Alternative für Rechtsterroristen?

Stephan Ernst, der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, hatte offenbar engere Bezüge zur AfD als bisher bekannt. Das zeigen neue Recherchen mehrerer Medien. Sie führen auch nach Sachsen.

Erste Hinweise auf eine Verbindung des mutmaßlichen Mörders Stephan Ernst zur AfD ergaben sich aus einer Spende über 150 Euro, die der Beschuldigte im Jahr 2016 an den AfD-Bundesverband überwiesen hat. Die Summe war offenbar für den Landesverband Thüringen um Björn Höcke bestimmt, nach einem TAZ-Bericht habe der Verwendungszweck gelautet: „WAHLKAMPFSPENDE 2016 GOTT SEGNE EUCH“.

Der AfD-Bundesverband nahm dazu „aus datenschutz- und persönlichkeitsrechtlichen Gründen“ keine Stellung. Die thüringische AfD bestritt umgehend, dass es eine solche Spende zu ihren Gunsten gab – und versicherte zudem, „dass keine Beziehung zu dieser Person“ bestehen würde. Inzwischen liegen jedoch Hinweise vor, nach denen Ernst und sein mutmaßlicher Komplize Markus Hartmann in den Jahren 2016 und 2017 an mehreren AfD-Demonstrationen in Erfurt teilnahmen.

Rechtsbeistand ist „Pegida-Anwalt“

Ernst wird vorgeworfen, den hessischen CDU-Politiker Walter Lübcke in der Nacht zum 2. Juni 2019 mit einem Kopfschuss getötet zu haben. Nach der Auswertung von DNA-Spuren wurde Ernst identifiziert und knapp zwei Wochen nach der Tat verhaftet. Zunächst legte er ein umfassendes Geständnis ab, das er später widerrief. Kürzlich ließ er sich erneut ein und erklärte, nicht er, sondern sein Gesinnungsgenosse Hartmann habe den den tödlichen Schuss abgegeben.

Nach Angaben von Ernsts Rechtsanwalt, des Dresdner Strafverteidigers Frank Hannig, soll Hartmann mit am Tatort gewesen und den tödlichen Schuss versehentlich abgegeben haben. Der frühere Stasi-Zuträger Hannig ist als „Pegida-Anwalt“ bekannt. Er leitete 2015 die Gründungsversammlung des Pegida-Fördervereins und trat 2017 als Redner auf. Im Mai vergangenen Jahres wurde er für die „Freien Wähler“, die teils der AfD, Pegida und der Neuen Rechten nahestehen, in den Dresdner Stadtrat gewählt.

Für die Anwesenheit eines zweiten Täters bei dem Mord sprechen jedoch keine bekannten Spuren. Nach Annahme der Ermittlungsbehörden soll Hartmann vor der Tat den Kontakt zu dem Waffenhändler Elmar Johannwerner vermittelt haben, von dem Ernst dann die Tatwaffe bezog. Ernst und Hartmann, die lange Zeit in der Neonaziszene aktiv waren, sitzen in Untersuchungshaft, Ernst wegen Mordes, Hartmann wegen Beihilfe. Johannwerner ist inzwischen wieder auf freiem Fuß, steht aber weiter unter Tatverdacht. Bei den Ermittlungen werden auch mögliche Bezüge zur NSU-Mordserie geprüft.

AfD heizte Stimmung gegen Lübcke an

Das spätere Mordopfer Lübcke war ab Herbst 2015 zur Hassfigur der rechten Szene geworden. Damals hatte er bei einer Bürger*innenversammlung in Lohfelden (Landkreis Kassel) die geplante Einrichtung einer Unterkunft für Geflüchtete verteidigt und auf Anwürfe von Teilen des Publikums geantwortet, wer die Werte des Grundgesetzes ablehne, dem stehe es frei, Deutschland zu verlassen.

Bekannt wurde dieses Statement durch eine Videoaufnahme, das im Internet weite Verbreitung fand. Aufgenommen und ins Netz gestellt haben sollen es Ernst und Hartmann. Die Aufnahmen zogen Morddrohungen gegen Lübcke nach sich. Formuliert wurden sie unter anderem unter mehreren Beiträgen, die Erika Steinbach erstellt hat. Die ehemalige CDU-Politikerin ist Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung.

Die Filmsequenz wurde zudem durch AfD-Funktionär*innen gestreut. So erschien auf dem offiziellen Facebook-Account der Bundes-AfD ein aufwieglerischer Beitrag, der auf das Video Bezug nahm. Entfernt wurde der Beitrag erst nach dem Mord. Laut einem Bericht von t-online.de wollte die Pressestelle der Bundespartei dazu keine Stellung nehmen, sondern verwies für weitere Fragen an die sächsische AfD. Diese antwortete nicht.

Ernst war AfD-Wahlkampfhelfer

Das Schweigen könnte Gründe haben. Denn im Zuge der Ermittlungen erhärtete sich der Verdacht, dass Ernst noch weit mehr mit der AfD zu tun hatte. Bereits bei der Durchsuchung seiner Wohnung wurden Unterschriftenlisten mit den Namen von hessischen AfD-Kandidierenden gefunden worden. Wie das NDR-Magazin „Panorama 3“ nun berichtet, soll Ernst die AfD im hessischen Landtagswahlkampf 2018 sogar aktiv unterstützt haben.

So habe er unter anderem persönlich Wahlplakate aufgehängt und an mindestens drei Parteitreffen in Nordhessen teilgenommen. Auch bei einer Wahlparty in Kassel sei er gesehen worden. Der NDR stützt sich auf Angaben eines ehemaligen AfD-Funktionärs, der frühzeitig bei der Polizei ausgesagt hat. Weitere Zeug*innen hätten die AfD-Kontakte des Mordverdächtigen prinzipiell bestätigt. Ein Kasseler AfD-Anhänger gab etwa an, er habe Ernst Ende 2018 bei einem AfD-Vortrag kennengelernt, danach habe man sich mehrfach privat getroffen.

Der AfD-Bundesspitze war über diese Verbindungen zur hessischen AfD bereits im Juni 2019, also kurz nach der Verhaftung Ernsts, informiert worden. Dennoch erklärte die Partei noch Monate später fälschlich, dass eine Nähe des Mordverdächtigen zur Partei „in keinster Weise bestand oder besteht“. Infolge der neuen Recherchen bestätigte nun zumindest der hessische AfD-Landesverband, dass Ernst „bei einigen für alle interessierten Bürger frei zugänglichen Veranstaltungen der AfD in Kassel-Stadt zugegen“ war. Mitglied der Partei sei er aber nicht gewesen.

Warten vor dem Chemnitzer AfD-Büro

Bereits bekannt war, dass dass Ernst und Hartmann am 1. September 2018 am rassistischen „Trauermarsch“ in Chemnitz teilnahmen, den AfD und Pegida gemeinsam organisiert hatten. Fotobelege hatte die Rechercheplattform Exif bereits vor einer Weile veröffentlicht. Inzwischen zeigte der MDR eine entsprechende Videosequenz.

Anhand weiter Aufnahmen, die t-online.de auswertete, lässt sich nun auch der Weg nachvollziehen, den Ernst und Hartmann in Chemnitz nahmen. Demnach hatten sie sich zunächst zu einer Kundgebung von „Pro Chemnitz“ begeben: „Noch vor deren offiziellem Ende waren sie unter den ersten, die von dort zur AfD-Geschäftsstelle weiterzogen“, heißt es. Dort warteten sie auf den Beginn des Trauermarschs.

Ihm hatten sich auch etliche sächsische AfD-Funktionäre angeschlossen. In der ersten Reihe stand der sächsische Landes- und Fraktionsvorsitzende Jörg Urban. Auf Pressenachfragen zu anwesenden Neonazis erklärte er damals, es handle sich nur um Provokateure. Ebenfalls dabei war der Abgeordnete Carsten Hütter, der damals auch Co-Sprecher des AfD-Bundeskonvents war, des höchsten Parteigremiums zwischen den Parteitagen. Der Konvent hatte zuvor Abgrenzungsbeschlüsse gegenüber Pegida gefasst. Im Nachgang gab Hütter an, eine Teilnahme sei aus AfD-Sicht trotz anderslautender Beschlüsse „unbedingt geboten“ gewesen. Berichte über rechte Ausschreitungen in Chemnitz bezeichnete er als „Altparteien-Lüge“.

Zum Fall Lübcke hat sich die sächsische AfD bislang mit keinem Wort geäußert.