Er ist wieder da

Andreas Kalbitz darf zur AfD zurückkehren, hat ein Gericht geurteilt. Zu seiner Entlastung beruft er sich ausgerechnet auf einen (anderen) bundesweit bekannten Neonazi. Der rechte Rand der Partei ist entzückt, der sächsische Landeschef gratuliert und Björn Höcke bringt sofort einen Flügel-Nachfolger an den Start. Ist das die Wende im Machtkampf?

Parteigericht muss bald entscheiden

Der Neonazi Andreas Kalbitz ist zurück in der AfD, zumindest vorläufig. Genau fünf Wochen nach dem Beschluss des Bundesvorstands der Partei, die Mitgliedschaft des 47-Jährigen für nichtig zu erklären, hat das Landgericht Berlin gestern Nachmittag teilweise zugunsten des zwischenzeitlich parteilosen Politikers entschieden. Er hatte dort beantragt, eine einstweilige Verfügung zu erlassen.

Nach einer kurzen mündlichen Verhandlung entschied eine Zivilkammer, dass Kalbitz seine Mitgliedsrechte ab sofort wieder ausüben darf und der Partei damit de facto erneut angehört, bis das Bundesschiedsgericht eine Entscheidung trifft. Das Urteil fußt darauf, dass der Bundesvorstand mit seinem Beschluss, die Mitgliedschaft zu annullieren, offenbar gegen das Parteiengesetz verstoßen hat. Von einer Annullierung weiß das Gesetz nämlich nichts, festgeschrieben ist dort vielmehr, dass über einen Ausschluss ein Schiedsgericht entscheiden muss. Eine solche Entscheidung muss die Partei nun nach der Auffassung des Gerichts abwarten.

Das bedeutet einen Teilsieg für Kalbitz, der eigentlich erzwingen wollte, voll rehabilitiert und dauerhaft wieder in die Partei aufgenommen zu werden. Doch diesen sogenannten Hauptantrag, um den es ihm zunächst ging, wies das Gericht ab und traf stattdessen eine vorläufige Regelung. Das Gericht befasste sich auch nicht näher mit dem dahinterliegenden Streitfall, ob Kalbitz beim Eintritt in die AfD unwahre Angaben gemacht hat, indem er seine Zugehörigkeit zu den Republikanern (REP) und der neonazistischen Heimattreuen deutschen Jugend (HDJ) verschwieg.

AfD-Anwalt kündigt Berufung an

Vor Gericht erschien Kalbitz nicht selbst, sondern ließ sich durch seinen Rechtsanwalt Andreas Schoemaker vertreten, ein Burschenschafter der einschlägigen Bonner Raczeks, den man in der AfD nicht aufnehmen wollte und dessen Anschrift in der Kundenkartei eines Neonazi-Textilversands verzeichnet ist. Schoemaker führte unter anderem aus, der Bundesvorstand könne nicht belegen, dass Kalbitz HDJ-Mitglied war. Das Bundesamt für Verfassungsschutz will nämlich das Beweisstück, eine Mitgliederliste aus dem Jahr 2007, nicht herausgeben. Was die REPs angehe, habe Kalbitz die Mitgliedschaft schon vor Jahren öffentlich eingeräumt, ohne dass daran jemand Anstoß genommen hätte.

Den Bundesvorstand vertrat vor Gericht der Medienanwalt Joachim Steinhöfel. Er erklärte, die Partei fechte Kalbitz‘ Aufnahmeantrag, der im Original als verschollen gilt, juristisch an. Man gehe von einer arglistigen Täuschung aus: Hätte Kalbitz am Anfang wahrheitsgemäße Angaben gemacht, so wäre über seine Aufnahme in die AfD im Einzelfall zu entscheiden gewesen und vielleicht nie zustande gekommen. Nach dem Urteil, dessen schriftliche Begründung noch nicht vorliegt, kündigte Steinhöfel an, in Berufung zu gehen. Dass Kalbitz versuchte, die Partei über seine Beteiligung an einer „nationalsozialistischen Struktur“ zu täuschen, werde man nicht hinnehmen. Eben darin liegt ein wesentlicher Streitpunkt, um den das Gericht einen Bogen machte – es befasste sich ausdrücklich nicht mit der Frage, wie belastbar die Vorwürfe gegen Kalbitz sind.

Er selbst hält sie für unbedeutend und reichte eine eidesstattliche Erklärung ein, in der er ausdrücklich versichert, „zu keinem Zeitpunkt“ Mitglied der HDJ gewesen zu sein. Über seinen Anwalt legte er dem Gericht nach Angaben der ZEIT zudem eine Erklärung des Neonazis Sebastian Räbiger vor, der von 2002 bis zum Verbot der Gruppe im Jahr 2009 der letzte „Bundesführer“ der HDJ war. Räbiger erklärt die Funktionsweise eines Computerprogramms, mit dem damals Mitglieder, aber auch weitere Kontaktdaten der Gruppe verwaltet wurden. Die Ausführungen sollen offenbar Angaben des Verfassungsschutzes entkräften, wonach Kalbitz auf einer HDJ-Mitgliederliste gestanden habe und ihm dort sogar eine Mitgliedsnummer zugeordnet gewesen sei. „Die Tatsache, dass einer Person von dem Programm eine solche Nummer zugewiesen worden ist, bedeutet (…) nicht, dass diese Person Mitglied der HDJ war“, behauptet Räbiger.

Kalbitz beruft sich auf HDJ-Anführer

Doch das entlastet Kalbitz nur in geringem Maß, falls überhaupt. Zum einen war Räbiger nicht selbst mit der Mitgliederverwaltung bertraut, daher kann er eine Mitgliedschaft auch nicht definitiv ausschließen. Es dürfte unwahrscheinlich sein, dass er bereit sein könnte, eine abschließende Aufzählung der damaligen Mitglieder vorzulegen. Sie würde beispielsweise Maik Eminger umfassen, den Zwillingsbruder des Zwickauer NSU-Unterstützers André Eminger, der zu einer Zeit bei der HDJ auftauchte, in der Kalbitz noch dort verkehrte. Zum anderen ist es bezeichnend, dass ausgerechnet Räbiger als Zeuge herangezogen wird. Darüber ist man auch innerhalb der Partei erstaunt, denn bislang waren alle Versuche, den Neonazi-Anführer selbst zu befragen, vergeblich geblieben.

Demnach verfügt Kalbitz noch immer über die nötigen Verbindungen in die braune Szene. Räbiger, ein gebürtiger Dresdner, war Anfang der 1990er Jahre – noch als Jugendlicher – sogenannter Gau-Beauftragter der sächsischen Wikingjugend, die 1994 verboten wurde. Damals wurde seine Wohnung in Radebeul durchsucht. Danach stieg er zu einer bundesweit bedeutsamen Schlüsselfigur der völkischen und der Neonaziszene auf, mit außerordentlich engem Kontakt auch zur NPD und einer rechtskräftigen Verurteiliung wegen gefährlicher Körperverletzung, weil er eine Journalistin attackiert hat. So viel zu dem militanten Milieu, in dem sich Kalbitz – ob nun mit oder ohne Mitgliedsausweis – über Jahrzehnte bewegt hat. Bis heute hat er sich davon nicht distanziert.

Womöglich wird sich diesen Zusammenhängen das Bundesschiedsgericht annehmen, in dessen Feld der Ball jetzt liegt. Dorthin hatte sich Kalbitz ohnehin schon gewandt, mit einem Antrag zur „Aufhebung des Beschlusses des Bundesvorstandes zur Annulierung der AfD-Mitgliedschaft“. Auch hier handelt es sich um ein Eilverfahren, auch hier will Kalbitz erreichen, auf Dauer in die Partei zurückkehren zu können. In wenigen Wochen könnte eine Entscheidung vorliegen, der Ausgang gilt als offen. Aber: Auch wenn das Parteigericht für Kalbitz entscheiden sollte, könnte es sich in absehbarer Zeit erneut mit ihm befassen müssen, falls der Bundesvorstand dann ein konventionelles Ausschlussverfahren anstrengt.

Gauland spricht von „Kollateralschäden“

Das Urteil, das für Kalbitz einen kleinen Fortschritt bedeutet, ist für den Parteivorsitzenden Jörg Meuthen, der den Ausschluss maßgeblich vorangetrieben hatte, ein herber Rückschlag. Er relativiert die Bedeutung des Urteils, betont, dass Kalbitz noch lange „nicht gewonnen“ habe und die „klare Brandmauer“ nach rechtsaußen halte. Ähnlich äußert sich seine Stellvertreterin Beatrix von Storch. Auf der Gegenseite ist der Tonfall ganz anders: Tino Chrupalla, gleichberechtigter Parteichef neben Meuthen, spricht von einer „richtungsweisenden Entscheidung“, nach der endlich „Ruhe einkehren“ müsse. Stellvertreterin Alice Weidel nennt das Urteil ein „Ergebnis überhasteten Handelns“.

Stephan Brandner, der ebenfalls im Bundesvorstand sitzt, geht noch weiter: Es müsse nun „natürlich“ diskutiert werden, „wer für die absolut unnötige Unruhe, die der AfD schweren Schaden zugefügt hat und noch zufügen wird, die Verantwortung trägt“ – nämlich Meuthen, der in den vergangenen Monaten zum Lieblingsfeind des Flügels avancierte. Der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland hatte schon nach dem Beschluss des Bundesvorstand angedeutet, dass es für die Verantwortlich eng werden könnte, falls Kalbitz sich erfolgreich zurückklagt. Unmittelbar vor der gestrigen Gerichtsentscheidung sagte er dem Spiegel, es sei „leider zu viel im Fluss, was Meuthen mit seinem Schritt in der AfD ausgelöst hat“, er spricht gar von „regelrechten Zersetzungstendenzen“.

Nach dem Urteil fühlt sich Gauland bestätigt und fordert Meuthen, Storch und andere auf, „sich zu überlegen, ob sie den Weg der juristischen Auseinandersetzung weiterführen“ und dadurch „Kollateralschäden“ riskieren wollen. Was das konkret zu bedeuten hat, wird der Bundesvorstand in der kommenden Woche besprechen, zunächst bei einer Telefonschalte, dann bei einer Präsenzsitzung. Daran wird Kalbitz teilnehmen dürfen, der sich freilich über die „rechtsstaatliche Entscheidung“ freut und „Teile des Bundesvorstands“ auffordert, den „selbstzerstörerischen Spaltungskurs“ zu verlassen. Die auftrumpfenden Forderungen täuschen nicht: Die Rechtsaußen-Kräfte in der Partei erleben einen Moment der Stärke, nachdem es zuletzt so aussah, als würden sie im Machtkampf unterliegen.

Glückwunsch aus Sachsen, Kampfansage von Höcke

Auch die sächsische AfD, eindeutig auf Flügel-Kurs, heißt Kalbitz herzlich in der Partei willkommen. Der Landesvorsitzende Jörg Urban nennt ihn in einer aktuellen Erklärung ein „engagiertes“ Mitglied, dem auch die sächsische Landespartei „viel zu verdanken hat“. Nun müsse man „geschlossen zur Sacharbeit zurückkehren.“ Doch daran denken die Flügel-Kräfte selbst nicht, so lange Meuthen an der Spitze der Partei steht. Das zeigt die Reaktion von Urbans thüringischem Kollegen Björn Höcke.

In einer längeren Erklärung macht er Meuthen schwere Vorwürfe und droht mit einem Sturz: „Zum dritten Mal in unserer sehr jungen Parteigeschichte will also einer unserer Bundessprecher Teile der Partei mundtot machen oder sogar aus der Partei drängen. Er redet nicht nur von Spaltung, er will gegen den Mehrheitswillen spalten“ und „zerstört dabei unsere (…) sehr erfolgreiche Arbeit.“ Daher müsse die Basis der Partei die Möglichkeit erhalten, „destruktive Bundesvorstandsmitglieder abwählen zu können.“

Die harschen Worte überraschen nicht. Erstaunlich sind die Umstände der Veröffentlichung: Höckes Erklärung erschien unmittelbar, nachdem das Urteil bekannt wurde, sowohl auf seiner Facebook-Seite, als auch auf einer neuen, anonym betriebenen Website namens „Alternative Basis“. Dort wurde die Stellungnahme nachträglich ergänzt um einen Passus, man habe den Text von Höckes Facebook-Seite übernommen. Aber das ist unwahrscheinlich, Höckes Facebook-Veröffentlichung und der Website-Beitrag liegen nur zwei Minuten auseinander. Der Website-Beitrag wurde sogar bereits einen Tag vor dem Urteil angelegt und dann nur noch freigeschaltet.

Der Flügel heißt jetzt „Alternative Basis“

Wer sich fragte, ob der Flügel – dessen offizielle Website abgeschaltet wurde – unter neuem Namen wiederkehren würde, findet mit der „Alternativen Basis“ eine eindeutige Antwort. Eine Mehrheit im Bundesvorstand, so heißt es dort auch, „vollstreckt, was sich die Altparteien sehnlichst wünschen: den aufreibenden, parteiinternen Krieg.“ Man müsse darauf achten, „nicht zur jüngsten Altpartei“ zu werden, eine Richtung, die eingeschlagen zu haben man Meuthen unaufhörlich unterstellt.

Eine Rückkehr zu den vermeintlichen Wurzeln des Projekts AfD war bereits die zentrale Botschaft der „Erfurter Resolution“ gewesen, des programmatischen Gründungsdokuments des Flügels vor fünf Jahren. Damals hatte der Versuch, sich selbst als Parteibasis darzustellen, auch noch einiges für sich. Heute dagegen halten die Protagonist*innen viele Ämter und Mandate. Möglicherweise ist die AfD dadurch bereits „zur jüngsten unter den Altparteien geworden“. So jedenfalls lautet der Gegenvorwurf von Konrad Adam, der die Partei einst an der Seite von Alexander Gauland mitgegründet hatte und der am Donnerstag in einem WELT-Gastbeitrag eine wütende Bilanz zog.

Die AfD habe alle ursprünglichen Ziele aus dem Auge verloren, „abgesehen von ihrem alten Drall nach rechts.“ Hinter dem Richtungsstreit in der Partei stehe die Konkurrenz der „Geschäftsleute“, die das Ziel verfolgen, „auch privat einen guten Schnitt zu machen“. Adam spricht von „Goldgräbernaturen“. Die gäbe es zwar in allen Partei. Doch „nur die AfD hat es fertiggebracht, einem bekennenden Antisemiten ein Landtagsmandat zu verschaffen, eine Freizeitprostituierte als familienpolitische Sprecherin zu etablieren und einen rechtskräftig verurteilten Hooligan zum Vorsitzenden eines Bundestagsausschusses zu machen.“ Sogenannte Sacharbeit ist nicht in Sicht.