitkleinste Fraktion, kaum größer, als es vor ihr die NPD gewesen war. Jetzt ist die AfD das stärkste Gegengewicht zu einer Landesregierung, das es seit der Wende in Sachsen gab. Nirgends hat die AfD so viel politisches Gewicht erlangt wie hier. Aber was macht sie daraus?
Viele Posten trotz schmalem Profil
Schon durch ihre schiere Stärke fällt der AfD Einfluss und damit Macht zu. Denn die Größe der Fraktionen schlägt sich nicht nur in ihrem Stimmgewicht nieder, sondern auch bei der Verteilung von Posten. So steht es der Fraktion beispielsweise zu, den Posten einer Landtags-Vizepräsident*in zu besetzen. Die AfD nominierte dafür André Wendt, ein Berufssoldat aus Dresden. Während solche Personalien in anderen Bundesländern und auch im Bundestag umstritten sind, genügte in Sachsen eine einzige Plenarsitzung, um Wendt wählen zu lassen. Das liegt auch daran, dass nur eine der anderen Fraktion grundsätzlich gegen die AfD stimmt, nämlich DIE LINKE.
Vier der Fachausschüsse des Landtages werden jetzt von AfD-Abgeordneten geleitet. In vier weiteren Ausschüssen stellt die AfD die stellvertretenden Vorsitzenden. Die Fraktion hat darüber hinaus genug Personal, um es auf alle Ausschüsse aufzuteilen. So fällt es gar nicht auf, wenn jemand ausfällt. Denn ein AfD-Abgeordneter ist derzeit keinem Fachausschuss zugeordnet: Ulrich Lupart aus dem Vogtland, Fraktionssprecher für „Heimat und Tradition“, wurde ursprünglich in den Innenausschuss geschickt. Dort hat man ihn jedoch wieder abgezogen. Warum er nicht eingesetzt wird und ob er seinem lukrativen Mandat überhaupt nachkommt, ist derzeit unklar. Die Fraktion hat dazu bislang nichts erklärt. Auch sonst hat sie wenig unternommen, um die Ausschussarbeit in Gang zu bringen und im Parlament die Themen zu setzen. Zu verschiedenen Politikbereichen liegen seit Beginn der Wahlperiode 16 AfD-Anträge vor, die viel kleinere LINKE-Fraktion bringt es dagegen auf 34 Stück.
Dafür hat die AfD eines ihrer Wahlkampfversprechen erfüllt, das sie sich selber gab, und einen Untersuchungsausschuss eingesetzt. Das ist ein in der Landesverfassung verbürgtes Minderheitenrecht. Um ein solches spezielles Gremium einzusetzen, genügt die Zustimmung von einem Fünftel aller Abgeordneten. Die hat die AfD selbst beisammen. Mit ihrem Untersuchungsausschuss will sie nun ergründen lassen, warum sie nicht mit allen Kandidierenden zur Landtagswahl antreten durfte. Die AfD könnte solche Gremien jederzeit auch zu anderen Themen einsetzen lassen. Das hat sie in der Vergangenheit wiederholt angekündigt – um „Linksextremismus“ zu untersuchen.
Viele Anfragen von Wenigen
Ein wichtiges Instrument der parlamentarischen Opposition sind sogenannte Kleine Anfragen. Sie dienen dazu, bei der Landesregierung und ihren Ministerien Fakten zu erfragen, die oft auf anderem Wege nicht zugänglich sind und daher auch der Kontrolle der Exekutive dienen. Insgesamt 1.780 solcher Dokumente wurden bislang in der elektronischen Parlamentsdatenbank hinterlegt. Tatsächlich kommen die meisten davon von AfD-Abgeordneten, insgesamt 995 Stück sind es. Das sind wesentlich mehr als vor fünf Jahren, als die damals noch viel kleinere AfD-Fraktion in einem halben Jahr gerade einmal auf 32 Anfragen kam. Die Zahl stieg im Verlauf der alten Wahlperiode noch deutlich an, am Ende waren es im Schnitt 62 pro Monat. Auch über diesen Wert ist die neue Fraktion bereits klar hinaus.
Die restlichen Anfragen kommen fast ausschließlich von der anderen Oppositionsfraktion, der LINKEN. Sie bringt es im ersten halben Jahr auf 728 Anfragen, also etwas weniger als die AfD. Allerdings ist die Fraktion DIE LINKE mit lediglich 14 Abgeordneten auch deutlich kleiner. Umgerechnet reichte bisher jede ihrer Abgeordneten 52 Anfragen ein – und damit doppelt so viele wie die AfD, bei der es im Schnitt nur 26 Anfragen pro Parlamentarier*in sind. Hinzu kommt, dass ungefähr ein Drittel aller Kleinen Anfragen der AfD von einem einzigen Abgeordneten stammt, André Barth. Sein Kniff: Er fragte bislang unter anderem nach Wirtschaftsdaten von Landesunternehmen, nach der Personalsituation in Behörden und nach Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung in Ämtern des Freistaates. Das hätte er jeweils in einer einzigen Anfrage machen und sich die Antworten aufschlüsseln lassen können. Doch stattdessen fertigte er für jede Dienststelle und jede öffentliche Einrichtung eine einzelne Anfrage.
Damit wird ein großer Stapel im Grunde gleichlautender Dokumente produziert. Auf die Anzahl allein kommt es natürlich nicht an, und die meisten anderen AfD-Abgeordneten praktizieren ohnehin das genaue Gegenteil dessen, was Barth macht – sie fragen nicht etwa auffällig viel, sondern sehr selten oder auch gar nicht nach. Insgesamt 25 der AfD-Abgeordneten – also zwei Drittel der gesamten Fraktion – haben bislang weniger als zehn Anfragen gestellt. Sechs Abgeordnete bringen es nur jeweils auf eine Anfrage, sieben weitere haben bislang noch gar nichts eingereicht. Dabei ist das nicht sonderlich kompliziert, denn was früher in Papierform auf den Dienstweg gebracht werden musste, geht heute elektronisch, auch von zuhause aus.
Funkstille bei einigen Abgeordneten
Auch der Output der AfD-Fraktion ist überschaubar, gemessen an der großen Zahl ihrer Abgeordneten. Die Fraktion hat bislang zwar rund 250 Pressemitteilungen ausgesendet. Das ist eine enorme Schlagzahl, ungefähr auf dem Level, das sie bereits seit Beginn der vorigen Wahlperiode vorgelegt hat. Aber: Die Mehrheit der AfD-Abgeordneten meldete sich bisher kaum oder gar nicht gegenüber der Presse zu Wort. Acht der Abgeordneten gaben jeweils nur ein oder zwei Pressemitteilungen heraus – und ein ganzes Dutzend noch keine einzige.
Das ist auch deswegen verwunderlich, weil die AfD-Fraktion eine besonders große Presseabteilung unterhält und mehr hauptamtliches Personal dafür einsetzt, sich selbst zu vermarkten, als es bei den anderen Fraktionen üblich ist. Das Problem der AfD ist allerdings, in den klassischen Medien schlecht durchzudringen, die meisten Pressemitteilungen werden nicht aufgegriffen. Daher ist ihre Öffentlichkeitsarbeit darauf ausgerichtet, nicht unbedingt Zeitung und Sendeanstalten, sondern vor allem die eigenen Social-Media-Kanäle zu bestücken und dadurch Reichweite für ihre Anliegen zu gewinnen.
Doch dieses Vorgehen funktioniert nicht bei allen AfD-Abgeordneten. Drei von denen, die sich bislang selten oder auch gar nicht öffentlich geäußert haben, betreiben keine Profile bei Facebook und Co. Alle anderen haben welche, aber zumindest in einem Fall ist das Profil seit der Landtagswahl verwaist. Etliche andere sind zwar aktuell, enthalten jedoch kaum eigene Beiträge und erlauben dadurch nur wenig Aufschluss über die parlamentarische Arbeit.
Der Markenkern verblasst
Nur sieben der aktuellen AfD-Abgeordneten haben dem Landtag bereits in der vergangenen Wahlperiode angehört, für den Rest ist der Parlamentsbetrieb immer noch relativ neu. Mit der Unerfahrenheit erklärt die AfD gern manche Defizite. Allerdings zieht diese Erklärung nicht, wie ein genauerer Blick zeigt: Zum Zeitpunkt der Landtagswahl waren mehr als zwei Drittel der AfD-Abgeordneten auch kommunalpolitisch aktiv, einige davon sogar über Jahrzehnte hinweg. Auf sämtliche sächsischen AfD-Abgeordneten entfallen insgesamt 40 kommunalpolitische Mandate. Das ist ein erheblicher politischer Erfahrungsschatz. Nur für die wenigsten AfD-Abgeordneten ist das Leben als Politiker*in wirklich neu.
Das aktuelle Problem der sächsischen AfD-Fraktion ist ein ganz anderes: Es fällt ihr schwer, die eigene Rolle zu finden. Ihr bisheriges Kernthema, die Asylpolitik, ist weitgehend abgeräumt. Die Wähler*innenschichten, die sich darüber ansprechen lassen, sind ausmobilisiert. Auch die Fokussierung auf die Innenpolitik, die sich gut mit Law-and-Order-Forderungen aufladen lässt, funktioniert nur noch leidlich, seitdem die aktuelle Landesregierung sich die Forderung nach „mehr Polizei“ in den Koalitionsvertrag geschrieben hat. Die AfD hat inhaltlich wenig zu bieten, was darüber hinausführt. Ihr Markenkern verblasst.
Dabei könnte sie insbesondere in Sachsen davon zehren, im parlamentarischen Betrieb vergleichsweise gut eingebunden zu sein und hier keine besonderen Widerstände mehr überwinden zu müssen. Doch als die Fraktion zuletzt trotz Infektionsrisiken eine Landtagssitzung in voller Stärke erzwang, fiel sie zurück auf den brachialen Modus einer Fundamentalopposition – und lieferte damit einen „sicheren Beleg für die institutionelle Verfassungsfeindlichkeit der Partei“, wie es der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers ausdrückt. Die AfD erinnert ihr Publikum regelmäßig daran, was sie in Wirklichkeit ist.