Auf ausdrücklichen Wunsch der AfD wurde im Landtag noch einmal über die Wahl im vergangenen Jahr diskutiert. Klares Ergebnis: Alle Einsprüche der Partei, die Neuwahlen erzwingen wollte, sind endgültig vom Tisch. Keine neuen, aber alternative Fakten brachte eine Debatte über „Gewalt in Connewitz“ ans Licht. Die rechte Fraktion hatte das Thema auf die Tagesordnung gesetzt – und hinterlässt nach zwei Sitzungstagen einen kraftlosen Eindruck.
Beitrag vom 01.10.2020, 16:00 Uhr │ Im Bild: Der Sächsische Landtag in Dresden.
↓
Wahleinsprüche abgewiesen
Mit großer Mehrheit hat der Sächsische Landtag am Mittwochabend die insgesamt sieben Einsprüche des AfD-Landesverbandes und mehrerer damaliger Kandidierender gegen die Landtagswahl im vergangenen Jahr abgewiesen. Das Plenum folgte damit Beschlussvorschlägen des zuständigen Wahlprüfungsausschusses, der sich ausführlich mit den Beschwerden beschäftigt hat. Nur die AfD-Fraktion war anderer Ansicht und verweigerte eine Zustimmung. Hintergrund ist die Kürzung der Landesliste der Partei im Sommer 2019 von ursprünglich 61 auf zunächst 18 Kandidierende. So hatte es der zuständige Landeswahlausschuss verfügt, weil es zu Unregelmäßigkeiten bei der der Listenaufstellung gekommen war. Der Verfassungsgerichtshof in Leipzig korrigierte die Entscheidung teilweise und ließ kurzfristig 30 Kandidierende zu.
In den Eingaben war weitgehend übereinstimmend argumentiert worden, dass sich diese Kürzung auf die Sitzverteilung im Parlament auswirkte, die AfD dadurch einen Sitz sowie die Möglichkeit verloren hat, vorzeitig ausscheidende Mitglieder durch Nachrücker*innen zu ersetzen. Aus Sicht der Partei habe man selbst alles richtig gemacht, hätte also mit vollständiger Liste zugelassen werden müssen. Zwingende Konsequenz aus AfD-Perspektive: landesweite Neuwahlen. Über Monate hinweg hat sich der Wahlprüfungsausschuss mit diesem dicken Brett auseinandergesetzt, Akten beigezogen und eine öffentliche Anhörung angesetzt. Bereits vor der Sommerpause zeichnete sich ab, dass das Gremium den Argumenten der AfD nicht folgen wird. Nun empfahl man dem Plenum, das ebenfalls nicht zu tun.
Begründet wird das auf knapp 70 eng bedruckten Seiten. Die Einsprüche waren demnach formal zulässig, aber inhaltlich unbegründet. Der Ausschuss stützt sich vor allem auf das Urteil des Verfassungsgerichts, das durch die Partei angerufen worden war und ihr teilweise Recht gegeben hatte. Das Gericht befand allerdings auch, dass während der Listenaufstellung plötzlich das Wahlverfahren geändert worden ist. Da anfangs etwas anderes vereinbart war, wurde damit gegen die Wahlchancen einzelner Bewerber*innen verstoßen und ein „elementarer Wahlrechtsgrundsatz“ verletzt. Das wiederum langte hin, die teilweise nicht rechtmäßig zusammengesetzte Landesliste zu kappen. Dazu gebe es einen „Wunsch nach Aussprache“, sagte gestern Landtagspräsident Matthias Rößler (CDU), als der Tagesordnungspunkt aufgerufen wurde. Der war eigentlich nur als Formsache eingeplant worden, doch im Vorfeld hatte die AfD im Präsidium darauf gepocht, eine Debatte anzusetzen.
AfD räumt keine eigenen Fehler ein
Es folgte eine fast anderthalb Stunden lange Redeschlacht am Pult und an den Saalmikrofonen. Der AfD-Fraktionsvorsitzende Jörg Urban machte dem Wahlprüfungsausschuss – dem er selbst angehört – schwere Vorwürfe. Das Gremium habe sich „der Aufarbeitung vollständig verschlossen“ und „geweigert, seine verfassungsmäßige Arbeit zu tun“, das sei „eines Parlaments unwürdig“. Die Argumente seiner Partei habe man „ohne jede Begründung“ vom Tisch gewischt, obwohl die wesentlichen Prüfergebnisse im Plenum noch einmal verlesen worden sind. Doch darüber ging Urban hinweg und beharrte darauf, dass der plötzliche Wechsel des Wahlmodus beim entscheidenden AfD-Parteitag im März 2019 rechtens gewesen sei. Anderslautende Ansichten, auch die des Verfassungsgerichts, würden einem „Phantomgrundsatz“ aufsitzen. Den habe man gewissermaßen erfunden, weil die Landeswahlleiterin vor Gericht einen Prozessbetrug begangen habe. Das ist eine Straftat – für die Urban keine Belege vorbrachte. Mehrere frühere Anzeigen gegen die Wahlleiterin und Mitglieder der Landesregierung wegen angeblicher Rechtsbeugung waren bereits vor längerer Zeit eingestellt worden, weil Hinweise auf eine Straftat nicht vorliegen. Die AfD unterstellt unverändert einen groß angelegten Komplott, den sie parallel in einem Untersuchungsausschuss nachweisen will. Bislang aber ohne greifbare Ergebnisse.
Das hielt Norbert Mayer, der für die AfD im Untersuchungsausschuss sitzt, nicht von der Behauptung ab, dass die Landtagswahl „manipuliert“ worden sei wie einst die DDR-Volkskammerwahlen. Seine Partei sei Opfer eines „massiven Angriffs auf die Freiheit und Gleichheit der Wahl“ geworden, behauptete er. Was folgen werde, sei „Teil zwei der Verfassungskrise“, kündigte Urban abschließend an. Erwartet wird, dass seine Partei zeitnah erneut vor das Verfassungsgericht ziehen wird, um doch noch Recht zu bekommen. Die Aussichten stehen aber nicht besonders gut. Rico Gebhardt, Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion, rekapitulierte die Erkenntnisse des Wahlprüfungsausschusses und erinnerte daran, dass Urban bei der Hälfte der Sitzungen nicht dabei gewesen sei. Dort habe sich herausgestellt, dass es der sächsischen AfD nicht gelungen war, eine rechtskonforme Landesliste aufzustellen. In den Akten sei man sogar auf Vorgänge gestoßen, die ein „Fall für den Staatsanwaltschaft“ werden könnten. So hatte die Partei unterschiedliche eidesstattliche Versicherungen zum Ablauf der Listenaufstellung vorgelegt, die womöglich nicht alle der Wahrheit entsprechen. Auf keinen Fall sei die AfD bei der Landtagswahl benachteiligt worden, im Gegenteil: Die Landeswahlleiterin habe umfangreiche Unterstützung gewährt, damit knapp vor Fristablauf überhaupt noch eine Landesliste zusammengestellt werden kann. Das Verfassungsgericht habe die Partei später bessergestellt, indem es sich mit den Vorgängen noch vor der Wahl befasste, ein Privileg, das bislang in ganz Deutschland noch in keinem anderen Fall gewährt worden ist.
Nachdem sich weitere AfD-Abgeordnete in die Debatte einschalteten und alle Vorwürfe von sich wiesen, sprach Gebhardt deren Fraktion direkt an: „Urban und Zwerg haben euch verscheißert“, sagte er unter großem Applaus. Landeschef Jörg Urban und sein Generalsekretär Jan-Oliver Zwerg, die es beide in den Landtag geschafft haben, seien schlicht nicht in der Lage gewesen, „eine rechtskonforme Aufstellungsversammlung durchführen zu lassen“, hätten vielmehr „Chaos angerichtet“. Dem pflichtete der Grünen-Innenpolitiker Valentin Lippmann bei: „Haben Sie doch endlich den Arsch in der Hose, zu sagen: Wir haben es damals verbockt.“ Es sei außerdem die AfD gewesen, die im Landtag „nichts zur Aufklärung beigetragen“ habe. Relevante Erkenntnisse hätten sich aus dem Untersuchungsausschuss ergeben können, der bereits vor rund einem Jahr eingesetzt worden ist. Doch den Beginn der Beweisaufnahme hat die AfD über Monate verzögert und bis heute keine Zeug*innen benannt. Das wunderte auch Albrecht Pallas (SPD). „Was ist nicht vernommen habe, ist die Übernahme von Verantwortung“, sagte er. Die AfD zeige bis heute keine Bereitschaft zur Selbstkritik, auch im Wahlprüfungsausschuss hat sie eigene Verfehlungen von sich gewiesen.
Reizthema Connewitz
Ungehemmt austeilen konnte die AfD einige Stunden früher, bei einer selbst angesetzten Debatte über „Gewalt in Connewitz“. Eine ähnliche Diskussion hatte es Anfang des Jahres schon einmal gegeben. Anlass diesmal waren Ausschreitungen im September, an drei aufeinanderfolgenden Abenden. Insgesamt vier AfD-Redner arbeiteten sich an dem Thema ab. Sebastian Wippel behauptete, dass sich in Leipzig ein „linksextremes Disneyland etabliert“ habe. Die autonome Szene würde „Racheakte an der Zivilbevölkerung“ planen, es sollten „Menschen angezündet werden“, man habe sogar „brennende Molotowcocktails auf Polizisten geworfen“. Schon früher hatte die AfD, wenn es um Connewitz geht, zu Superlativen gegriffen und die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion verwischt. Wer die Polizeimeldungen durchforstet, stößt auf den Hinweis, dass Flaschen mit brennbaren Flüssigkeiten gefunden worden seien. Von flammenden Brandsätzen wissen die Behörden aber nichts.
Alexander Wiesner hielt sich an solchen Details nicht auf, er sprach von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“, sein Kollege Roland Ulbrich von „Terrornächten“. Er warnte: „Wer mit dem Hausfriedensbruch anfängt, wird irgendwann mit einem Mord enden.“ Sämtliche Parteien – außer die AfD – hätten die Antifa „hoffähig“ gemacht und mit ihr gemeinsam beispielsweise gegen den Leipziger Pegida-Ableger „Legida“ demonstriert, obwohl es dort „niemals“ Gewalttaten gegeben habe. Auf Zwischenrufe („Lügner!“) entgegnete er: „Also ich habe da mal geredet, und da war nichts“. Bei den oftmals rabiaten und rassistischen Legida-Versammlungen, die seit Anfang 2015 Anlaufpunkt für Neonazis und Hooligans waren, kam es wiederholt zu Übergriffen auf Gegendemonstrant*innen und Medien, das ist entsprechenden Polizeimeldungen durchaus zu entnehmen.
Auch die CDU wählte in der Debatte drastische Worte, ihr innenpolitischer Sprecher Rico Anton bezeichnete Hausbesetzer*innen als „Kriminelle und Schmarotzer“. Er erinnerte daran, dass eine „Hausräumung in Connewitz“ der Auslöser für Ausschreitungen gewesen sei. Damit lag er allerdings daneben, kurzzeitig und gewaltlos besetzt und rasch wieder geräumt wurde eine ungenutzte Immobilie im Stadtteil Neustadt-Neuschönefeld, gelegen in einer anderen Himmelsrichtung, nicht einmal angrenzend an Connewitz. Differenzierter äußerte sich Antons Fraktionskollege Roland Pohle, der aus Leipzig stammt und einige Abläufe aus eigener Beobachtung schildern konnte. Er warf der AfD „Inkompetenz“ vor, weil sie der Polizei angekreidet hat, unterbesetzt gewesen und zu deeskalativ vorgegangen zu sein. Das stimme nicht, komme höchstens aus dritter Hand und sei kaum ernst zu nehmen, so Pohle.
Doppelkopf mit Keller
Damit wäre der Weg frei gewesen, zu einer sachlichen Diskussion zurückzukehren. Doch AfD-Mann Tobias Keller, ebenfalls Leipziger, ließ Pohles Vorwürfe nicht stehen. Auch er sei an einem der entscheidenden Abende nah am Geschehen gewesen, das er aus seiner Sicht ausführlich schilderte und dabei für unfreiwillige Lacher sorgte. Erst habe er in einem Restaurant in der Leipziger Südvorstadt gegessen (Fisch). Später sei er zu Freunden gegangen, die in Connewitz wohnen, und habe mit ihnen Karten gespielt (Doppelkopf). Seine Gastgeber hätten ihm danach geraten, lieber nicht nach Hause (Stadtteil Gohlis) zu gehen, weil das zu gefährlich sei (Blaulicht). Das für Keller entscheidende Detail: Seine Doppelkopfrunde fand in der Nähe des Büros statt (Brandtstraße), das die direkt gewählte Abgeordnete Juliane Nagel (Linke) unterhält.
Als Keller dazu überging, „Ross und Reiter“ zu nennen, schoss er sich auf Nagel ein, zu deren Wahlkreis auch der Stadtteil Connewitz gehört. Sie sei „ursächlich daran beteiligt“ gewesen, dass es zu Eskalationen kam, behauptete Keller. Um das zu belegen verlas er eine Reihe von Twitter-Beiträgen, die sie geschrieben oder geteilt haben soll. Beispielsweise habe Nagel in ihren Tweets vor Fahrkartenkontrollen gewarnt. „Das nennt man Staatszersetzung“, rief Keller empört. Zu einem Ergebnis kam die Debatte nicht, und auch sonst misslang es der AfD, in der Doppelsitzung an diesem Mittwoch und Donnerstag große Themen zu setzen, an denen es ihr offenbar mangelt.
Es war die erste Plenarsitzung nach dem Ende der parlamentarischen Sommerpause. In den ersten Monaten des Jahres, dominiert von Corona-Themen, hatte sich die AfD-Fraktion im Landtag zunehmend isoliert. Auffällig diesmal: AfD-Fraktionschef Jörg Urban, als Viel- und Dauerredner bekannt, hielt sich zurück und ließ zumeist anderen Abgeordneten den Vortritt. Einen kleinen Achtungserfolg gab es dann doch, kurz nach Eröffnung der Mittwochssitzung wurde für die AfD Martina Jost in das Kuratorium der sächsischen Kulturstiftung gewählt – bei etlichen Gegenstimmen und Enthaltungen.