Sondersitzung ohne Sinn

Weil es die AfD-Fraktion so wollte, traf sich der Sächsische Landtag heute Vormittag zu einer Sondersitzung. Ziel: Die Novelle des Infektionsschutzgesetzes verhindern, die jedoch bereits am Vortag beschlossen worden ist. Offenbar wollen die Rechten nur die eigene PR-Maschine am Laufen halten, vermutete ein CDU-Politiker – und lag damit richtig.


Beitrag vom 19.11.2020, 19:15 Uhr


Angebliche Einschränkung von Grundrechten

Nur rund eine Stunde dauerte die Debatte am Donnerstag, fast genau so lange zog sich dann eine namentliche Einzelabstimmung hin: Die AfD-Fraktion hatte darauf bestanden, dass der Landtag nur wegen ihr zu einer Sondersitzung zusammentritt und allein ihr Anliegen behandelt wird. Mit einem Überraschungs-Antrag wollte die blaue Truppe um Jörg Urban in letzter Minute verhindern, dass die sächsische Landesregierung der Novelle des Infektionsschutzgesetzes im Bundesrat zustimmt.

Dabei war von Anbeginn absehbar, dass sich keine Mehrheit für dieses Manöver finden würde, und genau so kam es dann auch. Selbst bei einem anderen Ergebnis wäre so ein Beschluss verfassungsrechtlich unzulässig, gab Landtagspräsident Matthias Rößler (CDU) im Vorfeld zu bedenken. Er wäre ohnehin zu spät gekommen. Um sicherzustellen, dass möglichst viele Abgeordnete an der Sitzung teilnehmen, entschied Rößler Anfang der Woche, dass die Sitzung in Dresden erst am Donnerstag stattfinden kann. In Berlin war aber schon am Mittwoch alles gelaufen.

Urban gab dem Landtagspräsidenten die Schuld daran, dass aus der Überrumpelung nichts wurde. „Ihre Entscheidung hat der parlamentarischen Demokratie geschadet“, sagte der AfD-Fraktionsvorsitzende als erster Redner der Debatte. Dann folgte eine Generalabrechnung: Das sogenannte Dritte Bevölkerungsschutzgesetz sei „im Schweinsgalopp“ beschlossen worden, obwohl es „noch lange nicht beschlussreif“ gewesen sei. Mit einer Demokratie „im Sinne des Grundgesetzes“ hätten die Regelungen der Länder zur Eindämmung der Pandemie wenig gemein. In Wirklichkeit gehe es doch nur um die „Einschränkung von Grundrechten unter dem Deckmantel von Schutzmaßnahmen“.

AfD vermisst Talkshow-Diskussionen

Rolf Weigand knüpfte in einer zweiten Rederunde an diese Vorwürfe an. Den Abstimmungen in Berlin hätte eine „gesellschaftliche Debatte“ vorangehen müssen, beklagte er. Gelächter ging durch die Reihen, als er erläuterte, was damit gemeint ist: „Diskussionen in den Talkshows“. Der nächste, noch größere Lacher: „Wir sind die letzte Rechtsstaatspartei in diesem Parlament!“ Urban und Weigand hüteten sich allerdings, die schriftlich ausgeführte Begründung ihres Antrags noch einmal komplett darzulegen, ein „geplantes Ermächtigungsgesetz“ taucht darin nämlich auf. Den Begriff ließ ihr Kollege Joachim Keiler dann aber in einer Kurzintervention fallen.

Um nicht völlig mit leeren Händen dazustehen, hatte die AfD-Fraktion ihre Zielrichtung noch einmal geändert, wiederum in letzter Minute. Sachsen soll nicht mehr ein Veto im Bundesrat einlegen, für das es zu spät ist, sondern gegen die nunmehr beschlossene Novelle vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Zu einer sogenannten abstrakten Normenkontrolle sind nur Wenige befugt, die Landesregierungen, die Bundesregierung oder ein Viertel der Abgeordneten des Bundestags. Weil die AfD dort nicht stark genug ist, soll der Freistaat ihren Willen durchsetzen. Doch außerhalb der AfD will das niemand, auch wenn weitere Fraktionen Kritik üben.

Wie etwa die Linke. Bei der Eindämmung der Pandemie, kritisierte Fraktionschef Rico Gebhardt, würden die Parlamente immer noch unzureichend eingebunden. Doch was die AfD vorgelegt habe, sei „mickrig und peinlich“, die Klageaufforderung „nichts anderes als ein Wurschtblatt“. Ohnehin brauche niemand Belehrungen durch eine Fraktion, die sich mit dem Propaganda-Begriff des Ermächtigungsgesetzes „auf eine Stufe mit der NSDAP“ stelle und die selbst die Grundrechte mit Füßen trete. So würden Aufforderungen, auf Masken zu verzichten, die Gesundheit vieler Menschen gefährden.

Landtag ist kein „Karnickelzüchterverein“

So ähnlich sahen das alle demokratischen Fraktionen. Valentin Lippmann, Innenpolitiker der Grünen, rügte die „wahrheitswidrige Polemik“ der AfD. Er räumte ein, dass die Grünen, die in Sachsen mitregieren, Fehler gemacht hätten, dass immer noch nicht genügend parlamentarische Kontrolle verwirklicht sei. Doch der Antrag der AfD, in dem die Gefahren der Pandemie geleugnet würden, habe mit einer Verbesserung nichts zu tun, sei vielmehr „aberwitzig und verantwortungslos gegenüber der Bevölkerung dieses Landes“.

Sozialministerin Petra Köpping (SPD) erinnerte daran, dass die neue Gesetzeslage unter anderem einen Rettungsschirm für Krankenhäuser beinhaltet. Justizministerin Katja Meier (Grüne) wies auf die Folgen hin, würde man die Reform rückgängig machen: Dann würde genau die klare Rechtsgrundlage wieder entfallen, auf die man die Bekämpfung der Pandemie gerade erst gestellt hat. CDU-Rechtspolitiker Martin Modschiedler warf der AfD vor, sie behandle den Landtag wie einen „Karnickelzüchterverein“, den man „dilettantisch“ einberuft, wenn es beliebt – ohne in der Lage zu sein, wenigstens Fristen einzuhalten. Bei zeitigerer Antragstellung wäre nämlich auch eine rechtzeitige Sondersitzung möglich gewesen. In der gesamten Debatte, mahnte Modschiedler an, käme es auf „Fakten statt Fakenews“ an.

Falsch sei etwa die Behauptung, es würden Grundrechte abgeschafft. Dergleichen werde ständig wiederholt und das Parlament als Bühne genutzt, um soziale Medien zu bespielen und „die PR-Maschine am Laufen zu halten“. Damit sollte er Recht behalten: Nach der Sitzung reihten sich die AfD-Abgeordneten auf dem Landtagshof für ein Gruppenfoto auf. Ohne Abstand und ohne Masken stellten sie dort eine Protestaktion nach, mit der die AfD-Bundestagsfraktion gestern von sich reden machte – mit Schildern, auf denen das Grundgesetz einen Trauerflor trägt. Die AfD-Bilanz der gesamten Sitzung passt in ein Facebook-Sharepic: „Altparteien lehnen AfD-Antrag zum Schutz der Grundrechte geschlossen ab“. Obwohl es darum gar nicht ging.