Trotz Vorwurfs des Rechtsextremismus und einer drohenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz sucht die Spitze der sächsischen AfD offenbar unbeirrt die Nähe zur extremen Rechten. Jetzt gab der Landes- und Fraktionsvorsitzende Jörg Urban der ultra-nationalistischen Zeitschrift Zuerst! ein Interview – schon wieder. Statt kritischer Fragen gibt es darin bekannte Parolen.
Beitrag vom 20.12.2020, 18:00 Uhr │ Im Bild: Jörg Urban, Chef der sächsischen AfD.
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„Massenmigration“ wieder Wahlkampfthema
Erneut hat Jörg Urban, Landes- und Fraktionsvorsitzender der sächsischen AfD, der extrem rechten Zeitschrift Zuerst! ein Interview gegeben. Im anstehenden Bundestagswahlkampf werde für seine Partei neben den wirtschafts- und sozialpolitischen Folgen der Pandemie „natürlich auch das Thema der Massenmigration“ im Vordergrund stehen, sagt der Landespolitiker in der soeben erschienenen Januar-Ausgabe des „Deutschen Nachrichtenmagazins“. Spaltungstendenzen in den eigenen Reihen bestreitet er darin. Die AfD sei keineswegs „zerstritten“, das sei lediglich die Darstellung von „Mainstream-Medien“. Als Beleg verweist er darauf, dass beim Bundesparteitag „mit nahezu 90 Prozent“ ein Sozial- und Rentenprogramm beschlossen wurde.
Ablehnend äußert sich Urban jedoch zu der Brandrede, die der Parteivorsitzenden Jörg Meuthen beim Parteitag hielt: Dessen Vorbehalte gegen eine Zusammenarbeit mit der „Querdenken“-Bewegung seien „ganz und gar nicht angebracht“ gewesen. Die AfD sei „die einzige politische Kraft“, die Kritik an der Corona-Maßnahmen „teilt und ihr im Parlament Gehör verschafft“, so Urban.
Ähnlich hatte er sich bereits während des Parteitags geäußert. Er gehörte dort zu dem lediglich knapp unterlegenen Teil der Delegierten, die Meuthen auf offener Bühne maßregeln wollten und damit Annahmen über eine drohende Spaltung der Partei befeuerten. Kein Teil des Interviews ist der kurz darauf misslungene Versuch der sächsischen Landespartei, in Dresden selbst eine zentrale Corona-Versammlung abzuhalten. Die umworbenen „Querdenker“ kamen nicht.
Keine kritischen Nachfragen
Bereits im Juni-Heft derselben Zeitschrift war ein Interview mit Urban erschienen, drei Seiten lang und auf dem Cover mit einem Foto angeteasert. Neben dem Vorwurf an Bundeskanzlerin Merkel, sie strebe einen „Elektroauto-Sozialismus“ an, hatte er sich damals auch offen rassistisch geäußert und vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie behauptet, Gesundheitsrisiken würden „regelrecht importiert“. Die CDU und „linksgrüne Politiker“ hätten die Grenzen „seit Beginn der Coronakrise nie für Asylbewerber geschlossen“. Dahinter stehe angeblich die Absicht, „unser Land mit immer neuen männlichen, muslimischen Ankömmlingen zu fluten“. Es gebe eine große Gruppe von Menschen, „die oft keine deutschen Wurzeln hat, die weitestgehend tun und lassen kann, was sie will“, behauptete er weiter.
Kritische Nachfragen kommen in solchen Gefälligkeits-Interviews nicht vor, ein Beispiel gibt die Juli-Ausgabe. Darin konnte der aus Sachsen stammende AfD-Europaabgeordnete Maximilian Krah ausführlich begründen, warum Deutschland bessere Beziehungen mit China aufbauen sollte. Dabei propagierte er unter anderem die „Idee des einen China“, also die Zwangsvereinigung mit Taiwan. Zudem beklagte er den „massiven politischen Druck auf Huawei“, der hierzulande aufgebaut werde. Im Gespräch nicht erwähnt wurde, dass Krah Ende 2019 nach Peking gereist war, und zwar auf Einladung und Kosten des chinesischen Staates und eines namhaften Großunternehmens: Huawei.
Auf drei üppig illustrierten Seiten blieb auch kein Platz, Krah nach seinem Abstimmungsverhalten im EU-Parlament zu fragen. Als einziger deutscher Abgeordneter und einer von nur sieben Parlamentsmitgliedern überhaupt hat er gegen eine Resolution gestimmt, die Kritik an der menschenrechtlichen Situation der Uiguren äußert. Gegenüber Zuerst! sagte der Politiker nur ganz pauschal, er sei „dankbar“ für die „rational begründete, wirtschaftsorientierte chinesische Haltung“. Menschenrechtsorganisationen werfen der autoritär regierten Volksrepublik unter anderem vor, die muslimische Minderheit durch Zwangsarbeit zu unterdrücken.
Zeitschrift seit Beginn „rechtsextremistisch“
Mit der Zuerst! hat sich Urban abermals auf ein einschlägiges Medium eingelassen. Die Zeitschrift erscheint seit Ende 2009. Sie trat die Nachfolge der unmittelbar zuvor eingestellten Nation & Europa an, die 1951 gegründet wurde und zeitweise eines der wichtigsten deutschsprachigen Debattenorgane der extremen Rechten war. Szene-Verleger Dietmar Munier kaufte das braune Traditionsblatt auf, nutzte die Abonnent*innen-Kartei als Starthilfe für sein neues Heft und brachte es zusätzlich in den bundesweiten Handel. Der Publikumserfolg blieb hinter dem Anklang zurück, den kurz darauf das vergleichbare Compact-Magazin fand, bis heute ist die kleinere Zuerst! praktisch ausschließlich in der rechten Szene verbreitet.
Bereits anhand der Erstausgabe waren Verfassungsschutz-Behörden zu dem Schluss gelangt, dass die Zeitschrift als „rechtsextremistisch“ einzuordnen ist. Zwei Jahre später erstritt Munier zwar auf juristischem Weg, dass seine Verlagsgruppe „Lesen und Schenken“, in der das Heft erscheint, nicht mehr im Verfassungsschutzbericht des Landes Schleswig-Holstein, wo das Unternehmen ansässig ist, erwähnt werden darf. Grund dafür ist die besondere Bedeutung der Pressefreiheit, wie das Verwaltungsgericht Schleswig befand. Doch auf die Einstufung der Zeitschrift, damals bereits ein sogenannter Verdachtsfall, wirkte sich das Urteil nicht aus.
In den vergangenen Jahren orientierte sich das Heft allerdings um, weg etwa von NPD-Kreisen und immer stärker in Richtung der AfD, die inzwischen großformatige Anzeigen schaltet, und besonders zu den völkischen Flügel-Kräften in der Partei. Ein gemeinsamer inhaltlicher Schnittpunkt ist dabei die pro-russische Orientierung. Für diesen Kurs ist Manuel Ochsenreiter verantwortlich, der seit fast zehn Jahren Chefredakteur ist, der „eurasischen“ Idee anhängt und zeitweise für den AfD-Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier arbeitete – den häufigsten Zuerst!-Interviewpartner.
Chefredakteur wird gesucht
Bevor Frohnmaier in den Bundestag einzog, war er für die damalige Parteichefin Frauke Petry tätig, teils bezahlt aus Mitteln der sächsischen Landtagsfraktion. Bereits in dieser Zeit, Mitte 2016, erschien in der Zuerst! ein Interview mit dem Dresdner AfD-Abgeordneten André Wendt. Als die Fraktion im Frühjahr 2017 eine pro-russische Konferenz in Freiberg (Landkreis Mittelsachsen) ausrichtete, zu der man sich mehrere europäische Rechtsaußen-Parteien einlud, war Ochsenreiter unter den Besucher*innen. Nach idas-Informationen wurde er damals durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als „rechtsextremistischer Publizist“ angesehen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Einige Monate später, im Frühjahr 2018, erschien in seinem Blatt ein Doppelinterview mit Jörg Urban, der inzwischen Petrys Nachfolge an der Spitze von Landespartei und Fraktion angetreten hatte, und wiederum mit Wendt, der es später zum Landtagsvizepräsidenten brachte. Den sächsischen Bundestagsabgeordneten Ulrich Oehme hatte Ochsenreiter kurz zuvor auf die annektierte Krim begleitet, wo sich der AfD-Parlamentarier als vorgeblicher „Wahlbeobachter“ bei der russischen Präsidentschaftswahl betätigte, beauftragt und bezahlt von der Duma. Wenig überraschend bekam auch Oehme bald ein Interview in der Zuerst!
Doch für Ochsenreiter wurde es heikel. Im Februar 2018, nur wenige Tage vor dem Trip mit Oehme, begingen Anhänger einer polnischen Rechtsaußen-Gruppe einen Brandanschlag in der Ukraine, mutmaßlich in russischem Interesse. Angestiftet und bezahlt haben soll die drei später in Kraków zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilten Männer ein Deutscher – Manuel Ochsenreiter. Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft ermittelt bereits seit Monaten gegen ihn. Das Verfahren kommt kaum voran, denn Ochsenreiter ist unbekannten Aufenthalts, Polen hat die Auslieferung beantragt. Der Vorwurf dort: Terrorismus.