Kalbitzʼ Richter

Gegen seinen Rauswurf aus der AfD setzt sich Andreas Kalbitz vor dem Bundesschiedsgericht zur Wehr. Einer der Parteirichter, der voraussichtlich darüber verhandeln wird, kommt aus Sachsen: Martin Braukmann, Mitglied im Kreisverband Dresden. Der Rechtsanwalt steht offenbar dem Flügel nahe – ist aber kein Sympathieträger in den eigenen Reihen.

Fall von „grundsätzlicher Bedeutung“

Die AfD kommt nicht zur Ruhe, seitdem vor drei Wochen der Bundesvorstand der Partei mit knapper Mehrheit beschlossen hat, die Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz zu annullieren. Der Flügel-Anführer, bis dahin Landes- und Fraktionsvorsitzender in Brandenburg, zieht dagegen vors Bundesschiedsgericht. Bereits in der vergangenen Woche reichte er dort einen Antrag ein, mit dem er die „Aufhebung des Beschlusses des Bundesvorstandes zur Annulierung der AfD-Mitgliedschaft“ erreichen will. Ausgang offen.

Geht es nach Kalbitz, ist die Sache eilbedürftig und soll möglichst schnell verhandelt werden. Womöglich, so berichten es verschiedene Medien, könnte das Urteil noch in diesem Monat kommen. Eine wichtige Vorentscheidung ist bereits gefallen: Eine Mehrheit des Bundesvorstands, der durch den Rechtsanwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel vertreten wird, hat einen Antrag beschlossen, dem zufolge das Schiedsgerichts den Streit in voller Besetzung verhandeln soll. Das ist nur ausnahmsweise möglich in Fällen „von grundsätzlicher Bedeutung für die Gesamtpartei oder besonders schwierigen Fällen“, heißt es in der Schiedsgerichtsordnung.

Das Parteigericht, das ehrenamtlich und weisungsfrei arbeitet, muss darüber selbst befinden, eine Zustimmung gilt als wahrscheinlich. Im Hintergrund stehen offenbar Befürchtungen, dass der Ausgang des Verfahrens sonst stark davon abhängen könnte, an welche der insgesamt drei Kammern des Schiedsgerichts, die mit jeweils drei gewählten Richter*innen besetzt sind, der Fall vergeben wird, wie es üblich wäre. Alle Beteiligten sind aber daran interessiert, eine Entscheidung zu erhalten, das über alle Zweifel erhaben ist – das Urteil ist letztinstanzlich, angefochten werden könnte es danach nur vor einem zivilen Gericht.

Zünglein an der Waage

Zudem sind die Streitfragen keineswegs banal. Im Kern geht es darum, ob Kalbitz, als er 2013 der AfD beitrat, seine früheren Mitgliedschaften bei den Republikanern und in der Neonaziorganisation „Heimattreue deutsche Jugend“ (HdJ) verschwiegen hat. Darauf stützt sich der Beschluss, seine AfD-Mitgliedschaft zu widerrufen. Doch der originale Antrag, den er damals ausfüllte, gilt als verschollen. Es gibt bloß einige Indizien, die dafür sprechen, dass er unvollständige Angaben über sein politisches Vorleben gemacht und damit von Anbeginn gegen die Satzung verstoßen hat.

Kalbitz bestreitet außerdem, Mitglied der HDJ hewesen zu sein. Diese Behauptung stellt das Bundesamt für Verfassungsschutz auf, das sich auf eine HDJ-Mitgliederliste stützt, in der Kalbitz aufgeführt sein soll. Doch diese Liste liegt der Partei nicht vor. Hinzu kommen juristische Fragestellungen. Unter anderem ist strittig, ob die Satzungsregelung, die eine Annullierung der Mitgliedschaft ermöglicht, überhaupt mit dem Parteienrecht vereinbar ist – und ob die Satzung schon galt, als Kalbitz zur AfD kam. Zur offiziellen Bundessatzung erhoben wurde das Dokument erst einige Wochen später.

Mit all diesen Unwägbarkeiten kalkulieren die Anhänger*innen des Verstoßenen, also vor allem das Spektrum des verfassungsfeindlichen Flügels, große Teile der ostdeutschen Landesverbände und eine Minderheit im Bundesvorstand. So schlecht steht ihre Sache womöglich nicht: Die Schiedsgerichtsbarkeit der AfD ist traditionell eine Domäne des rechten Randes der Partei. Auch deshalb galten reguläre Ausschlussverfahren über Jahre hinweg als wenig aussichtsreich, gegen Kalbitz ist man auf diesem Weg gar nicht erst vorgegangen. Auch die jetzt eingetretene Konstellation ist äußerst riskant, bald könnte jedes einzelne Gerichtsmitglied das Zünglein an der Waage sein.

Ist Braukmann schon befangen?

Eines dieser Mitglieder kommt aus Sachsen und ist außerhalb der Partei bislang wenig bekannt: Martin Braukmann. Wer nach Spuren des 60-Jährigen sucht, findet zuerst seinen Namen auf der Dresdner Erklärung – eine Flügel-nahe Resolution, die im April aufgelegt wurde, kurz nachdem der Bundesvorstand die Auflösung des Flügels beschlossen hat. Auch dabei war Meuthen die treibende Kraft gewesen, ihm wird seitdem vorgeworfen, die AfD zu spalten. Man wolle nur noch „solche Personen respektieren und fördern“, die sich „unmissverständlich und glaubhaft in Wort und Tat zur Einheit der Partei bekennen“, heißt es in der Dresdner Erklärung. Sie ist mindestens ein Konter, wenn nicht eine Kampfansage.

Braukmann ist der einzige Bundesrichter, der dafür seinen Namen hergegeben und sich dadurch womöglich befangen gemacht hat. Denn unter den weiteren Unterzeichnern ist auch – an die oberste Stelle gerückt – Andreas Kalbitz. Beide sind sich schon begegnet: Beim Braunschweiger Parteitag, Ende vergangenen Jahres, wurde Kalbitz erneut in den Bundesvorstand gewählt und Braukmann erstmals ins Bundesschiedsgericht. Er war damit einer der beiden großen Personalerfolge der sächsischen AfD, neben Tino Chrupalla, der zum Co-Vorsitzenden der Partei aufstieg. Im Vorfeld des Parteitags hatten die ostdeutschen Verbände und auch der Flügel darauf gedrungen, stärker in den AfD-Spitzengremien verankert zu werden.

Chrupallas dankte es einige Monate später und stimmte gegen den Kalbitz-Ausschluss. Er gehört zu jenen Spitzenfunktionär*innen, die rechtliche Bedenken anmelden und sich nun von Braukmann und dessen Kolleg*innen eine Klärung wünschen. Vom Ausgang hängt dann womöglich nicht nur Kalbitz‘ Parteizukunft ab. Falls er nämlich zurückkehren kann, könnte es „für diejenigen, die das losgetreten haben, schwierig“ werden, sagt Alexander Gauland, der Ehrenvorsitzende der AfD. Er meint damit vor allem Meuthen, der nicht nur jüngste Versuche, sich vom rechten Rand abzugrenzen, sondern im Grunde seine gesamte Macht nur noch auf eine knappe Mehrheit im Bundesvorstand stützt.

Erst spät beigetreten

Das ist viel Druck für Braukmann, der aus Hannover stammt und eine Lehre zum Bankkaufmann machte, dann in Celle wohnte und Jura studierte, bevor er 1994 mit seiner Familie nach Sachsen kam, um hier als Rechtsanwalt zu arbeiten. Er lebt seitdem in Langebrück, einem Stadtteil im Norden Dresdens. Dort sitzt bis heute seine Kanzlei, mit der er lange versuchte, sich als dezidiert christlicher Anwalt einen Namen zu machen. Heute ist er auf Baurecht und Wirtschaftsmediation spezialisiert, hat inzwischen eine Niederlassung in Pirna eröffnet.

Seine juristische Expertise lässt er der AfD angedeihen. Bei einem Landesparteitag im Februar 2018 wurde Braukmann ins sächsische Landesschiedsgericht gewählt, er übernahm dort sogar den Vorsitz. An seiner Seite: Jens Maier, damals bereits Bundestagsabgeordneter, und Norbert Mayer, der später in den Landtag einzog. Maier und Mayer waren gemeinsam bei der Patriotischen Plattform aktiv, die im Flügel aufgegangen ist, und beide sind bis heute Führungspersonen dieser völlkisch-nationalistischen Strömung. Zum Ersatzrichter wurde damals Peter Oehlcke gewählt, der erst vor wenigen Tagen als mutmaßlicher Angreifer in der Dresdner Kreuzkirche auffiel.

Erstaunlich daran: Braukmann, der dem AfD-Kreisverband Dresden angehört, trat der Partei – so gibt er es selber an – erst am 3. Februar 2018 bei. Es ist genau das Datum, an dem der Parteitag begann, bei dem er ins Landesschiedsgericht gewählt wurde. Auf Verdienste für die AfD konnte er damals also nicht verweisen. Auch in der Folgezeit änderte sich das kaum. Zwar wurde er bei der Kommunalwahl 2019 in den Ortschaftsrat von Langebrück gewählt. Er war aber auch der einzige Bewerber für die AfD. Die Stimmen hätten für einen zweiten Platz genügt, der nicht besetzt werden konnte.

In der Sachsen-AfD unbeliebt

Zur Landtagswahl im vergangenen Jahr wollte Braukmann als Direktkandidat antreten, allerdings nicht im Gebiet des eigenen Kreisverbands, sondern in der Sächsischen Schweiz. Bei der Aufstellung unterlag er aber deutlich gegen André Barth. Glücklos verlief auch sein Versuch, stattdessen auf einem aussichtsreichen Listenplatz zu landen. Als er seinen Hut erstmals in den Ring warf, ging es um Platz 28, was dem späteren Wahlergebnis nach genügt hätte, um ins Parlament zu kommen. Doch die versammelten Parteimitglieder erteilten ihm eine Abfuhr, weniger als fünf Prozent der Stimmen entfielen auf Braukmann. So ging es eine ganze Weile weiter, bis er schließlich auf dem Listenplatz 54 herauskam, fast am Ende.

Damit hatte er keine realistische Chance, Abgeordneter zu werden – nicht nur, weil ein Teil der Landesliste wenig später gestrichen wurde und damit Braukmanns Listenplatz wieder entfiel. Sondern er hatte von vornherein nicht alle erforderlichen Unterlagen vorgelegt und später auch nicht nachgereicht. Es fehlte die sogenannte Zustimmungserklärung: Sie muss unterzeichnet werden, damit die Landeswahlleitung bei der Gemeinde, in der eine Kandiat*in lebt, die Wählbarkeit bescheinigen lassen kann. Nicht wählbar ist beispielsweise, wer nicht lang genug im Wahlgebiet wohnt oder die Wählbarkeit durch eine Verurteilung verloren hat. Braukmann hat sich nie öffentlich dazu geäußert, warum er die Erklärung nicht abgegeben hat.

Vielleicht war es auch nur verletzter Stolz, denn rings um die Kür der Landtagskandidat*innen gab es vor aller Parteiaugen eine weitere Niederlage für ihn. Er wollte zur Versammlungsleitung des Parteitags gehören, bei dem die Liste aufgestellt wird. Doch dabei fiel er durch, nicht mal als Stellvertreter kam er zum Zug. An seiner Stelle erledigte das ein Parteifreund aus dem weit entfernten Nordrhein-Westfalen.