Die sächsische AfD will sich stärker in die Proteste gegen die Pandemie-Eindämmung einmischen. Daher veranstaltete die Landespartei am Samstag erstmals eine zentrale Corona-Kundgebung. Doch die ist gefloppt: Viel weniger Menschen als erwartet kamen vorbei, die „Querdenker“ blieben fern – eine Niederlage für Landeschef Jörg Urban, der für einen Schulterschluss geworben und dafür den Konflikt mit der Bundesspitze gesucht hatte.
Beitrag vom 06.12.2020, 18:10 Uhr │ Im Bild: Landes- und Fraktionschef Jörg Urban gestern in Dresden.
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Grüße an „Querdenker“, die nicht kamen
Erst eine Woche ist es her, dass der sächsische AfD-Vorsitzende Jörg Urban beim Bundesparteitag die „Querdenken“-Bewegung einen „Partner auf der Straße“ nannte. Die Beteiligten seien die „mutigsten Menschen in diesem Land“, setzte er nach und verteidigte damit den Schulterschluss-Kurs der Flügelkräfte gegen starke Bedenken des Bundeschefs Jörg Meuthen. In der AfD vermutet man viele potentielle Wähler*innen bei den Corona-Protesten und neidet ihnen die großen Mobilisierungserfolge. Schon Mitte November hatte dieses Thema den Partei-Konvent erreicht, der hinter verschlossenen Türen in Erfurt tagte. Dort gab es die Idee, künftig eigene „Großdemonstrationen“ anzusetzen, wie idas erfuhr. Nur wenige Tage später kündigte die sächsische AfD dann eine selbst organisierte Kundgebung in Dresden an, Motto: „Arsch hoch für Grundrechte“.
Beworben wurde das Treffen mit einer sexistischen Abbildung und dem Hinweis, dass es sich um eine „wichtige Veranstaltung“ der „einzigen wirklichen Opposition“ handle. „Wir freuen uns auf zahlreiches Erscheinen“, hieß es noch am Freitag bei Facebook. Gestern Abend wurde ein Erfolg vermeldet, „viele Dresdner“ seien gekommen. In Wirklichkeit hielten Urbans starke Worte der Realität nicht stand. Zwar waren 500 Teilnehmende zugelassen, doch es kamen nur rund 110. Ein großer Teil davon: Abgeordnete und Funktionär*innen der Partei, Hauptamtliche aus Fraktionen, Kandidierende für die Bundestagswahl und Aktive des Jugendverbands, zudem Angehörige. Landesvorstandsmitglied Matthias Moosdorf etwa kam mit Frau und kleinen Kindern vorbei. Darüber hinaus zog die Kundgebung auf dem abgezäunten Theaterplatz vor allem älteres Pegida-Publikum und ein Grüppchen Neonazis an.
Zu Beginn versuchte der Landtagsabgeordnete Sebastian Wippel, der als Versammlungsleiter und Moderator im Einsatz war, die Gäste zu einer Choreographie zu animieren. Ordner*innen hatten dafür abgemessene Flatterband-Stücke ausgeteilt, ein symbolisches Abstandsmaß, mit dem eine eindrucksvolle Menschenkette gebildet werden sollte. Nur zwei kurze Reihen kamen zustande, gerade so und ganz ohne „Querdenker“, denen man Hand oder Band reichen wollte. Jan-Oliver Zwerg, Generalsekretär der Sachsen-AfD, begrüßte die Abwesenden trotzdem ausführlich und setzte dann als erster Redner zu einem Rundumschlag an: „Wir haben einfach keine Übersterblichkeit“, behauptete er, „die täglichen Zahlen sind vollkommen nutzlos“ und Impfpläne „vollkommen durchgeknallt“. Man solle einfach „die normale Bevölkerung immunisieren lassen, wie bei jeder Grippe“, empfahl er, ohne den Begriff der Herdenimmunität zu verwenden. Dann ging Zwerg zu anderen Themen über, zur „Klimahysterie“ und einer angeblich geplanten Abschaffung von Bargeld, schließlich zum Verfassungsschutz.
Nach wenigen Minuten leergefegt
Nahtlos knüpfte daran der Bundestagsabgeordnete Detlev Spangenberg an, der ehemalige Stasi-Zuträger warnte vor „Denunziantentum“. Für seine Fraktion ist er gesundheitspolitischer Sprecher. In Dresden rechnete vor, dass die AfD bislang zur Pandemie mehr als hundert Initiativen im Parlament „eingebracht“ habe, Pressemitteilungen schon mitgerechnet. Die Fraktion hat, wenn man ihm glauben will, das Ampelsystem erfunden und bei Todesfällen die Formulierung durchgesetzt, dass der Exitus „an oder mit Corona“ eintrat. Eine echte Gefahr gibt es auch Spangenberg zufolge nicht, „wir werden ganz schön verarscht“. Dann kam der Landtagsabgeordnete Joachim Keiler an die Reihe. „Ich möchte Sie nicht langweilen mit zu vielen Zitaten“, sagte der Jurist, um dann ausführlich aus Paragrafen, Rechtsgutachten und Urteilen vorzutragen. Mit Hinweisen auf „additive Grundrechtseingriffe“, Vergleichen zur Weimarer Reichsverfassung und Exkursen zu Abstandsregelungen bei Windkraftanlagen dürfte er weite Teile des Publikums ratlos zurückgelassen haben.
Applaus gab es freilich für seine Feststellung, dass man von einem „Ermächtigungsgesetz“ sprechen dürfe. Letzter Redner war schließlich Jörg Urban, der sich ausdrücklich über „jeden Einzelnen“ freute, der ihm zuhört. „Niemand verharmlost Corona“, sagte er, nachdem das bereits mehrfach auf der Bühne geschehen war und bevor er das auch selbst tat: „Es sterben genauso wenig Menschen wie in den Vorjahren!“ Die Eindämmung der Pandemie bezeichnete er als eine Serie von „politischen Fehlentscheidungen zum Schaden Deutschlands“, jetzt drohe gar eine „Impfdiktatur“. Das Land habe ihm zufolge ernstere Sorgen als das Virus, denn „trotz Corona geht die illegale Masseneinwanderung in unsere Sozialsystem ungebremst weiter“. Mit der Nationalhymne vom Band endete die Kundgebung nach siebzig Minuten. Jan-Oliver Zwerg zog dabei die Maske herunter, wohl um zu zeigen, dass er wirklich mitsingt. Keine fünf Minuten später war der Theaterplatz wie leergefegt.
Das sah Ende Oktober am gleichen Ort noch völlig anders aus. Damals war der Platz völlig überfüllt, Tausende waren einem Aufruf der „Querdenken“-Ortsgruppe gefolgt. Die AfD war damals zahlreich vertreten, aber nur Zaungaut. Sie scheiterte gestern daran, aus eigener Kraft ähnliche Bilder zu erzeugen. Bereits für den kommenden Samstag wird in „Querdenken“-Kreisen erneut in die Landeshauptstadt eingeladen, voraussichtlich auf die Cockerwiese, die noch weit mehr Platz bietet. Motto: „Für Demokratie und Menschenrechte“. Neonazis und Hooligans mobilisieren bundesweit in großem Stil – ähnlich wie vor den Ausschreitungen in Leipzig.