Kalbitz schlägt sich selbst

Der Neonazi Andreas Kalbitz hat einen befreundeten Landtagsabgeordneten mit einem Faustschlag schwer verletzt. Noch ist der genaue Hergang unklar. Doch die Milzriss-Affäre kostet den Parteilosen den Vorsitz der Brandenburg-Fraktion – und wichtigen Rückhalt vor einem entscheidenden Gerichtstermin. An diesem Freitag wird über einen Eilantrag verhandelt, der den 47-Jährigen wieder in die AfD bringen soll.

Diagnose: Milzriss

Der Neonazi Andreas Kalbitz hat am Dienstag den Vorsitz der brandenburgischen AfD-Landtagsfraktion niedergelegt. Das Ex-Parteimitglied gibt damit seinen letzten offiziellen Machtposten auf, nun offenbar endgültig. Bereits vor zwei Wochen war die Fraktion einstimmig dem Vorschlag des 47-Jährigen gefolgt, die Leitungsfunktion ruhen zu lassen, vorläufig und bei vollen Bezügen. Hintergrund dieser Zwischenlösung war das zuvor ergangene Urteil des Bundesschiedsgerichts der AfD: Es bestätigte einen Beschluss des Parteivorstands, Kalbitz‘ Mitgliedschaft zu annullieren, weil er beim Eintritt eine frühere Mitwirkung bei den Republikanern und bei der neonazistischen Heimattreuen Deutschen Jugend verschwiegen haben soll.

Gegen das Urteil klagt Kalbitz bei einer Zivilkammer des Landgerichts Berlin, bereits an diesem Freitag soll dort ein Eilantrag verhandelt werden. Im Falle eines Sieges wollte der derzeit parteilose Abgeordnete den Fraktionsvorsitz wieder übernehmen. Doch daraus wird nichts werden. Grund ist ein Vorfall, der Anfang der Woche publik wurde und inzwischen als Milzriss-Affäre bekannt ist. Sie spielte sich am Montag der Vorwoche im Potsdamer Landtag ab. Nach einem Kantinenbesuch ging Kalbitz in das Büro eines Fraktionsmitarbeiters. Dort traf er auf den Abgeordneten Dennis Hohloch und versetzte ihm anstelle einer Begrüßung einen Fausthieb in die Seite. Später klagte Hohloch über starke Magenschmerzen, am Tag darauf wurde er in ein Berliner Krankenhaus gebracht. Dort kam er mit schweren inneren Verletzungen auf die Intensivstation. Diagnose: Milzriss.

Es gibt unterschiedliche Erzählungen, was genau geschehen war. In Parteikreisen wurde zunächst kolportiert, dass es zu einem Streit gekommen und Kalbitz den 31-Jährigen krankenhausreif geboxt haben soll. Aus Kalbitz‘ Umfeld hieß es dagegen, es habe sich um eine mehr freundschaftlich gemeinte „Begrüßung“ gehandelt, die „unbeabsichtigt heftig ausgefallen“ sei. Zeug*innen gäbe es nicht, behauptet die Fraktion, und für einen Streit sind keine Anzeichen auszumachen. Die beiden Männer gelten vielmehr als enge Vertraute. Hohloch ist parlamentarischer Geschäftsführer, er hatte den Fraktionsvorsitz von Kalbitz kommissarisch übernommen, eine einvernehmliche Entscheidung. Nur wenige Tage vor dem folgenreichen Schlag eröffneten sie ein gemeinsames Wahlkreisbüro in Königs Wusterhausen.

Ermittlungsverfahren eingeleitet

Der Flügel-Frontmann Kalbitz äußerte sich zunächst nicht selbst. Seine Sicht verbreitete stattdessen der sachsen-anhaltische Bundestagsabgeordnete Frank Pasemann in einer internen Whatsapp-Chatgruppe („Plenum Quasselgruppe“). Darin wies er nach Angaben des Spiegel die „Märchen von der handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen Hohloch und Kalbitz“ zurück und schrieb solche Behauptungen innerparteilichen Kritiker*innen zu. In Wirklichkeit sei dem Schwerverletzten nur „freundschaftlich in die Seite gebufft“ worden, ohne dass es einen Streit gegeben habe. Pasemann steht Kalbitz nahe, war ebenfalls eine Schlüsselfigur des verfassungsfeindlichen Flügels. Derzeit läuft gegen ihn ein Ausschlussverfahren, der Vorwurf: Antisemitismus.

Pasemanns Angaben sind aber nicht allzu akkurat. Über Hohlochs Verletzung berichtete er, „dass eine nicht diagnostizierte, aber schon lange vorhandene Zyste in der Milz geplatzt war.“ Doch eine solche Vorerkrankung lag offenbar nicht vor. Hohloch, der nach wie vor im Krankenhaus weilt, teilte gestern in einem kurzen Statement bei Facebook und Twitter mit, dass es keine Zyste gab. Das weckt neue Zweifel an Kalbitz‘ Darstellung. Gegenüber der Berliner Zeitung sprach er inzwischen von einer „Verkettung unglücklicher Umstände“ und einem „Missgeschick“, das er bedauere. Alles Weitere sei ein „innerparteiliches Schmierentheater“ mit dem Ziel, ihm kurz vor der mit Spannung erwarteten Gerichtsverhandlung zu schaden. Gegenüber dem Spiegel erklärte er, „diese bedauerliche Sache“ sei „viel unspektakulärer, als es teilweise bewusst aufgebauscht wird.“ Von einem Fehler, gar Schuld sprach Kalbitz bislang nicht.

Dafür leitete infolge erster Medienberichte die Staatsanwaltschaft Potsdam von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren aufgrund des Anfangsverdachts der fahrlässigen Körperverletzung ein – nach idas-Informationen auch, weil die Verletzung der Milz eine erhebliche Gewalteinwirkung voraussetzt. Denkbar ist zudem, dass es bei den Ermittlungen nicht nur um Hohloch gehen wird. Laut Redaktionsnetzwerk Deutschland, das zuerst über den Vorfall berichtet hatte, seien in der Partei bereits „mehrere unvermittelte körperliche Übergriffe vor Zeugen auf Abgeordnete oder Mitarbeiter“ bekannt. Nach Informationen der FAZ habe ein brandenburgischer AfD-Politiker bereits vor Monaten angegeben, dass Kalbitz „angeblich freundschaftlich gemeinte Boxschläge gegen ihn gerichtet habe, die so heftig ausfielen, dass sie Schmerzen und das Gefühl der Bedrohung auslösten.“ Selbst die parteinahe Wochenzeitung Junge Freiheit zitiert aus einer Chatgruppe, an der AfD-Abgeordnete beteiligt sind. Dort wisse man, dass Kalbitz „schon einmal einen Parteifreund geschlagen“ habe.

„Du bist Parteikrebs, Junge“

Am deutlichsten wurde bislang Kai Laubach. Kalbitz hatte ihn einst als Mitarbeiter in die Fraktion geholt, gegen erhebliche Bedenken, weil er der verfassungsfeindlichen Identitären Bewegung nahesteht. Zuletzt arbeitete Laubach für den Abgeordneten Lars Hünich – und veröffentlichte gestern Mittag eine lange Stellungnahme, in der er hart mit Kalbitz ins Gericht geht. Im Zentrum steht der Vorwurf, bei einer Fraktionsklausur im vergangenen Jahr einem Mitarbeiter „in die Fresse geschlagen“, ihm eine „gepfefferte Watschen ins Gesicht“ verpasst und dessen Handy „im hohen Bogen auf den Steinfußboden“ bugsiert zu haben. Bei dem Betroffenen handelt es sich mutmaßlich um Kevin Seidle, einen Potsdamer AfD-Kreisfunktionär. Mehrere namhafte Landespolitiker*innen seien damals dabei gewesen, ohne Konsequenzen zu fordern, so Laubach. Er berichtet weiter, Kalbitz habe ihm gegenüber den verletzten Hohloch als „zerbrechliches Weichei“ verhöhnt. Laubachs Urteil gegen Kalbitz: „Du bist Parteikrebs, Junge.“

Als das Statement erschien, saß die Brandenburg-Fraktion gerade beisammen, insgesamt sechs Stunden lang. Die Sitzung sollte offiziell dazu dienen, den Vorfall aufzuarbeiten. Doch tatsächlich ging es um Kalbitz‘ Zukunft. Bislang stand eine deutliche Mehrheit der Fraktion hinter ihm, diesmal jedoch waren schon im Vorfeld Rücktrittsforderungen laut geworden. Hinter verschlossenen Türen sollen mehrere Abgeordnete den Rückzug gefordert haben, darunter Christoph Berndt, der selbst am äußerten rechten Rand steht und in seinem Cottbuser Protestbündnis „Zukunft Heimat“ mit Neonazis paktiert, aber auch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Birgit Bessin, die sich im Streit um seine Parteimitgliedschaft mehrfach mit Kalbitz solidarisiert hatte. Am Ende stand eine gesichtswahrende Lösung, die nach einem freiwilligen Schritt klingt: „Andreas Kalbitz ist heute formal aufgrund seines eigenen Entschlusses vom Amt des Fraktionsvorsitzenden zurückgetreten“, heißt es in der offiziellen Mitteilung der Fraktion.

Eine Abstimmung darüber gab es nicht, andernfalls wäre alles auf eine Abwahl hinausgelaufen. Der Ex-Vorsitzende wird nun bis auf Weiteres einfaches Fraktionsmitglied bleiben, über die Nachfolge wurde noch nicht entschieden. Mit dem Rückzug wolle er bewirken, „der fortlaufenden medialen Skandalisierung als auch der innerparteilichen Instrumentalisierung keine weitere Nahrung“ zu bieten, erklärte er im Anschluss. Eine andere Option gab es für ihn nicht: Der Abgeordnete Andreas Galau, zugleich Landtagsvizepräsident, sagte nach der Sitzung, den Ausschlag hätte nicht das „Einzelereignis“ gegeben, sondern „die Gesamtheit der Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate“. Dazu, was Hohloch genau widerfahren ist, ließ die Fraktion nichts verlautbaren. Der Geschädigt selbst hat den Hergang bislang noch nicht aus seiner Sicht geschildert.

Sogar Gauland ist enttäuscht

Der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen begrüßte die Entscheidung „endgültig zurückzutreten“, das sei „im Lichte der Geschehnisse unvermeidbar und überfällig“. Meuthen hatte bereits zuvor nachdrücklich gefordert, dass Kalbitz dauerhaft von der Fraktionsspitze ablöst wird. Genau das ist jetzt – unverhofft – passiert. Auch der Co-Bundeschef Tino Chrupalla bejaht das: „Der Schritt ist in dieser Situation konsequent und richtig.“ Der Einzeiler ist bedeutsam, denn auf jegliche Angriffe gegen Kalbitz hatte Chrupalla, der mit Flügel-Hilfe in sein Spitzenamt gekommen war, bislang verzichtet. Er hatte auch dagegen votiert, die Mitgliedschaft zu annullieren. Damit mehren sich die Anzeichen, dass Kalbitz den Rückhalt in der AfD verliert und seine Bedeutung für die Partei trotz offenem Rechtsstreit verblasst. Auch das entspricht den Absichten Meuthens.

Tagelang geschwiegen hat dagegen der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland. Den Vorsitz über die Landespartei und die Landtagsfraktion in Brandenburg hatte er einst an Kalbitz übergeben, galt als dessen politischer Ziehvater und gewichtiger Fürsprecher des Flügels. Noch vor kurzem hatte Gauland das Urteil des Partei-Schiedsgerichts scharf kritisiert und danach Kalbitz zu jener Fraktionssitzung begleitet, an deren Ende er bereit war, den Vorsitz vorläufig ruhen zu lassen. Der Deutschen Presse-Agentur sagte Gauland heute, dass er persönlich mit Hohloch gesprochen habe. Was geschehen sei, halte er für „unverzeihlich“, so der 79-Jährige Mitgründer der AfD.

Derart angeschlagen blickt Kalbitz nun der mündlichen Gerichtsverhandlung am Freitag entgegen. Er will erreichen, dass das Urteil des Schiedsgerichts revidiert wird und er vorübergehend wieder Mitglied sein darf. Mit einem ähnlichen Schritt hatte er schon einmal Erfolg gehabt, der aber nicht von Dauer war. Der Kläger gibt sich wie üblich zuversichtlich, doch in seinem Umfeld möchte man keine Wetten mehr annehmen, wie die Sache ausgeht. Dazu kommt: Nach dem Eilverfahren steht ein Hauptsacheverfahren an, das möglicherweise erst im nächsten Jahr zur Verhandlung kommen wird. Der Machtkampf in der Partei droht damit den Bundestagswahlkampf zu überschatten. Befreiungs-Schläge sind nicht in Sicht.