Landtagsdebatte: AfD nennt Corona-Bekämpfung „populistisch“

In der heutigen Landtagssitzung war die Corona-Pandemie erneut das wichtigste Thema – und einmal mehr änderte die sächsische AfD ihre Linie. Bisher war ihr die Regierung zu lasch, diesmal forderte sie den Ausstieg aus allen Eindämmungsmaßnahmen, sprach von „Willkürentscheidungen“. Die anderen Fraktionen hielten dagegen und zeigten, dass es der extrem rechten Fraktion extrem an Detailwissen fehlt.

Halbiertes Plenum

Zum dritten Mal hat sich der Sächsische Landtag in den Zeiten Coronas und damit unter erschwerten Bedingungen getroffen. Nach dem März-Plenum, das die AfD erzwungen hatte, und der vergangenen Sondersitzung mit Extra-Sitzabstand im benachbarten Kongresszentrum gab es an diesem Mittwoch eine neue Variante: Die Fraktionen schickten nur die Hälfte ihrer Abgeordneten nach Dresden, mit 60 der 119 Mitglieder versammelte sich das Parlament in einer Minimalbesetzung. Dieses sogenannte Pairing-Modell, bei dem der Landtag gerade so beschlussfähig blieb, wurde zum ersten Mal in Sachsen angewandt.

Das war möglich mit der Billigung der AfD, die das bislang verhindert hatte. Zudem wurde die Tagesordnung eingedampft, aus den regulär zwei Plenartagen wurde einer, um das Infektionsrisiko zu reduzieren. Trotzdem war der Diskussionsbedarf erheblich, Redezeiten im Gesamtumfang von zehn Stunden waren eingeplant und wurden fast ausgeschöpft. Noch mehr war anders als sonst, und dass man das sah, lag an der AfD: Als das Präsidium um 10 Uhr Platz nahm und die Sitzung eröffnete, zog der Abgeordnete Alexander Wiesner einen schwarz-rot-goldenen Mundschutz auf.

„Patriotische Signale sind gerade in Zeiten von Corona wichtiger denn je!“, verbreitete die Fraktion parallel bei Facebook. Die weiteren 18 anwesenden AfD-Abgeordneten schmückten ihren Mund auf die gleiche Weise. Zunächst hörten sie der Fachregierungserklärung des Wirtschaftsministers Martin Dulig (SPD) zu, der über bisher ergriffene und noch geplante Hilfsmaßnahmen berichtete. Dazu wollte der AfD-Fraktionsvorsitzende Jörg Urban Stellung nehmen. Doch seine Rede geriet – so ist es inzwischen üblich geworden – zu dem Versuch einer Generalabrechnung mit der Landesregierung. Sie sei insgeheim getrieben von „Systemwechselphantasien“ der Grünen, behauptete Urban.

AfD kritisiert „Corona-Hardliner“

Aktuelle wirtschaftliche Probleme hätten mit Corona wenig zu tun, sondern „gehen auf das Konto Ihrer Regierung, Herr Kretschmer“, sprach Urban den Ministerpräsidenten der CDU direkt an. Die Union habe den aktuellen Abschwung seit langem bewusst herbeigeführt. Unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung würde nun sogar versucht, „die parlamentarische Mitbestimmung und Kontrolle außer Kraft zu setzen“. Die AfD werde das nicht mitmachen, man werde einen „Corona-Ausschuss“ einfordern – eine Idee, mit der die AfD erst gestern im brandenburgischen Landtag abgeblitzt ist und die in Sachsen bislang nicht weiter untersetzt wurde. Auch im Landtagspräsidium ist der Vorschlag noch nicht zur Sprache gekommen.

Damit war die Beschwerdeliste der AfD noch nicht abgearbeitet. Die Landesregierung nutze die Situation aus, um „Willkürentscheidungen“ von beträchtlicher Tragweite zu treffen, so Urbans Vorwurf. Der ganze Lockdown sei eine „populistische Entscheidung“ der CDU gewesen, meinte er. Sein Fraktionskollege Mario Beger sprach später davon, dass sich der Ministerpräsident als „Corona-Hardliner“ aufspiele. Damit schlägt die AfD eine neue Richtung ein. Bisher hatte sie der Kenia-Koalition vorgeworfen, nicht etwa zu weit zu gehen, sondern zu spät und zu zögerlich gehandelt und insgesamt viel zu wenig unternommen zu haben. Nötig sei die sofortige „Rücknahme der Verbote“, hieß es heute. „Woher wollen wir wissen, dass all die Maßnahmen nicht bloß auf Panikmache und falschem Populismus beruhen?“, fragte Urban in den Raum.

Dort machte sich Unruhe in allen anderen Fraktionen breit. „Das ist moralisch völlig daneben“, sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende Christian Hartmann, der für eine Kurzintervention ans Mikrofon getreten war. „Im März haben Sie uns noch Untätigkeit vorgeworfen, und nur einen Monat später entblöden Sie sich nicht, sich hier hinzustellen und von einer Weltverschwörung zu reden“, sagte er unter Applaus. Als später für die AfD Carsten Hütter ans Pult trat, verwahrte er sich gegen diese „persönlichen Angriffe“, wie er es nannte. Auch er ging kaum auf die Ausführungen des Wirtschaftsministers ein. Hütter, von Beruf ein Gebrauchtwagenhändler, nahm unter anderem Diesel-Fahrzeuge in Schutz.

AfD-Abgeordneter trägt Gedicht vor

Auf der Tagesordnung des Plenums stand auch eine Aktuelle Debatte, die es nach dem Wunsch von vier Fraktionen gar nicht geben sollte. Die fünfte Fraktion bestand aber darauf, gesondert über die Stärkung von Tourismus und Gastronomie zu diskutieren, obwohl das vorher bereits angeschnitten worden ist. Es war das Recht und offenbar das nicht ganz uneigennützige Interesse der AfD, die Sache auszuweiten – vor der Landtagstür protestierten Touristikunternehmen, mehrere Landtagsmitglieder ließen sich dort ablichten, der Bundestagsabgeordnete Jens Maier gesellte sich hinzu.

Derweil trat für die AfD Mario Kumpf ans Mikrofon und hielt seine erste Rede im Parlament, die mit dem Vorlesen eines Gedichts begann. Raunen ging durch den Saal, als Kumpf behauptete, heute „vertretend“ für die sächsische Touristik- und Gastrobranche zu sprechen, deren Betriebe derzeit weitgehend geschlossen gehalten werden müssen. Kumpfs Vorwurf: Die betroffenen Unternehmen habe man „vergessen und verraten“, es komme zu einem wirtschaftlichen „Massensterben“. In die gleiche Richtung argumentierte danach Hans-Jürgen Zickler. Auch für ihn war es eine Plenums-Premiere, statt eines Gedichts las er einen Liedtext vor. Die Öffnung von Gaststätten und Hotels, so seine Botschaft, sei doch völlig risikofrei möglich.

Was eine Debatte werden sollte, geriet zum Zwiegespräch von AfD und der CDU, die daran erinnerte, dass bei der vorangegangenen Landtagssitzung mit der Zustimmung aller Fraktionen ein milliardenschwerer Rettungsschirm gespannt wurde, von dem auch Tourismus und Gastronomie profitieren. Kulturministerin Barbara Klepsch (CDU), die auch für den Tourismus zuständig ist, rechnete danach vor, wie umfangreich die Mittel sind, die in diesen Sektor fließen. Linke, Grüne und SPD verzichteten auf ihre Redezeiten, doch am Ende riss der Sozialdemokratin Sabine Friedel der Geduldsfaden, weil sie „eine Menge unzutreffende Angaben“ von der AfD gehört habe. Es sei gerade viel gesagt worden zum angeblichen „Massensterben“ eines Wirtschaftszweigs, sagte sie. „Ich habe diese Worte aber nicht ein Mal gehört im Zusammenhang mit Menschen“. Für diese Anmerkung gab es nur von einer Fraktion keinen Beifall.

„Herdenimmunität“ wird nicht erwähnt

Am Nachmittag wurde es noch kontroverser, als die AfD ihren Antrag vorstellte, in dem sie die radikale Forderung erhebt, Corona-Infektionen nicht zu verhüten, sondern bewusst in Kauf zu nehmen und dadurch eine „Herdenimmunität“ herbeizuführen. Überraschend: Um genau diesen Punkt machte die AfD heute einen großen Bogen, erwähnte ihn nicht einmal und beließ es bei Allgemeinheiten. „Wir brauchen unsere Freiheit zurück, wir brauchen unsere Grundrechte zurück“, sagte der Abgeordnete Rolf Weigand. Die weitere Aufrechterhaltung der Eindämmungsmaßnahmen sei „absoluter Irrsinn“, stattdessen brauche es mehr Tests und Daten, mehr Forschung und Transparenz, endlichen einen „Exit“ aus dem Lockdown.

Für die CDU zerpflückte Alexander Dierks den Antrag und brach ihn auf einen Widerspruch herunter: Die AfD fordere mehr Daten, „weiß aber bereits, dass alle ergriffenen Maßnahmen übertrieben sind, obwohl sie vor einigen Wochen selbst gefordert hat, den Katastrophenfall auszurufen.“ Offenbar gehe es der AfD vor allem darum, „alle Maßnahmen aller Verantwortungsträger in diesem Land in Misskredit zu bringen“. Der LINKE-Fraktionsvorsitzende Rico Gebhardt nannte den AfD-Antrag einen „Verdummungsversuch“, der zugleich von „gefährlicher Menschenverachtung“ zeuge. Die AfD sei offenbar „bereit, Menschenleben zu opfern“, wenn es der Wirtschaft gerade zupass kommt.

Das bestritt Joachim Keiler. Es gehe seiner Fraktion lediglich darum, eine offene wissenschaftliche Diskussion zu führen, die jedoch ständig „ideologisch verhindert“ werde. Keiler argumentierte ausführlich mit der Verfassungslage und Gerichtsurteilen, wies wiederholt darauf hin, dass alle Beschränkungen des öffentlichen Lebens zeitlich befristet werden müssten. Doch auf die Zwischenfrage der Abgeordneten Friedel, ob er die Befristung der aktuellen Corona-Schutzverordnung kennt, musste der Volljurist Keiler passen. Der Landtag stimmte schließlich mit breiter Mehrheit gegen den AfD-Antrag.

Krisenbewältigung mittels Sparpolitik?

Ebenso endete die Debatte zu einem weiteren AfD-Antrag, der dafür eintrat, zur Bewältigung der Pandemie und ihren Folgen erst Finanzreserven in Anspruch zu nehmen und geplante Projekte zu streichen, bevor Kredite aufgenommen werden. „Wir müssen vermeiden, dass die Corona-Pandemie in eine Schulden-Pandemie überführt wird“, sagte der Abgeordnete André Barth. Seine Fraktion hatte in der vergangenen Landtagssitzung noch einer Lockerung der sogenannten Schuldenbremse und der Einrichtung eines Nachtragshaushalts zugestimmt. Der Freistaat kann auf dieser Grundlage Kredite in einer Höhe von rund sechs Milliarden Euro aufnehmen, um die Kosten der Corona-Krise zu kompensieren.

Jetzt will die AfD, dass möglichst keine Kredite in Anspruch genommen, sondern zunächst an anderen Stellen gespart wird, die im regulären Landeshaushalt enthalten sind. Bei einigen „aufgebauschten Problemen“ könnte der Rotstift angesetzt werden, sagte Barth. Als Beispiele nannte den Klimawandel, „Genderthemen und linke Demokratieprojekte“, er sprach auch von „Jubelpersern“ im Kulturbetrieb, bei denen man kürzen könne, außerdem von zu vielen Studienplätzen. Konkrete Haushaltsposten, die sich einsparen lassen? Die möge die Regierung bitte selbst ermitteln, meint die AfD.

Nur bei einer Abstimmung konnte die Fraktion heute Zustimmung erheischen: Die Abgeordneten mussten Mitglieder für den Stiftungsrat der Sächsischen Landesstiftung Natur und Umwelt wählen. Dem Gremium wird künftig für die AfD Thomas Prantl als Mitglied angehören, der Flügel-Anhänger Jörg Dornau ist sein Stellvertreter. Der Fraktion stehen die Sitze zu. Bei der Abstimmung der beiden Personalvorschläge gab es zahlreiche Enthaltungen, nur die LINKE-Fraktion stimmte geschlossen dagegen.