Oehme doppelt abserviert

Der extrem rechte Abgeordnete Ulrich Oehme wollte den Vorsitz der Chemnitzer AfD übernehmen und sich erneut zum Direktkandidaten für die Bundestagswahl aufstellen lassen. Doch seine Partei spielte nicht mit, demütigte den Parlamentarier gleich mehrfach: An der Spitze des Kreisverbandes steht jetzt mit Nico Köhler ein persönlicher Kontrahent. Als Wahlkreiskandidat wurde Michael Klonovsky nominiert – obwohl er nicht mal Mitglied ist.


Beitrag vom 20.11.2020, 17:30 Uhr │ Im Bild: Ulrich Oehme.


Klonovsky macht das Rennen

Die sächsische AfD ist noch immer für Überraschungen gut, aktuell bei der Aufstellung von Direktkandidierenden für die Bundestagswahl im kommenden Jahr. So machte im Kreisverband Mittelsachsen vor einem Monat Carolin Bachmann das Rennen. Sie stach dafür drei Mitbewerber aus, darunter Heiko Heßenkemper. Er sitzt seit 2017 für die Partei im Bundestag. Damals hatte er als Wahlkreisbewerber das Direktmandat zwar knapp verfehlt. Doch mit 31,2 Prozent der Zweitstimmen fuhr die Partei im Kreisgebiet ihr sachsenweit bestes Ergebnis ein, Listenplatz sechs bahnte dem heute 64-Jährigen den Weg ins Parlament. Doch die verfehlte Nominierung könnte für ihn, inzwischen gesundheitlich schwer gezeichnet, das Aus in Berlin bedeuten.

Zwar kann er sich noch über die Landesliste retten, für deren Aufstellung noch kein Termin bekannt ist. Doch schon vor der letzten Wahl waren die aussichtsreichen Plätze an Parteifreund*innen gegangen, die auch in den Wahlkreisen kandidieren. Vor einem ähnlichen Problem steht derzeit auch ein Kollege Heßenkempers, der Bundestagsabgeordnete Ulrich Oehme aus Chemnitz. Als einer der wenigen Mitglieder der AfD-Fraktion war er am Mittwoch nicht in Berlin, um mit viel Radau gegen das Infektionsschutzgesetz zu stimmen. Stattdessen saß er im „Haus des Gastes“, einer Ausflugsgaststätte im Chemnitzer Stadtteil Reichenbrand. Dort wollte er sich bei einem Parteitag des örtlichen Kreisverbands zum Direktkandidaten wählen lassen. Vor rund zwei Wochen hatte er vollmundig verkündet, „natürlich wieder“ anzutreten.

Doch Oehme, Mitgliedsnummer 7136, unterlag einem Kandidaten, den vorher kaum jemand auf der Rechnung hatte und der nicht einmal AfD-Mitglied ist. Nominiert für den Wahlkreis 162 wurde Michael Klonovsky, ein rechter Publizist, bekannt für polemische und bisweilen rassistische Kolumnen. Der 58-Jährige war früher Redakteur des Focus, 2016 holte ihn Frauke Petry in ihr Team und setzte ihn ein knappes Jahr lang zum Lohn auf eine Stelle in der sächsischen Landtagsfraktion. Dann überwarf er sich mit der damaligen Parteichefin und ihrem Partner Marcus Pretzell, der ihm angeblich Geld schuldig blieb. Ein Glücksfall für Klonovsky, sich rechtzeitig gelöst zu haben: Nachdem die AfD in den Bundestag eingezogen war und sich Petry von der Partei abgewandt hatte, nahm ihn Fraktionschef Alexander Gauland ihn seine Dienste, unter anderem als Redenschreiber.

Oehme hat noch einen Versuch

An der Parteibasis ist man dennoch verwundert ob des Kandidaten. Denn der wurde zwar im Erzgebirge geboren, wuchs aber in Ost-Berlin auf und lebt seit langem in München. Den Chemnitzer Kreisverband kennt er von innen bislang gar nicht, die sächsische Landespartei nur aus den Tagen unter Petry und durch die enge Zusammenarbeit mit einem weiteren ihrer Vertrauten, Matthias Moosdorf. Der sitzt inzwischen im Vorstand der Landespartei. Sie wiederum würdigte gestern bei Facebook, dass „der prominente Autor Michael Klonovsky für die Chemnitzer AfD ins Rennen“ geht – und erwähnte Oehme, der seit Jahren keine Stimme mehr in der Landesspitze hat und Anfang 2020 den Einzug verpasste, mit keinem Wort.

Nach Informationen der Freien Presse will Oehme nicht aufgeben und sich bereits heute Abend für den Nachbarwahlkreis 163 (Chemnitzer Umland/Erzgebirgskreis II) aufstellen lassen.* Genau dort hatte er 2017 kandidiert, mit 26,6 Prozent aber das Direktmandat verfehlt. Nur der siebente Platz auf der AfD-Landesliste sicherte ihm doch noch den Einzug in den Bundestag. Seine Chancen auf eine Wiederholung sind nun deutlich geschwunden, denn in Chemnitz fuhr er gleich noch eine zweite Niederlage ein: Anders als geplant gelang es ihm nicht, sich zum Vorsitzenden des Kreisverbandes wählen zu lassen. Er unterlag in einer Stichwahl mit 23 Stimmen seinem Herausforderer Nico Köhler, der bislang Beisitzer war und auf 27 Stimmen kam.

An der Spitze ersetzt Köhler den langjährigen Kreischef Volker Dringenberg. Der Flügel-Mann hatte den Verband mitgegründet, er ist derzeit AfD-Fraktionsvorsitzender im Chemnitzer Stadtrat und Landtagsabgeordneter. Er habe nicht noch einmal für den Vorsitz kandidiert, weil er „durch andere Tätigkeiten ausgelastet“ sei, sagte er der Freien Presse. Weitere Posten wurden neu vergeben: Stellvertretender Kreischef ist nunmehr, auf Köhlers Vorschlag hin, Sven Bader. Als Beisitzerin fungiert künftig Gabriele Köhler, als Rechnungsprüfer Christopher Richter. Unverändert zur Kreisspitze gehören Schatzmeister Steffen Wegert, die Beisitzer Falk Heiligenschmidt, Stefan Pahlitzsch und Thomas Vogel sowie als Rechnungsprüfer Maik Stoltze. Ausgeschieden sind die bisherige stellvertretende Vorsitzende Christine Auerbach sowie Diana Rabe (Schriftführerin), Tino Schneegass (Pressesprecher) und Wilfried Frank Sänger (Beisitzer).

Quittung für vermasselte OBM-Wahl?

Die Neuwahl des Vorstands stand turnusgemäß an, Ulrich Oehme hatte ihm schon bislang nicht angehört. Doch es lag wohl auch an ihm, dass es zu personellen Verschiebungen kam, die zu seinen Lasten gingen. Zuletzt war Oehme offizieller Bewerber seiner Partei zur OBM-Wahl in Chemnitz, kam aber im ersten Wahlgang nur auf den vierten Platz, in der entscheidenden zweiten Runde mit lediglich 13,2 Prozent sogar nur auf den letzten von fünf Plätzen. Statt Selbstkritik zu üben, entschied er sich zu einem Trump-Manöver: Trotz des Gesamtergebnisses gäbe es „Grund für Optimismus“, sagte er zum Wahlausgang. Denn wenn man die Briefwahl mit ihrer „nicht vorhandenen Nachvollziehbarkeit“ wegdenkt, hat er es nach eigener Rechnung auf den dritten Platz geschafft. Teile der Chemnitz AfD hätten es lieber gesehen, wenn er bereits nach dem ersten Wahlgang hingeschmissen hätte.

Im Wahlkampf konnte er nämlich kaum kommunale Themen besetzen. Er kritisierte etwa, dass es zu viele „arabische Läden“ in der Stadt gäbe und brachte sie pauschal in einen Zusammenhang mit Drogenhandel. Zudem kündigte er an, die – inzwischen siegreiche – Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt zu stoppen. Eine künftige Zusammenarbeit mit der neonazistischen Lokalpartei „Pro Chemnitz“ mochte er ausdrücklich nicht ausschließen. In mehreren Interviews verhedderte er sich bei kritischen Fragen, etwa zu seiner Haltung zum verfassungsfeindlichen Flügel, mit dem er offen sympathisiert. Oder auch zu einer Plakataktion im Vorfeld der letzten Bundestagswahl. Damals hatte Oehme mit dem Spruch „Alles für Deutschland“ geworben – eine verbotene Parole der nationalsozialistischen SA. Das habe er nicht gewusst, beteuerte er, und bekannte sich wiederholt zu der inkriminierten Aussage. Hinzu kamen Berichte, nach denen er auf Kosten des Kremls auf die annektierte Krim gereist ist. Sein persönlicher Mitarbeiter Arthur Österle beteiligte sich am sogenannten Reichstagssturm.

Anfang des Jahres hatte sich Oehme im Kreisverband Chemnitz als OBM-Kandidat durchgesetzt und damit einen Pateifreund ausgebootet, der sein Interesse schon viel früher angemeldet hatte: Nico Köhler. Diese alte Rechnung, so kann man die jüngste Entwicklung auch deuten, ist nun beglichen. Köhler selbst äußert sich dazu nicht, besteht darauf, als neuer Kreischef „für Einheit“ einzustehen und keinem Lager anzuhängen. Das stimmt jedoch nicht ganz. An der kurzlebigen „Alternativen Mitte“ war er beteiligt, einst gedacht als Gegengewicht zu Oehmes Karrierenetzwerk, dem Flügel. Die inhaltlichen Unterschiede waren jedoch stets nur graduell.


* Ergänzung vom 21.11.2020, 10 Uhr: Nach Erscheinen unseres Beitrags wurde bekannt, dass Ulrich Oehme auch bei der Nominierung für den Wahlkreis 163 gescheitert ist. Er unterlag gegen Mike Moncsek.