Presseschau, 14. Kalenderwoche 2020

AfD in Hoyerswerda, Görlitz und im Landkreis Leipzig, gesellschaftliches Klima, Parteinachwuchs, Pandemiekrise, Grenzöffnung, WerteUnion, Rechtsruck, Mordermittlungen, Kampf zweier Linien. Das war diese Woche wichtig:

AfD in Sachsen

Die AfD in Hoyerswerda (Landkreis Bautzen) hat ihre umstrittene Klinikaktion verteidigt. Am 21. März hatten mehrere Kommunalpolitiker der Partei – Toni Schneider, Sebastian Dömmel und Marco Gbureck – dem örtlichen Seenland-Klinikum einen Blumenstrauß übergeben. Fotos, die durch die AfD selbst veröffentlicht wurden, zeigen Schneider, der bei der verfassungsfeindlichen Identitären Bewegung aktiv war, bei der Übergabe am Empfang der Klinik. Der Chefarzt kritisierte die Aktion in einem Schreiben. Darin heißt es, die AfD habe mit ihrer Aktion „sich selbst, unsere Patienten und unsere Mitarbeiter unnötig in Gefahr“ gebracht. Darauf und auf kritische Medienberichte hat die Partei nun mehrfach gekontert: Sie wettert in Online-Statements gegen den „Mainstream“ und behauptet, es handle sich um „Falschmeldungen“ sowie um eine „mediale Hetzjagd gegen unsere Partei“. Die Hoyerswerdaer AfD-Stadtratsfraktion behauptet darüber hinaus, sie habe sich vorab bei einer nicht näher benannten „Medizinierin“ abgesichert, ob das Krankenhaus betreten werden dürfe. Wegen der Infektionsgefahr hatte die Klinik die Besuchszeiten zum Zeitpunkt der Aktion jedoch bereits deutlich eingeschränkt. Denkbarer Hintergrund der Aktion: Der beteiligte AfD-Mann Gbureck kandidiert in Hoyerswerda als Oberbürgermeister. (↪ LR, 30.03.)


Die AfD-Fraktion im Stadtrat von Görlitz hat den Vorschlag zurückgewiesen, minderjährige Geflüchtete aus einem Auffanglager auf der griechischen Insel Lesbos in der ostsächsischen Stadt aufzunehmen. Dafür hatte sich die Bündnisfraktion ausgesprochen, der unter anderem die SPD und die Grünen angehören. Die Linken-Fraktion unterstützt das Vorhaben. In der aktuellen Situation müssten aber „alle Ressourcen der Stadt für deren Bürger und derzeitige Einwohner vorbehalten bleiben“, erklärte dazu die AfD. Die Aufnahme Geflüchteter bedeute ihr zufolge „unnötige weitere Gesundheitsrisiken“. Bisher hatte sich die örtliche AfD für Gesundheitskrisiken jedoch nicht besonders interessiert, erinnert die Sächsische Zeitung: „Am 14. März noch, ein Tag nach Bekanntgabe, dass in Sachsen kein Unterricht mehr stattfindet, postete der Görlitzer AfD-Stadtrat Jens Jäschke auf seiner Facebook-Seite ein Foto, wie er mit Mundschutz und Corona-Bier ausgestattet am Pokertisch sitzt. Am selben Tag teilte Lutz Jankus, Sprecher der Görlitzer AfD-Fraktion, auf seiner Facebook-Seite einen Beitrag des AfD-nahen Dresdners Elmar Gehrke. Eine Art Brief an das Corona-Virus, in dem Gehrke die Pandemie mit einem Superstar auf Welttournee vergleicht, der ‚Millionen Fans in kollektive Massenhysterie‘ versetze, und sich über Ängste lustig macht.“ (↪ Sächsische, 01.04.)


Die Beratungsstelle „Support“ für Betroffene rechter Gewalt macht ein von der AfD mitgeprägtes gesellschaftliches Klima für das anhaltend hohe Niveau bei rechtsmotivierten und rassistischen Angriffen in Sachsen verantwortlich: „In den Angriffszahlen zeigt sich ein unveränderter gesellschaftlicher Zustand in Sachsen und darüber hinaus, der durch einen nach rechts verschobenen Diskurs, in Teilen offen artikulierten Rassismus und nicht zuletzt durch eine gewachsene Einflussnahme durch die AfD in Kommunalparlamenten und Landtag geprägt ist“, erklärte der Verein RAA Sachsen bei der Vorstellung der Jahresstatistik für 2019. Demnach wurden sachsenweit 226 rechtsmotivierte Angriffe erfasst, 138 davon waren rassistisch motiviert. (↪ FP, 01.04.)


Der AfD-Kreisverband im Landkreis Leipzig hat ein verschwörungsideologisches Video des Popmusikers Xavier Naidoo verbreitet. Dieser behauptet in der Aufnahme unter Tränen, dass nicht näher bezeichnete, einflussreiche Kreise weltweit Kinder entführen, foltern und töten würden, um eine „satanische“ Droge aus deren Blut, sogenanntes Adrenochrom, zu gewinnen. Es handelt sich um eine moderne Fassung alter antisemitischer Ritualmord-Legenden. Das Video, in dem Naidoo darüber spricht, ist auf der Facebook-Seite des AfD-Verbandes abrufbar. Dort wird außerdem aufgerufen, sich über „Adrenochrom“ zu informieren, bei dem es sich in Wirklichkeit um ein Stoffwechselprodukt handelt. Der AfD-Kreisverband im Landkreis Leipzig hat in der jüngsten Vergangenheit wiederholt verschwörungsideologische Inhalte in Umlauf gebracht, darunter erst vor kurzem ein eindeutig antisemitisches Video. (↪ Volksverpetzer, 03.04.)

AfD rundherum

Die AfD hat ihren Nachwuchsverband Junge Altenative (JA) aufgewertet und den JA-Vorsitzenden Damian Lohr in den Bundesvorstand der Partei aufgenommen. Das haben die Vorstandsmitglieder am vergangenen Montag auf Vorschlag von Alice Weidel mehrheitlich beschlossen. An den Sitzungen des Leitungsgremiums wird Lohr, der Abgeordneter im Landtag von Baden-Württemberg ist, künftig als sogenanntes kooptiertes Mitglied teilnehmen. Dadurch hat er laut Satzung eine beratende Rolle, aber kein Stimmrecht. Die JA war Anfang 2019 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gemeinsam mit dem völkisch-nationalistischen Flügel als sogenannter Verdachtsfall eingestuft worden. Diese Einordnung der JA gilt unverändert. Anders als der Flügel reagierte die JA auf diesen Schritt mit personellen und strukturellen Änderungen, zuletzt trat der Verband immer weniger in Erscheinung. (↪ DPA, 30.03.)


In der Pandemiekrise wirkt die AfD orientierungslos wie lange nicht: In den Bundesländern agiert die Partei mit ihren Parlamentsfraktionen uneinheitlich. Spitzenpolitiker*innen äußern sich zudem widersprüchlich, einige spielen die Risiken immer noch herunter. Daraus werden auch unterschiedliche politische Strategien abgeleitet, von einem staatstragenden Kurs, der aktuelle Einschränkungen im öffentlichen Leben mitträgt, bis hin zu einer Fundamentalopposition, die das Regierungshandeln untergräbt. (↪ n-tv.de, 30.03.)


Entgegen üblichen Forderungen nach Grenzschließungen und Einreisestopps plädieren AfD-Politiker*innen derzeit für eine Grenzöffnung. Hintergrund sind Sorgen um die Landwirtschaft, insbesondere die heimischen Obst- und Gemüseernten. Um sie zu bewältigen, fordert die AfD nun überraschend, bestehende Einreisebeschränkungen zu lockern und in der Regel unterbezahlte Saisonarbeiter*innen aus Osteuropa einreisen zu lassen. (↪ nordbayern.de, 30.03., ↪ Volksverpetzer, 31.03.)

Blauzone

Der ehemalige Sprecher der nationalkonservativen WerteUnion Ralf Höcker hat über die Gründe seines Rückzugs aus der Gruppe, die sich für eine Zusammenarbeit der Unionsparteien mit der AfD einsetzt, gelogen. Mitte Februar hatte der Kölner Anwalt überraschend seine Ämter niedergelegt und war aus der CDU ausgetreten. Als Begründung gab er an, „auf denkbar krasse Weise“ und „unmissverständlich“ bedrängt worden zu sein. In Medien war gar von einer Morddrohung die Rede, doch bald kamen Zweifel auf: Höcker wandte sich nicht an die Polizei. Als diese ihn aufsuchte, bestritt er, bedroht worden zu sein. Inzwischen ist die örtliche Staatsanwaltschaft zu dem eindeutigen Ergebnis gelangt, „dass es eine wie auch immer geartete Drohung von strafrechtlicher Relevanz, also insbesondere eine Morddrohung oder Ähnliches, nicht gegeben hat.“ Höckers auf Medienrecht spezialisierte Kanzlei vertritt Politiker*innen und Verbände de AfD, als Berater ist dort der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen tätig. Er ist das aktuell prominenteste Mitglied der WerteUnion. (↪ tagesschau.de, 31.03.)

Stimme & Haltung

Immer mehr Bundesbürger*innen halten die AfD „für eine rechtsextreme Partei“. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Allensbach-Instituts. Demnach stimmen 65 Prozent und damit fast zwei Drittel der Befragten dieser Einschätzung zu. Im Oktober 2019 waren es noch 60, im Oktober 2018 nur 54 Prozent gewesen. (↪ Frankfurter Allgemeine Woche v. 03.04., S. 5)

Hintergründe

Bei den Ermittlungen zur Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke sind weitere Hinweise aufgetaucht, nach denen der mutmaßliche Mordhelfer Markus Hartmann in Verbindung mit der AfD stand. So wurden nach Informationen des NDR und der ZEIT bereits im September vergangenen Jahres in seiner Haftzelle in Frankfurt am Main handschriftliche Notizen beschlagnahmt, auf denen Termine früherer Parteiveranstaltungen notiert waren, teils ergänzt mit dem Namen Björn Höcke. Mutmaßlich hatte Hartmann, der in Untersuchungshaft sitzt, an einer Reihe von AfD-Veranstaltungen teilgenommen. Gegen ihn wird wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord ermittelt. Ihm wird vorgeworfen, dem mutmaßlichen Todesschützen Stephan Ernst den Kontakt zu einem Waffenhändler vermittelt zu haben, von dem die Tatwaffe bezogen wurde. Außerdem soll er Ernst zu der Tat animiert haben. Ernst selbst behauptet, dass Hartmann mit am Tatort war, was bislang nicht belegt werden kann. Bereits bekannt war, dass der Neonazi Ernst in der Vergangenheit die AfD unterstützt hat, unter anderem als Wahlkampfhelfer. (↪ tagesschau.de, 31.03.)


Die aktuellen innerparteilichen Konflikte der AfD und besonders der Streit um den verfassungsfeindlichen Flügel bedeuten keinen Bruch der radikalen Rechten. Das zeigt eine ausführliche Analyse des Historikers Volker Weiß, der seit Jahren zu dem Thema forscht. Zwar gebe es unterschiedliche politische Linien, die einander widersprechen, aber diese seien nicht neu, sondern schon länger im Spektrum der Neuen Rechten nachweisbar. Entgegen einer verbreiteten Auffassung verlaufen diese Linien innerhalb der Partei auch „nicht alleine zwischen Ost- und West-AfD“, so Weiß. „Teilweise sind diese Konfliktlinien nicht einmal weltanschaulichen Differenzen geschuldet, sondern resultieren mitunter aus unterschiedlichen Karrierestrategien und ökonomischem Wettbewerb. Im Laufe der Jahre sind in der äußersten Rechten manche ehemaligen Mitstreiter schlicht zu Konkurrenten geworden.“ Nicht übersehen werden dürfe, dass es bei aller Konkurrenz auch immer noch hinreichend Brücken zwischen den verschiedenen Lagern gebe, „die gemeinsam mit scharfer Anti-Migrationsrhetorik gewachsen sind.“ (↪ Gegneranalyse, 03.04.)