Vor laufender Kamera: Zwei AfD-Funktionäre und Mandatsträger aus der Nähe von Leipzig haben sich eindeutig antisemitisch geäußert. Es ist nicht das erste Mal, dass ihr Kreisverband durch einschlägige Statements auffällt. Offenbar nutzen Teile der Partei die aktuellen Corona-Proteste, um eine judenfeindliche Hetzkampagne zu befeuern. Die Landespartei greift kaum ein – und distanziert sich nicht.
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Nur eine „Meinung“?
Funktionäre des AfD-Kreisverbandes im Landkreis Leipzig haben sich erneut antisemitisch geäußert. Das geht aus Filmaufnahmen hervor, die das MDR-Magazin Exakt (direkt zum Video) am Mittwoch ausstrahlte. Gedreht hat das Fernsehteam unter anderem bei einer Kundgebung am 1. Mai in Borna nahe Leipzig. Die Versammlung war durch den örtlichen Kreisverband organisiert worden, der Vorsitzende Edgar Naujok hielt dort eine Rede vor kleinem Publikum. Thema war die Corona-Pandemie. Seit kurzem versucht die Partei, den Protest gegen die Eindämmungsmaßnahmen zu kanalisieren.
Dafür machen sich Teile der AfD selbst abwegigste Verschwörungserzählungen zu eigen. Bereits in der vergangenen Woche, im Vorfeld des Kundgebung, verbreitete der Kreisverband auf seiner Facebook-Seite einen wirren und offenbar selbst verfassten Artikel, dem zufolge die Pandemie bewusst herbeigeführt worden sei. Dahinter stehe ein geheimer Plan, wonach möglichst viele Menschen infiziert werden sollen. Das legt der Beitrag nahe, der unkommentiert auch auf der offiziellen Website des AfD-Landesverbandes veröffentlicht wurde. Auf dem Partei-Portal „Blaue Landespost“ war der Text sogar auf der Startseite zu sehen.
Bei der Kundgebung in Borna wurde dazu der Landtagsabgeordnete Jörg Dornau befragt, ein Anhänger des verfassungsfeindlichen Flügels, der zugleich stellvertretender Vorsitzender des Kreisverbandes ist. Dornau zufolge handle sich lediglich um eine „Meinung“. Man könne sie teilen, ohne sie zugleich zu unterstützen, sagte er. Allerdings handelte es sich keineswegs um einen Meinungsbeitrag, sondern um „Informationen zum Thema“, wie es einleitend hieß, also um – freilich falsche – Tatsachenbehauptungen. Pikant: Als Dornau die Veröffentlichung verteidigte, hatte der AfD-Landesvorstand bereits die Löschung des Beitrags angeordnet. Er verschwand kurz darauf von allen Plattformen, ohne Kommentar – und ohne Distanzierung.
„Manche sagen, das Finanzjudentum…“
Am Rand der Bornaer Kundgebung befragte der MDR mit versteckter Kamera zwei Mitglieder des AfD-Kreisvorstandes nach ihrer Meinung. Beide Personen, die verfremdet und mit nachgesprochenen Stimmen gezeigt werden, gaben bereitwillig Auskunft. „Wer steuert denn alles? Von wem wird zum Beispiel das Robert-Koch-Institut finanziert?“, wollte einer der Männer wissen, um gleich selbst eine Antwort zu geben: „Von Soros, das ist der reichste Mann, das ist so eine Clique. Da ist auch der Bill Gates mit dabei. Bill Gates, Soros, und wie sie alle heißen, Rothschild.“
Mit George Soros spielt er auf eine zentrale Hassfigur der modernen antisemitischen Propaganda an. Der Microsoft-Gründer Bill Gates wiederum taucht in allen derzeit gängigen Verschwörungserzählungen zum Corona-Virus auf. Ihm wird unter anderem unterstellt, das Ziel einer „Bevölkerungsreduktion“ zu verfolgen. Er wird zudem mit angeblich geplanten Zwangsimpfungen in Zusammenhang gebracht, auf die sich die aktuellen Corona-Proteste fast durchgängig beziehen.
Auch der gelöschte Beitrag des Kreisverbandes hatte ausdrücklich auf die Rolle Gates‘ hingewiesen. Die Bankiers-Familie Rothschild schließlich ist bereits seit dem 19. Jahrhundert fester Bestandteil der judenfeindlichen Agitation. Der Name wird häufig mit einer angeblichen Weltverschwörung in Verbindung gebracht. Genau diese Verbindung zieht der zweite Mann ausdrücklich, zu den vermeintlichen Urhebern der Pandemie sagt er: „Manche sagen, das Finanzjudentum, Rothschild und Co. 90 Prozent der amerikanischen Finanzen oder weltweiten Finanzen haben die Juden“, so die Behauptung. Dahinter stehe das Interesse an „Weltmacht“. Im gleichen Atemzug behauptet er, dass er „nichts gegen die Juden“ habe.
Nicht der erste Fall
Das sind keine abseitigen Einwürfe zufälliger Zaungäste. Anhand von Vergleichsaufnahmen kann geschlossen werden, um wen es sich bei den beiden Antisemiten mutmaßlich handelt: Sie heißen Rainer Kanthack und Matthias Heinich, fungieren im Kreisvorstand als Schatzmeister und „Sicherheitsbeauftragter“. Kanthack, der für die Deutsche Bahn arbeitet, sitzt seit Ende 2017 im Kreisvorstand, seit vergangenem Jahr ist er für die AfD Gemeinderatsmitglied in Großpösna. Der Forstwirt Heinich ist stellvertretender Vorsitzender der AfD-Fraktion im Stadtrat von Frohburg. Beide sind zudem Nachrücker für die AfD-Kreistagsfraktion im Landkreis Leipzig.
Der AfD-Kreisverband war schon früher mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen. So wurde im Februar auf der zugehörigen Facebook-Seite ein judenfeindliches Video verlinkt und ausdrücklich zum Anschauen empfohlen. Darin wird der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow zum Teil einer „Illuminaten-Freimaurer-Verbindung“ und einer angeblichen Weltverschwörung erklärt. Auch in diesem Zusammenhang wird eine Verbindung zur Rothschild-Familie behauptet. Das Video, das keinerlei Belege enthält, wurde damals gelöscht, nachdem unter anderem idas darüber berichtet hatte. Schon damals hat sich die Partei jedoch nicht distanziert.
Verantwortlich für die Medienarbeit des Kreisverbandes und deren Facebook-Seite ist Torsten Klemmer. Auch er ist Mitglied im Vorstand, fungiert dort als „Medien- und Mitgliederbeauftragter“. Er ist Flügel-Anhänger, genau wie Dornau. Beide sitzen gemeinsam im Stadtrat von Rötha.