Vor gut einem Monat ist das Urteil des AfD-Bundesschiedsgerichts gegen Andreas Kalbitz gefallen, seitdem ist er kein Mitglied mehr. Ein Blick in die detaillierte Begründung zeigt, dass der einzige sächsische Parteirichter ganz anderer Meinung war: Martin Braukmann wollte den Neonazi behalten – mit teils absurden Behauptungen.
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Klares Urteil: bewusste Täuschung
Das höchste Schiedsgericht der AfD hat viel zu tun. Jedes Jahr werden dort innerparteiliche Streitfragen in einer üppigen, dreistelligen Zahl entschieden. Es geht dabei um Wahlen und Beschlüsse, die angefochten werden, um Zwist zwischen einzelnen Verbänden oder Unklarheiten bei der Auslegung der Satzung. Und immer wieder geht es um Ordnungsmaßnahmen gegen Mitglieder, um Parteiausschlüsse. Der Fall, den das Schiedsgericht Ende Juli klären musste, war nur einer unter vielen anderen, aber womöglich der bisher wichtigste: Andreas Kalbitz – bis vor kurzem Mitglied im Parteivorstand, Vorsitzender des brandenburgischen Landesverbandes und Chef der dortigen Landtagsfraktion – hatte das Gremium in eigener Sache angerufen. Es sollte feststellen, dass er weiterhin AfD-Mitglied ist, dass ein anderslautender Beschluss der Parteispitze unwirksam und ein Teil der Parteisatzung nichtig ist.
Aus Sicht der AfD ist die Geschichte inzwischen auserzählt. Mitte Mai war beschlossen worden, dass Kalbitz‘ Mitgliedschaft annulliert wird, weil er beim Beitritt im Jahr 2013 unvollständige Angaben gemacht und sich das Parteibuch dadurch erschlichen hat. Im Aufnahmeformular hatte er nur selektiv Auskunft über frühere Mitgliedschaften in anderen Parteien und „extremistischen“ Organisationen gegeben, weder die Republikaner noch die Neonaziorganisation „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) führte er auf. Das Schiedsgericht kam zu dem gleichen Ergebnis und urteilte gegen Kalbitz. Sein Versuch, die Entscheidung vor einem zivilen Gericht schnell wieder zu kippen, scheiterte vor knapp zwei Wochen. Erst kurz vor der vielbeachteten Verhandlung am Landgericht Berlin hatte das Schiedsgericht die ausführliche Begründung fertiggestellt, 50 Seiten ist sie lang. Das ist ein außergewöhnlich dicker Stoß Papier, und es ist einer, in dem Parteigeschichte geschrieben wird.
Inzwischen konnte idas das vollständige Dokument einsehen, in dem der Fall recht differenziert aufgearbeitet wird. Das Ergebnis scheint am Ende aber eindeutig zu sein: Kalbitz hat seine frühere und unstrittige Republikaner-Zugehörigkeit „im Aufnahmeprozess verschwiegen“, und zwar – das wird aus seinen eigenen widersprüchlichen Angaben gefolgert – völlig bewusst. Damit umging er eine Satzungsregelung, die vorsah, dass die Aufnahme solcher Personen gesondert geprüft und beschlossen werden muss. Weil es so weit nie kam, war seine Aufnahme in die AfD „von Anfang an nichtig“. Es hat also „keinen Beginn der Mitgliedschaft gegeben“, Kalbitz ist nie „Vollmitglied im Rechtssinne geworden“. Was die HDJ betrifft, fanden die Gerichtsmitglieder „erhebliche Anhaltspunkte“ dafür, dass Kalbitz innerhalb der inzwischen verbotenen Gruppe „zumindest wie ein Mitglied behandelt wurde.“ Er selbst bestreitet zwar, auf einer HDJ-Mitgliederliste zu stehen, die dem Bundesamt für Verfassungsschutz vorliegt. Doch darauf kommt nicht mehr an, urteilte das Schiedsgericht. Die Sache mit den Republikanern ist schon triftig genug.
Waren die REPs gar nicht „extremistisch“?
Ein einzelnes Mitglied des Bundesschiedsgerichts sah vieles völlig anders und stärkte den Standpunkt von Kalbitz. Martin Braukmann, Mitglied im AfD-Kreisverband Dresden, wiedersprach zentralen Feststellungen des Urteils und legte seine „abweichende Meinung“ auf knapp sechs Seiten schriftlich dar. Braukmanns wichtigstes Sachargument: Es stehe keineswegs fest, dass die Republikaner in den Jahren 1993 und 1994, als Kalbitz dort Mitglied war, als „extremistisch“ angesehen wurden. In den einschlägigen Verfassungsschutzberichten des Bundes würden die Republikaner zwar behandelt, über deren Einordnung habe aber keine „Gewissheit“ bestanden. Im bayrischen Bericht für das Jahr 1993 sei die Partei zwar auch erwähnt, aber „nicht als rechtsextreme Gruppe“ bezeichnet worden. Für das Jahr 1994 sei ein Bayern-Bericht „zumindest öffentlich nicht verfügbar“. Es ergebe sich damit „kein einheitliches Bild“ – mit einer drastischen Folge: Seine frühere Mitgliedschaft hätte Kalbitz nicht vorgeworfen werden dürfen, es fehle „an der objektiven Tatbestandsvoraussetzung ‚extremistisch'“. Womöglich sei Kalbitz „aus Laiensicht“ selbst nicht klar gewesen, wie die Republikaner eingeschätzt wurden, als er dort mitgemischt hat. Im Zweifel für den Neonazi?
Damit liegt Braukmann gleich mehrfach daneben. In dem Aufnahmeformular, das Kalbitz ausfüllte, hätten frühere Parteimitgliedschaften auch „unabhängig von jeglichen Extremismusbezügen“ angegeben werden müssen, heißt es im Urteil. An diesem Bezug kann aber auch kein ernsthafter Zweifel bestehen: Im Jahr 1992 waren die Republikaner bundesweit zum sogenannten Prüffall erklärt worden, aus Sicht der Sicherheitsbehörden rangierte die Partei ungefähr dort, wo heute die AfD steht. Darüber hinaus begann das bayrische Landesamt für Verfassungsschutz im Jahr 1993, den dortigen Republikaner-Landesverband mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu beobachten, „weil tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Zielsetzung“ vorlagen. Wie es weiter ging, zeigt der bayrische Verfassungsschutzbericht für das Jahr 1994, der laut Braukmann „nicht verfügbar“ sei – obwohl er in Bibliotheken und Archiven eingesehen werden kann. In dem Bericht wurde die Partei ausdrücklich als „extremistisch“ bezeichnet, das ist später sogar gerichtlich überprüft und nicht beanstandet worden. Von einer uneinheitlichen Behandlung, von fehlender Gewissheit kann keine Rede sein. Im Bundes-Bericht für den gleichen Zeitraum wurden die Republikaner sogar in ein Verzeichnis besonders wichtiger „rechtsextremistischer Bestrebungen“ aufgenommen. Von dieser Ausrichtung seiner Partei musste Kalbitz „Kenntnis haben“, so das Urteil. Er selbst hat das übrigens nie bestritten.
Doch Braukmann geht noch weiter. Dem Umgang mit Kalbitz hält er entgegen, dass „zahlreiche“ andere AfD-Mitglieder ebenfalls früher bei den Republikanern gewesen seien. „Auch bei Ihnen fand nicht in jedem Einzelfall eine Prüfung durch den Bundesvorstand statt. Abgelehnt wurden nur wenige“ – daher sei der Rauswurf im vorliegenden Fall unverhältnismäßig, sei das frühere Engagement von „untergeordneter Bedeutung“. In der offiziellen Urteilsbegründung ist allerdings zu lesen, dass frühere Republikaner-Mitglieder, die bei der AfD unterkamen, „sämtlich diese Vormitgliedschaften wahrheitsgemäß angegeben“ hätten und jeder Einzelfall „sehr genau“ überprüft worden sei, bevor man sich für eine Aufnahme entschieden hat. Weiter heißt es, dass die AfD beabsichtigt habe, „eine Unterwanderung (…) durch verfassungsfeindliche und insbesondere rechtsextreme Personen von vorneherein“ verhindern wollte. Jemanden „mit der politischen Ausrichtung“ eines Andreas Kalbitz hätte man – falls er anfangs ein „redlicher Bewerber“ gewesen wäre und nicht getrickst hätte – wohl nicht aufgenommen. Glaubt man dagegen Braukmann, dann kann das so nicht stimmen. Man hätte Kalbitz womöglich einfach durchgewunken, wie etliche andere auch.
Braukmann unterstellt „Gesetzesverstoß“
Noch einen weiteren Punkt spricht Braukmann an, Kalbitz‘ Versuch, die Parteisatzung anzugreifen. Hintergrund: Das Parteiengesetz sieht die „Annullierung“ einer Mitgliedschaft, wie sie die AfD in ihrer Satzung stehen und diesem Fall angewandt hat, gar nicht vor. Wer einmal in eine Partei gelangt ist und sie nicht freiwillig verlassen will, kann eigentlich nur durch ein konventionelles Parteiausschlussverfahren vor die Tür gesetzt werden. Diese Streitfrage nahm das Schiedsgericht offiziell nicht zur Entscheidung an, äußerte sich dazu aber trotzdem ausführlich im Urteil. Das Argument der Mehrheit: Es geht im vorliegenden Fall nicht um das Fehlverhalten eines Mitglieds, das mit einem Ausschlussverfahren geahndet werden könnte – sondern um das frühere Vorgehen eines Aufnahmebewerbers, der niemals alle Bedingungen erfüllt hat, um wirksam Mitglied werden zu können.
„Diese Auffassung teilt der Unterzeichner nicht“, schreibt Braukmann dazu und deutet damit an, dass er wie Kalbitz einige Teile der Parteisatzung für unzulässig und unwirksam hält. Nachdem Kalbitz jahrelang in der AfD war, könne man ihn nicht einfach wie ein Nicht-Mitglied behandeln und ihm das Parteibuch entziehen. Das habe die gleiche Wirkung „wie beim Parteiausschluss“, verkürze aber den vorgesehenen Verfahrensweg und sei damit eine unerlaubte „Umgehung“ des Parteiengesetzes. „Diesen Gesetzesverstoß mitzutragen, lehnt der Unterzeichner ab“, lautet Braukmanns letzter Satz. Er wirft damit sowohl dem AfD-Bundesvorstand, als auch dem Bundesschiedsgericht einen gewichtigen Rechtsbruch vor.
Diese Auffassung könnte in der Zukunft noch einmal eine Rolle spielen – sollte Kalbitz seinen juristischen Kampf vor staatlichen Gerichten fortsetzen.