Kippenpause oder „Geheimberatung“?

Der Untersuchungsausschuss zur Kürzung der AfD-Landesliste befragt ab November erste Zeug*innen, geladen sind Mitglieder des Landeswahlausschusses. Ihnen wird unterstellt, sich im Sommer 2019 rings um einen Aschenbecher in Kamenz verschworen zu haben. Das meint die Rechtsaußen-Fraktion völlig ernst – und will vor dem Verfassungsgericht kurzfristig erstreiten, dass die Beteiligten unter Eid gestellt werden können.


Beitrag vom 21.10.2020, 12:15 Uhr


Erstmals Zeug*innen benannt

Hinter verschlossenen Türen traf sich an diesem Montag in Dresden der Untersuchungsausschuss des Landtags zur inzwischen sechsten Sitzung. Die AfD-Fraktion hatte das Gremium vor mehr als einem Jahr eingesetzt, um die Umstände aufzuklären, die zur drastischen Kürzung ihrer Liste zur Landtagswahl geführt hatten. Bisher wurden Sachverständige angehört, diesmal wäre eigentlich die Befragung erster Zeug*innen möglich gewesen. Allein: Es gab keine, denn auch nach mehreren Aufforderungen hatte die AfD keine Vorschläge gemacht. Das ändert sich bald. Bei der nächsten Sitzung, die in knapp einem Monat stattfinden wird, sollen auf Wunsch der AfD mehrere Beisitzer*innen des Landeswahlausschusses öffentlich aussagen.

Der Landeswahlausschuss war für die Zulassung von Wahlvorschlägen zuständig, die zuvor bei der damaligen Landeswahlleiterin Carolin Schreck eingereicht worden sind. Bei den meisten Parteien war das gesetzlich vorgeschriebene Prozedere in wenigen Minuten erledigt. Doch über die insgesamt 61 vorgesehenen Kandidierenden der AfD wurde damals stundenlang diskutiert, bis schließlich eine spektakuläre Entscheidung fiel – nur 18 von ihnen wurden durchgewunken, der Rest gestrichen. Später lockerte der Verfassungsgerichtshof in Leipzig diese Entscheidung, weil sie allzu streng ausgefallen war. Doch auch das Gericht, das erklärtermaßen „zulassungsfreundlich“ argumentierte, ließ nur 30 Kandidierende zu, wegen gravierender Fehler bei der Aufstellung der Landesliste. So war während der auf zwei Parteitage gesplitteten Nominierung das anfangs vereinbarte Wahlverfahren geändert und damit gegen Grundsätze demokratischer Wahlen verstoßen worden. Die AfD beharrt bis heute darauf, zulässig vorgegangen zu sein, und sieht sich als Opfer eines großen Komplotts.

Mit ihrem Versuch, deshalb den Ausgang der Landtagswahl anzufechten, ist die Partei neulich im Parlament gescheitert, der zuständige Wahlprüfungsausschuss wies nach monatelangen Erörterungen mehrere Beschwerden endgültig zurück. Den erneuten Weg vor das Verfassungsgericht, um doch noch Neuwahlen zu erzwingen, scheut die Fraktion anscheinend. Doch Recht haben will sie weiterhin. So behauptete bei der Aussprache im Plenum der AfD-Abgeordnete Norbert Mayer, die Wahlleiterin habe den Landeswahlausschuss mit psychologischen Tricks „massiv konditioniert“ und so dazu verleitet, die Partei im Vorfeld der Landtagswahl erheblich zu schwächen. Von einer gewissen „Überzeugungsarbeit“ war schon in dem Antrag zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses die Rede gewesen.

Komplott am Aschenbecher?

Das will die AfD nun nachweisen und reihum jene Personen befragen, die an der folgenschweren Entscheidung beteiligt waren. Allerdings nicht alle von ihnen. Es gab damals fünf ehrenamtliche Beisitzer*innen, die im Vorfeld durch CDU, SPD und Linke entsandt worden waren, sie alle sollen angehört werden. Und es gab einen sechsten Beisitzer. Markus Scheffer heißt der Mann, er arbeitet in Leipzig als Verwaltungsrichter und war durch die AfD in den Landeswahlausschuss geschickt worden. Auch Scheffer war dabei, als die AfD-Landesliste gekappt wurde. Er stimmte anders ab als alle anderen, stellte sich allerdings auch nicht allzu klar auf die Seite seiner eigenen Partei, sondern enthielt sich. Er wurde noch nicht als Zeuge im Untersuchungsausschuss benannt.

Belastbare Hinweise, dass die Beisitzer*innen beeinflusst, gar zu einer bestimmten Entscheidung gedrängt worden wären, fehlen bislang. Sie hatten im Vorfeld Einsicht in die Unterlagen der Landeswahlleiterin nehmen und so erkennen können, dass es mit den Unterlagen der AfD von Anbeginn Probleme gab: Statt einer Landesliste wurden zunächst zwei eingereicht, es gab etliche Beanstandungen und formale Mängel. Erst 70 Minuten vor Abgabefrist lagen alle geforderten Parteidokumente vor, teils mehrfach und in unterschiedlichen Fassungen. Die Lage war so konfus, dass die Wahlleiterin sogar darauf verzichtete, eine sonst übliche Abstimmungsempfehlung abzugeben. Das sollte der Erörterung des Wahlausschusses vorbehalten bleiben, die am 5. Juli 2019 öffentlich und im Beisein mehrerer AfD-Vertreter*innen stattfand. Sie stimmten dort dem zusammenfassenden Vortrag der Wahlleiterin über den holprigen Ablauf bei der Aufstellung der Kandidierenden und der Einreichung der Unterlagen ausdrücklich zu.

Erst in den Tagen danach entwickelte die AfD eine ganz eigene Theorie, wie der Wahlausschuss zu seiner Kürzungsentscheidung kam. Angeblich habe es an jenem 5. Juli neben der öffentlichen Sitzung noch eine „Geheimberatung“ gegeben, in der die Beisitzer*innen vergattert worden seien, gegen die AfD zu votieren. Tatsächlich war die Sitzung zwei Mal unterbrochen worden, am späten Vormittag für gut zehn Minuten und am frühen Nachmittag für eine knappe halbe Stunde. Geheim war daran nichts, alle Anwesenden wussten davon. Auch die AfD sträubte sich nicht gegen Pausen, die gründlich protokolliert worden sind. Währenddessen zogen sich die Mitglieder des Landeswahlausschusses nicht etwa zurück, sondern gingen teils zum Rauchen vor die Tür, Vertreter*innen der AfD taten dasselbe. Ihre Abgeordneten wollen jetzt wissen, worüber seinerzeit genau gesprochen wurde, an einem Aschenbecher vor dem Gebäude des Statistischen Landesamtes in Kamenz. In den anderen Fraktionen geht man von einer eher verzweifelten Legendenbildung aus.

Klage gegen den Ausschuss läuft

Überschattet wird die Arbeit des Untersuchungsausschusses derweil durch einen Rechtsstreit. Denn inzwischen hat die AfD-Fraktion ihre Drohung umgesetzt, den gesamten Ausschuss und dessen Vorsitzenden Lars Rohwer (CDU) zu verklagen. Vor einigen Tagen ging beim Sächsischen Verfassungsgerichtshof in Leipzig eine Klageschrift ein, mehr als zwei dutzend Seiten plus ein dickes Anlagenpaket, ausgearbeitet durch den Fraktionsjuristen Michael Elicker. In einem sogenannten Organstreitverfahren soll das Gericht nun feststellen, dass mit einer bislang im Ausschuss gebräuchlichen Belehrungsformel die Strafbarkeit eines möglichen Meineids „vereitelt“ werde.

Diesen Schritt hatte die AfD schon in der vorherigen Sitzung angekündigt. Grund ist der obligatorische Hinweis an Zeug*innen, dass sie wahrheitsgemäß aussagen müssen und auch vereidigt werden können. Dann gilt eine erhöhte Strafandrohung, theoretisch jedenfalls. Das für Sachsen maßgebliche Untersuchungsausschussgesetz sieht dieses Mittel zwar vor. Doch aus dem Strafgesetzbuch ergibt sich, dass parlamentarische Untersuchungsausschüsse keinen Eid mehr abnehmen können, er hat damit nur noch symbolische Bedeutung. Daher heißt es bei der Belehrung durch den Vorsitzenden bislang: „Ich weise Sie darauf hin, dass ein Meineid vor dem Untersuchungsausschuss nicht bestraft wird.“ Falschaussagen sind weiter strafbar, unabhängig vom Eid. Aber das genügt der AfD nicht, sie sieht sich eines Druckmittels und damit ihrer parlamentarischen Minderheitenrechte beraubt.

Der Ausschussvorsitzende, der die Rückendeckung der anderen Fraktionen und auch der Landtagsverwaltung hat, handle „offenkundig rechtswidrig“ und „selbstherrlich“, heißt es in der Klageschrift. Die AfD hatte die Frage um die Vereidigung von der ersten Ausschussssitzung an zum Streitthema gemacht, dabei Kompromisse ausdrücklich ausgeschlossen und so den Start der Ausschussarbeit über Monate hinausgezögert. Jetzt soll alles plötzlich ganz schnell gehen und das Gericht eine einstweilige Anordnung treffen. Damit Klarheit herrscht, wenn im November Zeug*innen zu Protokoll geben, was sie im Sommer 2019 in einer Zigarettenpause getan haben.