AfD will mitspazieren

Die Kehrtwende der sächsischen AfD ist perfekt: Zur Bekämpfung der Pandemie forderte sie erst weitgehende Einschränkungen, doch von denen will die Landtagsfraktion nichts mehr wissen. Sie umarmt den Corona-Gegenprotest nun auch offiziell und verabreicht ihm eine Verschwörungs-Dosis. Davor warnt jetzt sogar der Ministerpräsident.

AfD ermahnt die Polizei

Die sächsische AfD-Landtagsfraktion hat sich mit den aktuellen Corona-Protesten im Freistaat solidarisiert. Man unterstütze „alle friedlichen Demonstranten“, heißt es in einer gestern veröffentlichten Erklärung. Ziel dieser Aktionen sei es, „die in unserer Verfassung festgehaltenen Grundrechte unverzüglich wieder in Kraft zu setzen“. Zugleich rief die Fraktion „alle Seiten zur Besonnenheit“ und zum Gewaltverzicht auf. Die Polizei müsse „eine deeskalierende Rolle“ einnehmen, heißt es.

Tatsächlich ließ die Polizei in den vergangenen Tagen einen Großteil der nicht angemeldeten „Spaziergänge“ gewähren, die in Sachsen überwiegend aus der rechten Szene frequentiert werden. Bei etlichen dieser Veranstaltungen wurden Hygienevorschriften und weitere Einschränkungen nicht eingehalten. Nach der aktuellen Corona-Schutz-Verordnung sind lediglich ortsfeste Versammlungen mit maximal 50 Beteiligten erlaubt. Zuletzt war es bei Corona-Protesten wiederholt zu Angriffen auf die Polizei gekommen, etwa am Maifeiertag in Aue (Erzgebirgskreis) und am vergangenen Sonntag in Pirna (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge). Bei der Kundgebung in Aue, die von der NPD angemeldet worden war, sollte ein AfD-Kommunalpolitiker sprechen. Die Protestserie in Pirna hatte die AfD selbst initiiert.

Im Vordergrund steht nun offenbar Klientelpflege, denn die Proteste stoßen im eigenen Spektrum und unter potentiellen Wähler*innen auf erheblichen Zuspruch, Anhänger*innen der Partei fordern bereits seit einer Weile ein sichtbares Vorgehen auf der Straße. Ein Versuch in dieser Richtung war eine eigene Kundgebungsserie am 1. Mai. Damit rückte die AfD deutlich von ihrem ursprünglichen Kurs ab, der weitgehende Einschränkungen des öffentlichen Lebens mitgetragen und sogar noch weiterreichende Forderungen verlangt hatte. Inzwischen ist pauschal von „überzogenen Einschränkungen“ die Rede. Die Gründe für ihre 180-Grad-Wendung hat die AfD, der gerade Konkurrenz erwächst, bislang nicht öffentlich erläutert.

Keine Distanzierung von Falschbehauptungen

Die Solidaritätserklärung wurde gestern einstimmig bei einer Sondersitzung der Landtagsfraktion in Dresden beschlossen, berichtet die Freie Presse. Dort soll ebenfalls besprochen worden sein, Verschwörungserzählungen nicht zu befeuern. Auf ein eigenes Statement zu diesem Problemfeld verzichtet die AfD allerdings. Tatsächlich enthält auch der gestern veröffentlichte Text unwahre Behauptungen, etwa die, dass Grundrechte ganz außer Kraft gesetzt worden wären. Im gleichen Text ist die Rede von einem „unverzeihlichen Fehler“ der Landesregierung, Grundrechte „unbefristet einzuschränken“. Auch das trifft nicht zu. Die maßgebliche sächsische Verordnung ist auf eine Geltungsdauer von rund zwei Wochen beschränkt. Das war auch bei der vorangegangenen, schärferen Regelung bereits der Fall gewesen, die wie vorgesehen außer Kraft getreten ist.

Gegen konfuse Behauptungen aus den eigenen Reihen hatte die Landespartei in der vergangenen Woche durchgegriffen. Anlass war ein Beitrag des AfD-Kreisverbandes im Landkreis Leipzig, dem zufolge der Ausbruch der Pandemie bewusst initiiert und die Krise absichtlich herbeigeführt worden sei. Auch von einem Plan, die Zahl der Infizierten zu steigern, war in dem Zusammenhang die Rede, ferner von dem angeblichen Einfluss des Microsoft-Gründers Bill Gates. Er ist eine zentrale Figur in derzeit populären Verschwörungserzählungen, in denen es mal um eine geplante „Bevölkerungsreduktion“, mal um ein Zwangsimpfungs-Programm geht.

Wie die Freie Presse unter Berufung auf Parteikreise berichtet, habe der Landesvorstand noch am Tag der Veröffentlichung während seiner Sitzung in Pirna den zuständigen Kreisverband kontaktiert und die Löschung des Beitrags angeordnet, der zu diesem Zeitpunkt auch auf der Website der sächsischen AfD und auf ihrem Portal „Blaue Landespost“ erschienen war. Tatsächlich verschwand der Beitrag kurz darauf ohne jeden Kommentar von allen Plattformen. Das war schon früher im Falle eines antisemitischen Videos geschehen, das der gleiche Kreisverband verbreitet hatte. Auch damals erfolgte eine Löschung, nachdem unter anderem idas berichtet hatte. Eine Distanzierung erfolgte jedoch nicht.

AfD erfindet „Impfpflicht“

Die Grenzen bleiben weiter fließend. So ließ der Fraktionsvorsitzende Jörg Urban erst am Montag eine Pressemitteilung aussenden, wonach angeblich eine „Impfpflicht durch die Hintertür“ vorbereitet werde und der Bevölkerung ein nicht ausreichend getesteter Impfstoff verabreicht werden solle. Belege dafür nannte er nicht. Hintergrund sind offenbar bundespolitische Diskussionen um die Einführung eines sogenannten Immunitätsausweises. Der Vorschlag zielte darauf, in der Zukunft solche Personengruppen nicht mehr mit Einschränkungen zu belegen, die von einer COVID-19-Erkrankung genesen oder infolge einer Impfung davor geschützt sind, mit dem SARS-CoV-2-Virus angesteckt zu werden und ihn zu übertragen.

Die vor allem aus ethischen Gründen umstrittene Idee, die mit einer Impfpflicht nicht verbunden war, ist bereits wieder vom Tisch. Im Hinblick auf die Entwicklung eines Impfstoffes wird weiter ein beschleunigtes Zulassungsverfahren angestrebt. Anders, als oft suggeriert wird, geht es dabei nicht um den Verzicht auf obligatorische klinische Studien, sondern um rasche behördliche Freigaben. Denn das Ende der Pandemie wird voraussichtlich erst dann erreicht sein, wenn ein Impfstoff entwickelt und massenhaft verfügbar ist. Bis dahin sind erneute Ausbrüche möglich, nach Fachmeinungen sogar wahrscheinlich. Dadurch könnten erneute Verschärfung der Regelungen zur Pandemiebekämpfung erforderlich werden.

Doch das will die sächsische AfD genauso wenig akzeptieren, wie eine beschleunigte Impfstoffentwicklung. Man müsse sich „voll und ganz darauf zu konzentrieren, den Motor der Wirtschaft wieder anzuwerfen“, heißt es in einer heute veröffentlichten Pressemitteilung Urbans. Man könne sich „eine zweite Vollbremsung nicht leisten“. Bereits vor kurzem hatte die Landtagsfraktion mit einem Parlamentsantrag für „Herdenimmunität“ geworben und damit signalisiert, dass sie eine Ende der Einschränkungen des öffentlichen Lebens auch dann befürwortet, wenn dadurch Menschenleben gefährdet sind. In diesem Fall berief sich die AfD übrigens nicht auf Grundrechte und und stützte sich nicht auf Straßenproteste – sondern auf rein ökonomische Interessen.

Gegenwind aus der Landespolitik

In der sächsischen Landespolitik wird das Vorgehen der AfD und anderer Initiativen derweil deutlich kritisiert. Nachdem die Vorschläge der Fraktion bereits in der vergangenen Landtagssitzung abgewiesen worden sind, rief gestern Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) dazu auf, sich den Corona-Protesten und den dabei verbreiteten Verschwörungstheorien nicht anzuschließen. „Ich bin traurig, dass man die Maßnahmen und die Corona-Pandemie ausnutzt, um eine eigene politische Agenda zu stricken“, sagte sie bei einer Pressekonferenz in Dresden.

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Am gestrigen Nachmittag meldete sich zudem Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) mit einem Videostatement zu Wort. Behauptungen, nach denen im Zusammenhang mit der Pandemie auf einen Impfzwang hingearbeitet werde, nannte er „Unfug“. Niemand werde gegen seinen Willen geimpft, sagte er. Es handle sich um eine „absurde und bösartige Behauptung“. Derartigen Falschbehauptungen und Verschwörungstheorien müsse man gemeinsam entgegentreten.