Die Pandemie ist mit voller Wucht zurück, wie im Frühjahr läuft die sächsische AfD Sturm gegen den Versuch der Eindämmung. Die Landtagsfraktion beklagt, dass das Parlament übergangen wird – dabei trägt sie gerade dort seltsam wenig bei, um das zu ändern. Wichtiger scheint die Selbstinszenierung auf der Straße.
Beitrag vom 03.11.2020, 20:30 Uhr
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Erst klagen, dann fragen
Es verstrichen nur einige Stunden, nachdem sich Bund und Länder auf die Light-Variante eines „Lockdowns“ geeinigt hatten, bis die sächsische AfD auf volle Konfrontation ging. Schon am Donnerstag kündigte die Abgeordnete Martina Jost an, dass ihre Fraktion gegen die „im Alleingang getroffenen Maßnahmen“ klagen werden. Am Freitag warf der wirtschaftspolitische Sprecher Frank Peschel der Landesregierung vor, dass sie „mit Verordnungen am Parlament vorbei“ regiere und „undemokratisch die Vertretung der Bürger“ übergehe. Beschlossen war zu diesem Zeitpunkt noch nichts, die neue Corona-Schutzverordnung für den Freistaat lag erst am Abend vor und trat an diesem Montag in Kraft. Da hatte die AfD-Fraktion im Landtag ihre Klageschrift, hinter der alle 38 Landtagsabgeordneten stehen, längst fertiggestellt und präsentierte sie bei einer Pressekonferenz in Dresden.
Fraktionschef Jörg Urban rügte dabei, dass den neuen Maßnahmen, „auch wenn sie notwendig sind“, eine inhaltliche Begründung und eine gesetzliche Grundlage fehle. Naheliegender wäre aus AfD-Sicht eine bessere Kontaktnachverfolgung – doch gerade die funktioniert kaum noch, die meisten Infektionsketten können nicht mehr nachvollzogen werden. Die deshalb verfügten Einschränkungen, vor allem in der Hotel- und Veranstaltungsbranche, nannte der parlamentarischer Geschäftsführer Jan-Oliver Zwerg „völlig überzogen“. Ganz ähnlich argumentiert die AfD derzeit in allen Parlamenten, ein Zufall ist das nicht. So kursiert in der Bundestagsfraktion ein Konzeptpapier, das die Chance wittert, „Gehör in jenen gesellschaftlichen Milieus zu finden, die der Partei bisher skeptisch gegenüberstanden“, genau dort, wo die Pandemie-Eindämmung besonders hart einschlägt. Kein Wort mehr dazu, dass Alice Weidel noch im April vehement gegen jegliche Finanzhilfen argumentiert und sie „überflüssige Staatsausgaben“ genannt hat.
Die sogenannte Normenkontrollklage wurde nach Fraktionsangaben bereits dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof in Leipzig übermittelt („per Fax“), Verfasser ist der Fraktionsjurist Michael Elicker. Er hält die aktuell gültige Corona-Schutzverordnung „in toto für verfassungswidrig“. Aus seiner Sicht gehen die Eingriffe so weit, dass erst der Landtag zustimmen, womöglich sogar ein spezielles Gesetz verabschieden müsste. Hinzu kommen Bedenken gegen einzelne Maßnahmen, wenn etwa bei Versammlungen grundsätzlich Masken getragen werden müssen. Das ist ein Dauerbrenner in der rechten Debatte. Jüngst behauptete etwa der AfD-Abgeordnete Thomas Prantl, dass der Mund-Nase-Schutz „gesundheitlich total kontraproduktiv“ sei. Er beruft sich auf nicht näher bezeichnete Studien, die er gelesen habe.
Parlament keineswegs ausgeschaltet
Da die aktuelle Verordnung bereits Ende November ausläuft, stehen die Chancen gut, dass das Verfassungsgericht die Eilbedürftigkeit anerkennt und zumindest eine vorläufige Entscheidung trifft. Allerdings nicht unbedingt zu Gunsten der AfD. Zwar gilt für Grundrechtseinschränkungen ein Parlamentsvorbehalt. Aber sie haben in Zeiten der Pandemie auch eine bundesgesetzliche Grundlage, das Infektionsschutzgesetz. Es ermächtigt ausdrücklich die einzelnen Landesregierungen, Regelungen „zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen“ und dabei vorübergehend in Grundrechte einzugreifen. Über die Details hatten in der vergangenen Woche die Kanzlerin und die Ministerpräsident*innen ein Einvernehmen erzielt und dann rasch für eine Umsetzung gesorgt.
Der Landtag ist dabei keineswegs ausgeschaltet, er muss sich nicht mit einer Zuschauerrolle bescheiden. Schon seit Frühjahr liegt in Sachsen ein konkreter Vorschlag vor, um das Parlament einzubinden, bevor einschlägige Regelungen erlassen werden. Das Sächsische Infektionsschutz-Beteiligungsgesetz, wie das Konzept heißt, soll sicherstellen, dass zunächst die parlamentarischen Fachausschüsse geplante Maßnahmen beraten und Stellung nehmen können. Die Idee kommt von der Linken-Fraktion und gefällt prinzipiell auch den Grünen, die Teil der Regierungskoalition sind. Die AfD hingegen hat bis heute keinen konkreten Vorstoß gewagt. Zuletzt wurde der Gesetzentwurf im Rechtsausschuss diskutiert, gemeinsam mit Expert*innen. Auch die AfD-Fraktion wollte mitreden, so schien es jedenfalls. Sie hatte Hansjörg Huber als Sachverständigen benannt, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Hochschule Zittau/Görlitz. Er war früher selbst Mitarbeiter der Fraktion, wurde dann für den Bundestagsabgeordneten Detlev Spangenberg tätig, ist aktuell Mitglied im Kuratorium der parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung.
Doch Professor Huber kam nicht zur Anhörung. Er nutzte auch nicht die Möglichkeit, ein schriftliches Statement zum Gesetzentwurf abzugeben. So skandalisiert die AfD zwar fortwährend eine angebliche Ausschaltung der Legislative. Besonderen Elan, das Parlament aufzuwerten, zeigt die hiesige Landtagsfraktion aber überraschenderweise nicht. Das tun derweil andere: „Wenn politische Entscheidungen getroffen werden, die für unsere Gesellschaft derart weitreichende Folgen haben, müssen sie im Parlament debattiert werden“, erklärte heute Parlamentspräsident Matthias Rößler (CDU). „Das Parlament ist der Gesetzgeber – daran ändert auch eine Pandemie nichts.“ Morgen und übermorgen tagt der Landtag, Corona wird dabei ein bestimmendes Thema sein.
Infektionszahlen „reine Panikmache“?
Das wurde schon im Vorfeld deutlich, bei einer Präsidiumssitzung am Montag ist die Tagesordnung umgekrempelt und ausgedünnt worden, auch um das Infektionsrisiko gering zu halten. Alle Fraktionen waren bereit, dafür eigene Initiativen zurückzustellen, nur nicht die AfD. Sie wollte ursprünglich über Windräder debattieren, gegen deren Bau und Nutzung sie seit einer Weile eine kleine, kaum wahrnehmbare Kampagne fährt. Neulich ersetzte sie dieses Thema durch ein anderes („Messermord in Dresden“) und schob noch einen weiteren Antrag nach, Titel: „Panikmache beenden – Mit Augenmaß und Sachverstand in der Corona-Politik agieren“. Der Inhalt scheint leicht aus der Zeit gefallen. Denn nach Wunsch der AfD soll der Landtag unter anderem feststellen, dass von einer „Überlastung des Gesundheitswesens oder einer hohen Gefährdung der Bevölkerung keine Rede“ sein könne. Die „ständige Verkündung“ von Infektionszahlen sei außerdem „reine Panikmache“, die „jeglicher Faktenlage entbehrt“.
Der Antrag fordert auch eine stärkere Einbindung des Parlaments. Doch statt Details in die Diskussion einzubringen, über den bereits vorliegenden Entwurf mitzuberaten oder einen eigenen Plan vorzulegen, soll das die Regierung erledigen. Erst gegen Ende der beiden anstehenden Plenartage wird die AfD ihr vergleichsweise mageres Engagement erklären dürfen. Gleich zu Beginn dagegen gibt es eine Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Michael Kretschmer („Füreinander Verantwortung übernehmen. Miteinander handeln“), die sich den derzeitigen Maßnahmen zur Pandemieeindämmung widmet. Theoretisch könnten sie abgeändert oder durch zusätzliche Hilfsmaßnahmen flankiert werden, falls sich entsprechende Mehrheiten finden.
In einem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen, der voraussichtlich nach der Regierungserklärung zur Abstimmung gestellt wird, begrüßt man nunmehr „ausdrücklich die verschiedenen Überlegungen auf Bundes- und Länderebene zur Stärkung der Parlamente bei der Bewältigung der Corona-Pandemie“ und stellt eine landesgesetzliche Regelung in Aussicht. Von der oppositionellen Linksfraktion kommt zur gleichen Debatte ein weiteres Papier, es wirbt für eine „von Anfang an rechtsverbindlich geregelte, unmittelbare und wirksame Beteiligung des Parlaments“ sowie für eine Reihe zusätzlicher Unterstützungen, etwa für Kunst, Kultur und Kleinunternehmen. Nur die AfD-Fraktion hat bislang nichts vorgelegt.
Wieder auf der Straße
Umso stärker inszeniert sie sich auf der Straße als eine rettende Kraft. Die mittelsächsische AfD lud am Montagabend zu einer Kundgebung unter dem Motto „Grundrechte und Freiheit verteidigen“ nach Freiberg. Rund 150 Menschen kamen und hörten unter anderem dem Landtagsabgeordneten Rolf Weigand zu, wie er „gegen Corona- und Islamterror“ wetterte. Auch die Landtagsabgeordneten Romy Penz und Lars Kuppi hielten Ansprachen, ferner Carolin Bachmann, die als Direktkandidatin in den Bundestag einziehen will. Es war eine vorgezogene Wahlkampfveranstaltung, gerahmt von einem Thema, das der Partei liegt. Bereits im Frühjahr hatte sie in Sachsen versucht, sich an die Spitze sogenannter Corona-Proteste zu setzen oder sie gleich selbst anzuzetteln.
Daran weiß man jetzt anzuknüpfen, an einer „Querdenken“-Versammlung am Samstag in Dresden beteiligten sich mehrere AfD-Politiker*innen, darunter der Bundestagsabgeordnete Karsten Hilse und die Landtagsmitglieder Jörg Urban, Romy Penz, Timo Schreyer und Frank Peschel. Wie die meisten der mehreren tausend Beteiligten waren sie ohne den vorgeschriebenen Mund-Nase-Schutz erschienen. „Muss die Veranstaltung aufgelöst werden, weil zuviele Menschen gekommen sind?“, schrieb Urban währenddessen bei Facebook. Die Option gab es, allerdings aus einem anderen Grund: Die Hygieneauflagen konnten nicht ansatzweise durchgesetzt werden, wurden selbst von Ordner*innen missachtet. Trotzdem durfte das ab- und anstandslose Happening auf dem Theaterplatz steigen. Denn der Verstoß gegen die Maskenpflicht – aus AfD-Sicht ein schwerwiegender Grundrechtseingriff – ist bloß eine Ordnungswidrigkeit, die in der Regel nicht geahndet wird. Auch dass zwei Redner auf der Bühne den Hitlergruß zeigten, zog keinen Abbruch nach sich. Ohnehin war die Polizei unterbesetzt, das bescherte der Protestszene eine anscheinend erfolgreiche Machtprobe.
Noch ärger könnte es am kommenden Samstag in Leipzig ausgehen, auch hier wollen „Querdenker“ aufziehen, die Polizei rechnet derzeit mit bis zu 20.000 Teilnehmenden. Entsprechende Aufrufe, mitunter in martialischer Umsturz-Rhetorik, werden vor allem in der rechten Szene verbreitet. Offiziell beteiligt sich die AfD nicht, inoffiziell ist sie aber längst im Boot und bietet Demotourist*innen, die nicht ohne Weiteres in Hotels absteigen dürfen, Unterstützung bei dem Versuch an, die Corona-Schutzverordnung zu unterlaufen. So wird in Telegram-Gruppen derzeit das Leipziger Hotel „Don Giovanni“ empfohlen, „das zu unserer Sache steht“, wie es heißt. Die Geschäftsführerin Silvia Droese hängt der Partei selbst an. Zur Vermittlung von Schlafplätzen wird zudem auf eine Telefonnummer verwiesen, an die man sich wenden könne. Wer anruft, landet in der Geschäftsstelle der Leipziger AfD. Der Kreisvorsitzende, zugleich stellvertretender AfD-Landeschef, ist zufällig Silvia Droeses Bruder. Es ist das Bundestagsmitglied Siegbert Droese.