Der Ex-AfD-Politiker Andreas Kalbitz ist nicht länger Vorsitzender der brandenburgischen Landtagsfraktion. Er hält das für einen Erfolg – sein wichtigster Gegenspieler, der Bundesvorsitzende Jörg Meuthen, ebenso. Alle Beteiligten trumpfen rhetorisch auf, doch die Machtverhältnisse scheinen zementiert. Eine neue Gerichtsentscheidung ist in Aussicht, aber mit dem politischen Patt wird die Partei länger leben müssen.
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Verhandlungstermin steht
Die nächste Runde im Streit um das Parteibuch des Neonazis Andreas Kalbitz beginnt: Eine Zivilkammer des Berliner Landgerichts will am 21. August über einen Eilantrag des 47-Jährigen verhandeln. Dort hat er einstweiligen Rechtsschutz beantragt mit dem Ziel, vorläufig wieder zur AfD gehören zu dürfen. Er wehrt sich damit gegen ein Urteil des Bundesschiedsgerichts der Partei. Es hatte Ende Juli einen knappen Mehrheitsbeschluss des Bundesvorstands bestätigt, wonach die Mitgliedschaft nichtig ist. Grund: Kalbitz, der zuletzt selbst dem Bundesvorstand angehörte, soll bei seinem Beitritt im Jahr 2013 frühere Mitgliedschaften bei den Republikanern und in der neonazistischen „Heimattreuen deutschen Jugend“ verschwiegen haben. Die Satzung ermöglicht in solchen Fällen den Rauswurf.
Der Geschasste rechnet sich gute Chancen aus, nachdem er beim gleichen Landgericht schon einmal mit einem Eilantrag erfolgreich war und vorübergehend wieder Mitglied sein durfte – bis das Schiedsgericht zu seinem Urteil kam, das aus Sicht der Partei abschließend ist. Künftig wird es nicht mehr um die Frage gehen, inwieweit Kalbitz unvollständige Angaben über sein Vorleben gemacht hat. Was die Republikaner angeht, bestreitet er nicht einmal, das erst Jahre später eingeräumt zu haben. Dem Vernehmen nach war das der für das Parteigericht der ausschlaggebende Umstand, eine schriftliche Urteilsbegründung wurde allerdings bis jetzt nicht vorgelegt. Für den nächsten juristischen Zug ist sie nicht entscheidend, meint zumindest der Kläger.
Er hält nämlich nicht die Begründung, sondern das ganze Vorgehen für unrechtmäßig und stützt sich auf Hinweise, die das Landgericht im Zuge des früheren Eilverfahrens gegeben hatte. Demnach gibt es Zweifel, ob der Bundesvorstand durch einfachen Beschluss eine Mitgliedschaft annullieren kann oder nicht doch ein reguläres, aber zeitaufwändiges Ausschlussverfahren anstreben müsste. Die Satzung der Partei, die Kalbitz zum Verhängnis wurde, könnte demnach gegen das Parteiengesetz verstoßen. Das ist die juristische Seite eines politischen Konflikts, eines Machtkampfs, der verfahrener kaum sein könnte. Der kommende Gerichtstermin ist dabei nur die nächste Etappe, eine gütliche Einigung scheint ausgeschlossen.
Mit einem Bein noch in der Partei
Das liegt vor allem daran, dass die Flügel-Kräfte einen Verbleib Kalbitz‘ – nach Auffassung von Verfassungsschutzbehörden ein „erwiesener Rechtsextremist“ – zur Grundsatzfrage gemacht haben. Sein größter Fürsprecher ist Alexander Gauland, der Ehrenvorsitzende der AfD. In der vergangenen Woche hatte er das Urteil als „falsch“ bezeichnet und angekündigt, es nicht anzuerkennen. Mehr noch: Mit außergewöhnlich harschen Worten brachte er das AfD-Schiedsgericht und damit das höchste gewählte Gremium der Partei in Misskredit. Auf Kritik reagierte er, indem er nachlegte: Gegenüber der Süddeutschen Zeitung brachte er den Gedanken ins Spiel, „dass da Richter umgedreht“ worden seien. Etwas Ähnliches hatte zuvor Björn Höcke behauptet und sich dabei auf die „Gerüchteküche“ berufen.
Auch andere Spitzenpolitiker*innen sind auf den Zug aufgesprungen, Alice Weidel beispielsweise, die gemeinsam mit Gauland die AfD-Bundestagsfraktion anführt. Oder der sächsische Bundestagsabgeordnete Jens Maier, der gestern dem ZDF bestätigte, dass auch für ihn die Entscheidung des Schiedsgerichts Makulatur ist. „Ich zähl‘ ihn momentan jedenfalls noch zur AfD“, sagte er über Kalbitz. Begründung: „Für uns ist Kameradschaft mehr als nur ein Wort.“ Sie sorgt offenbar dafür, dass der Ausgeschlossene trotzdem noch mit einem Bein in der Partei steht. Als sich am vergangenen Donnerstag der brandenburgische Landesvorstand zu einer mehrstündigen Sitzung traf, durfte Kalbitz, der nicht mehr Landeschef sein kann, trotzdem teilnehmen.
Der nächste neuralgische Termin fand gestern statt, eine Sondersitzung der brandenburgischen Landtagsfraktion. Kalbitz war bislang ihr Vorsitzender und jetzt das einzige Thema. Durchaus vorausschauend änderten die Abgeordneten ihre Geschäftsordnung inzwischen ab, sie schufen eine „Lex Kalbitz“, die es ermöglicht, dass auch Parteilose an der Spitze der Fraktion stehen können. Wenn es so käme, wäre das „nicht hinnehmbar“, sagte der Bundesvorsitzende Jörg Meuthen in der vergangenen Woche. Er hatte den Ausschluss maßgeblich vorangetrieben, warnte nun vor „blindem Kadavergehorsam“ und kündigte an, „dass darauf reagiert werden wird“, falls der Vorsitzende bleibt. Genau das hatte Kalbitz vor.
Kalbitz‘ Posten bleibt frei
Die Situation war durchaus ernst. Meuthen, so berichtete es der Spiegel ohne Dementi, soll sogar eine Spaltung der Fraktion erwogen haben. Eine Handvoll Abgeordnete hätten demnach eine neue Fraktion gründen können, ohne Kalbitz und dafür mit der Aussicht, künftig als die „echte“ AfD-Fraktion anerkannt zu werden. Die Sondersitzung musste sich mit der angespannten Situation befassen. Trotz Ferienzeit erschienen die Fraktionsmitglieder in Potsdam komplett – zuzüglich eines namhaften Gasts: Kalbitz erschien in Begleitung von Alexander Gauland, sein Beistand gewissermaßen. Beide betraten gemeinsam den Sitzungssaal, bevor eine Diskussion begann, die mehr als vier Stunden andauerte.
Das Ergebnis vermeldete die Fraktion am Nachmittag mit wenigen Zeilen: „Auf ihrer heutigen Sondersitzung folgte die AfD-Fraktion Brandenburg einstimmig dem Vorschlag von Herrn Andreas Kalbitz, das Amt des Fraktionsvorsitzes bis zum Abschluss des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vor dem Landgericht Berlin ruhen zu lassen.“ Ein neuer Vorsitzender wurde demnach nicht gewählt, der Posten bleibt frei, mindestens bis zum 21. August. Bis dahin wird Dennis Hohloch als Stellvertreter einspringen, er ist der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion. Er nennt das einen „guten und gangbaren Weg“, mit dem die Fraktion „abermals ein klares Zeichen der Geschlossenheit“ setze. „Dazu braucht es keine Anweisungen oder Drohungen von außen.“ Hohlochs Draht zu Kalbitz ist denkbar kurz, am Freitag wird in Königs Wusterhausen ein Wahlkreisbüro eröffnet, das beide gemeinsam betreiben.
Bei einer Pressekonferenz zog Kalbitz dann Bilanz über die Beratung. Sie soll durchaus kontrovers verlaufen sein, ohne dass sich zunächst eine klare Richtung abzeichnete, erfuhren Medien. Doch der Ex-Vorsitzende sieht das anders: Die Abgeordneten hätten einstimmig seinen Vorschlag angenommen, „den Fraktionsvorsitz ruhen zu lassen“, und sobald ein Ergebnis zu seinem Eilverfahren vorliegt, „wird neu geredet“. Etwas anderes habe bei der Sitzung auch gar nicht zur Abstimmung gestanden. Es klingt gar so, als hätte seine generöse Idee die Situation befriedet, als zöge er sich zum Wohl des Ganzen zurück. Kein Wort mehr davon, dass er zunächst darauf bestanden hatte, Vorsitzender zu bleiben – und dass es dieser Anspruch war, der die Situation so weit zuspitzte, dass die Sondersitzung erforderlich wurde.
„Ich habe kein Machtwort gesprochen“
Gegenüber den versammelten Journalist*innen schaltete Kalbitz stattdessen in den Angriffsmodus: Dass sich die Sitzung in die Länge zog, habe an „bundespolitischen Erwägungen“ gelegen. Seine eigenen Erwägungen gehen so: Wenn demnächst das Landgericht zu seinen Gunsten entschieden haben wird, wovon er fest ausgeht, stelle sich „die politische Frage, wie glaubwürdig diejenigen noch sind, die die ganze Zeit erzählen, dass sie hier nach rechtsstaatlichen Prinzipien vorgehen“. Er meint damit Meuthen und andere Mitglieder des Bundesvorstands, er meint womöglich auch das Schiedsgericht. Und dann fällt einer der Sätze, die inhaltlich recht abwegig, aber doch typisch sind für den rhetorischen Überbietungswettbewerb in der AfD. Bei der Bundeswehr habe er „den alten Grundsatz gelernt: Zieh‘ nie eine Waffe, wenn du nicht bereit bist zu schießen oder nicht schießen kannst.“
In der Aufzeichnung der Pressekonferenz, die auf der Facebook-Seite der AfD-Landtagsfraktion abrufbar ist, wurde diese Bemerkung herausgeschnitten. Man sieht und hört dafür Gauland, wie er sagt, dass er sich über das Ergebnis freue, denn es entspreche „meinen Wünschen“. Es habe seiner eigentlich nicht gebraucht, räumt er ein, aber er habe eben eine Einladung erhalten, angenommen und gerne mitdiskutiert. „Ich habe kein Machtwort gesprochen“, versicherte er auf Nachfrage. Noch einmal unterstrich er bei der Gelegenheit, dass es „der Partei insgesamt schwer schadet“, wenn versucht werde, „jemanden aus der Partei zu drängen“. Jemanden wie diesen Kalbitz, in dessen Hände er den Landes- und Fraktionsvorsitz gelegt hatte, bevor er 2017 in den Bundestag eingezogen ist.
Meuthen kommentierte die Vorgänge in Brandenburg inzwischen in einem längeren Interview mit dem Magazin Cicero: „Ich freue mich, dass die Brandenburger Fraktion entschieden hat, dass Andreas Kalbitz den Fraktionsvorsitz bis auf weiteres nicht mehr innehat.“ Seiner Vermutung nach habe „eine Einsicht stattgefunden, dass Herr Kalbitz unter den gegebenen Umständen nicht dieser Fraktion vorstehen kann.“ Allerdings: In Brandenburg nimmt man an, dass diese Umstände bald wechseln, falls das Landgericht eine Eilentscheidung trifft. Meuthen besteht dagegen darauf, dass Kalbitz nicht an die Fraktionsspitze gehört, „bis ein Zivilgericht endgültig im Hauptsacheverfahren rechtskräftig entschieden hat.“ Das kann wesentlich länger dauern.
„Geisteszustand überprüfen lassen“
Doch selbst auf kurze Sicht wird keine Ruhe einkehren, dafür sorgt auch Meuthen selbst. Gestern veröffentlichte er ein Grundsatzstatement, in dem er die Corona-Proteste kritisiert, obwohl sie in einigen Orten durch die AfD initiiert und maßgeblich vorangetrieben worden sind. Er spricht von einer gefährlichen Polarisierung, die sich am vergangenen Wochenende zu einem „unerfreulichen Höhepunkt“ gesteigert habe. „Der Auslöser war die allseits bekannte Demonstration in Berlin“, fährt er fort. Bei solchen Veranstaltungen werde unter anderem behauptet, „dass es überhaupt kein Coronavirus gebe, sondern dass dies vielmehr eine Erfindung der Regierenden sei, um die Bürger in ihren Rechten einzuschränken. Wo bleibt hier die Vernunft?“
Für Teile der Partei, anfällig für allerlei Verschwörungsmythen, ist diese Frage der nächste Affront. Meuthens Co-Vorsitzender Tino Chrupalla etwa hatte den Teilnehmenden der Massenversammlung in Berlin gut zugesprochen. Der brandenburgische AfD-Landesverband solidarisierte sich ausdrücklich mit dem jüngsten Protest: „Aus nahezu allen AfD-Kreisverbänden hatten sich Mitglieder, Vorstände und Mandatsträger auf den Weg gemacht, um dazu beizutragen, dass das Zeichen, das von Berlin aus in die Welt gesendet wird, noch etwas deutlicher ausfällt.“
Meuthen dagegen distanziert sich von „kruden Thesen“. Er rät Pandemieleugner*innen, sie sollten ihren „Geisteszustand überprüfen lassen“.