Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat seinen neuen Jahresbericht vorgelegt und geht darin erstmals auf Teilstrukturen der AfD ein. Besonders der völkisch-nationalistische Flügel steht im Fokus. Nach Ansicht der Behörde ist er in Sachsen besonders stark – dem krisengebeutelten sächsischen Verfassungsschutz bietet man jetzt Unterstützung an.
↓
Klares Urteil zum Flügel
In dem heute vorgestellten Jahresbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) werden erstmals Teilstrukturen der AfD aufgeführt. Auf sieben Seiten ordnet die Behörde den völkisch-nationalistischen Flügel sowie den Nachwuchsverband Junge Alternative (JA) dem Spektrum des „Rechtsextremismus“ zu. Beide Gruppierungen waren im vergangenen Jahr, auf den sich der nun vorgelegte Verfassungsschutzbericht bezieht, zu sogenannten Verdachtsfällen erklärt worden. Der Flügel ist inzwischen ein vollwertiges Beobachtungsobjekt.
Das dahinter stehende Politikkonzept sei „auf Ausgrenzung, Verächtlichmachung und letztlich weitgehende Rechtlosstellung von Migranten, Muslimen und politisch Andersdenkenden gerichtet“, heißt es im Bericht. Damit verstoße man gegen die verfassungsmäßige Menschenwürdegarantie sowie das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip. Die JA habe zudem einen „ethnisch-kulturell geprägten Volksbegriff“ vertreten, der mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei. Problematische Teile des eigenen Programms seien zwar überarbeitet und entschärft worden. Möglicherweise handle es sich jedoch um eine „rein kosmetische Mäßigung“.
Vor dem BfV haben bereits acht Landesämter für Verfassungsschutz ihre Berichte vorgelegt. Sechs davon enthalten teils ausführliche Ausführungen zur AfD, der Vorreiter ist Bayern. Zuletzt war die Rechtspartei mit dem Versuch gescheitert, eine Erwähnung im Bundesbericht gerichtlich zu verhindern. Er habe keine „substantiellen Bedenken“ gegen den Kurs des BfV in dieser Frage, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) heute in Berlin. Er nahm damit Stellung zu Medienberichten, wonach das Ministerium zunächst eine mildere Gangart bevorzugt habe. BfV-Präsident Thomas Haldenwang kündigte an, man werde sich „sehr genau weiterhin anschauen“, welchen Einfluss Flügel-Kräfte auf die Gesamtpartei nehmen und und „ob das zu weiteren Überlegungen führen muss“.
Eigene Erkenntnisse zur Stärke des Flügels
Offenbar wird erwogen, die Bundespartei noch in diesem Jahr vom Prüf- zum Verdachtsfall aufzuwerten. Durch die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht gelten bereits jetzt rund 7.000 AfD-Anhänger*innen, die dem Flügel zugerechnet werden, sowie rund 1.600 Mitglieder der Jungen Alternative offiziell als „Rechtsextremisten“. Deren Gesamtzahl steigt dadurch im Vergleich zum Vorjahr um rund ein Drittel an, auf nunmehr 33.430 Personen. Demnach ist die mächtigste Struktur der extremen Rechten in Deutschland eine Teilorganisation der AfD. Bei der Partei verwahrt man sich gegen diesen Eindruck. Der Parteivorsitzende Tino Chrupalla erklärte heute, es handle sich bei der Flügel-Zahl um ein „frei erfundenes Personenpotential“.
Die Schätzung des BfV stützt sich tatsächlich auf Eigenangaben aus Parteikreisen, wonach dieser Strömung mindestens 20 Prozent der AfD-Mitglieder angehören sollen. Das sei nur die „untere Grenze“, heißt es im Bericht. Es handle sich auch nicht mehr nur um eine Schätzung, ergänzte Haldenwang: Seine Behörde habe inzwischen mit nachrichtendienstlichen Mitteln eigene Erkenntnisse gewonnen, wonach die Schätzung „der Sache sehr, sehr nahe“ käme. Bei einer Aufzählung maßgeblicher Flügel-Kräfte nannte er auch den Parteigründer und Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland beim Namen.
Den Flügel und die Junge Alternative rechnet das BfV dem wachsenden Spektrum der Neuen Rechten zu, das „immer aktiver und selbstbewusster“ vorgehe. Daher habe man in diesem Jahr nach der Identitären Bewegung auch das Compact-Magazin, das „Institut für Staatspolitik“ und die Initiative „Ein Prozent“ unter Beobachtung gestellt, erläuterte Haldenwang. Derartige Gruppen bezeichnete er als „Superspreader von Hass, Radikalisierung und Gewalt“.
BfV will sächsischem Verfassungsschutz helfen
Offenbar hegt das BfV erhebliche Zweifel daran, dass sich der Flügel tatsächlich aufgelöst hat. Vielmehr sei „von einer zumindest konsolidierten Macht- und Einflussbasis innerhalb der AfD auszugehen“, heißt es im Bericht. Die Strömung sehe sich vor allem „durch die Erfolge der von ihm dominierten östlichen AfD-Landesverbände bei den Landtagswahlen 2019 gestärkt“. In einer Fußnote werden an dieser Stelle die Wahlergebnisse in Thüringen, Brandenburg und auch Sachsen aufgeführt – ein klarer Hinweis darauf, dass aus BfV-Sicht auch die sächsische AfD durch den Flügel dominiert wird. Aus ähnlichem Grund wurden bereits die kompletten thüringischen und brandenburgischen AfD-Landesverbände zu Verdachtsfällen erklärt.
Das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) ist von diesem Schritt offensichtlich noch weit entfernt, wie der aktuelle Datenskandal der Dresdner Behörde zeigt. Im Freistaat sei es zurückliegend zu „internen Abstimmungsproblemen“ zwischen dem LfV und dem hiesigen Innenministerium gekommen, sagte Haldenwang dazu. Er habe sich zuletzt kurzfristig zu einem Gespräch mit dem sächsischen Innenminister Roland Wöller (CDU) und dem neuen LfV-Präsidenten Dirk-Martin Christian getroffen und dabei ein „hohes Maß an Einvernehmen“ erzielt. Das Gespräch habe gezeigt, dass es beim Umgang mit der AfD „keinerlei Dissens“ gebe, so Haldenwang weiter. Die Zusammenarbeit mit dem LfV Sachsen innerhalb des Verfassungsschutzverbundes sei nicht gefährdet.
Man gehe „absolut im Schulterschluss“ vor, der Bund werde gern „behilflich sein, die Probleme aufzuarbeiten“, über die zuletzt berichtet wurde – „so unsere Hilfe da willkommen ist“. Über mögliche Spannungen mit dem geschassten LfV-Präsidenten Gordian Meyer-Plath sagte Haldenwang nichts. Meyer-Plath soll über Monate hinweg eine Hanreichung des BfV missachtet haben, wie insbesondere mit sensiblen Daten von AfD-Abgeordneten umgegangen werden sollte. Haldenwang bestätigte aber, dass sich das BfV auch mit Bundestagsabgeordneten der AfD befasst, die dem Flügel nahestehen. Unklar ist derzeit, ob das LfV Sachsen in seinem noch ausstehenden Jahresbericht auf die AfD eingehen wird. In den Vorjahren war der sächsische Bericht zumeist im Frühjahr oder Frühsommer erschienen. In diesem Jahr ist nicht vor Herbst damit zu rechnen.