Porträt │ Matthias Moosdorf war ein großer Leipziger Musiker, dann ging er zur AfD. Er arbeitete erst im Landtag, dann im Bundestag. Dort will er bald selbst ein Mandat ergattern, als Direktkandidat in Zwickau und über die sächsische Landesliste. Doch der Erfolg ist ungewiss, sein rascher Aufstieg in der Partei längst gebrochen – für ihn geht es jetzt um alles oder nichts. Wer ist dieser Mann?
Beitrag vom 03.02.2021, 8:15 Uhr │ Im Bild: Matthias Moosdorf, Funktionär und Kandidat der AfD.
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Kein zweites 2017
Die AfD ist immer für eine Überraschung gut, im Großen wie im Kleinen. Eine dieser Überraschungen gab es Mitte Januar in der Kleinstadt Glauchau. Dorthin, in die Sachsenlandhalle, waren die rund 250 Mitglieder des Kreisverbands Zwickau eingeladen. Es kamen 85, und sie hatten nur eine Aufgabe: auswählen, wer für sie in den Bundestagswahlkampf zieht und versucht, das Direktmandat im Wahlkreis 165 zu holen. Er umfasst mit Zwickau die viertgrößte Stadt im Freistaat und weite Teile des umliegenden Landkreises, der genauso heißt. Die Region ist nicht der Nabel der Welt, kein Zentrum großer Politik. Doch rund 200.000 Wahlberechtigte leben hier, und die will die Partei nicht liegen lassen. Nicht schon wieder.
Zur letzten Bundestagswahl gelang ein flächendeckender Antritt in Sachsen nämlich nicht, und das lag an der Zwickauer AfD. Sie hatte damals zwar einen Direktkandidaten ausgesucht, Benjamin Przybylla hieß der. Doch es gab Streit mit dem Rechtsaußen-Mann und seinen Unterstützer*innen, man zog ihn wieder ab und er trat aus. In der Region konnte die AfD daher nur mit der Zweitstimme gewählt werden, mit 26 Prozent blieb die Partei unter dem Landesschnitt. Diesmal will man höher hinaus, die 30-Prozent–Marke peilt Landeschef Jörg Urban an, beim bevorstehenden Landesparteitag in Dresden wird er die Basis auf diese Symbolmarke einschwören. Fehler kann man sich auf dem Weg dahin nicht erlauben, und so kam dem kleinen Kreisparteitag große Bedeutung zu.
So groß, dass sogar die Bundesspitze in Glauchau empfangen werden sollte. Die beiden Vorsitzenden Jörg Meuthen und Tino Chrupalla wollten kommen, das kündigte man zumindest an. Doch Meuthen dementierte, den Termin überhaupt zu kennen. Chrupalla kannte ihn zwar, ließ sich aber entschuldigen. Immerhin, mehrere Landtagsabgeordnete saßen im Präsidium der Tagung und Jan-Oliver Zwerg, der Generalsekretär der Sachsen-AfD, fungierte als Wahlleiter. Eine straffe Planung und Leitung solcher Treffen hat sich die Partei angewöhnt, nicht nur wegen Corona. Bei inzwischen vierzehn ähnlichen Veranstaltungen in den vergangenen Monaten, in denen Kandidierende für andere sächsische Wahlkreise gesiebt wurden, gab es einige zeitraubende Kampfabstimmungen. Mehrere aktuelle Bundestagsabgeordnete fielen dabei durch.
„Keine westdeutschen Verhältnisse“ in Zwickau
Für Zwickau, so schien es vorher, gab es einen Kandidaten, der wie gemacht ist, 26 Jahre jung, vergleichsweise eloquent. Jonas Dünzel heißt er, man handelt ihn schon länger als Nachwuchstalent, bei nächster Gelegenheit will er Bundeschef der Jungen Alternative werden. Er arbeitete eine Weile für den Landtagsabgeordneten Wolfram Keil, der auch Vorsitzender des Zwickauer AfD-Verbands ist. Inzwischen wechselte Dünzel in die Berliner Bundesgeschäftsstelle. Ein Mandat hat er noch nie errungen, versucht hatte er es zur Europawahl vor zwei Jahren. Damals fiel er durch eine skurrile Werbeaktion auf: Als „Jonas aus Dresden“ – dort arbeitete er als Vertriebsangestellter eines großen Versicherungsunternehmens – wollte er „Kandidat zum Anfassen“ sein, räkelte sich im Kerzenschein auf einem Bett, so zu sehen auf der Datingplattform „Tinder“. Das zahlte sich an der Wahlurne nicht aus.
Dünzel kommt eigentlich weder aus Zwickau, noch aus Dresden, sondern aus Niesky im Landkreis Görlitz. Aber man kennt ihn in Parteikreisen weithin, auch durch viele Auftritte als Moderator in Online-Werbefilmchen. Seine eigenen politischen Ziele erklärte er in Glauchau: „Ich möchte keine westdeutschen Verhältnisse in unserem Kreis haben“, sagte er und warnte vor der Entstehung von „Parallelgesellschaften“. Die Mitglieder klatschten an dieser Stelle. Dabei liegt der Anteil von Ausländer*innen an der Wohnbevölkerung im Landkreis Zwickau bei gerade einmal drei Prozent.
Doch Dünzel hatte Konkurrenten. Einer war Kay-Uwe Klepzig, von Beruf ein Physiker, der in Zwickau geboren wurde, vor einigen Jahren der AfD im thüringischen Gera beitrat und inzwischen in seine Heimatstadt zurückgekehrt ist. Man kennt Klepzig, der in einem sozialen Netzwerk gewisse Sympathien für die verfassungsfeindliche Identitäre Bewegung erkennen lässt, in der Öffentlichkeit kaum. Dabei ist er ein recht hoher Funktionär, er leitet den AfD-Bundesfachausschuss „Klima, Energie, Technik und Digitalisierung“, hat dadurch direkten Einfluss auf die Programmatik der Partei. Sein Fachausschuss, kurz „BFA 10“ genannt, vertritt gewagte Positionen, man leugnet den menschengemachten Klimawandel. Erst vor kurzem einigte sich der Arbeitskreis darauf, den Wiedereinstieg in die Kernkraft zu fordern.
Der Überraschungskandidat sticht alle aus
Der dritte Kandidat war Frank-Michael Trenkler, er kommt aus Görlitz, man durfte mit ihm rechnen: Kürzlich war er bereits als möglicher Direktkandidat für den Kreis Meißen gehandelt worden, unterlag aber in einer Stichwahl. Lange war er als Unternehmer in Dresden aktiv, unter anderem mit einem Taxi-Service, und er ist Pegida-Gänger der ersten Stunde. Vor einigen Jahren tauchte seine Privatanschrift in der Kundenkartei eines Textilversands auf, bei dem man ausschließlich Kleidung einer Marke kaufen kann, die in der rechten Szene getragen wird. Dass er etwas bestellt hätte, ergibt sich daraus nicht und spielte in Glauchau keine Rolle. Dort musste Trenkler weit ausholen, warum er als Direktkandidat in der Region taugt. Er führte seine „Liebe zum Auto“ an, das verbinde ihn mit Zwickau, dort werden schließlich Autos gebaut, „und deshalb wäre ich genau der richtige Mann“. Seit 2018 arbeitet Trenkler im Fraktionsvorstandsbüro von Alice Weidel.
Trenkler sorgte für die erste kleine Überraschung in Glauchau. Denn am Ende seiner rund zehnminütigen Bewerbungsrede teilte er plötzlich mit, sich gerade alles anders überlegt zu haben und doch nicht mit kandidieren zu wollen. Als Außenstehender, das sei ihm jetzt klar, wären seine Chancen wohl gering. Als später gewählt wird, sind die Karten in der Tat recht klar verteilt: Mit nur vier Stimmen bleibt Kay-Uwe Klepzig chancenlos. Lokalmatador Dünzel kommt auf ein Vielfaches, auf 33 Stimmen. Doch das reichte nicht. Die meisten Stimmen, 47 und damit aus dem Stand die absolute Mehrheit, bekam ein vierter Kandidat. Er heißt Matthias Moosdorf. Er ist die große Überraschung.
Dass dieser Mann mit dem markanten Lockenkopf antreten würde, war in den Tagen zuvor nur ein Gerücht gewesen, nicht einmal ein plausibles. Denn mit Zwickau verbindet Moosdorf, der noch vor wenigen Jahren ein umjubelter Leipziger Cellist war, so gut wie nichts. Vor einem knappen Jahr wurde er in den Landesvorstand der sächsischen AfD gewählt, aber nur gerade so, mit etwas über 50 Prozent. Danach war er für die Landesspitze als eine Art Emissär im Zwickauer Kreisverband unterwegs, um dort die Wogen zu glätten. Nach den Querelen um die vergeigte Bundestagskandidatur 2017 kehrte nie wieder Ruhe ein, jahrelange Machtkämpfe überschatteten die Parteiarbeit. Der Höhepunkt war Anfang 2020 erreicht, als die AfD ihr Urgestein Sven Itzek absägte – den eigenen Fraktionsvorsitzenden im Stadtrat, den früheren Chef des Kreisverbands.
Moosdorf will 30 Prozent plus X
Auch Moosdorf hielt eine kurze Bewerbungsrede, lobte Zwickau in den höchsten Tönen, er sprach von einer „unglaublich tollen Kulturstadt“. Seine eigene Verbindung in die Gegend sei denn auch „eine sehr kulturelle“: Er verwies auf den Komponisten Robert Schumann, der dort geboren wurde – obwohl praktisch dessen gesamtes musikalisches Œuvre erst entstand, nachdem er weggezogen war. Und Moosdorf warb für eine „neue Kultur der Debatte“, was immer das heißt. Falls er konkrete Vorstellungen hat, was genau er in Berlin für Zwickau erreichen will, behielt er sie bisher für sich. Dabei wird er als frisch gekürter Direktkandidat bald liefern müssen. Sein ärgster Konkurrent kommt von der CDU, Carsten Körber. Dessen Erststimmenergebnis von 2017, fast 34 Prozent, wird schwer zu toppen sein.
Das traut sich Moosdorf zu, er will sogar die Zielmarke, die sein Landesverband anpeilt, noch überspringen – mit einem Direktwahlkampf, der „30 Prozent plus X“ bringt, wie er sagte. Das klingt ambitioniert, ganz besonders, wenn man Moosdorf kennt. In den eigenen Reihen ist er nicht bekannt für kleinteilige Basisarbeit, nicht für Ochsentouren an Infoständen, auf Markplätzen und in Landgasthöfen. Es ist überhaupt das erste Mal, dass er sich um ein Mandat bewirbt. Trotzdem war er sich seines Plans gewiss. Schon gut eine Woche vor dem entscheidenden Termin in Glauchau legte er eine neue Facebookseite an: „Matthias Moosdorf – Politiker“. Er zeigt sich dort im Maßanzug mit Einstecktuch, hinter ihm das private Bücherregal. Eine DDR-Ausgabe von Günter Wallraff ist zu sehen und Clemens Meyers Wendezeit-Roman „Als wir träumten“. Es gibt Fachbücher über Beethoven, Gustav Mahler, Richard Wagner. Einige neuere Titel aus dem verschwörungsideologischen Kopp-Verlag sind genauso zu erkennen wie Oswald Spenglers verhängnisvoller „Untergang des Abendlandes“. Und eine Goebbels-Biografie.
Auch ein „Manifest“ hat Moosdorf auf die neue Seite gestellt. „Mit brennender Sorge“ warnt er darin vor einer „fundamentalen Krise“. Es tauchen alle Begriffe auf, die man erwartet: Es geht um „wachsende Gesinnungsjustiz zum Nachteil unseres Volkes“, beklagt wird „Selbstzensur aufgrund von Minderheitendiktaten“ und eine „alles überwuchernde Gesinnungsethik“. Doch wo immer es konkreter wird, drehen Ton und Sinn ins Plumpe; an zu viel Migration stört sich der Kandidat und an hohen Strompreisen auch. Er fordert eine „geistig-moralische Wende“ und lässt offen, wohin man sich wenden mag. Manches aus diesem Manifest hat Moosdorf in Glauchau vorgetragen. Tatsächlich ist der Text schon alt, er wurde fast identisch Ende 2019 abgedruckt in einem Buch voller Moosdorf-Texte. „Denken als Alternative“ heißen die gesammelten Werke, die überwiegend einmal Facebook-Beiträge waren.
„Biologisches Lebensdefizit“
Für dieses Buch, das erst vor wenigen Tagen in einer erweiterten und immer noch unlektorierten Fassung erschien, fand sich kein Verlag, in öffentlichen Bibliotheken ist es nicht erhältlich, im Handel wird es nicht beworben. Amazon liefert es als Print-on-Demand-Produkt direkt aus Wrocław. Wer einen gebündelten Eindruck von Moosdorfs politischen Standpunkten gewinnen will, wird hier fündig. Gleich im Vorwort lässt er wissen, die Nachwelt werde das Jahr 2015 und die Zeit seither „schlimmer bewerten als die dunkle Zeit der Nazidiktatur“. An anderer Stelle heißt es, Merkel habe „nach Hitler und der DDR das dritte sozialistische Gesellschaftsexperiment“ in Deutschland begonnen, von einer „gesellschaftlichen Gleichschaltung“ ist die Rede. Das sind schlichte Verharmlosungen des Nationalsozialismus. Nicht viel anders verhält es sich mit seinem Einfall, die Bezeichnung „Klimanotstand“ in Verbindung mit den Weimarer Notstandsgesetzen zu bringen.
Ausländer*innen nennt Moosdorf „völlig unberechenbare, unserer Kultur fremde Menschen“, er bringt sie in Verbindung mit einem „ihnen immanenten Potential“, straffällig zu werden, das werde „zu 2/3 durch Genetik weitergegeben“. Das ist ein eindeutig rassistischer Gedanke, womöglich diesseits einer strafbaren Volksverhetzung. Die „neue Kultur der Debatte“, die er hochhält, die Kultur überhaupt, von der er immer wieder spricht – sie weicht sehr oft profanen Beschimpfungen gegen Grüne („ungewaschen“, „Spinner“) und Linke („Dummschwätzer“) oder auch kontrafaktischen Behauptungen wie der, das Klima werde gar nicht wärmer, sondern kälter. Moosdorf, das weiß man nach 370 Seiten, hält sich für einen Experten bei fast jedem Thema, für das sich seine Partei interessiert. In manchen Punkten versucht er sogar noch, darüber hinaus zu gehen. Er bezeichnet Greta Thunberg als „krankes Mädchen“. Kinderlose Frauen hält der misogyne Autor für „in gewisser Weise unvollkommen, oft sogar ambitioniert peinlich“. Er unterstellt ihnen ein „biologisches Lebensdefizit“.
So gesehen passt Moosdorf zur AfD. Doch noch vor wenigen Jahren hätte das niemand geglaubt, hätte ihm niemand zugetraut, so zu denken, geschweige denn, es zu Papier zu bringen. Die längste Zeit des Lebens, die ersten fünf Jahrzehnte, war er kein Politiker, sondern Künstler, sogar ein sehr angesehener. Talent und Erfolg in diesem ersten Leben wird ihm niemand bestreiten: Der 55-Jährige, der in Leipzig geboren wurde und auch hier aufwuchs, machte eine Lehre zum Elektronikfacharbeiter. Dann ging er an die Hochschule für Musik, schon sein Vater war ein recht bekannter Violinist gewesen. Noch zu DDR-Zeiten, im Jahr 1988, wurde er Gründungsmitglied des Leipziger Streichquartetts, einer Kammermusikformation. Da war er immer noch Student, gerade einmal 23 Jahre alt und schon ein Überflieger in seinem Metier, am Violoncello.
Musikkarriere von Weltrang
Nach der Wende begann er mit dem Leipziger Streichquartett eine Karriere von Weltrang. Er ist seither in mehr als 60 Ländern bei gut 3.000 Konzerten aufgetreten, hat rund 120 CDs eingespielt. Dafür hagelte es Auszeichnungen, allein fünf Mal bekam das Quartett den Klassik-Echo verliehen, zuletzt 2012. Ob Tagespresse oder Fachmedien: In hunderten Konzertberichten und Rezensionen findet man kein kritisches Wort über den Musiker Moosdorf, nur breite Einigkeit, in ihm einen Virtuosen und in seiner Gruppe eines der besten Quartette überhaupt zu sehen. Es funktionierte auch als ein Gewerbebetrieb, der für Moosdorf höchst einkömmlich war, wie man vermuten darf. In den Neunzigerjahren stieg er dadurch zum jungen Establishment der Nachwendezeit auf.
Seither hat er eine Wohnung in schicker, hochpreisiger Lage, nah am Leipziger Zentrum gelegen, direkt an einer gut gepflegten Parkanlage. In direkter Nachbarschaft fand man damals und findet man bis heute einige bekannte Namen, ein früherer Oberbürgermeister baute direkt nebenan. So hätte es immer weitergehen können, und danach sah es auch aus. In all den Jahren fiel Moosdorf nie mit politischem Interesse auf. Er rühmte sich in Gesprächen zwar einer Bekanntschaft mit einem früheren sächsischen Ministerpräsidenten, doch er war nie Mitglied einer Partei. Seine Sache war allein die Kultur, was nicht heißt, dass er sich nicht engagierte.
Vereinzelt ist das passiert. Vor etlichen Jahren ging er an die Presse, weil ein Baum vor seinem Haus gefällt wurde. Mal initiierte er ein Benefizkonzert für Frieden in Nahost, mal spielte er mit seinem Quartett eine Solidaritäts-Tour in Japan, nach der Katastrophe von Fukushima. Moosdorf unterschrieb einen offenen Brief gegen die Wahl eines neuen Kulturbürgermeisters, dem man nicht viel zutraute. Und er tadelte dann und wann die Kommunalpolitik, wenn bekannten und weniger bekannten Kulturstätten die Fördermittel wegzubrechen drohten. Die Resonanz war stets freundlich. Dass 2011 das rechtsradikale Compact-Magazin über die Japan-Tour des Streichquartetts berichtete, fiel nicht weiter auf, Moosdorf selbst war auch nicht der Gesprächspartner der Zeitschrift.
Eine Nacht in Manhattan
Irgendwann kam ein Bruch, der alles änderte. Glaubt man dem, was Moosdorf berichtet, was auch in seinem Buch steht, dann war es die Migrationskrise im Herbst 2015, die ihn umdenken und in der AfD anlanden ließ, „um meinen Kindern ein weiter lebenswertes Land zu erstreiten“, wie es auf dem Klappentext heißt. Doch diese Darstellung ist höchstwahrscheinlich unvollständig, die Dinge waren komplizierter. Die tiefe Wandlung, sie geht wohl zurück auf einen spektakulären Kriminalfall, in den ein Mitglied des Leipziger Streichquartetts verwickelt war – und die Moosdorfs Zukunft als Musiker ins Wanken brachte.
Im März 2015 war das Quartett auf USA-Tour, man spielte in Washington, D.C., und in Tuscaloosa, Alabama. Der Höhepunkt sollte am 27. März ein Gastspiel in New York City sein, im elitären Harvard Club in Midtown Manhattan. Doch dazu kam es nicht, der Geiger Stefan A. war kurz zuvor festgenommen worden, anderthalb Tage lang saß er in Untersuchungshaft. Erst gegen eine horrende Kaution in Höhe von 100.000 US-Dollar setze ihn ein Strafgericht wieder auf freien Fuß. Er durfte die Stadt dann aber fast anderthalb Jahre lang nicht mehr verlassen, musste seinen Pass abgeben, auf einen Prozess warten. Vorwurf: versuchter Mord. Ihm drohten 25 Jahre Gefängnis.
Am Vortag waren die Musiker, unter ihnen Moosdorf, im Hudson Hotel abgestiegen, es liegt am Central Park in Manhattan. A. lernte am Abend „Melissa“ kennen, eine Prostituierte, die er spät nachts mit in sein Hotelzimmer nahm. Als sie den Raum wieder verließ, war sie allein, hatte aber Wertsachen des Musikers dabei, wie Aufnahmen von Überwachungskameras zeigen. Sie dokumentieren auch, wie A. drei Stunden später, inzwischen war es Vormittag, augenscheinlich orientierungslos über den Hotelflur irrte. Er war nackt, hämmerte mit den Fäusten an Türen. Eine 64-Jährige öffnete ihm, A. griff sie an, hielt ihr den Mund zu. Er packte sie am Hals und drückte sie gegen eine Wand. Ein alarmierter Wachmann ging dazwischen und verhinderte Schlimmeres.
Probleme für das Quartett
Stefan A. konnte sich nach eigenen Angaben nicht erinnern, was passiert war. Zur Besinnung kam er, als ihm Handschellen angelegt wurden. Die These seiner Anwälte: Er wurde unter Drogen gesetzt, K.O.-Tropfen vielleicht. Das ist nie widerlegt, aber auch nie bewiesen worden. Doch auch ein Motiv, warum er eine ihm unbekannte Frau attackierte, konnte bei den Ermittlungen nicht gefunden werden. Viel später, im Juni 2016, kam ein Gericht schließlich zu dem Urteil, dass kein Vorsatz zu erkennen sei. Der schwere Vorwurf, dass er töten wollte, wurde fallen gelassen. Er bekam seinen Pass zurück, durfte zurück nach Deutschland reisen. Im Gegenzug musste er sich einer fahrlässigen Körperverletzung schuldig bekennen – ein Deal.
All das hat viel Aufsehen erregt. In den USA berichteten große Zeitungen über den deutschen Stargeiger, der Fall wurde sogar verfilmt, leicht verfremdet für die populäre Kriminalserie „Law & Order“, die Folge heißt „Der nackte Flötist“. In Deutschland stand das Leipziger Streichquartett derweil vor einem Problem: A. war der Primarius, der erste Geiger. Ohne ihn war man nur noch ein Trio, Auftritte fielen flach, Gagen weg und die Zukunft der Gruppe, die mitunter an die hundert Konzerte im Jahr gespielt hatte, schien plötzlich offen. Genauso wie einige Fragen zum Fall, etwa danach, was Moosdorf und die beiden anderen Musiker mitbekommen haben. Öffentlich haben sie sich dazu nie eingelassen, A. hielt sie aus allem raus. Man habe beschlossen gehabt, den entscheidenden Abend getrennt zu verbringen, hieß es.
Erst rund acht Monate nach dem Vorfall kam es zu einer Entscheidung, A. trat im November 2015 aus dem Quartett aus, in dem er auch einer der Gesellschafter war. Ob man sich einvernehmlich trennte oder nicht, ist offen, man sprach öffentlich nicht mehr viel übereinander. In neuer Besetzung ging es dann zwar weiter, doch die Probleme blieben, Veranstalter*innen stellten kritische Fragen. Vor allem Moosdorf, so hört man, soll ungehalten reagiert haben, mitunter laut geworden sein. Er gehörte dem Streichquartett noch bis 2019 an, trat immer seltener auf, dann schmiss er hin. In der Zwischenzeit war er in die Politik gewechselt.
Folgenreiche Begegnung mit Petry
Diesen Wechsel bahnte er ab Ende 2015 aktiv an, ungefähr zu der Zeit, als Stefan A. von Bord ging. Moosdorf interessierte sich plötzlich für Frauke Petry, damals Landes- und Bundesvorsitzende der AfD, ein Shooting Star der deutschen Politik. Er fragte sich durch, bekam ihre Handynummer und rief sie Anfang 2016 an. Danach kam es zu einem Treffen, beide sollen sich auf Anhieb gut verstanden haben. Es ist nicht ganz klar, ob Moosdorf da bereits eigene politische Ambitionen hegte oder ob er Zuspruch suchte für sich, seine Musik und die Zukunft seines gebeutelten Quartetts.
Glaubt man Marcus Pretzell, damals bereits Lebensgefährte Petrys, soll Moosdorf anfangs versichert haben, kein Geld zu wollen. Er soll sich zunächst mehr im privaten Bereich um das AfD-Paar bemüht haben. Als Petry und Pretzell 2016 heirateten, war es Moosdorf, der die standesamtliche Trauung organisierte, bei der Hochzeitsfeier im Leipziger Mendelssohn-Haus spielte er auf seinem Cello. Moosdorfs Ehefrau Olga Gollej, eine Pianistin, gab zwei Kindern Petrys Klavierstunden. Petry führte derweil Moosdorf in die weite Welt der Politik ein, nahm ihn mit zu Terminen, zu einem Gipfeltreffen mit Marine Le Pen und Geert Wilders zum Beispiel. Der international vernetzte Moosdorf konnte umgekehrt Kontakte vermitteln, etwa zu russischen Kreml-Beratern.
So ist er in wenigen Monaten nicht nur zu einem wichtigen Vertrauten Petrys, sondern auch Teil des Machtzentrums der AfD geworden, ohne eine Parteikarriere hinter sich zu haben. Im September 2016 traten er und Olga Gollej schließlich der AfD bei – seither ging es plötzlich doch um Geld, um eine neue Karriere jenseits der Musik. Zu der Zeit plante die AfD schon ihren Bundestagswahlkampf im Folgejahr, Moosdorf soll damals bereits erwogen haben, selbst zu kandidieren. Doch es war noch zu früh für ihn, ab Januar 2017 gab es als Ersatz erst einmal Arbeitsverträge: Pretzell, der damals im Europaparlament saß, stellte Olga Gollej als Assistentin an. Und Petry, Fraktionsvorsitzende im Sächsischen Landtag, holte Moosdorf als Berater für Kulturpolitik nach Dresden.
Die Kaltstellung
Doch diese Konstellation erwies sich als nicht sonderlich stabil, sie zerbrach bereits nach wenigen Wochen. Im Februar 2017 kühlte das Verhältnis plötzlich ab, schon im März endete Moosdorfs Arbeit für die Landtagsfraktion. Quasi über Nacht wurden Textbeiträge gelöscht, die er für den „Blauen Kanal“ geschrieben hatte, eine Onlineplattform, in deren Impressum Petrys Name stand. In Briefen an Parteigremien beschwerte er sich über eine plötzliche „Kaltstellung“, seinen Einsatz danke man ihm nicht. Petry stellte er dabei als beratungsresistent, ihren Ehemann Pretzell als einen ziemlich schlechten Einfluss dar.
Es gibt unterschiedliche Erzählungen, wie es dazu kam, dass die Stimmung kippte. Im Hintergrund stand wohl Streit um Geld: Als Moosdorf zur Landtagsfraktion stieß, war dort bereits Michael Klonovsky tätig, ein Ex-Journalist, der zuvor beim Focus gearbeitet hatte, eine sogenannte Edelfeder. Moosdorf und Klonovsky wurden enge Freunde, das sind sie heute noch und spielen sich manche Bälle zu. In Moosdorfs Nachbarwahlkreis, in Chemnitz, ist neulich der gleichfalls ortsfremde Klonovsky der genauso überraschende Direktkandidat zur Bundestagswahl geworden.
Beide gründeten, als sie Anfang 2017 zeitweise parallel für die Dresdner Fraktion arbeiteten, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, eine GbR, so etwas wie eine kleine Beraterfirma. Über diese GbR stellten Moosdorf und Klonovsky dann Rechnungen für die Erstellung mehrerer Parteibroschüren, gedacht für den Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen. Dort war Pretzell der Spitzenkandidat – doch er bestritt, diese Broschüren in Auftrag gegeben zu haben, und wollte nicht zahlen. Auch in der Bundesgeschäftsstelle der AfD ging eine Rechnung der GbR ein, sie hatte zu tun mit Moosdorfs früherem Versuch, Petry einen Russland-Kontakt zu vermitteln. Er und Klonovsky forderten insgesamt eine erkleckliche fünfstellige Summe ein. Und beide sollen zusätzlich Druck aufgebaut und gedroht haben, Medien über Parteiinterna zu informieren.
Politik als Geschäft
Petry äußerte sich dazu nicht mehr, Pretzell sprach von einem Erpressungsversuch, die gemeinsame Arbeitsgrundlage war jedenfalls zerstört. Doch ans Aufgeben dachte Moosdorf nicht. Die Details des Streits, die zu dieser Zeit tatsächlich publik wurden, spielten den Flügel-Kräften in der AfD in die Hände, die bereits an der Demontage der Parteichefin arbeiteten. Moosdorf verschärfte den Ton: Im April 2017 warf er Petry vor, die AfD spalten zu wollen, und nannte ihr politisches Agieren „erschreckend dumm“. Womöglich waren solche Töne hilfreich dabei, die enge und einträgliche Verbindung zur Partei nicht abreißen zu lassen.
Moosdorf schmiedete nämlich Pläne. Im Sommer 2017 gründete er eine Firma, die Pierrot Lunaire GmbH, Stammkapital: 25.000 Euro. Benannt ist das Unternehmen, das bis heute existiert, nach einem Melodram von Arnold Schönberg, einem der Lieblingskomponisten Moosdorfs. Der Geschäftszweck des Unternehmens ist aber völlig unmusikalisch, im Handelsregister aufgezählt werden unter anderem „die Erstellung von parlamentarischen Anfragen und Gesetzesinitiativen, der Entwurf und die Betreuung von Petitionen und Begleitung von parlamentarischen Verfahren sowie Imageberatung für bestehende und potentielle Mandatsträger.“ Es ist eine Consulting-Firma im Mikrokosmos der AfD, ein Bereich, in dem sich Politik und Geschäft überschneiden.
Nach der Wahl zum Bundestag im Herbst 2017 fand Moosdorf dort eine Anstellung, bei dem Abgeordneten Martin Hebner, der AfD-Spitzenkandidat in Bayern war. Auf der später entstandenen Website von Moosdorfs Firma werden einige Beteiligte aufgezählt, die man wohl zu seinem engsten Umfeld zählen darf. Darunter ist unter anderem Michael Klonovsky, der nach Wahl ein Mitarbeiter des Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland wurde, bald als dessen Redenschreiber gehandelt wurde und sich inzwischen auch selbst so betitelt. Mit in Moosdorfs Boot sitzt auch Albrecht Glaser, neben seiner Tätigkeit als Abgeordneter ist er Vorsitzender der mächtigen Bundesprogrammkommission der Partei. Nicht auf der Website aufgezählt wird Moosdorfs Partnerin, Olga Gollej. Doch auch sie hat den Sprung in den Bundestag geschafft, die Fraktion stellte sie als Referentin für Kultur- und Medienpolitik ein.
Keine zimperlichen Methoden
Im Bundestag lief es lange gut für Moosdorf, was auch daran liegt, dass er sich geschickt vermarktet – etwa als den Entdecker des UN-Migrationspakts als ein Thema für die AfD, als Erfinder einer groß angelegten Kampagne. Damit wollten 2018 Partei und Fraktion an die Anti-Asyl-Proteste anschließen, auf deren Rücken man ins Parlament geschwemmt wurde. Zeitweise jedenfalls fruchteten die Versuche, den Migrationspakt in die öffentliche Debatte zu drücken, mit Hilfe der Fiktion, die Vereinten Nationen würden eine „Völkerwanderung“ nach Deutschland organisieren. Ob dieses Framing allein und zuvorderst Moosdorfs Werk war, woran er gern erinnert, dazu kursieren unterschiedliche Ansichten in der AfD.
Die Fäden der Kampagne liefen tatsächlich im Bundestagsbüro des Abgeordneten Hebner zusammen, in dem Moosdorf saß. Zeitweise holte man sich Verstärkung hinzu, der sächsische AfD-Landtagsabgeordnete Carsten Hütter wurde angeheuert, und zwar parallel zu seinem gut dotierten Mandat im Freistaat. Unrühmlicher Höhepunkt des Treibens war eine Petition, die aus Hebners Büro kam und im zuständigen Bundestagsausschuss behandelt werden sollte. Eingereicht hatte den Text Matthias Moosdorf, eingebaut waren einige Formulierungen, die den Leitlinien für Bundestags-Petitionen nicht entsprechen. Auf die Bitte des Petitionsausschusses, den Text zu überarbeiten, ging Moosdorf nicht ein, obwohl ihm sogar Hilfe angeboten wurde.
Stattdessen lancierte Moosdorf ein Schreiben des Ausschusssekretariats an die Öffentlichkeit – um fälschlich den Eindruck zu erwecken, der Bundestag würde sich weigern, das Thema zu behandeln, als würde ein wichtiges Anliegen „zensiert“. Auf einem zugehörigen Dokument, das Moosdorf selbst ins Netz stellte, schwärzte er seine eigene Anschrift. Doch gut lesbar waren der Name und die Kontaktdaten einer Ausschussmitarbeiterin. Es folgte eine offenbar kalkulierte Empörungswelle, das Parlament wurde mit Beschwerdemails geflutet. Der Versuch, eine einzelne Mitarbeiterin an den Pranger zu stellen, verfehlte ihre Wirkung nicht – sie wechselte den Job.
Dubioses Stiftungs-Projekt
Moosdorfs Methoden, sie sind wenig zimperlich. Ein Zeugnis recht gewieften Wirkens, diesmal hinter den Kulissen, ist die Oswald-Spengler-Stiftung, ein AfD-nahes Projekt, das noch immer existiert. Die Spengler-Stiftung trat nur ein einziges Mal groß in Erscheinung, Ende 2019 bei einer Veranstaltung im Festsaal des Dresdner Pianosalons, im herrschaftlichen Ambiente des traditionsreichen Coselpalais unweit der Frauenkirche. Dort gab es ein hochkarätig besetztes Podium mit AfD-Abgeordneten, unter anderem mit Albrecht Glaser. Moosdorf moderierte den illustren Abend, das Begleitprogramm besorgte er selbst und spielte Chopin auf seinem Cello, am Klavier begleitet durch Olga Gollej.
Rund 150 Gäste applaudierten dafür, darunter in der ersten Reihe Tino Chrupalla, wenige Tage vor seiner Wahl zum Bundesvorsitzenden der Partei. Von der Oswald-Spengler-Stiftung finden sich ansonsten nicht viele Spuren, was offenbar Absicht ist. Auf ihrer Facebook-Seite wird behauptet, dass man eine rechtsfähige Stiftung sei, was nicht stimmt. Es handelt sich um einen eingetragenen Verein, der Vorsitzende ist derzeit der Dresdner Immobilien- und Edelmetallhändler Hannes Kernert. Als die AfD in ihrer Frühzeit einen schwunghaften Goldhandel betrieb, um Grauzonen der Parteienfinanzierung auszureizen, fiel oft sein Name. Kernert ist mit Moosdorf befreundet – und der Musiker der Vizevorsitzende der vorgeblichen Stiftung.
Entstanden ist der Verein 2011 im thüringischen Jena, damals unter dem Namen Gustav-Stresemann-Stiftung. Sie war ein bald gescheiterter Versuch, einmal die Parteistiftung der rechtspopulistischen Formation „Die Freiheit“ zu werden. Das ist lange her, „Die Freiheit“ hat ihre Aktivitäten zu Gunsten der AfD eingestellt. Als dann aber die AfD 2017 erstmals in den Bundestag einzog, wurden die Pläne konkret, eine AfD-nahe Stiftung zu schaffen, um in den Genuss staatlicher Fördermittel zu kommen. Gleich mehrere Vereine brachten sich im Herbst 2017 in Stellung, um diese Parteistiftung zu werden.
Der gekaufte Verein
Das Rennen machte einige Monate später die Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES). Doch die litt zunächst unter Anlaufproblemen, wurde erst nach mehreren Gründungstreffen überhaupt ins Vereinsregister aufgenommen und hatte große Mühe, als gemeinnützig anerkannt zu werden. In dieser misslichen Situation fand Ende November 2017 erstmals nach mehreren Jahren wieder eine Mitgliederversammlung der Gustav-Stresemann-Stiftung statt. Ort war eine Jenaer Anwaltskanzlei, in der man den Verein ursprünglich aus der Taufe gehoben hatte. Mit der AfD hatte er bis dahin nichts zu tun.
Zum Vereinstreffen erschien aber eine AfD-Delegation. Hannes Kernert war dabei und unter anderem auch Jan-Oliver Zwerg. Er war zu diesem Zeitpunkt Präsident des sächsischen AfD-Landessenats, einer Art erweitertem Vorstand, bevor er im Februar 2018 zum Generalsekretär gewählt wurde und nochmals anderthalb Jahre später in den Landtag einzog. Am Ende des Treffens in Jena traten alle bisherigen Vereinsmitglieder aus und einige neue Leute dafür ein. Diese neuen Mitglieder kamen allesamt von der AfD. Sie hatten damit klammheimlich einen Verein übernommen, angeblich floss dafür sogar Geld. Und die neuen Mitglieder traten mit diesem Verein sofort in offene Konkurrenz zur DES.
Die Gustav-Stresemann-Stiftung bot einen entscheidenden Vorteil, sie war schon seit langem als gemeinnützig anerkannt. Beinahe wäre es sogar gelungen, die Desiderius-Erasmus-Stiftung auszustechen. Denn während die DES bei Null starten musste, konnten die Stresemänner auf eine längere Vereinsgeschichte verweisen, auch wenn es in Wirklichkeit nicht die eigene war. Sie bauten die bisherige Website um, schnitten sie passgenau auf AfD-Themen zu, vermerkten dort ein „Hauptstadtbüro“ in bester Lage. Und sie gewannen Alexander Gauland als wichtigen Fürsprecher. Auch einige Bundestagsabgeordnete wurden als Mitglieder rekrutiert, etwa Martin Hebner, Moosdorfs Chef.
Totengräber der Demokratie
Dass die Gustav-Stresemann-Stiftung dann doch nicht zum Zuge kam, lag zum einen an einem drohenden Rechtsstreit: Die Erben Stresemanns, der 1923 Reichskanzler geworden war, distanzierten sich von der AfD und drohten mit einer Klage, sollte die Parteistiftung diesen Namen tragen. Und: In der Partei fiel bald auf, dass die Gustav-Stresemann-Stiftung ein Potemkin’sches Dorf ist. Die Berliner Adresse war ein Briefkasten, Texte auf der Vereinswebsite waren Recycling-Material. Dort eingestellt wurde unter anderem – mit leicht verändertem Layout – eine jener Broschüren, die Moosdorf verfasst und für die er Geld von Pretzell gefordert hatte.
Das alternative Stiftungsprojekt scheiterte endgültig nach rund einem halben Jahr, im Sommer 2018. Nach stundenlanger Diskussion entschieden sich damals fast zwei Drittel der Delegierten eines AfD-Bundesparteitags dafür, die Desiderius-Erasmus-Stiftung anzuerkennen und nicht die Konkurrenz-Gruppe. Ein gutes Jahr später musste sie nach einem Gerichtsurteil umbenannt werden, seitdem ist sie die Oswald-Spengler-Stiftung, ansonsten aber derselbe Verein. Die neue Namenswahl war allerdings von brutaler Ironie: Spengler, dessen bekanntestes Werk in Moosdorfs Bücherregal steht, war ein Gegner Stresemanns und beteiligt an einem Plan, dessen Kabinett durch einen Putsch rechter Kräfte und des Militärs zu beseitigen. Der Republikfeind Spengler war einer der frühen Totengräber der ersten deutschen Demokratie.
Welchen Zweck die Oswald-Spengler-Stiftung noch hat, was etwa Matthias Moosdorf sich von ihr verspricht, ist nicht ganz klar. Es gibt heute bundesweit einen Flickenteppich an AfD-nahen Vereinen, an designierten und gescheiterten Stiftungsprojekten in den Ländern, manche schlummern seit Jahren vor sich hin, ohne dass man sie nutzen und ohne dass man sie auflösen mag. Theoretisch können dort Spenden ankommen, die nicht in den Büchern der Partei auftauchen. Und theoretisch könnte auch, wenn sich bestimmte Konflikte in der AfD zuspitzen sollte, ein bereits bestehender Verein in eine neue Partei umgewandelt werden, das deutsche Parteienrecht bietet diese Möglichkeit. Anscheinend verwaiste Projekte könnten irgendwann in der Zukunft nützlich werden.
Anlauf für Olga Gollej
Als Moosdorf im Herbst 2019 offiziell Vizevorsitzender der Oswald-Spengler-Stiftung wurde, war er auf dem Höhepunkt seines Ansehens in der Partei angelangt. Zum Abschluss des sächsischen Landtagswahlkampfs lud er damals zu sich ein, auf sein neues, großes, gut gepflegtes Grundstück im nordsächsischen Örtchen Collm. In ländlichem und vor allem diskretem Ambiente empfing er hohe Parteifreund*innen, eingeladen war auch der Bundesvorsitzende Jörg Meuthen. Inzwischen haben Moosdorf und Gollej dort ihren Hauptwohnsitz genommen, zusätzlich zu der teuren Adresse in Leipzig. Das Paar lebt nicht auf kleinerem Fuß, seitdem man die Musik hinter sich gelassen hat.
Damals soll Olga Gollej selbst erwogen haben, bei der Landtagswahl in Sachsen zu kandidieren. Ein Bewerbungsschreiben war schon fertig, als Ziel ihrer künftigen Parlamentsarbeit vermerkte sie unter anderem die „Abschaffung der Gender-Studies“, also eines Fachs, das an keiner einzigen sächsischen Hochschule gelehrt wird. Im vergangenen Jahr warf sie ihren Hut erneut in den Ring. Diesmal suchte die AfD nach einer geeigneten Kandidat*in zur Landratswahl im Kreis Meißen. Nach einer Serie von Misserfolgen bei Kommunalwahlen rechnete man sich gute Chancen aus: Zur Landtagswahl hatte man in der Region alle drei Direktmandate geholt. Doch jetzt mangelte es an Bewerber*innen, aus dem Kreisverband wagte sich niemand vor oder es fehlten die gewünschten Verwaltungskenntnisse. Landtagsmitglied Carsten Hütter war kurz im Gespräch, doch er winkte ab.
Die Schwierigkeiten bei der Suche waren bald ein Thema im Landesvorstand – in den Moosdorf einige Monate zuvor eingezogen war. So wunderte sich in der Partei niemand, dass Gollej ins Spiel kam, obwohl sie für die Öffentlichkeit ein ziemlich unbeschriebenes Blatt ist. Beinahe hätte sie der Meißener Kreisverband, dem sie nicht angehört, auch nominiert um Landrätin in einer Region zu werden, in der sie nicht lebt. Erst wenige Tage vor der entscheidenden Abstimmung bewarb sich auch Thomas Kirste, stellvertretender Kreischef und Landtagsabgeordneter. Es kam zur Stichwahl gegen Gollej, Kirste setzte sich mit nur vier Stimmen Vorsprung durch. Landrat wurde er am Ende nicht.
„Gestorben wird immer“
Nachdem es lange aufwärts ging, steht Moosdorf inzwischen vor einigen Problemen. Sie begannen im vergangenen Frühjahr und haben mit Corona zu tun. Damals hatte die AfD-Bundestagsfraktion noch keine einheitliche Linie zur Pandemie, die seither die politischen Debatten bestimmt. In dieser Zeit, es war März und der Frühjahrs-Lockdown hatte gerade begonnen, schickte der AfD-Abgeordnete Martin Hebner eine E-Mail an seine Fraktionskolleg*innen. Darin mahnte er an, dass klare Leitlinien gerade fehlen, dass „wichtige Teile der Abläufe und der Steuerung nicht funktionieren“ würden. Das war eine offene Kritik an der Fraktionsführung, an Alice Weidel und vor allem an Alexander Gauland.
Hebners Mail hatte einen Anhang mit einem weiteren Text, der Verfasser war sein Mitarbeiter, Matthias Moosdorf. Er ging mit der gesamten Fraktion hart ins Gericht, sie sei auf das Corona-Thema zu spät aufgesprungen, man habe es anfänglich sogar ganz ignoriert. Damals geschah, was öfter passiert, wenn der Cellist mitspielt: Medien erfahren Details. So berichteten denn auch mehrere Zeitungen über den Rüffel und zitierten aus Moosdorfs Schreiben den entscheidenden Satz: „Kurz zusammengefasst, soll unsere Fraktion auf folgende Linie festgelegt werden: Das Ganze ist eine bessere Grippe, gestorben wird immer, die Maßnahmen sind Eingriffe in das öffentliche Leben und überflüssig.“ Wenig später machten sich weite Teile von Fraktion und Partei genau diese zynische Sicht zu eigen.
Doch es gab ein Nachspiel, nach einer Weile versammelte sich die Fraktion zu einer stundenlangen Aussprache, der Anlass war der Aufschlag aus Hebners Büro. Abgeordnete haben das Meeting erzwungen, gegen den Willen von Weidel und Gauland, die damals noch auf einen eher staatstragenden Kurs setzten. Dem Vernehmen nach sollen einzelne Abgeordnete sogar gedroht haben, aus der Fraktion auszutreten, wenn der bisher moderate Corona-Kurs nicht auf den Prüfstand kommt. Hebners Mail und Moosdorfs Zeilen hatten damit zu einer veritablen Führungskrise beigetragen. Sie kam zur Unzeit, weil parallel an der AfD-Bundesspitze der Machtkampf um den Flügel voll entbrannt war.
Alles oder nichts
Es war nicht das letzte Mal, dass Moosdorf in die Vollen gegangen und damit angeeckt ist. Inzwischen hat sich seine Lage offenbar noch weiter verschlechtert: In Parteikreisen kursiert das Protokoll einer mehrstündigen Fraktionssitzung von Ende November. Wenn zutrifft, was darin notiert wurde, dann stand der Name „Moosdorf“ auf der Tagesordnung. Und es erging der fast einhellige Beschluss, den Abgeordneten Martin Hebner aufzufordern, seinen Mitarbeiter „unverzüglich zu entlassen“. Sogar Abgeordnete aus Sachsen sollen diese scharfe Forderung unterstützt haben. Sie ist schon deshalb ungewöhnlich, weil Moosdorf ein persönlicher Mitarbeiter ist. Da er nicht direkt bei der Fraktion angestellt ist, kann sie ihn nicht entlassen.
Derzeit ist unklar, ob er noch für Hebner arbeitet, ob er überhaupt eine feste Anstellung hat. An diesem Wochenende will sich Moosdorf beim Landesparteitag der sächsischen AfD um einen vorderen Listenplatz bewerben. Sollte das gelingen, wäre ein Mandat zum Greifen nah, egal was im Zwickauer Direktwahlkampf passiert. Im Vorfeld hat er eine Art Bewerbungsschreiben eingereicht, als Tätigkeiten vermerkt er darin eine Menge: Musiker, Autor, Publizist, Manager. Doch von einer Beschäftigung beim Abgeordneten Hebner ist keine Rede.
Was ist passiert? Dem Vernehmen nach wurde Moosdorf vorgeworfen, aus dem Abgeordnetenbüro heraus eine Mail an Alexander Gauland geschickt und ihn darin beleidigt zu haben, nachdem der Fraktionschef in einen Streit mit seinem Redenschreiber Michael Klonovsky geraten war. Moosdorf soll dabei nicht nur seinen Freund Klonovsky verteidigt, sondern einmal mehr angedeutet haben, dass AfD-Interna öffentlich bekannt werden könnten. Es gibt Anzeichen, die dafür sprechen, dass es zum großen Eklat kam. Sie kommen von Moosdorf selbst: Unmittelbar nach seiner Nominierung als Direktkandidat in Zwickau erschien die Neuauflage seines Buches, und das enthält nun einen Text, der sich wie eine wütende Abrechnung mit Gauland und der ganzen Bundestagsfraktion liest. Brutale Ironie: Sollte es Moosdorf nicht als Abgeordneter in den Bundestag, in die verhasste AfD-Fraktion schaffen, ist seine politische Karriere womöglich vorbei. Es geht für ihn jetzt um alles oder nichts.