AfD-Schiedsgericht: Kalbitz kein Parteimitglied mehr

Das Bundesschiedsgericht der AfD hat am Samstag ein lang erwartetes Urteil gefällt. Demnach bleibt es bei dem umstrittenen Beschluss des Parteivorstands: Der Neonazi Andreas Kalbitz ist ab sofort kein Mitglied mehr. Dagegen will er sich erneut vor einem staatlichen Gericht wehren – der Machtkampf geht in die nächste Verlängerung.

Ein dröger „Schauprozess“

Nichts an dieser Kulisse ist etwas fürs Auge: Ein schlichtes Bürohaus in einem Gewebegebiet, gelegen im Süden von Stuttgart, unrepräsentativ wie sonst nichts für einen Termin von so großem Gewicht. Vor dem Haus eine Handvoll Fans von Andreas Kalbitz samt schwarz-rot-goldenem Klappstuhl, Pappschildern und Sinnsprüchen wie „Kalbitz ist gut“. In dem Haus ein kleiner, schlichter Saal, in Pandemiezeiten zu klein, um Gästen den Zutritt zu gewähren.

So saßen sich an diesem Samstag hinter verschlossenen Türen das Idol der Parteirechten und deren Hassfigur, der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen, direkt gegenüber und hatten sich, so ist es zu vernehmen, nichts Neues zu sagen. Sie reden schon länger nicht mehr miteinander, sind auf Einladung des Bundesschiedsgerichts erschienen, ließen zumeist die Anwälte sprechen. Aber auch denen soll nichts Neues eingefallen sein.

Glaubt man den Flügel-Leuten, die im Internet gehässig für Kalbitz streiten, wollte ihm der „Parteischädling“, „Spalter“ und „Zersetzer“ Meuthen einen waschechten „Schauprozess“ bereiten. Man ahnt bereits, das ist nicht wahr, nur die Beleidigungen sind voller Ernst. Es ist die gewöhnliche Sprache im Machtkampf der AfD, der gestern einen der Höhepunkte erreichte, wie sie in den vergangenen Monaten regelmäßig erklommen wurden.

„Die Annullierung ist rechtsgültig“

Es war in Wirklichkeit Kalbitz, der das Schiedsgericht anrufen und den vermeintlichen Schauprozess ansetzen ließ. Man schmähte die Verhandlung erst so, seitdem man ahnte, dass seine Sache schlechter steht als gedacht. Wenn es käme wie befürchtet, würde die AfD „wie wir sie kennen und lieben“ schon bald „aufhören zu existieren“, prophezeiten seine Getreuen zuletzt. Doch aufgehört zu existieren hat zunächst einmal die Parteimitgliedschaft des Neonazis Kalbitz.

Nach der Anhörung war er noch guter Dinge, als er sich den Fragen einiger Journalist*innen stellte: „Wir haben ja noch kein abschließendes Urteil“, und selbst wenn es gegen ihn ausfallen sollte, wäre es „kein wirklich abschließendes Urteil“. An die Mitglieder gerichtet sagte er, man solle sich „nicht verrückt machen lassen, dabeibleiben. Ich denke, wir kriegen das auch geregelt.“ Kurz darauf drang durch, dass ein Urteil gefallen ist, das sehr wohl behauptet, abschließend zu sein: „Die Annullierung ist rechtsgültig“, lautet der Kernsatz. Er bestätigt den Beschluss des AfD-Bundesvorstands von Mitte Mai, wonach Kalbitz gehen muss, man ihn sogar als jemanden anzusehen hat, der nie wirksam aufgenommen worden ist.

Sieben der neun Schiedsrichter*innen sahen das auch so und verwarfen damit Kalbitz‘ Beschwerde. Der 47-Jährige gehört dadurch mit sofortiger Wirkung nicht mehr der AfD an, er verliert seinen Platz im Bundesvorstand und ist nicht länger Vorsitzender des brandenburgischen Landesverbands. Sein Mandat im Landtag bleibt unberührt, anzunehmen ist auch, dass er weiter Vorsitzender der dortigen Fraktion bleiben kann. Sie hatte ihre Geschäftsordnung eigens für diesen besonderen Fall geändert. Doch die weitere Entwicklung der Partei kann er nur noch als Zaungast verfolgt.

Schachfigur und Stratege

Aus Sicht der Parteispitze ist der so verwinkelte wie konfliktreiche Fall damit erledigt – für Kalbitz jedoch keineswegs. Bislang war es um die Frage gegangen, ob er vor gut sieben Jahren, als er der AfD beitrat, frühere Mitgliedschaften bei den „Republikanern“ und in der 2009 verbotenen Neonaziorganisation „Heimattreue deutsche Jugend“ (HDJ) verschwiegen hat. Wenn dem so war, kam die Parteimitgliedschaft durch einen schwerwiegenden Satzungsverstoß zustande und konnte rückwirkend für unwirksam erklärt werden.

Die Parteisatzung lässt diesen ungewöhnlichen Schritt zu, ohne dass ein zeitaufwändiges Ausschlussverfahren durchlaufen werden muss. Den Anstoß gab das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das im März bekannt gegeben hatte, den völkisch-nationalistischen Flügel zum Beobachtungsobjekt zu erheben. Wohl aus Sorge, dass bald die Gesamtpartei ins Visier geraten könnte, erzwang der Bundesvorstand daraufhin die Abwicklung der Gruppe, an deren Spitze Kalbitz neben Björn Höcke stand. Seitdem tobt in der Partei ein offener Machtkampf. Kalbitz, das sagte er am Samstag auch, sieht sich darin als eine „Schachfigur“, inzwischen womöglich als ein Bauernopfer.

Das BfV hatte seine Entscheidung zum Flügel auch auf die Rolle Kalbitz‘ gestützt, den man keineswegs für eine Spielfigur unter vielen hält, schon gar nicht für einen Bauern. Man sieht in ihm einen rechtsextremen Strategen, der selbst die Züge macht – und das verschleiert, indem er über seine jahrzehntelange Verankerung in der rechten Szene lügt. Dafür spricht zum Beispiel eine Mitgliederliste der HDJ, die der Behörde vorliegt und auf der Kalbitz verzeichnet sein soll, samt einer Mitgliedsnummer. Eine „Fälschung“ nennt er das und bestreitet, der HDJ als Mitglied „im juristischen Sinne“ angehört zu haben.

Keine Distanzierung von (anderen) Neonazis

Sein früheres Engagement bei den Republikanern hat er eingeräumt, mochte sich aber nicht erinnern, ob er das der AfD schon anfänglich verraten hatte. Ihn schien zu schützen, dass der Beitrittsantrag, aus dem sich das ergibt, als „verschollen“ gilt und die HDJ-Mitgliederliste nicht im Original vorliegt. Aber alle bekannten Indizien weisen in dieselbe braune Richtung. Davon war auch der Bundesvorstand ausgegangen, als er im Zuge der Flügel-Auflösung Kalbitz aufgefordert hat, sein politisches Vorleben offenzulegen.

Er hat geliefert, ließ manches im Ungefähren, räumte aber „einzelne, als rechtsextrem auslegbare“ Bezüge in der Vergangenheit ein. Von ihnen distanziert er sich nicht, weder von den Republikanern noch von der HDJ. Vor gut zwei Monaten stellte Jörg Meuthen dann im Bundesvorstand den entscheidenden Annullierungs-Antrag. Der bereits entbrannte Machtkampf wurde dadurch erst recht angeheizt und entzweit den Vorstand bis heute. Meuthen musste sich auf eine knappe Mehrheit stützen und seitdem hoffen, dass der Beschluss standhält. Das war bislang fraglich und ist auch jetzt noch nicht ganz sicher.

Denn nach rund fünf Wochen, in denen er parteilos war, hatte Kalbitz Erfolg bei einer Zivilkammer des Landgerichts Berlin. Dort gab man seinem Eilantrag teilweise statt und verpflichtete die Partei, ihm alle Mitgliedsrechte wieder zuzuerkennen, bis das Bundesschiedsgericht der AfD abschließend über den Fall entschieden hat. Bis zum vergangenen Samstag also. Auf der Schiedsgerichtsbarkeit der Partei lag anfangs große Hoffnung, sie galt lange als feste Bastion der Rechtsaußen-Kräfte der Partei. Doch in der AfD des Jahres 2020, aufgewühlt bis an den Rand der Spaltung, stehen manche Dinge Kopf.

Fall kommt erneut vor ein Zivilgericht

Das Schiedsgericht hatte sich zwischenzeitlich bereits mit einem Eilantrag von Kalbitz befasst und den unerwarteten Standpunkt bezogen, dass man ihn mehr draußen als drin sieht. Es sprächen „gewichtige Umstände dafür, dass die Annullierung der Mitgliedschaft wirksam erfolgt sein dürfte“, hieß es vor einem Monat. Es war eine Vorentscheidung mit Signalwirkung, aber noch ohne praktische Folgen. Jetzt, mit dem Urteil im Hauptsacheverfahren, ist das anders.

Doch an diesem Punkt, der Klärung bringen sollte, beginnen die Dinge noch verwickelter zu werden, als sie es ohnehin schon sind. Kalbitz will erneut vor ein staatliches Gericht ziehen, womöglich wieder zum Landgericht Berlin, wo er schon einmal Erfolg hatte, und das Urteil des Parteigerichts anfechten. Um die HDJ und die Republikaner wird es dann voraussichtlich nicht mehr gehen. Damit hatte sich zuletzt noch das Parteigericht zu befassen und die Entscheidung des Bundesvorstands entlang der Satzung der Partei zu überprüfen.

Kalbitz will nun einen anderen Weg gehen und erreichen, dass sich ein Zivilgericht mit der Parteisatzung auseinandersetzt, die ihm zum Verhängnis wurde – denn womöglich ist sie mit dem übergeordneten Parteienrecht nicht vereinbar. Eine Bemerkung in diese Richtung hatte das Landgericht Berlin schon gemacht und angedeutet, dass der Bundesvorstand Mitgliedschaften nicht einfach annullieren kann, sondern den Weg eines Parteiausschlussverfahrens beschreiten muss. Es läge zunächst in der Hand des Landesschiedsgerichts der brandenburgischen AfD, wo Kalbitz die Hausmacht hat.

Flügel-Gegenoffensive bleibt aus

Denkbar ist, dass er erneut eine Eilentscheidung erwirken kann und schon in absehbarer Zeit wieder in der AfD aufgenommen werden muss. Gut möglich ist auch, dass es bis zu einem anschließenden Hauptsacheverfahren länger dauern wird. Es droht dadurch ein Machtkampf auf Dauer, der ins kommende Bundestagswahljahr übergreift und in dem eine gütliche Einigung ausgeschlossen scheint.

Auffällig ist derzeit, dass die Flügel-Kräfte verhaltener reagieren als in der Vergangenheit. Sie hatten versucht, den Parteivorsitzenden Meuthen zu beschädigen, wollten einen Sonderparteitag einberufen, um dort Teile des Vorstands abzuwählen, es gab sogar die Idee, selbst Ausschlussverfahren loszutreten. Doch die große Gegenoffensive zündete nicht, offenbar hat sich gezeigt, dass es die Machtverhältnisse nicht anders hergeben. Übrig bleiben in der zerrissenen Partei nur eine unflätige Rhetorik im Internet und Durchhalteparolen im echten Leben.

Björn Höcke etwa kommentiert das Urteil in einen kurzen Videoclip, spricht darin von „Willkür“ und warnt vor einem „weiteren schweren Schaden für unsere Partei“. Dann rechnet er vor, wie viel Geld die Auseinandersetzung verschlingt und dass es an anderer Stelle besser eingesetzt werden könnte. Enttäuscht wird, wer eine politische Einordnung oder gar eine neue Kampfansage erwartet. Stattdessen folgt Klatsch: Bestimmte „Mandatsträger“ hätten Druck auf Mitglieder des Schiedsgerichts gemacht, behauptet Höcke. Er weiß das alles aus der „Gerüchteküche“, sagt er, nennt keine Namen und hat keine Belege. Und offenbar keine Idee, wie es weitergehen soll.