Bundestagswahl: Chrupalla strebt Spitzenkandidatur an

Mit dem Bundevorsitzenden Tino Chrupalla als Aushängeschild will die sächsische AfD in den Wahlkampf gehen. Die Nominierung beim Landesparteitag Anfang Februar ist Formsache. Doch an dem zweitägigen Großtreffen in Dresden gibt es Kritik – und die Partei weiß nicht, wie viele Mitglieder teilnehmen werden. Bereits am Samstag wird der zerstrittene Zwickauer Kreisverband über eine Direktkandidatur entscheiden.


Beitrag vom 15.01.2021, 16:10 Uhr │ Im Bild: Tino Chrupalla, Parteichef und designierter Spitzenkandidat.


Absprache für den ersten Listenplatz

Der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla will zur kommenden Bundestagswahl als Spitzenkandidat auf der Landesliste der Partei antreten. Das bestätigte der 45-Jährige der Sächsischen Zeitung. Ein Wiedereinzug in den Bundestag wäre ihm damit so gut wie sicher. Formale Voraussetzung ist eine Nominierung beim kommenden Landesparteitag, der am 6. und 7. Februar auf der Messe Dresden stattfinden wird. Nach idas-Informationen ist der Antritt bereits abgesprochen: Der Landesvorstand wird den Mitgliedern ausdrücklich empfehlen, für Chrupalla zu stimmen. Über dessen Ambitionen und die Vorbereitungen zum Parteitag hatte unsere Redaktion in der vergangenen Woche zuerst berichtet.

Nach Angaben des Parteisprechers Andreas Harlaß, der selbst als Direktkandidat in den Bundestag einziehen will, rechnet man mit 500 bis 600 Teilnehmenden. Es handelt sich dabei um einen Erfahrungswert, angelehnt an die pannenreiche Aufstellung der Liste zur Landtagswahl 2019. Allerdings könnten auch deutlich mehr Gäste erscheinen. Inzwischen wurden die offiziellen Einladungen verschickt – sie richten sich an sämtliche der rund 2.600 sächsischen AfD-Mitglieder, wie aus Parteikreisen zu erfahren ist. Wer will, darf teilnehmen, einer Voranmeldung bedarf es nicht, Klarheit gibt es erst vor Ort.

Zuvor hatte der Landesvorstand der Sachsen-AfD beschlossen, die sogenannte Aufstellungsversammlung als großen Mitgliederparteitag durchzuführen und nicht als schlankeres Delegiertentreffen. In dem Fall wäre die Zahl der stimmberechtigten Beteiligten auf rund 500 gedeckelt gewesen. Im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 hatte die Landespartei auf das Delegiertensystem gesetzt. Problem seinerzeit: Für die Vergabe von damals 20 Listenplätzen an einem Tag reichte die Zeit nicht aus, nur die ersten fünf Posten konnten gewählt werden. Weil ein Nachfolgetermin erst etliche Wochen später möglich wurde, begann die Aufstellung noch einmal von vorn. Um diesem Problem zu entgehen, sind diesmal zwei volle Tage eingeplant.

Partei noch ohne Hygienekonzept

Das mehrtägige Treffen in maximaler Besetzung sorgt nun für Kritik, denn es findet in der Hochphase der Pandemie statt – während Großveranstaltungen eigentlich tabu sind, andere Parteien ihre Versammlungen verschieben und möglichst klein halten. Hinzu kommt der Ort, die Messehalle 1 im Ostragehege. Direkt nebenan, in der Halle 4, befindet sich das Corona-Impfzentrum des DRK, das an diesem Montag den Betrieb aufgenommen hat. Messe-Geschäftsführer Ulrich Finger verweist indes darauf, als kommunales Unternehmen verpflichtet zu sein, an Parteien zu vermieten, „zumal die AfD im Stadtrat und im Landtag vertreten ist“, sagte er der Sächsischen Zeitung. Auf eine frühere idas-Anfrage hatte die Messe nicht reagiert.

Ein eigenes Hygienekonzept hat die AfD noch nicht ausgearbeitet. Nach der aktuell gültigen Corona-Schutzverordnung müssen Abstände gewahrt werden, der Mund-Nase-Schutz ist vorgeschrieben. Darüber hinaus sind die Hürden aber gering. „Die zuständige Behörde kann das Hygienekonzept und seine Einhaltung überprüfen“, heißt es in der Verordnung. Eine Pflicht, das Konzept begutachten zu lassen, besteht hingehen nicht. Auch Vor-Ort-Kontrollen durch die Stadt sind nicht zwingend vorgeschrieben, Aufstellungsversammlungen für Wahlen dafür pauschal erlaubt, sogar ohne Größenbeschränkung.

Die Messe selbst, so steht es auf deren Website, sieht eine Maskenpflicht auf dem gesamten Gelände vor und lässt maximal 1.000 Besucher*innen ein. Die Partei will zudem eigene Einlasskontrollen durchführen, hat dafür einen Zeitpuffer geschaffen. So wird der erste Sitzungstag um 10 Uhr beginnen, der Einlass öffnet bereits zwei Stunden früher. Am Sonntag wird der Parteitag dann um 9 Uhr fortgesetzt, so die aktuelle Planung. Sie verdankt sich womöglich dem Versuch, mediale Resonanz zu erzwingen, nach außen Stärke zu demonstrieren. Doch aus eigenem Antrieb werden derzeit nach idas-Informationen andere parteiinterne Treffen abgesagt, die um ein Vielfaches kleiner ausgefallen wären als der Dresdner Parteitag. Grund: Corona.

Stimmungstest für den Parteichef

Für Chrupalla wird der Parteitag ein wichtiger Stimmungstest sein. In der AfD avancierte er zum Star, als es ihm 2017 gelang, im Wahlkreis Görlitz mit fast einem Drittel aller Erststimmen das Direktmandat zu holen. Dabei stach er einen weit bekannteren Kandidaten aus, den CDU-Politiker Michael Kretschmer, der später sächsischer Ministerpräsident wurde. Auch diesmal tritt Chrupalla wieder als Direktkandidat an. Zwischenzeitlich stieg er zum stellvertretenden Fraktionschef im Bundestag auf, seit Ende 2019 ist er zudem Co-Parteivorsitzender, gleichberechtigt neben Jörg Meuthen. In diese Position wurde er auf Wunsch der ostdeutschen AfD-Verbände gewählt, mit Billigung des verfassungsfeindlichen Flügels.

Doch seitdem blieb er eine blasse Figur im Vergleich zu Meuthen, beide gelten als zerstritten, der Sachse brilliert rhetorisch nicht. Nur ein einziges Mal versuchte Chrupalla, eigene Akzente zu setzen, das war Anfang 2020. Nach den rassistischen Mordanschlägen im hessischen Hanau wandte er sich mit einem Rundschreiben an die Parteimitglieder und verurteilte darin die Tat. „Wer sich rassistisch und verächtlich über Ausländer und fremde Kulturen äußert, handelt ehrlos und unanständig und damit gegen Deutschland und gegen die AfD“, schrieb er und erklärte auf Nachfrage, eine „Selbstreflexion“ innerhalb der Partei anstoßen zu wollen. Als er kurz darauf beim Landesparteitag in Weinböhla (Landkreis Meißen) am Mikrofon stand, warnte er vor „Entgleisungen“, „primitiver Gossenpöbelei“ und „Scharfmachern“.

Doch Anwandlungen von Selbstkritik waren nicht gefragt, niemand stimmte ein, Teile des Publikums verweigerten sogar den Applaus. Der damals wiedergewählte sächsische Parteichef Jörg Urban, ein Flügel-Mann, widersprach sogar ausdrücklich und sagte, Anwürfe gegen die Partei „haben uns hart gemacht“, zur Mäßigung gebe es keinen Grund. Nach dieser Abfuhr wagte sich Chrupalla nie wieder mit eigenen Positionen vor. Er vermied so den Konflikt mit seinem Landesverband, auf dessen Unterstützung er für einen sicheren Listenplatz angewiesen ist.

Morgen Nominierung in Zwickau

Chrupalla wird voraussichtlich bereits an diesem Samstag bei einem Parteitag in Sachsen auftreten. Der AfD-Kreisverband Zwickau, mit rund 250 Mitgliedern einer der größeren Verbände im Freistaat, trifft sich in der Sachsenlandhalle in Glauchau, um eine Direktkandidat*in für den umliegenden Wahlkreis aufzustellen. Nach Angaben der Freien Presse bewirbt sich Jonas Dünzel. Der Mitarbeiter des Zwickauer AfD-Landtagsabgeordneten Wolfram Keil hatte noch nie ein Mandat, zur EU-Wahl 2019 ging er leer aus. Er jobbt für die Partei, ist als Moderator in verschiedenen Video-Werbeformaten zu sehen. Im Sommer gab er bekannt, dass er Bundesvorsitzender der Jungen Alternative werden will.

Dünzel hat mit namhafter Konkurrenz zu rechnen. Denn bei der Zuteilung der Direktkandidaturen fielen in den vergangenen Wochen mehrere aktuelle Bundestagsmitglieder der AfD überraschend durch, darunter Heiko Heßenkemper und Ulrich Oehme. Ohne Direktkandidatur, so ist es in der AfD üblich, gibt es keinen Zugriff auf einen sicheren Listenplatz, den Abgeordneten droht dann das Aus als Berufspolitiker. Der Kreisparteitag in Zwickau ist zudem hoch angebunden, weil es dort 2017 keine Direktkandidat*in gab, ein flächendeckender Antritt im Freistaat dadurch misslang. Der zunächst nominierte Benjamin Przybylla war im Streit wieder abberufen worden, er schloss sich später der nationalsozialistischen Abspaltung „Aufbruch deutscher Patrioten“ um André Poggenburg an.

Der Zwickauer AfD-Kreisverband gilt bis heute als instabil, eine Folge jahrelanger Machtkämpfe. Kurios: Zunächst war berichtet worden, dass neben Chrupalla auch Jörg Meuthen nach Glauchau kommen würde, der seit langem nicht mehr in Sachsen auftrat. Doch er dementierte gestern entschieden: „Ich habe weder angekündigt, nach Glauchau zu kommen, noch habe ich es je geplant. Mir war diese Veranstaltung schlicht unbekannt.“ Sobald sie absolviert ist, gibt es in 15 der 16 sächsischen Bundestagswahlkreise Direktkandidat*innen der AfD. Übrig bleibt nur noch das Vogtland. Dort unterhält die Partei einen weiteren Problem-Verband.