AfD versus Verfassungsschutz: Zeitspiel ohne Ziel

Mit juristischen Manövern will die AfD einer drohenden Einstufung als Verfassungsschutz-Verdachtsfall entgehen. Damit gelingt eine Verzögerung in letzter Minute. Doch die Beobachtung kommt – wenn nicht von oben im Bund, dann von unten in den Ländern. Das ist seit neuestem auch in Sachsen-Anhalt der Fall. In Bremen hat der Landesvorsitzende das Weite gesucht.


Beitrag vom 27.01.2021, 16:20 Uhr │


Gericht berät seit Tagen

Die Entscheidung hätte längst fallen können, das war zumindest der Plan. Anfang dieser Woche, so berichteten es Medien übereinstimmend, wollten die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder gemeinsam beraten, wie sie künftig mit der AfD umgehen. Vor zwei Jahren hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Partei zum sogenannten Prüffall erklärt, weil erste „Verdachtssplitter“ vorlagen, wonach sie sich gegen die Grundordnung richtet. Seither wurde Material aus offen zugänglichen Quellen gesammelt und ausgewertet. Presseberichte sind genauso darunter wie Zitate namhafter Politiker*innen, Äußerungen von Funktionär*innen, Statements in sozialen Netzwerken, verbale Ausfälle quer durch alle Gliederungen.

Seit längerem zeichnete sich ab, dass das BfV „hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte“ beisammen hat, um eine verfassungsfeindliche Orientierung der AfD zu belegen. Folge wäre die Hochstufung der Partei zum Verdachtsfall im Bereich des Rechtsextremismus. Sie könnte dann bundesweit systematisch beobachtet werden, auch mit Hilfe nachrichtendienstlicher Mittel, mit V-Leuten zum Beispiel. Doch die Entscheidung fiel wider Erwarten nicht und lässt weiter auf sich warten. Mit einem juristischen Manöver ist es der AfD gelungen, die Einstufung zu verzögern, zumindest vorläufig.

Am vergangenen Donnerstag wandte sich die Partei an das Verwaltungsgericht in Köln, wo das BfV seinen Dienstsitz hat, und reichte dort zwei Klagen ein. Zum Anlass nahm sie Presseberichte über das, was kommen sollte. Es geht vor Gericht zum einen um den völkisch-nationalistischen Flügel, der bereits seit März 2020 ein Beobachtungsobjekt der höchsten Kategorie ist, eine „erwiesene Bestrebung“. Die AfD will es dem BfV verbieten lassen, öffentlich zu berichten, über wie viele Mitglieder der Flügel verfügte und wie stark er heute – nach der vorgeblichen Auflösung dieser Strömung – ist. Zum anderen soll es der Behörde untersagt werden, die AfD zum Verdachtsfall zu erklären und darüber öffentlich zu berichten. Die Partei argumentiert mit der Chancengleichheit und einer Beeinträchtigung des freien Wettbewerbs der Parteien, zumal im Superwahljahr.

Bundesamt hält vorerst still

Zu beiden Klagen wurden einstweilige Anordnungen beantragt, das Gericht soll im Eilverfahren möglichst schnell vorläufige Regelungen treffen – bevor das BfV tätig wird. Eine Teilniederlage hat die AfD gestern erlitten: Abgewiesen wurde der Antrag, eine Zwischenregelung zu treffen, wonach das BfV nicht länger behaupten sollte, dass dem Flügel rund 7.000 Mitglieder angehören. Das Bundesamt, so darf man annehmen, stützt seine Bewertung der Gesamtpartei auch auf die mutmaßliche Stärke des Flügels. Ohne diesen Hinweis, so das Kalkül der AfD, wäre kaum zu begründen, warum die Gesamtpartei ins Visier genommen werden muss. Doch das Gericht winkte ab, denn die Zahl 7.000 ist seit Monaten in der Welt, wurde bereits in Verfassungsschutzberichten abgedruckt. Und sie geht zurück auf Eigenangaben der Partei.

Bei der zweiten Klage sieht es etwas anders aus. Auch hier hatte die AfD im Eilverfahren noch einen zusätzlichen Hebel angesetzt und einen sogenannten Hängebeschluss beantragt, der dem BfV sofort die Hände binden sollte. Doch die Behörde parierte diesen Schritt und gab am Montag eine „Stillhaltezusage“ ab. Demnach wird man keine vollendeten Tatsachen schaffen und sich nicht öffentlich über eine eventuelle Einstufung der Partei äußern, bis das Gericht zu einem ordentlichen Entschluss gekommen ist. Seither schweigt man eisern: „Mit Blick auf das laufende Verfahren und aus Respekt vor dem Gericht äußern wir uns in dieser Angelegenheit nicht öffentlich“, lautet die einzige Erklärung, die seit Anfang der Woche vom BfV zu bekommen ist. Unklar ist demnach auch, wie weit die Zusage reicht – ob es nur um die öffentliche Bekanntmachung geht oder alle behördeninternen Schritte auf Eis liegen.

Der Ball liegt jetzt beim Gericht, das Verwaltungsgericht berät den Fall noch immer. Komplizierter wird er dadurch, dass die AfD bereits Mitte Januar eine andere Klage beim selben Gericht eingereicht hatte, die in eine ähnliche Richtung führt. Sie richtet sich gegen die Einstufung des Flügels. Die Partei übernimmt damit die erstmals volle Verantwortung für diese Strömung. Die Gefahr dabei: Sollte diese Klage scheitern, muss sich die AfD alle Flügel-Aktivitäten ohne Abstriche zurechnen lassen. Die Chance aus Sicht der Partei: Hält die Einstufung des Flügels vor Gericht nicht stand, sind dessen Aktivitäten nicht mehr allzu belastend. Einen Verhandlungstermin gibt es noch nicht.

Länder preschen vor

Doch auch ohne, dass bislang maßgebliche Entscheidungen fielen, gibt es erste Reibungsverluste. Am Montag trennte sich die Kölner Anwaltskanzlei Höcker, die durch die AfD beauftragt wurde, gegen das BfV vorzugehen, von ihrem bekanntesten Berater: dem ehemaligen BfV-Präsidenten Hans-Georg Maaßen. Im Hintergrund steht ein drohender Interessenskonflikt, Maaßen könnte „möglicherweise“ als Zeuge benannt werden, teilte die Kanzlei mit. Zwar war der Ex-Präsident bereits aus der Behörde ausgeschieden, als dort das Prüfverfahren gegen die AfD eingeleitet wurde. Aber erste Erwägungen, ob man zuständig sei, waren noch in seiner Zuständigkeit getroffen worden.

Am Dienstag musste die AfD einen Verlust erleiden, der Bremer Landeschef Peter Beck trat von seinem Amt zurück und gab seinen Parteiaustritt bekannt. Er sei „gescheitert“ mit dem Versuch, die AfD auf einen gemäßigten Kurs zu führen, sagte er. Aussichten auf eine Besserung gebe es „auf keiner Ebene“, mit der Partei sei er „durch“. Und während sie versucht, eine Einstufung auf Bundesebene abzuwehren, droht ihr unvermindert eine Beobachtung von unten, auf Landesebene. Wie nun durch Recherchen der Mitteldeutschen Zeitung bestätigt wurde, hat das sachsen-anhaltische Landesamt für Verfassungsschutz bereits zum 12. Januar den gesamten AfD-Landesverband als Verdachtsfall eingestuft und folgt damit dem Vorgehen Thüringens und Brandenburgs.

Zeitgleich mit dem BfV hatten Anfang 2019 auch die Verfassungsschutz-Landesämter eigene Prüfverfahren eingeleitet. In Sachsen wurde es bereits abgeschlossen – mit dem Ergebnis, die Partei auch im Freistaat unter Beobachtung zu nehmen. Hier wie in Sachsen-Anhalt gestatten es die Verfassungsschutzgesetze allerdings nicht, über Verdachtsfälle öffentlich zu berichten. Offizielle Bestätigungen bleiben daher aus. Wie es aus Sachsen-Anhalt gleichwohl heißt, sieht man dort in der überragenden Stellung von Flügel-Kräften einen ausschlaggebenden Grund für die Einstufung.