„Mann des Straßenprotests“

Zwei Neonazis haben die Stühle getauscht: Christoph Berndt ist neuer Vorsitzender der brandenburgischen AfD-Fraktion und damit Nachfolger von Andreas Kalbitz. Der Zahnarzt steht offensichtlich in der Gunst des Flügels – dem er angeblich nicht angehört. Seine Bekanntheit im rechten Milieu und den raschen Aufstieg in der Partei verdankt er einem Bündnis mit Pegida.


Beitrag vom 01.11.2020, 16:00 Uhr │ Im Bild: Christoph Berndt, hier am 9. Oktober 2020 bei einer Wahlkampfveranstaltung des sächsischen AfD-Abgeordneten Thomas Kirste, der Landrat im Kreis Meißen werden wollte.


Der Dreikampf um den Vorsitz der brandenburgischen AfD-Landtagsfraktion ist entschieden. Am Dienstag wählten die 23 Abgeordneten in Potsdam ihren kulturpolitischen Sprecher Christoph Berndt zum Nachfolger des Neonazis Andreas Kalbitz. Mit elf zu sieben Stimmen setzte sich der 63-Jährige in einer geheimen Stichwahl gegen den parlamentarischen Geschäftsführer Dennis Hohloch durch. Vize-Fraktionschefin Birgit Bessin, die sich ebenfalls beworben hatte, war bereits in einer ersten Abstimmungsrunde mit lediglich sechs Stimmen unterlegen. Das Rennen galt bis zuletzt als offen, auch weil es sich nicht um eine politische Richtungsentscheidung handelte: Ein Bruch mit der Linie des verfassungsfeindlichen Flügels stand nicht an.

Berndt will „kräftige Flügel“

Kalbitz hatte diese Linie bislang vertreten, doch sein Amt ließ er bereits seit Mai ruhen. Grund war die damalige Entscheidung des Bundesvorstands der Partei, ihm die Mitgliedschaft abzuerkennen. Die Landtagsfraktion änderte daraufhin eigens die Geschäftsordnung, um ihn als parteilosen Abgeordneten in ihren Reihen und an der Spitze zu halten. In Erwartung seiner baldigen Rückkehr in die AfD fungierte zuletzt Dennis Hohloch, der ehemalige Landesvorsitzende der Jungen Alternative, als kommissarischer Fraktionschef, eine Art Platzhalter. Beide sind befreundet, eröffneten kürzlich ein gemeinsames Wahlkreisbüro in Königs Wusterhausen. Doch dann änderte die Milzriss-Affäre alles. Mitte August versetzte Kalbitz dem 31-Jährigen einen angeblich freundschaftlich gemeinten Fausthieb, fügte ihm damit innere Verletzungen zu.

Auf buchstäblich einem Schlag verlor Kalbitz die Rückendeckung der Fraktion, Christoph Berndt forderte seinen Rückzug, auch Birgit Bessin schloss sich dieser Forderung an. Das kam überraschend, als eine der Erstunterzeichnerinnen der „Erfurter Resolution“ hatte sie stets auf Flügel-Linie gelegen. Als sich Kalbitz im Frühjahr mit einer Videobotschaft an seine Anhänger*innen wandte und ihnen versicherte, er werde „natürlich“ weitermachen, stand sie an seiner Seite. Nun aber blieb ihm kein anderer Ausweg, als den Vorsitz „aufgrund seines eigenen Entschlusses“ zu räumen, wie es in einer offiziellen Mitteilung der Fraktion hieß. Andernfalls hätte ihm die Abwahl gedroht. Hohloch lag da noch im Krankenhaus, doch ausgerechnet er blieb loyal, äußerte sich bis heute nicht öffentlich zu dem Gewaltvorfall, verzichtet auf juristische Schritte. So steht die Staatsanwaltschaft Potsdam, die ein Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Körperverletzung einleitete, ohne Zeug*innen da.

Mit der Neuwahl hatte es die Fraktion nicht eilig, mehrere Termine wurden an- und wieder abgesetzt. Zuerst sollte sich der Staub legen, so schien es, und Hohloch seine Arbeit wieder aufnehmen. Dessen Treue zahlte sich aber nicht aus. Das deutete sich Mitte September an, als Kalbitz erstmals wieder vor großem Publikum auftrat. Zwischenzeitlich hatte das AfD-Bundesschiedsgericht den Ausschluss bestätigt und ein erster Versuch, das Parteibuch vor einem staatlichen Gericht einzuklagen, war gescheitert. Trotzdem sei die AfD „die am wenigsten schlechteste Partei, die wir haben“, meinte er bei einer Pegida-Kundgebung in Dresden. Nach ihm stand Christoph Berndt auf der gleichen Bühne und sagte Dinge, die genauso aus dem Mund seines Vorredners stammen könnten: Es sei zur „Liquidierung ganzer Strömungen“ in der AfD gekommen, zu „Säuberungen“. Was die Partei jetzt brauche, seien „kräftige Flügel“.

Bekannt durch zahlreiche Pegida-Auftritte

Erst einige Tage zuvor hatte Berndt angekündigt, sich um den Fraktionsvorsitz zu bewerben. Der gemeinsame Auftritt in Sachsen galt als Fingerzeig, dass er als Wunsch-Nachfolger anzusehen ist. Nachdem daraus Wirklichkeit geworden war, bestritt Berndt bei einer Pressekonferenz in dieser Woche, dass er je dem völkisch-nationalistischen Flügel angehört hat. Bei keinem einzigen Treffen des Höcke-Kalbitz-Netzwerks sei er dabei gewesen, blicke vielmehr auf einen „bürgerlichen“ Lebenswandel zurück. So viel stimmt: Der neue Fraktionschef ist Zahnarzt, war Labormediziner an der Berliner Charité und zehn Jahre lang Personalratsvorsitzender der Medizinischen Fakultät. Im Vergleich zu vielen Parteifreund*innen wirkt er keineswegs grobschlächtig. Wenn er redet, spricht er leise, klingt beinahe distinguiert.

Bei der Pressekonferenz nannte er sich allerdings auch einen „Mann des Straßenprotests“. Diesen Ruf hat er sich vor allem in Sachsen erworben. Vor gut drei Jahren hielt er erstmals eine Ansprache bei Pegida, war seither 22 Mal zu Gast und steht aktuell auf Platz sechs der häufigsten Redner*innen. Als er sich im Juni 2017 in Dresden zeigte, wurde er anmoderiert als Vertreter eines damals kaum bekannten Vereins namens „Zukunft Heimat“. Der war im Sommer 2015 gegründet worden, wandte sich zunächst gegen die Unterbringung von Geflüchteten im brandenburgischen Golßen. In dem kleinen Städtchen, in dem Berndt lebt, hat der Verein bis heute seinen Sitz. Nur wenige Tage vor dem Pegida-Auftritt ist „Zukunft Heimat“ umgesiedelt und demonstrierte erstmals – und seither immer wieder – in Cottbus. Ein halbes Jahr lang kletterte die Zahl der Teilnehmenden steil nach oben, aus gut 300 wurden mehr als 3.000. Die Dynamik erinnerte an den früheren Aufstieg Pegidas im fünfmal größeren Dresden.

So war es nicht verwunderlich, dass Berndt bald als brandenburgischer Lutz-Bachmann-Verschnitt porträtiert und seine Protestserie mitunter als „Pegida Cottbus“ bezeichnet wurde. Tatsächlich folgten zahlreiche Gegenbesuche aus Dresden, die Pegida-Organisatoren, denen er einen guten Teil seiner Bekanntheit verdankt, stehen bis in die Gegenwart hinein häufig auf der Bühne Berndts. Für ihn selbst wurde sie zum Sprungbrett: 2018 trat er der AfD bei, schon im Folgejahr landete er auf dem zweiten Platz der Landesliste zur Landtagswahl. Bei der Nominierung hätte er beinahe den Spitzenkandidaten verdrängt, Andreas Kalbitz. Der hatte nur einige Delegierte zusätzlich auf seiner Seite und zudem mehr Stimmen gegen sich als Berndt. Seither wird beiden eine Rivalität nachgesagt, die sich weniger politischen Differenzen, als persönlichem Ehrgeiz verdanken dürfte. In Cottbus, dem rechten Protest-Hotspot, wurde die AfD damals stärkste Kraft. Berndt errang in seinem Wahlkreis sogar das Direktmandat, Kalbitz hingegen verfehlte dieses Ziel sehr deutlich.

Dank an die „famosen Freunde“ aus Dresden

So wurde aus Berndt ein Berufspolitiker, ohne eine lange Parteilaufbahn eingeschlagen oder sich vom Flügel, der immer auch ein Karrierenetzwerk war, abhängig gemacht zu haben. Zu ihm ist er allerdings auch nie auf Abstand gegangen, passte sich vielmehr in das AfD-eigene Machtgefüge ein und entwickelte niemals bundespolitischen Ambitionen – anders als Kalbitz, der Mitglied des Bundesvorstands war. Trotzdem ist Berndts Aufstieg nicht unbedingt abgeschlossen. Gestärkt durch seine neue Machtstellung in der Fraktion könnte er nach dem vakanten Landesvorsitz greifen und auch dort Kalbitz‘ Nachfolge antreten. Im Vorstand würde er wieder auf Birgit Bessin treffen, die derzeit Vize-Landeschefin ist, und auf den Beisitzer Dennis Hohloch. Berndt nützt der Partei allerdings bei ihrem größten Problem nichts, ganz im Gegenteil. Als der brandenburgische Verfassungsschutz im Juni den gesamten Landesverband zum Verdachtsfall hochstufte und damit unter nachrichtendienstliche Beobachtung stellte, begründete die Behörde das unter anderem mit den engen Verbindungen der AfD mit „Zukunft Heimat“.

Der Verein gilt inzwischen – wie Berndt selbst – als „erwiesen rechtsextremistisch“, da er unter „neo-nationalsozialistischem Einfluss“ steht. Berndts exponierte Rolle in der Fraktion dürfte nunmehr die Einschätzung bestärken, dass sich die Partei weiter radikalisiert, auch ohne Kalbitz. Spiegel und FAZ zitierten inzwischen aus internen Verfassungsschutz-Vermerken, denen zufolge „Zukunft Heimat“ ein brauner Tarnverein ist, hinter dem frühere Mitglieder der verbotenen Neonaziorganisation „Spreelichter“ stehen. Deren einstiger Anführer Marcel Forstmeier traf sich demnach wiederholt mit Berndt, um die weitere Entwicklung zu beraten. Der Abgeordnete werde „in Teilen von Forstmeier massiv beeinflusst bzw. sogar gesteuert“, notierte die Behörde, und er missbrauche sein Mandat „offensiv zur Verbreitung seiner extremistischen Agenda“. Auch mehrere von Berndts zahlreichen Pegida-Reden würden belegen, wie sich führende AfD-Politiker*innen „aktiv um die Vernetzung des rechtsextremistischen Spektrums“ bemühen.

An diesem Freitagabend fand erneut eine „Zukunft Heimat“-Kundgebung in Potsdam statt. Schon die Werbung ließ aufhorchen, denn die Plakatmotive – noch vor der entscheidenden Fraktionswahl lanciert – versprachen Auftritte des AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland sowie des thüringischen Landes- und Fraktionschefs Björn Höcke. Das durfte als gewichtiges Zeichen verstanden werden, dass Berndt in der Gunst des Flügels steht, dass selbst der Parteipatriarch mit der Personalie einverstanden ist. Gauland hatte die Führung der brandenburgischen AfD und ihrer Landtagsfraktion einst in Kalbitz‘ Hände gelegt, der lange als sein politischer Ziehsohn galt – und in Cottbus nur als Zaungast dabei war, abseits der Bühne. Auf ihr nannte Berndt gleich zu Beginn die Stadt eine „kleine Schwester von Dresden“ und begrüßte die „famosen Freunde“ von Pegida: Siegfried Däbritz und Wolfgang Taufkirch hielten Reden, Lutz Bachmann war ebenfalls angereist. Als Höcke an der Reihe war, forderte er für diese speziellen Gäste einen kräftigen Applaus – „für ihren Dienst am Vaterland“.