Presseschau, 45. Kalenderwoche 2020

Bundesparteitag wackelt, Chrupalla gegen „Staatsbürgergeld“, Wahlniederlage in Schleife, Bericht über Verfassungsschutz-Speicherung kommt, Corona-Demos in Görlitz und Bautzen, Landtagsfraktion bezahlt Bundestagskandidatin, Matheja tritt aus, Staatsschutz ermittelt, Parteitage gestrichen, Räpple will bleiben, PR-Offensive zum Virus, Schatzmeister zurückgetreten, Hilse gerügt, Storch für Trump, Bremer Streit vor Gericht, Zusammenarbeit im Saarland, Petry erneut angeklagt. Das war diese Woche wichtig:


In der Presseschau informiert idas jeden Sonntag über lesenswerte Medienberichte und Recherchen rund um die AfD, die im Laufe der Woche erschienen sind.


Top Stories

Die AfD hält an ihrem Plan fest, am 28. und 29. November einen Bundesparteitag mit 600 Delegierten im nordrhein-westfälischen Kalkar durchzuführen. Bei dem bereits mehrfach verschobenen „Sozialparteitag“ soll ein Rentenkonzept beschlossen werden. Damit will die Partei im Vorfeld der Bundestagswahl ihr sozialpolitisches Profil schärfen, zudem müssen zwei Plätze im Bundesvorstand neu besetzt werden. „Es ist in der Partei der starke Wille vorhanden, den Parteitag stattfinden zu lassen, deshalb würden wir notfalls auch den Rechtsweg beschreiten“, sagte der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen der Deutschen Presse-Agentur. Derzeit bemüht sich die AfD um eine verbindliche Auskunft von Behörden, ob eine Durchführung möglich ist. Das Problem: Die NRW-Coronaverordnung ermöglicht Treffen mit „höchstens 250 Personen in geschlossenen Räumen beziehungsweise 500 Personen unter freiem Himmel“ – allerdings nur, wenn das unbedingt nötig ist und gesondert zugelassen wird. Offenbar wird parteiintern bereits mit einer Verschiebung gerechnet: Nach Angaben Meuthens werde man es akzeptieren, „wenn der Parteitag nach Recht und Gesetz untersagt wird“. Gegenüber der FAZ merkte er an, dass sich derzeit ohnehin „zahlreiche“ AfD-Politiker*innen in Quarantäne befinden würden. (↪ Spiegel, 02.11., ↪ n-tv, 05.11., ↪ RND, 05.11., ↪ FAZ, 05.11.)


Nach dem gemeinsamen Vorstoß der beiden AfD-Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen und Tino Chrupalla, ein sogenanntes Staatsbürgergeld ähnlich einem Grundeinkommen einzufordern, hat sich Chrupalla von diesem Konzept wieder distanziert. Es geht auf den AfD-Bundestagsabgeordneten René Springer zurück und sieht die Auszahlung von 500 Euro von Geburt an vor, ohne zusätzliche Bedarfsprüfung, allerdings limitiert auf „Deutsche“. Darüber soll beim geplanten „Sozialparteitag“ der AfD beraten werden. Dass die beiden zuletzt zerstrittenen Parteisprecher die Idee mittragen, sorgte in der Vorwoche noch für Aufsehen. Jetzt folgt die Kehrtwende: Im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte Chrupalla, dass er „skeptisch“ sei, „schließlich kommt der Plan aus dem Zentrallabor des Neoliberalismus“. Er unterstütze einen zeitlich befristeten Test des Modells, in das er allerdings keine großen Hoffnungen setze. (↪ RND, 08.11.)

AfD in Sachsen

In der Gemeinde Schleife (Landkreis Görlitz) ist der AfD-Kandidat Mathias Lampe am vergangenen Sonntag daran gescheitert, neuer Bürgermeister zu werden. Das Rennen machte Hans-Jörg Funda (CDU) mit 67,4 Prozent der Stimmen, Lampe unterlag deutlich mit 30,9 Prozent. Da es keine weiteren Kandidierenden gab, ist ein zweiter Wahlgang nicht erforderlich. Lampe nannte sein Abschneiden gegenüber der Sächsischen Zeitung „ganz ordentlich“, er habe „alles richtig gemacht“ und „würde es wieder tun“. Vorab hatte er sich zum Ziel gesetzt, 40 Prozent der Stimmen zu erhalten. Im vergangenen Jahr war der 44-Jährige in den örtlichen Gemeinderat eingezogen, er vertritt dort als Einziger die AfD, deren Mitglied er jedoch nicht ist. Auch im Falle eines Wahlerfolgs hätte er weiter parteilos bleiben wollen. Für die AfD war die Abstimmung die letzte Möglichkeit in diesem Jahr, bei einer Kommunalwahl zu punkten. (↪ Sächsische, 30.10., ↪ LR, 01.11., ↪ MDR, 02.11., ↪ Sächsische, 02.11., ↪ Sächsische, 03.11.)


Der AfD-Landtagsabgeordnete Thomas Kirste hat eine umstrittene Aktion von Pandemie-Leugner*innen gelobt, die kürzlich Trauerkränze vor Behörden-Einrichtungen in Meißen sowie in Pirna und Wehlen (Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) niedergelegt haben. Von einer „klasse Aktion“ schrieb er daraufhin bei Facebook. Die Gestecke waren mit Trauerfloren versehen, denen zufolge „Selbstbestimmung“, „Freiheit“ und „Menschenwürde“ beerdigt werden. Gegenüber der Sächsischen Zeitung bekräftigte Kirste, dass er die Aktion verstehen können, da „die demokratische Mitbestimmung und das Kontrollrecht der Opposition bei den Beschlüssen über den Umgang mit der Corona-Pandemie derzeit deutlich zu kurz“ kommen würden. Die AfD habe jedoch nichts mit der Aktion zu tun, behauptet er. (↪ Sächsische, 02.11., ↪ Sächsische, 03.11.)


Die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Landtags, die mit der Kontrolle des Verfassungsschutzes befasst ist, wird im Dezember einen eigenen Bericht zur umstrittenen Speicherung von Daten sächsischer AfD-Abgeordneter vorlegen. Das war bereits für diesen Montag erwartet worden, als sich die PKK-Mitglieder abermals zum Thema berieten. Sie hatten die bisherige Praxis der Datenspeicherung, mit der auch die Abberufung des Verfassungsschutzpräsidenten Gordian Meyer-Plath begründet worden war, zunächst deutlich kritisiert. Zwischenzeitlich wurde ein Gutachten des Landesdatenschutzbeauftragten bekannt, dem zufolge die Behörde aber „weitgehend rechtmäßig“ gehandelt habe. (↪ Zeit, 03.11., ↪ LTO, 03.11., ↪ FP, 03.11.)


Mit Beteiligung der AfD hat am Montag in Görlitz eine unangemeldete Versammlung gegen die Eindämmung der Corona-Pandemie stattgefunden, die abzuhalten vor Ort durch das Ordnungsamt des Landkreises gestattet wurde. Nach Polizeiangaben versammelten sich am frühen Abend rund 70 Personen. Gegen die Auflage, einen Mund-Nase-Schutz zu tragen, verstieß etwa ein Dutzend der Beteiligten, etliche andere legten „Atteste“ vor, die sie angeblich von dieser Pflicht befreien. Später liefen Beteiligte in Form von Demonstrationszügen durch die Stadt, obwohl das ausdrücklich untersagt war. Von rund 30 Personen stellte die Polizei daraufhin die Personalien fest und fertigte Strafanzeigen wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz. Dieses Vorgehen kritisiert Hajo Exner, stellvertretender Vorsitzender des AfD-Kreisverbandes Görlitz und Mitglied im Kreisrat. Er war nach eigenen Angaben „als Beobachter“ bei der Versammlung dabei, die vorab unter dem Motto „Grundrechte bewahren“ beworben und durch die AfD als „Lichtermarsch“ bezeichnet worden ist. Die Polizei habe „mit Kanonen auf Spatzen schießen“ wollen und mit einem angeblich überzogenen Aufgebot „einfach Spaziergänger auf dem Weg nach Hause“ gestoppt, so Exner. (↪ Sächsische, 03.11., ↪ Sächsische, 04.11.)


Mit Unterstützung der AfD haben am Donnerstagabend in Bautzen rund 200 Personen vor dem Gesundheitsamt des Landkreises gegen die Eindämmung der Corona-Pandemie demonstriert. Die Versammlung war durch eine Privatperson angemeldet und durch die Initiative „Eltern stehen auf“ beworben worden, die verschwörungsideologische Inhalte verbreitet. Etliche Beteiligte trugen die vorgeschriebenen Masken nicht und hielten keinen ausreichenden Abstand zueinander. Vor Ort war unter anderem der AfD-Bundestagsabgeordnete Karsten Hilse – als offizieller Ordner, auch er trug keine Mund-Nase-Bedeckung. Unter den Teilnehmenden waren zudem die beiden örtlichen AfD-Stadtratsmitglieder Paul Neumann und Oliver Helbing. Durchsagen kamen von Marcus Fuchs, Kreiselternrat. Er war zuvor bereits Versammlungsleiter einer „Querdenken“-Kundgebung in Dresden gewesen, auch daran hatte sich Hilse beteiligt. Höhepunkt der Bautzner Versammlung war eine Ansprache durch Landrat Michael Harig (CDU). Er „erntet vor allem Gejohle“, notiert die Sächsische Zeitung. „Als er kurz darauf das Podium verlässt, erntet er für seinen Versuch zu reden keinen Applaus.“ (↪ Sächsische, 05.11.)


Carolin Bachmann, die kürzlich zur Direktkandidatin der AfD bei der Bundestagswahl im Kreis Mittelsachsen nominiert wurde, ist aktuell als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der AfD-Landtagsfraktion angestellt. Das gab die Buchhalterin, die der Partei erst vor zwei Jahren beigetreten ist, im Gespräch mit der Freien Presse bekannt. Öffentlich ausgewiesen wurde diese Anstellung bislang nicht. (↪ FP, 06.11.)


Die AfD will im Stadtrat von Leipzig erreichen, dass die anderen Fraktionen weniger Anträge in die Ratsversammlungen einbringen. „Alle Fraktionen und Stadträte des Leipziger Stadtrates verzichten freiwillig und zeitlich begrenzt auf ihr Recht, in unbegrenzter Anzahl Anträge zur Ratsversammlung zu stellen“, heißt es in einem Antrag der AfD, die mit elf Mitgliedern die viertgrößte Fraktion ist. Zur Begründung wird auf die gestiegene Arbeitslast verwiesen. Die Stadtratsarbeit erfolge im Ehrenamt und nehme inzwischen „einen nicht unerheblichen zeitlichen Rahmen in Anspruch“. Eine Zustimmung zu diesem Antrag gilt als ausgeschlossen. (↪ L-IZ, 06.11.)


Der Kommunalpolitiker Tilman Matheja ist aus der AfD-Fraktion im Stadtrat von Auerbach (Vogtlandkreis) sowie aus der Partei ausgetreten. Das wurde am Freitag bekannt. Der 37-Jährige will demnach sein Stadtratsmandat behalten, das er im vergangenen Jahr errungen hatte, aber generell keine Parteipolitik mehr betreiben. Konsequenz: Die bislang dreiköpfige Stadtratsfraktion muss aufgelöst werden. Mathejas bisheriger Ratskollege Jens Bunzel sagte, er habe Verständnis für den Schritt: „Es geht um seine Existenz, ich verstehe ihn.“ Demnach habe der hauptberufliche Pädagoge „Schwierigkeiten bekommen, besonders mit der Verbeamtung“. Matheja ist als katholischer Religionslehrer tätig und wurde wiederholt wegen politischer Statements kritisiert. Weil sich auch Eltern beschwerten, prüfte das Bistum Dresden-Meißen, ob er weiter im Schuldienst eingesetzt werden kann. (↪ FP, 07.11.)


Der polizeiliche Staatsschutz ermittelt wegen tausender mutmaßlich strafrechtlich relevanter Flugblätter, die im Vorfeld der Landratswahl im Kreis Meißen, bei der für die AfD der Landtagsabgeordnete Thomas Kirste erfolglos antrat, verteilt worden sind. Die Prospekte, in denen keine Urheber*in verzeichnet ist, wurden in einer Auflage von 3.000 Stück gemeinsam mit der Gratiszeitung „Wochenkurier“ an Haushalte im Raum Nossen ausgeliefert. Darin wurde es als „schlau“ bezeichnet, dem AfD-Kandidaten die Stimme zu geben, unter anderem, weil er „männlich, weiß, deutsch“ sei. Andere Kandidierende wurden hingegen abfällig dargestellt und zudem rassistisch, sexistisch und schwulenfeindlich beleidigt. Inzwischen gibt es einen weiteren, ähnlichen Fall: Vor rund zwei Wochen wurden mit dem „Wochenkurier“ Flugblätter ausgetragen, in denen gegen die Eindämmung der Corona-Pandemie agitiert und aufgerufen wird, keine Masken zu tragen. (↪ Sächsische, 07.11.)

AfD rundherum

Die AfD in Mecklenburg-Vorpommern hat ihren Landesparteitag, der an diesem Wochenende in Neubrandenburg stattfinden sollte, kurzfristig abgesagt. Ursprünglich wollte der Landesverband während des zweitägigen Treffens im kommunal betriebenen Jahnsportforum Kandidierende für die Bundestags- und die Landtagswahl im kommenden Jahr aufstellen. Nach Angaben des Landesvorsitzenden Leif-Erik Holm sei die Absage unumgänglich geworden, weil die Corona-Schutzverordnung in dem Bundesland keine Ausnahmen für Parteitage beinhalte. Gegenüber dem Nordkurier erklärte er, dass man auf eine Klage verzichtet habe, weil dies zu teuer gewesen wäre. (↪ Nordkurier, 02.11., ↪ Nordkurier, 03.11.)


Auch die Berliner AfD konnte ihren immer wieder verschobenen Landesparteitag an diesem Wochenende nicht durchführen. Der Notvorstand um den Europaabgeordneten Nicolaus Fest, der den Verband seit Jahresanfang kommissarisch führt, beschloss die Absage einstimmig. Grund ist eine nach wie vor fehlende Betriebsgenehmigung für die vorgesehene Tagungsstätte, die Eventlocation „La Fiesta“ in Kausldorf. Dort sieht das Bauamt des Bezirks erhebliche Mängel beim Brandschutz. Aus diesem Grund war bereits Ende Oktober die Durchführung des Parteitags am gleichen Ort geplatzt. Er ist seit mehr als einem Jahr überfällig, auf dem Programm stehen unter anderem Nominierungen zur Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl im nächsten Jahr, die Neuwahl eines ordentlichen Vorstands und eines Landesschiedsgerichts. Fest erklärte, man sei „guter Dinge, dass wir den Parteitag noch in diesem Jahr oder Anfang 2021 hinbekommen.“ Nachdem es der Landespartei bislang nicht gelang, eine Tagungsstätte zu finden, bot Fest pro forma seinen Rücktritt an. Gleichwohl gilt es als wahrscheinlich, dass er früher oder später gewählt wird. Gegenüber dem RBB kündigte er bereits an, den Flügel stärker in die Parteiarbeit einbinden zu wollen. Damit endet der „Berliner Weg“ des früheren Landeschefs und aktuellen Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus Georg Pazderski, der für ein vergleichsweise moderates Auftreten der Landespartei einsteht. Die Durchführung eines digitalen Parteitags schließt die Berliner AfD unterdessen aus – denn damit habe man keine Erfahrungen. Vor allem befürchtet man folgenreiche Formfehler bei der Aufstellung von Kandidierenden ohne deren persönliche Präsenz. (↪ Tagesspiegel, 02.11., ↪ Berliner Morgenpost, 02.11., ↪ TAZ, 03.11., ↪ RBB, 03.11.)


Fünf Wochen nach der Ankündigung des Austritts ist der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Stefan Räpple noch immer Mitglieder der dortigen AfD-Fraktion. Eine Parlamentssprecherin bestätigte Anfang der Woche, dass er unverändert als Fraktionsmitglied angesehen wird, eine anderslautende Mitteilung habe es bislang nicht gegeben. Ende September hatte Räpple bei einer Corona-Demonstration in Mainz zu einem gewaltsamen Umsturz aufgerufen. Kurz darauf bestätigte das Bundesschiedsgericht der AfD einen bereits zuvor angestrengten Ausschluss aus der Partei. Fast zeitgleich erklärte Räpple, dass er sein Parteibuch abgibt und auch die Fraktion verlässt. Doch bislang blieb es bei der Ankündigung, eine schriftliche Austrittserklärung ging der Fraktion nicht zu. Nach Angaben des Fraktionsvorsitzenden Bernd Gögel habe sich Räpple seither nicht an der gemeinsamen Arbeit beteiligt, man betrachte ihn nicht mehr als Mitglied. Offenbar hat aber Räpple seine Ansicht geändert: Er will auf juristischem Weg erzwingen, weiter der Fraktion anzugehören. Seinen Angaben zufolge habe diese weder einen Beschluss gefällt, ihn auszuschließen, noch einen entsprechenden Antrag gestellt. Derweil hat die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz Ermittlungen gegen den Politiker aufgenommen aufgrund des Verdachts, öffentlich zu einer Straftat aufgefordert zu haben. Am Dienstag hob der Landtag Räpples parlamentarische Immunität auf. Er zeigte sich daraufhin „überrascht“ von dem Vorwurf. (↪ StZ, 02.11., ↪ StN, 04.11., ↪ Spiegel, 04.11., ↪ SWR, 04.11.)


Nach dem Bruch der niedersächsischen AfD-Landtagsfraktion wollen die verbliebenen sechs Abgeordneten künftig als gemeinsame parlamentarische Gruppe auftreten. Die Führung hat Stephan Bothe übernommen, der zugleich stellvertretender Landesvorsitzender ist. Nur diese Abgeordneten seien „legitimiert, im niedersächsischen Landtag für die AfD Politik zu machen“, erklärte Landeschef Jens Kestner am Mittwoch in Hannover. Laut Angaben des AfD-Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla habe der Bundesvorstand einstimmig die Unterstützung beschlossen, dies umfasse auch die Nutzung des Namens und des Logos der Partei. Die Bildung einer „Gruppe“ ist in Niedersachsen jedoch nicht vorgesehen, der Landtag behandelt sämtliche früheren Fraktionsmitglieder als Einzelabgeordnete, ohne die erweiterten Rechte und Zuschüsse, die einer Fraktion zukommen. Diese kann die AfD nicht mehr bilden, nachdem sich vor einigen Wochen als Ergebnis eines Führungsstreits Dana Guth, Stefan Wirtz und Jens Ahrends losgesagt haben. Ahrends trat in der Vorwoche auch aus der Partei aus, gegen Wirtz und die frühere Landes- und Fraktionsvorsitzende Guth wurden Ausschlussverfahren eingeleitet. Auch diese drei Abtrünnigen möchten fortan als Gruppe zusammenarbeiten – die Partei fordert hingegen, dass sie ihre Mandate zurückgeben. Wie Chrupalla erklärte, will die AfD nun Konsequenzen aus dem „großen Schaden“ ziehen, der durch die Auflösung der Fraktion eingetreten ist. So soll die Bundessatzung überarbeitet werden, offenbar um Sanktionsmöglichkeiten gegen Mandatsträger*innen zu schaffen, die ausscheren wollen. (↪ Braunschweier Zeitung, 02.11., ↪ NOZ, 04.11., ↪ Braunschweiger Zeitung, 04.11., ↪ NDR, 04.11.)


Der Kommunalpolitiker Marcel Wald, bislang Mitglied der AfD-Fraktion im Stadtrat des sachsen-anhaltischen Braunsbedra, ist aus der Fraktion und der Partei ausgetreten. Er hatte zuvor auf seiner Facebook-Seite ein Statement veröffentlicht, in dem er einen „Volksaufstand“ beschwor und seine Hoffnung zum Ausdruck brachte, dass sich Söder, Merkel und Spahn mit tödlichen Krankheiten infizieren. Davon distanzierte sich der zuständige Kreisverband im Saalekreis. Wald habe sich demnach infolge einer Aussprache dazu bereit erklärt, freiwillig die AfD zu verlassen. Erst kürzlich hatte im Kreistag Sven Ebert die Maßnahmen zur Pandemieeindämmung mit der Deportation von Jüd*innen verglichen. Ebert gehört der Fraktion unverändert an. (↪ MZ, 03.11.)


Der brandenburgische AfD-Abgeordnete Andreas Galau, der zugleich Vizepräsident des dortigen Landtags ist, hat sich mit dem Corona-Virus infiziert. Am Dienstag bestätigte die Fraktion, dass ein Test positiv ausgefallen ist. Nach Angaben Galaus habe er Symptome bemerkt, nachdem er aus dem Krisengebiet Bergkarabach zurückgekehrt ist. Dorthin war er gemeinsam mit seinem Landtagskollegen Andreas Kalbitz sowie den beiden AfD-Bundestagsabgeordneten Steffen Kotré und Stefan Keuter gereist. (↪ MAZ, 03.11., ↪ RBB, 03.11.)


Mit einer PR-Offensive will die AfD-Bundestagsfraktion Proteste gegen die Pandemieeindämmung stärker als bisher vereinnahmen. Die Fraktion beschloss am Dienstag eine Vorlage, in der Kernbotschaften festgelegt werden, etwa „Für mehr Eigenverantwortung statt Maskenpflicht“, „Für eine Kindheit ohne Maske“ und „Für freiwillige Impfungen“. Auf dieser Basis sollen die Social-Media-Kanäle der Fraktion regelmäßig bespielt werden. Damit verbunden ist auch die Hoffnung, allzu radikale Äußerungen aus den eigenen Reihen zu übertönen – aus Rücksicht auf die eigenen Wähler*innen, denn eine Mehrheit von ihnen hält laut Umfragen etwa die Maskenpflicht für durchaus angemessen. Stattdessen soll stärker auf negative Krisenfolgen hingewiesen werden, etwa für das Hotelgewerbe und die Veranstaltungsbranche. „Solche Aussagen können einer von der AfD geführten Debatte die Tür zu breiteren gesellschaftlichen Schichten öffnen, die für solche Argumente bisher nicht zugänglich waren“, heißt es in dem Konzeptpapier, das aus der „Strategieabteilung“ der Fraktion um den Abgeordneten Roland Hartwig stammt. Darüber hatte in der Vorwoche zuerst die Deutsche Presse-Agentur berichtet. Im Interview mit der Welt erklärte Parteichef Jörg Meuthen nun, es sei „Konsens“ in der Partei, „dass wir das derzeitig dynamische Infektionsgeschehen sehr ernst nehmen müssen“. Nur „einige wenige in der AfD haben bei Corona-Grundregeln kein Einsehen.“ Es handle sich um „einzelne Ausreißer von Leuten, die sich gern exponieren“, nicht aber um die Mehrheit, behauptet Meuthen. (↪ Tagesschau, 03.11., ↪ Welt, 06.11.)


Peter Gremminger, bislang Schatzmeister der baden-württembergischen AfD, ist von seinem Posten zurückgetreten. Offiziell werden dafür gesundheitliche Gründe angegeben. Nach Informationen des SWR sollen jedoch Unstimmigkeiten im Landesverband vorausgegangen sein. Demnach besteht die Landeschefin Alice Weidel darauf, dass noch in diesem Jahr zwei Parteitage durchgeführt werden, bei denen unter anderem die Landtagswahl im März 2021 vorbereitet werden soll. In dem Bundesland sieht die AfD keine Delegierten-, sondern weit größere Mitgliederparteitage vor. Das macht eine Durchführung unter Pandemie-Bedingungen fraglich. Zudem kann sich die Partei im Südwesten die Anmietung entsprechend großer Hallen offenbar nicht mehr leisten. Grund dafür sind unter anderem hohe Strafzahlungen wegen illegaler Parteispenden. Entsprechende Vorwürfe stehen auch gegen Weidel im Raum. (↪ SWR, 04.11.)


Weil er im Plenarsaal ein T-Shirt des Dresdner Ablegers der Initiative „Querdenken“ trug, ist der sächsische Bundestagsabgeordnete Karsten Hilse am Mittwoch gerügt worden. Nachdem er mit aufgeknöpftem Jackett zum Rednerpult gelaufen ist, wies ihn Parlamentsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) an, den Aufdruck zu verdecken. „Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir bei T-Shirts oder anderen Kleidungsstücken keine Parolen in die Kamera halten“, sagte Roth, „und das gilt auch für Sie“. Der Aufdruck war danach aber weiterhin zu erkennen. AfD-Bundeschef Jörg Meuthen nannte Hilses Verhalten „albern und unangemessen“. (↪ RP, 04.11., ↪ BW24, 05.11.)


Die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch, die auch stellvertretende Vorsitzende ihrer Fraktion und Mitglied des Bundesvorstands ist, teilt die Auffassung des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump, wonach es zu „Unregelmäßigkeiten“ bei der Wahl gekommen sei. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte sie, das würden „wir alle sehen“, es gebe zudem „zahllose Einzel-Wahllokale“, in denen „extrem auffällige“ Dinge geschehen seien. Auf Nachfrage konnte sie keines dieser Wahllokale benennen, führte als Beispiel aber an, dass „plötzlich 100 Prozent aller nachgereichten Briefwahlstimmen bei Biden sind und null bei Trump“. Von Storch konnte wiederum keine Fälle aufzählen, in denen das geschehen wäre. Offizielle Wahlbeobachter*innen haben die durch Trump und dessen Team monierten Verstöße nicht bestätigen können. Dennoch sieht von Storch in der Möglichkeit der Briefwahl ein „Problem“, das sich auch in Deutschland stelle: „Stimmabgaben schon Wochen vor dem Wahltermin“ seien aus ihrer Sicht zu kritisieren und sollten eine Ausnahme bleiben. Über den künftigen Präsidenten Biden sagte sie, dessen physische und psychische Verfassung sei „dermaßen schlecht, dass man nicht davon ausgehen kann, dass er lange Präsident sein wird.“ Sie berief sich auf „zahlreiche Videos“, in denen man das erkennen könne. (↪ Dlf, 05.11.)


Der anhaltende Streit innerhalb des AfD-Landesverbandes Bremen wird nun vor Gericht ausgetragen. Im Vorfeld des Landesparteitags am 17. Oktober hatten mehrere Mitglieder, darunter der ehemalige Landesvorsitzende Frank Magnitz, dem Amtsinhaber Peter Beck und dem Schatzmeister Mertcan Karakaya unter anderem finanzielle Unregelmäßigkeiten, Vorteilsnahme im Amt, Bestechlichkeit und Kontakte in extrem rechte Kreise unterstellt – und damit einen Abwahlantrag begründet, der knapp gescheitert ist. Beck und Karakaya gehen in einem Zivilprozess am Bremer Landgericht gegen die Antragsteller*innen vor, weil die Vorwürfe falsch seien. Das Gericht versuchte am Donnerstag, zu schlichten und einen Vergleich zu schließen. Doch die Landesspitze pocht auf ein Urteil, Beck kündigte an, er werde „bis in die letzte Instanz“ gehen. Eine Entscheidung will das Gericht am 3. Dezember fällen. (↪ Bild, 05.11., ↪ buten un binnen, 06.11., ↪ TAZ, 06.11.)


In Mecklenburg-Vorpommern prüft der Datenschutzbeauftragte des Bundeslandes den mutmaßlich rechtswidrigen Umgang der AfD-Landtagsfraktion mit sensiblen Daten eines Angestellten. Nach Angaben des NDR gehe es „um das bewusste Kaltstellen eines Fraktionsmitarbeiters“. Über ihn wurden innerhalb der Fraktion Dokumente verbreitet, „um den Betroffenen in ein schlechtes Licht zu rücken“ und so eine Kündigung zu begründen. Dagegen wehrt sich der Betroffene arbeitsgerichtlich. Er schaltete auch den Datenschutzbeauftragten ein, der wiederum eine Stellungnahme der Fraktion einfordert. Im Kern geht es um einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Schwerin wegen Fahrens ohne gültige Fahrerlaubnis. Auf noch unbekanntem Weg soll der parlamentarische Geschäftsführer Ralph Weber an dieses Schreiben gelangt und es gegen den Mitarbeiter verwendet haben. Weber bestreitet die Vorwürfe. (↪ NDR, 06.11.)


Der Landtag von Baden-Württemberg hat die parlamentarische Immunität des AfD-Abgeordneten Rainer Balzer aufgehoben. Das hatte er zuvor selbst beantragt, obwohl dieser Schritt in der Regel nur auf Antrag einer Staatsanwaltschaft erfolgt. Balzer will jedoch nach eigenen Angaben seine Unschuld beweisen, da ihm aus der Partei heraus vorgeworfen wird, unter anderem Namen falsche Verdächtigungen über ein Parteimitglied verbreitet zu haben. Er bestreitet das und sehe „möglichen Ermittlung“ gelassen entgegen, hatte er Ende Oktober erklärt. Jetzt allerdings zeigt er sich verärgert, über die selbst beantragte Aufhebung der Immunität erst aus den Medien erfahren zu haben: „Ich weiß weder, was mir vorgeworfen wird und mir ist auch kein Schriftstück über ein Verfahren bekannt“, sagte er am Freitag. (↪ Welt, 06.11.)

Blauzone

Trotz offizieller Abgrenzung der jeweiligen Parteien haben im saarländischen Landtag die Fraktion von CDU, SPD und LINKEN mit der AfD einen gemeinsamen Gesetzentwurf verfasst und eingebracht. Er soll die Rechte des Parlaments während der Pandemie stärken. Vorgesehen ist unter anderem eine zeitliche Befristung von Verordnungen der Landesregierung, Berichtspflichten und die Möglichkeit, bestimmte Einschränkungen durch Parlamentsbeschluss wieder aufzuheben. Den Entwurf hatte eine Arbeitsgruppe erarbeitet, an dem alle Fraktionen, also auch die AfD, beteiligt sind. Für die Fertigung des Entwurfs und eine Verabschiedung des Gesetzes sind die Stimmen der AfD-Fraktion nicht erforderlich. (↪ Spiegel, 03.11.)


Der sächsische Landesverband der „Freien Wähler“ (FW) zerfällt. Am vergangenen Wochenende sind der frühere Landesvorsitzende Steffen Große und rund 20 weitere teils namhafte Mitglieder aus der Partei ausgetreten, darunter mit der Polizeibeamtin Cathleen Martin die FW-Spitzenkandidatin zur Landtagswahl 2019. „Ich kann nach dem Durchgriff des Bundesvorstandes auf die Landespartei mit seiner Absetzung gegen den Mitgliederwillen und anderen willkürlichen Entscheidungen des Bundesvorstandes nicht mehr Werbung für die FREIEN WÄHLER im Wahlkampf machen“, erklärte Große in einem Mitgliederrundschreiben. Vorausgegangen war ein Streit mit der Bundespartei, der Große abgesetzt und gegen ihn eine mehrjährige Ämtersperre verhangen hat. Grund war vor allem der Vorwurf, dass in Sachsen Verbindungen mit der rechten Szene geduldet werden. Dabei geht es um die Zusammenarbeit mit dem Dresdner Verein „Freie Wähler“, dem Große weiterhin vorsitzt. In der Landeshauptstadt engagieren sich unter anderem die neurechte Buchhändlerin Susanne Dagen und der Szeneanwalt Frank Hannig für diesen Verein. (↪ Bild, 01.11., ↪ Sächsische, 04.11.)


Die frühere AfD-Vorsitzende Frauke Petry muss sich ab Donnerstag wegen der Vorwürfe der Steuerhinterziehung und des Subventionsbetrugs erneut vor Gericht verantworten. Das Landgericht Leipzig hat dafür weitere Verhandlungstermine am 13. November und 2. Dezember angesetzt. Am Amtsgericht Leipzig war Petry Anfang des Jahres in der gleichen Sache freigesprochen worden. Die Staatsanwaltschaft ging jedoch in Berufung und hält an wesentlichen Anklagepunkten fest. Demnach soll die heutige fraktionslose Bundestagsabgeordnete im Jahr 2014 Fördermittel eingestrichen haben, um eine professionelle Beratung für ihre Firma zu finanzieren, die in Schieflage geraten war. Die Beratung fand zwar statt, galt mutmaßlich aber nicht dem Unternehmen, sondern der Vorbereitung von Petrys Privatinsolvenz. In der Vorinstanz hatte die Staatsanwaltschaft eine Geldstrafe von insgesamt 30.000 Euro gefordert. (↪ n-tv, 05.11., ↪ Sächsische, 05.11.)

Hintergrund

Mit der öffentlichen Mitteilung, dass die AfD als sogenannter Prüffall eingestuft wurde, hat der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) Thomas Haldenwang Anfang 2019 offenbar rechtliche Bedenken seiner eigenen Behörde übergangen. Später ließ es die AfD dem BfV durch das Verwaltungsgericht Köln untersagen, weiterhin von einem Prüffall zu sprechen, weil für die öffentliche Bekanntgabe eine Rechtsgrundlage fehlt. Daran hält sich die Behörde seither. Von der Amtsspitze heißt es in dem Zusammenhang, dass man sich mit der damaligen Mitteilung auch eine „entlastende Funktion“ für die Partei erwartet habe, da in der Öffentlichkeit bereits ein viel weiter reichendes Vorgehen gegen die AfD eingefordert worden ist. (↪ Tagesspiegel, 05.11.)