„Parasiten“: Wie ein AfD-Kandidat die eigene Partei beschimpft

 Exklusiv │ In einem Aufsatz greift der sächsische Parteifunktionär Matthias Moosdorf, der im Bundestag arbeitet und dort Abgeordneter werden will, die AfD frontal und mit teils beleidigenden Worten an. Es geht um Nazivorwürfe und Alexander Gauland, um gefälschte Biografien und Führungsgremien, die sich „zersetzend“ verhalten. idas veröffentlicht den gesamten Text.


Beitrag vom 02.02.2021, 8:00 Uhr │ Im Bild: Matthias Moosdorf, AfD-Kandidat und Autor.


Gauland „Schlüsselfigur“ der Lüth-Affäre

Der sächsische AfD-Funktionär Matthias Moosdorf (55), der im Wahlkreis Zwickau als Direktkandidat zur Bundestagswahl antritt, hat drastische Kritik an der eigenen Partei geübt. Nachzulesen sind die teils beleidigenden Ausführungen in einem seit kurzem erhältlichen Buch („Denken als Alternative“), das im Eigenverlag erschienen ist. idas liegt der Sammelband vor. Darin abgedruckt ist ein aktueller Aufsatz voller Zündstoff: Auf vier Seiten sinniert der Autor über die Neonazi-Affäre um den langjährigen Partei- und Fraktionssprecher Christian Lüth.

Vor knapp einem Jahr war bekannt geworden, dass sich Lüth, der als Vertrauter von Alexander Gauland gilt, in Chatnachrichten selbst als „Faschist“ bezeichnet hat. In einer TV-Dokumentation wurden Monate später Aufnahmen gezeigt, in denen derselbe Mann darüber spricht, dass man Migrant*innen „erschießen“ oder „vergasen“ könne. Und: „Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD.“ Die Fraktion trennte sich nach der Ausstrahlung von Lüth. Einige Abgeordnete sollen schon früher informiert gewesen sein.

Laut Moosdorf habe es sich außerdem nicht um einen Einzelfall gehandelt: „Holocaust-Leugnung, allerlei Geschichtsklitterung, das Veröffentlichen von Texten auf rechtsextremen Plattformen und das vor allem unter Alkohol schnell in NS-Propaganda kippende Verhalten von Mitarbeitern ist allgemein bekannt“, schreibt er. Für solche Vorgänge sei Fraktionschef Gauland, der zugleich Ehrenvorsitzender der Partei ist, „die Schlüsselfigur“. Entsprechende Entwicklungen hätten sich „unter seiner Hand“ vollzogen.

Parteigremien „nach innen und außen zersetzend“

Das Vorgehen Gaulands, dem Moosdorf verklausuliert den Rücktritt nahelegt, bewege sich auch sonst „weit außerhalb eines noch erträglichen Verhaltens“, heißt es weiter. Die Arbeit der Fraktionsführung sei „vollends peinlich“ und durch ein „ganz offenbares Versagen“ geprägt. Unter diesen Umständen habe sich ein „Filz aus persönlicher Verstrickung, Wegschauen und permanenter Problemleugnung“ entwickelt. Ohne weitere Namen zu nennen schreibt Moosdorf über „Beutegemeinschaften“ und „Postenjäger“, über „insolvente Lebenskünstler, Ausbildungsabbrecher, Hasardeure und Glücksritter“ im Kreise der Bundestagsfraktion.

Dieses Unwerturteil bezieht der Autor ausdrücklich auch auf Personen, die in diesem Jahr – genau wie er selbst – für die AfD in den Bundestag einziehen wollen. So befänden sich unter den Kandidierenden ehemalige „DDR-Grenzoffiziere, Angehörige jener Mauermörder-Truppe, auf die man sonst gern mit dem Finger zeigt.“ Es gebe sogar „viele“ Kandidierende, die versuchen würden, die eigene Biografie zu fälschen. Zum Schluss warnt Moosdorf vor einem „pseudopatriotischen Narrensaum“ in der Partei, vor Führungsgremien, die „nach innen und außen zersetzend“ wirken – und vor Verantwortlichen, die sich „wie Parasiten“ verhalten würden.

Erstaunlich daran: Moosdorf gehört selbst einem solchen Führungsgremium an, seit knapp einem Jahr ist er Beisitzer im Vorstand der sächsischen AfD und damit Landesfunktionär. Ebenso erstaunlich: An anderen Stellen im gleichen Buch gibt es Passagen, in denen Moosdorf derjenige ist, der den Nationalsozialismus relativiert. Hinzu kommen extrem frauenverachtende, rassistische sowie möglicherweise volksverhetzende Ausführungen.

Listenkandidatur geplant

Eine erste Auflage des Buches war bereits Ende 2019 erschienen, damals ohne Kritik an der Partei oder namhaften Repräsentant*innen. Die Neuauflage des Buches, in dem der verbale Frontalangriff enthalten ist, liegt erst seit wenigen Tagen vor. Veröffentlicht wurde diese erweiterte Fassung kurz nachdem Moosdorf Mitte Januar durch den AfD-Kreisverband Zwickau als Direktkandidat für die Bundestagswahl aufgestellt wurde. Zu der Region hat er bislang keinen näheren Bezug. Bei seiner Nominierungsrede übte er auch keinerlei Kritik an der Partei.

Moosdorf stammt aus Leipzig, sein Hauptwohnsitz befindet sich inzwischen im Kreis Nordsachsen. Bekannt wurde er als klassischer Musiker und Cellist des renommierten Leipziger Streichquartetts. Zur AfD stieß er 2016 gemeinsam mit seiner ebenfalls bei der Partei aktiven Ehefrau Olga Gollej über eine Bekanntschaft mit Frauke Petry, von der er sich später lossagte. Nachdem er kurzzeitig für die sächsische Landtagsfraktion arbeitete, wurde er Mitarbeiter des bayrischen AfD-Bundestagsabgeordneten Martin Hebner. Dem Vernehmen nach soll sich Moosdorf in jüngster Zeit mit Teilen der Fraktion überworfen haben, Abgeordnete forderten sogar schon seine Entlassung – möglicherweise ein Auslöser für die drastischen Ausführungen.

Zusätzlich zu seiner Direktkandidatur will sich Moosdorf am kommenden Wochenende beim AfD-Landesparteitag in Dresden für einen aussichtsreichen Listenplatz bewerben, um seine Chancen bei der Bundestagswahl zu steigern. Als Gast beim Parteitag wird übrigens ein bekannter Mann erwartet. Es ist Alexander Gauland.

Moosdorfs kompletter Aufsatz


Ein ausführliches Porträt über Matthias Moosdorf veröffentlicht idas am morgigen Mittwoch.