„Noch keine Organisation so verfallen“

Die sächsische AfD gilt als vergleichsweise stabil. Doch auch hier schwächeln einzelne Verbände, etwa im Landkreis Leipzig. Nach einem offenen Pakt mit dem verfassungsfeindlichen Flügel und Pegida, nach Gerichtsurteilen gegen Kommunalpolitiker und üblen antisemitischen Statements durch Funktionäre der Partei erodiert die Kreistagsfraktion – gleich vier der ursprünglich 19 Mitglieder sind inzwischen gegangen, mehr als anderswo. Auch bei Wahlen lief es zuletzt schlecht.


Beitrag vom 16.10.2020, 13:30 Uhr │ Im Bild: Bodo Walther, glückloser AfD-Chef im Kreistag.


Nachrücker will nicht in die Fraktion

Im Kreistag des Landkreises Leipzig hat die AfD-Fraktion inzwischen vier ihrer ursprünglich 19 Mitglieder verloren. Wie die Leipziger Volkszeitung (LVZ) berichtet, platzierte sich bei der Ratssitzung in Neukieritzsch am Mittwoch der vergangenen Woche Thomas Illig überraschend nicht bei der AfD, sondern in den Reihen der Fraktionslosen. Es war die erste Sitzung, an der Illig als Ratsmitglied teilnahm. Bei der Kreistagswahl im vergangenen Jahr hatte der Markkleeberger für die Partei kandidiert, den Einzug aber verfehlt. Jetzt erst kam er als sogenannter Nachrücker an die Reihe und wurde durch Landrat Henry Graichen (CDU) vereidigt.

Dazu kam es eher unverhofft. Auf den nun verrückten Kreistagssitz war für die AfD zunächst Kay Knöbel gewählt worden. Doch er nahm das Mandat nicht an, Begründung: Er sei weggezogen. Danach wäre Thomas Steinert an der Reihe gewesen, doch er lehnte ab, Begründung: Die Tätigkeit als Kreisrat würde ihn, der eine Autowerkstatt am Rande des Leipziger Stadtteils Connewitz betreibt, bei seiner Arbeit „erheblich behindern“. An seiner Stelle kam Elke Gärtner zum Zug, dem Vernehmen nach gegen den Willen Bodo Walthers, des AfD-Fraktionschefs im Kreistag. Walther, der für die AfD-Landtagsfraktion arbeitet, soll sich dagegengestemmt haben, Steinert aus der Verantwortung zu entlassen, heißt es aus Parteikreisen. Er befürchtete demnach, dass Gärtner rasch aus der Fraktion ausscheren würde.

Das tat sie nicht, gab ihren Posten nach einigen Monaten aber komplett preis. Die Begründung klingt bekannt: Sie sei weggezogen. Nach LVZ-Angaben soll der Nach-Nach-Nachrücker Illig, der bislang als ausgemachter Rechtsausleger bekannt war, von Anbeginn betont haben, „nicht der Fraktion anzugehören“. Dazu gibt es bislang keine offizielle Erklärung. Was aber auffällt: Illig und Steinert sitzen zugleich im Stadtrat von Markkleeberg, sind dort aber aktuell als Parteilose verzeichnet. Auch Knöbel und Gärtner stammen ursprünglich aus dieser Stadt, in der von der AfD zuletzt kaum noch etwas zu hören war.

Zuvor bereits drei Fraktions-Austritte

Schon zuvor hatte es drei Austritte aus der Kreistagsfraktion gegeben. Den Anfang machte Lars Herrmann, der 2017 für die AfD in den Bundestag eingezogen war und sich im Dezember vergangenen Jahres überraschend von der Partei abwandte. Im Bundestag wie auch im Kreistag ist er seither fraktionslos. Herrmann, von Beruf Bundespolizist, soll mit den Flügel-Kräften im Clinch gelegen haben. Bei seinem Austritt gab er an, dass er seinen Beamtenpflichten gerecht werden müsse, offenbar eine Reaktion auf die gestiegene Aufmerksamkeit der Verfassungsschutzbehörden für Teile der Partei. Mit ihr verbindet Herrmann nur noch ein Rechtsstreit, die AfD fordert von ihm angeblich ausstehende Zahlungen ein, die sogenannte Mandatsträgerabgabe.

Im vergangenen Sommer trat als nächster Falk Jahr aus der AfD aus, auch er zog sich aus der Kreistagsfraktion zurück und ist seither fraktionslos. Den überraschenden Schritt begründete er damit, er habe „noch keine Organisation so verfallen sehen wie die AfD“, ein klares Echo auf die anhaltenden Zerwürfnisse in der Partei. Kurz darauf verließ auch Susann Müller die Kreistagsfraktion, ein Grund wurde bislang nicht bekannt. Sie ist zugleich Mitglied im Stadtrat von Frohburg, dort aktuell sogar Vorsitzende der AfD-Fraktion. Ob sie die Partei inzwischen verlassen hat, ist derzeit unklar.

Weiter im Kreistag mitwirken wollen die Abtrünnigen jenseits der AfD-Fraktion unter Bodo Walther. Er versuchte jüngst, sie aus verschiedenen Ausschüssen und Beiräten abzuziehen, in die sie zunächst für die Fraktion entsandt worden waren. Doch eine Mehrheit des Kreistages stimmte dafür, Falk Jahr seine Funktionen als Mitglied im Aufsichtsrat der KELL GmbH – eines kommunalen Abfallentsorgers – und der Trägerversammlung der Sparkasse Leipzig zu belassen. Daher will die AfD, die an Einfluss verliert, diese Entscheidungen juristisch überprüfen lassen.

Zwei Kommunalpolitiker verurteilt

Mit ihren nur noch 15 Mitgliedern ist die AfD zwar nach wie vor die zweistärkste Fraktion im Landkreis Leipzig. Doch sie hat dort weit mehr Federn gelassen als in allen anderen sächsischen Kreistagen. In diesen Gremien hatte die Partei bei den Kommunalwahlen vor anderthalb Jahren insgesamt 218 Sitze gewonnen und bislang nur wenige eingebüßt. Im Februar verließ Sven Itzek im Streit die Zwickauer AfD und auch deren Kreistagsfraktion. Im Juni gab Hans-Gerd Hübner sein Parteibuch zurück. Er war Gründungsmitglied des AfD-Kreisverbandes Görlitz und zuletzt sogar Chef der dortigen Kreistagsfraktion. Speziell ist die Situation im Vogtland, dort haben sich sieben der insgesamt 17 Kreistagsmitglieder von Anbeginn nicht der Fraktion angeschlossen.

Auch in anderer Hinsicht macht der AfD-Kreisverband im Landkreis Leipzig keine gute Figur. Auf der Facebook-Seite des Verbandes erschienen antisemitische Beiträge und abwegige Verschwörungstheorien zur Corona-Pandemie. Vor wenigen Monaten gaben zwei Kreisfunktionäre vor laufender Kamera judenfeindliche Statements ab. Das sind keine Einzelfälle, bereits Anfang des Jahres verurteilte das Amtsgericht Dresden den Bad Lausicker AfD-Stadtrat Horst Juhlemann, der früher Sprecher des Kreisverbands war, wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe. Der Rentner hatte Mitte 2019 am Rande einer Dresdner Pegida-Versammlung, bei der er mit einer AfD-Fahne mitmarschierte, den Hitlergruß gezeigt. Im Jahr zuvor machte er schon einmal von sich reden, durch einen rassistischen Brief an einen Wursthersteller. Darin beschwerte sich Juhlemann, dass in einem TV-Wahlwerbespot ein „Afrikaner“ zu sehen ist.

Einen anderen AfD-Kommunalpolitiker verurteilte das Amtsgericht Borna erst neulich wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe. Reinhard Jöricke hatte 2019 einen Brief an den DGB-Regionalgeschäftsführer gesendet, die Gewerkschaft darin mit derben Worten attackiert und „ewig in die Jagdgründe“ gewünscht. Ein Wahlforum der Gewerkschaft musste daraufhin unter Polizeiaufsicht und mit privatem Wachschutz stattfinden. Infolge des Drohschreibens wurde Jöricke aus der Bornaer AfD-Stadtratsfraktion ausgeschlossen, nicht aber aus der Partei. Inzwischen legte er sein Stadtratsmandat komplett nieder und beendete damit einen langen Streit um die Frage, ob er überhaupt kandidieren durfte. Offenbar hatte er falsche Angaben zu seinem Wohnsitz gemacht.

Reihenweise Fehltritte

Zur Bundestagswahl im kommenden Jahr will die AfD im Landkreis mit Edgar Naujok als Direktkandidat ins Rennen gehen. Er ist Kreischef, als Funktionär wie auch als Kandidat ersetzt er Lars Herrmann. Bei der Nominierung hatte sich Naujok gegen Bodo Walther durchgesetzt, der nur drei Mitglieder des Kreisverbands auf seine Seite hatte. Zuvor war Walther aus dem Kreisvorstand zurückgetreten – er war bislang Pressesprecher des Verbands gewesen und vor allem damit aufgefallen, Fragen zu den kruden Auf- und Fehltritten der Partei im Landkreis nicht zu beantworten.

Zu ihnen trug inzwischen auch Naujok selbst bei. Ende August eröffnete er eine Partei-Kundgebung in Grimma, bei der unter anderem Björn Höcke sprach. Die Versammlung weckte das Interesse des Verfassungsschutzes, die Behörde geht davon aus, dass es sich in Wirklichkeit um eine Veranstaltung des verfassungsfeindlichen Flügels handelte. Ermöglicht wurde sie mit Hilfe von Pegida, Logos des rassistischen Protestbündnisses und der Partei waren dabei nebeneinander zu sehen. Das war ein klarer Verstoß gegen AfD-Abgrenzungsbeschlüsse, um gerade solche Bilder zu vermeiden. Mit dabei war Jörg Dornau, der einzige Landtagsabgeordnete des Kreisverbands, der als Flügel-Anhänger gilt. Die Grimma-Kundgebung hatte er sogar im Namen der Landtagsfraktion beworben. Kurz darauf lief er bei Pegida mit, ließ sich dort an der Seite des Redners Andreas Kalbitz fotografieren. Der Neonazi war zu der Zeit bereits kein AfD-Mitglied mehr.

All dem stehen schon seit längerer Zeit keine Wahlerfolge im Kreisgebiet mehr gegenüber. Anfang des Jahres scheiterten Kandidierende der Partei daran, Bürgermeister*innen in Naunhof und Machern zu werden. Ende September trat Ingo Börner in Brandis an, hatte aber trotz ungewöhnlicher Tarnung keinen Erfolg. Offiziell bewarb sich Börner als parteiloser Einzelbewerber, erwähnte in seiner Wahlwerbung die AfD nicht. Dabei sitzt er für die Partei im örtlichen Stadtrat – und ist Mitglied der schrumpfenden AfD-Kreistagsfraktion.