Kalbitz bei Pegida: „Im Moment“ keine andere Partei

Der Neonazi Andreas Kalbitz sprach in Dresden, es war sein erster großer Auftritt, seitdem er der AfD nicht mehr angehört. Auf der Bühne teilte er kräftig gegen die „Clique völlig verantwortungsloser Karrieristen“ aus und erntete dafür Applaus. Doch offenbar ist der Rückhalt unter den einstigen Parteifreund*innen gering.


Beitrag vom 15.09.2020, 17:45 Uhr │ ergänzt am 16.09.2020, 13:45 Uhr │ Im Bild: Andreas Kalbitz (Mitte) vor der Pegida-Bühne, gemeinsam mit den sächsischen Landtagsabgeordneten Norbert Mayer und Jörg Dornau.


Ex-AfD-Mann am Fronttransparent

Schätzungsweise 700 bis 800 Personen haben sich am frühen Montagabend auf dem Dresdner Altmarkt bei einer Pegida-Kundgebung versammelt. Das waren kaum mehr als in den Vorwochen, trotz eines bekannten Gastredners: Andreas Kalbitz bestritt seinen ersten großen Auftritt, seitdem er aus der AfD ausgeschieden und ihm durch die Milzriss-Affäre der Rückhalt in den eigenen Reihen weggebrochen ist. In der sächsischen Landeshauptstadt wurde er dagegen beklatscht, als wäre nichts gewesen. Er marschierte direkt hinter dem Fronttransparent, als Pegida zu einer kleinen Runde durch die Altstadt aufbrach. Eine ähnliche Szene hatte es vor gut zwei Jahren schon einmal gegeben, und noch im Februar war er im Publikum zu sehen, als Björn Höcke auf der Bühne stand. Damals war die Macht des Flügels ungebrochen.

Diesmal wirkte es eher, als würde Kalbitz um eine neue Basis buhlen, um den Applaus, der zuletzt selten geworden ist. Die Bühne betrat er mit einer schwarz-rot-goldenen Maske, die er theatralisch absetzte. „Der Maulkorb kann jetzt weg“, sagte er und sprach von einer „Pseudo-Pandemie“. Dann schimpfte er auf „ungezügelte Massenmigration“, lobte Russland als „verlässlichen Partner“ und zweifelte am Zustand der Bundeswehr, die künftig weibliche Dienstgrade vergeben will. Nach Kommentaren zur Weltlage kam er zur Sache, zu „ein paar Worten zum Zustand der AfD“ – zu der Partei, die ihn nicht haben will, über die er aber unverändert in der Wir-Form spricht. „Die AfD hat im Osten gezeigt, dass zusammen mit den Bürgerbewegungen auf der Straße Erfolge gezeitigt werden konnten, die sich sehen lassen können“. AfD und Pegida seien gemeinsam „nah dran“, eine „wirkliche Veränderung“ zu bewirken.

Doch nah dran ist auch vorbei. Die Partei stecke in einem „Richtungskampf“, einige Beteiligte würden sie zum „Steigbügelhalter einer scheinkonservativen Union“ degradieren. „Dafür sind wir nicht angetreten“, mahnte der Neonazi. Zugleich rief er dazu auf, die AfD nicht zu verlassen. Sie sei, so sagte er in schlechtem Deutsch, die „am wenigsten schlechteste Partei, die wir haben“, es gäbe „im Moment“ keine andere. Man müsse sich weiter einbringen, damit nicht „die Schlechten“ siegen. Namen nannte er nicht, sprach umso verächtlicher von „einer kleinen Clique völlig verantwortungsloser Karrieristen“. Die würden ihn „nicht so schnell loswerden, wie sie sich das vorgestellt haben.“ Kalbitz sagte nicht, wie ihm das gelingen soll. Er beschreitet den Klageweg, doch der ist lang, der Ausgang ungewiss. Unter „Kalbitz, Kalbitz“-Sprechchören verließ er nach einer Viertelstunde die Bühne.

Berndt beklagt „Säuberungen“ in der AfD

Danach trat Christoph Berndt ans Mikrofon, ein Fraktionskollege aus Brandenburg, der schon mehrfach bei Pegida gesprochen hat. Er will neuer Fraktionschef werden, der gemeinsame Auftritt mit seinem Vorgänger macht deutlich, wen sich Kalbitz als politischen Erben wünscht. Berndt richtete „herzliche Grüße von Zukunft Heimat“ aus, seinem verfassungsfeindlichen Protest-Verein aus Cottbus. Auch er umschmeichelte die Gesinnungsgenoss*innen in Dresden: „Ihr von Pegida, wir von Pegida, führen seit sechs Jahren den Beweis: Nichts im Leben ist alternativlos“. In seiner zähen Rede rief Berndt zum Widerstand gegen die Pandemie-Eindämmung auf, nannte die Covid-19-Erkrankung eine „Rarität“, das Maskentragen – diesmal war es Pegida durch Auflagen verordnet – sei außerdem „medizinisch nicht begründet“. Wäre die AfD „der politische Arm aller Querdenker in Deutschland“, so wären „Merkels Tage gezählt“.

Stattdessen plagt ihn der Verfassungsschutz, den er „Verfassungs-Sicherheit“ nannte, und dessen Präsident Thomas Haldenwang, den er mit „Erich“ ansprach. Die Behörden würden sich nicht nur gegen die AfD wenden, sondern gegen alles, „was mit Freiheit zu tun hat“, zum Beispiel Autos und Bargeld. Deutschland werde längst durch eine „informelle Koalition von CSU bis Linkspartei“ beherrscht. Auch Berndt ging kurz auf die innere Lage der AfD ein und rief zur Einigkeit „unter uns Patrioten“ auf – ein Standard-Appell, den er „sehr bewusst“ auch an die Partei richtete. Dort sei es zur „Liquidierung ganzer Strömungen“ gekommen, er sprach gar von „Säuberungen“, mit denen man sich nur selber schade: Wenn die AfD „wieder aufsteigen“ will, „dann braucht sie kräftige Flügel“.

Zum Schluss der Versammlung stand noch ein dritter Redner auf der Bühne, der nicht angekündigt war, aber auch nicht viel mitzuteilen hatte. Ralf Özkara berichtete, dass er mit seiner Familie nach Zittau gezogen sei, denn „das politische Klima ist dort toll.“ Özkara hatte die AfD im vergangenen Jahr verlassen. Zuvor war er zeitweise Landesvorsitzender in Baden-Württemberg gewesen, außerdem Büro- und Wahlkampfleiter des heutigen Parteichefs Jörg Meuthen. Als der Machtkampf in der AfD vor einigen Wochen vollends eskalierte, kehrte Özkara überraschend aus der Versenkung zurück und belastete Meuthen in dessen Spendenaffäre schwer. Es war ein Versuch der Flügel-Kräfte, den ungeliebten Vorsitzenden zu beschädigen.

Rückhalt stark geschwunden

Das gesamte Pegida-Treffen geriet so zu einem kleinen Gipfel derer, die einmal die radikaleren Vertreter der AfD waren, die jetzt die Renegaten sind oder es noch werden könnten. Klar ist allerdings: Kalbitz‘ Anklang bei der sächsischen AfD sackte in jüngster Zeit ab. Im Juni wurde er noch zu offiziellen Partei-Kundgebungen in Sebnitz und Burgstädt eingeladen, prominente Vertreter*innen der Landespartei und der Landtagsfraktion zeigten sich gerne mit ihm. Inzwischen meidet man ihn eher. Einen Auftritt in Grimma, wo er Ende August auf dem Marktplatz sprechen sollte, ließ er platzen. Worte des Bedauerns gab es in der Muldestadt nicht, eher witzelte man über ihn.

Auch in Dresden waren Anhänger*innen aus der AfD nur vereinzelt zu sehen. Es wehten zwei Fahnen der sächsischen „Jungen Alternative“. Und es gab zwei Landtagsmitglieder, die am Ende gemeinsam mit Kalbitz für ein Foto posierten: Norbert Mayer und Jörg Dornau, zwei Flügel-Männer. Ebenfalls vor Ort waren die Abgeordneten Joachim Keiler, Timo Schreyer und René Hein.