Presseschau, 12. Kalenderwoche 2020

Reaktionen auf die Pandemie, Fake News, Wahlverschiebungen, Ermittlungen, Ärger mit dem Flügel, u.v.m. Das war diese Woche wichtig:


Besondere Zeiten

Der idas-Pressespiegel zur AfD in Sachsen (und darüber hinaus) erscheint heute in einem reduzierten Umfang. Vermutlich wird sich das in den kommenden Wochen nicht ändern, denn das öffentliche Interesse hat sich verschoben, gilt jetzt vor allem der Corona-Pandemie. Sie bringt es auch mit sich, dass die Kommunalpolitik lahmgelegt ist, vielerorts werden Ratssitzungen abgesagt und Wahlen verschoben.

Dennoch werden wir weiter kritisch über die AfD berichten, die zuletzt übrigens keinen guten Lauf bei Kommunalwahlen hatte. Auf Landesebene ist zudem ihr Versuch gescheitert, die Pandemiekrise politisch auszubeuten: So versuchte die Landtagsfraktion, das Thema mit fundamental-oppositionellen Forderungen zu flankieren. Trotz hoher Ansteckungsgefahr erzwang sie eine Plenarsitzung in voller Stärke. Die Abgeordneten der anderen Fraktionen haben für das verantwortungslose Vorgehen jedoch deutliche Worte gefunden. Anzunehmen ist, dass die sächsische AfD jetzt auf einen staatstragenderen Kurs umschwenken wird, wie es auch in anderen Bundesländern der Fall ist.

Auf der parteiinternen Agenda steht jedoch ein anderes Thema ganz oben, der Umgang mit dem verfassungsfeindlichen Flügel. Die ausführlichen idas-Recherchen aus dieser Woche zeigen, wie sich die bisher eher zerstreuten Fronten in kurzer Zeit verhärtet haben – so sehr, dass nun der der AfD-Bundesvorstand die Auflösung der Strömung verlangt. Erste Reaktionen lassen vermuten, dass Höcke und Co. nicht so schnell klein beigeben wollen. Wie es weiter geht? Wir bleiben dran.


AfD in Sachsen

Die AfD und ihr nahestehende Personen bieten in mehreren sächsischen Orten angebliche Corona-Hilfen für Bedürftige an. Entsprechende Angebote machen derzeit die Wahlkreisbüros der Landtagsabgeordneten Carsten Hütter in Riesa und Mario Beger in Großenhain (Landkreis Meißen). Bei der angebotenen „Hilfe“, die in der Sächsischen Zeitung umfangreich und unkritisch beworben werden, handelt es sich um eine telefonische Erreichbarkeit der ansonsten geschlossenen Parteibüros. In Lichtenau (Landkreis Mittelsachsen, bei Chemnitz) bietet Andrea Kersten eine „Nachbarschaftshilfe“ an. Kersten hatte bis 2019 zunächst für die AfD und dann für Frauke Petrys „Blaue Partei“ im Sächsischen Landtag gesessen. Ob es über ihr Angebot hinaus tatsächlich zu Unterstützungsleistungen kommt, erläutert die Freie Presse, bei der die Kontaktdaten genannt werden, nicht. Für Auerbach (Vogtlandkreis) wird schließlich Unterstützung über eine Facebook-Seite organisiert. Hinter dieser Seite, die mit offiziellen Angeboten der örtlichen Stadtverwaltung nichts zu tun hat, steht der AfD-Kommunalpolitiker Tilman Matheja. (↪ FP, 17.03., ↪ Sächsische, 20.03., ↪ FP, 21.03.)


Zur Bürgermeister*innenwahl in Thum (Erzgebirgskreis) am 17. Mai wird für die AfD Giso Lieberwirth antreten. Ob die Wahl am vorgesehenen Termin stattfinden kann, ist noch ungeklärt. (↪ FP, 18.03.)


Der Chemnitzer AfD-Stadtrat Lars Franke, der aus der Neonazi-Szene stammt, ist positiv auf den Covid-19-Erreger getestet worden. Franke teilte das in einem Facebook-Beitrag mit. Er habe sich demnach freiwillig einem Test unterzogen, nachdem er aus einem Skiurlaub in Tirol zurückgekehrt war. Weitere Facebook-Beiträge des Kommunalpolitikers zeigen, dass er ungeschützt die Chemnitzer Corona-Ambulanz besichtigt hat, bevor er seinen Befund erhielt und sich in Quarantäne begab. (↪ FP, 19.03.)


Der „blaue“ Kommunalpolitiker Thomas Mache könnte seinen Sitz im Stadtrat von Pirna (Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) verlieren. Grund: Anders, als er selbst behauptet, wohnt er offenbar gar nicht in der Stadt. Mache war 2017 gemeinsam mit knapp 30 weiteren Mitgliedern aus dem Prinaer CDU-Ortsverband ausgetreten. Wenig später lud er als Leiter eines örtlichen Sportvereins Frauke Petry zu einer Wahlkampfveranstaltung ein, die in einer örtlichen Turnhalle stattfinden sollte. Nachdem die Stadt das untersagte, weil die Sporthalle nur für sportliche Veranstaltungen genutzt werden darf, inszenierte Mache ein vorgebliches „Vereinssportfest“. Dank dieses Tricks durfte Petry dann doch auftreten – sie erschien in einer Jogginghose. Nachdem die frühere AfD-Vorsitzende ihre „Blaue Partei“ gegründet hatte, schloss sich Mache der zugehörigen Fraktion („Blaue Wende“) im Pirnaer Stadtrat an. Im vergangenen Jahr wurde er erneut in den Stadtrat gewählt. Doch an der von ihm angegebenen Anschrift soll er schon zu dieser Zeit nicht mehr gewohnt haben und hätte demnach auch nicht zur Wahl antreten dürfen. Sollte er keinen Wohnsitz in Pirna nachweisen können, wird der Stadtrat entscheiden, ob Mache aus dem Gremium ausscheidet. (↪ DNN, 19.03.)


Der zweite Wahlgang für die Bürgermeister*innenwahl in Ottendorf-Okrilla (Landkreis Bautzen), der am 29. März stattfinden sollte, muss wegen der Corona-Pandemie auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Ein neuer Termin wird vermutlich nicht vor Herbst angesetzt werden. Im kürzlich durchgeführten ersten Wahlgang war für die AfD Carsten Rybicki angetreten, mit 9,5 Prozent der Stimmen landete er deutlich abgeschlagen auf dem dritten Platz. Am zweiten Wahlgang will Rybicki, der nicht aus dem Ort kommt und dort auch nicht lebt, erneut teilnehmen. (↪ DNN, 19.03., ↪ Sächsische, 20.03.)


In Chemnitz kursieren Fake News über angeblich geplante Ausgangssperren in der Stadt. Es handelt sich um eine Sprachnachricht, die über Messengerdienste verbreitet wird und in der ein Unbekannter behauptet, dass der Stadtrat entsprechende Maßnahmen („totaler Shutdown“) beschlossen habe. Der Sprecher beruft sich auf Informationen der Chemnitzer AfD-Stadtratsfraktion und ihres Kommunalpolitikers Nico Köhler. Allerdings: Die angebliche Stadtratssitzung hat es gar nicht gegeben. (↪ FP, 20.03., ↪ Tag24, 21.03.)

AfD rundherum

Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat die Ermittlungen gegen den sachsen-anhaltischen AfD-Landtagsabgeordneten Matthias Büttner wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung wiederaufgenommen. Büttner wird eines Übergriffs gegen seine damalige Mitarbeiterin beschuldigt, der sich im November 2016 in einem Erfurter Hotel ereignet haben soll. Der ursprüngliche Tatvorwurf war Vergewaltigung. Der Abgeordnete bestreitet das, im Oktober vergangenen Jahres wurde das Verfahren zunächst eingestellt. Die Ermittlungen laufen nun wieder an, weil die Polizei inzwischen Zugriff auf gelöschte Daten eines Mobiltelefons erlangen konnte, die sich auf die Tat beziehen sollen. Die Betroffene war, nachdem sie den Vorfall zur Anzeige gebracht hatte, entlassen worden. Kurz danach hatte der Magdeburger AfD-Kommunalpolitiker Robby Schmidt, ein Vertrauter Büttners, versucht, die Betroffene mithilfe eines fingierten Notrufs und falschen Angaben zu ihrem Gesundheitszustand in die Psychiatrie einweisen zu lassen. Schmidt wurde dafür inzwischen wegen Notrufmissbrauchs rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt. (↪ MZ, 18.03.)


Der Landesvorstand der sachsen-anhaltischen AfD will gegen den Bundestagsabgeordneten Frank Pasemann vorgehen. Ihm wird vorgeworfen, Beiträge nicht ordnungsgemäß an die Partei abgeführt zu haben. Der Landesvorstand hat nun das Landesschiedsgericht angerufen und dort beantragt, eine zweijährige Ämtersperre gegen Pasemann zu verhängen. Eine Entscheidung könnte bereits in der kommenden Woche fallen. Pasemann ist ein prominentes Mitglied des verfassungsfeindlichen Flügsels, der den Landesverband aber nicht kontrolliert. Der Abgeordnete bestreitet die Vorwürfe und behauptet, es gehe lediglich darum, ihn von einer erneuten Kandidatur zur Bundestagswahl im kommenden Jahr abzuhalten. Inzwischen wurde bekannt, dass er sein Konto zur Verfügung gestellt hat, um Spendenzahlungen für den Flügel abzuwickeln – womöglich war das illegal. (↪ MZ, 19.03.)

Blauzone

Henriete Struß, bisher Sprecherin der Bauern-Protestbewegung „Land schafft Verbindung“ (LsV) in Niedersachsen, ist nach Kritik an ihrer fehlenden Abgrenzung zur AfD zurückgetreten. Sie war auch in den eigenen Reihen unter Druck geraten, weil sie es zurückliegend abgelehnt hatte, eine Zusammenarbeit mit der AfD auzuschließen. Ihr sei es vielmnehr „egal, wer die Entscheidungen trifft, wenn sich der Entscheidungsträger für die Landwirtschaft ausspricht“, meinte sie in einem Interview und betonte, „neutral“ zu sein. Zuletzt war es bei Protesten von Landwirt*innen in mehreren Orten – auch in Sachsen – zu Versuchen der AfD gekommen, die Aktionen zu vereinnahmen. Inzwischen räumte Struß ein, sich falsch ausgedrückt zu haben. Ein anderer LsV-Organisator, Anthony-Robert Lee, rät unterdessen zu einer klaren Distanz: „Es ist wichtiger denn je, dass wir uns von der AfD distanzieren“, denn die Partei versuche, „bei uns einzusickern.“ (↪ GT, 18.03., ↪ Taz, 19.03.)

Stimme & Haltung

Knapp zwei Drittel der Bundesbürger*innen sind mit dem Krisenmanagement der Bundesregierung während der Corona-Pandemie zufrieden, die Anhängerschaft aller Parlamentsparteien stimmt den Maßnahmen überwiegend zu. Einzige Ausnahme ist die AfD: Deren Wähler*innen sind etwa zu gleichen Teilen – mit jeweils 47 Prozent – zufrieden bzw. nicht zufrieden. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Erhebung des Instituts Infratest dimap. Es erfragte auch die Wahlabsichten, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre. Bundesweit kann die AfD demnach nur noch auf zehn Prozent der Stimmen hoffen, zwei Punkte weniger als noch Anfang des Monats. Das gleiche Institut hatte die AfD Ende 2019 noch bei 15 Prozent gesehen. Eine aktuelle Forsa-Umfrage sieht die AfD sogar nur bei neun Prozent. Grund für den Abschwung: Zur Lösung der aktuellen Lage wird der Partei „keinerlei Kompetenz“ zugeschrieben. Während die Pandemie für 94 Prozent der Deutschen das derzeit wichtigste Thema ist, sehen das nur 61 Prozent der AfD-Anhänger*innen so. (↪ Tagesschau, 19.03., ↪ n-tv, 21.03.)


Die thüringische FDP-Landtagsabgeordnete Ute Bergner ist aus ihrer Partei ausgetreten. Den Schritt teilte sie in einem Brief an den Landes- und Fraktionsvorsitzenden Thomas Kemmerich mit. Zur Begründung verwies sie unter anderem auf die „parteiinternen Geschehnisse vor und nach der Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten“. Diese hätten ihr Bild der FDP „so erschüttert, dass ich nicht in der Lage bin, es für mich einzuordnen, geschweige denn es anderen geradlinig zu erklären“. Bergner will ihr Landtagsmandat behalten und nach Möglichkeit auch weiter Mitglied der FDP-Fraktion sein, die sonst ihren Fraktionsstatus im Erfurter Landtag verlieren würde. (↪ TLZ, 19.03.)

Hintergründe

Die AfD beteuert, mit dem Täter der rassistischen Mordanschläge in Hanau nichts zu tun gehabt zu haben, auch nicht mit seiner Ideologie. Doch in mehreren großen parteinahen Facebook- und Telegram-Gruppen wird die Tat nicht etwa bedauert, sondern hämisch kommentiert. Zudem werden Opfer mithilfe von Falschbehauptungen verunglimpft. (↪ Zeit, 16.03.)


Bei der Befassung mit dem verfassungsfeindlichen Flügel ist das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) auch auf den Pegida-Gründer Lutz Bachmann gestoßen, BfV-Präsident Thomas Haldenwang hat ihn namentlich als „Rechtsextremisten“ bezeichnet. Für Pegida selbst interessierte sich der zuständige sächsische Verfassungsschutz von Anbeginn nicht und ordnete die regelmäßigen Versammlungen ausdrücklich als „nicht-extremistische Veranstaltungen“ ein. Das scheint sich inzwischen geändert zu haben. Recherchen der Taz zeigen, dass Pegida in dem bislang unter Verschluss gehaltenen BfV-Gutachten zum Flügel als „extremistischer ‚Verdachtsfall‘ des sächsischen Verfassungsschutz bezeichnet“ wird. (↪ Taz, 17.03.)


Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) gilt als ein nüchternes, bürgerlich-liberales Blatt. Doch die Schweizer Tageszeitung ist mit ihrem deutschen Ableger besonders im Umfeld der AfD beliebt: „Was den Ruf der deutschen NZZ aber prägt, sind jene Texte, die viral erfolgreich sind, die angeklickt werden, die aufregen. Und das sind eben Texte, die den Rechten gefallen.“ (↪ Zeit, 18.03.)


Wo steht die AfD in der Sozialpolitik? Die langwierige Auseinandersetzung um ein Rentenkonzept der Partei zeigt, dass die Positionen innerhalb der AfD jenseits ihrer Haupt- und Erfolgsthemen sehr weit auseinanderklaffen. Inzwischen liegt ein Kompromiss-Papier zum Rentenkonzept vor. Der Streit um den richtigen Kurs ist damit aber nicht befriedet, marktradikalen Ansätzen steht ein „solidarischer Patriotismus“ gegenüber, von dem Höcke spricht. Rainer Röser erklärt, was dahintersteht. (↪ BNR, 19.03.)


Der verfassungsfeindliche Flügel soll eine „schwarze Kasse“ betrieben haben, mutmaßlich, um Spenden an den offiziellen Parteifinanzen vorbeizuschleusen. Dafür bediente sich die Höcke-Truppe eines in Erfurt gegründeten Vereins namens „Konservativ!“, der angeblich „parteiunabhängig“ ist. Recherchen des MDR widerlegen das. (↪ MDR, 21.03.)